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3. Theoretische Grundlagen

3.6 Habitusrekonstruktion

3.6.1 Der Habitus von Führungskräften

Bevor zu den besonderen Aspekten von Rolle und Gesundheit in ihrem Zusammenspiel übergegangen wird, ist zunächst ein Blick auf die Genese des Habitus als Ganzes zu

33 Kramer, der sich auch die Anschlussfähigkeit der dokumentarischen Methode zunutze macht, nutzt seinen Ansatz und erforscht individuelle Orientierungsrahmen und damit auch Habitus anhand der do-kumentarischen Methode (vgl. Helsper, Kramer, Brademann & Ziems, 2007).

werfen, um in der empirischen Arbeit daran anknüpfen zu können. Denn auch wenn es um eine besondere Facette des Habitus einer definierten Zielgruppe geht, sollte dies in den Gesamtprozess der Habitualisierung eingeordnet werden:

1. Am Beginn der Betrachtung steht bei der Zielgruppe wie bei allen anderen Men-schen die Ausbildung eines primären Habitus, der im Fall der Zielgruppe zu ei-ner beruflichen Laufbahn in der Wirtschaft führt. Zum grundlegenden Prozess der Habitualisierung sei auf die grundlegenden Ausführungen zum Habitus, sei-ner Entwicklung, Wirkung und Bedeutung von Bourdieu verwiesen.34

2. Auf der Basis des Primärhabitus aktualisiert sich der Habitus der Person mit Eintritt ins Feld, wobei das Wissen um das „How-to“ genutzt wird.35 Gemäß der Definition des Habitus greifen hier Wahrnehmungs- und Denkmuster, die eine individuelle Variante des „How-to‘s“ hervorbringen (Fröhlich & Rehbein, 2009, S. 82). Schon zu Beginn der Berufstätigkeit steht ein kommunikatives Wissen über die normativen Erfordernisse im Feld zur Verfügung. Diese Erkenntnisse sammelt jeder Einzelne unabhängig von seiner Position im Feld, so wie jeder (s)ein Wissen über die Institution Familie hat.36

3. Im Sinne einer Karriere verändern sich im Laufe der Berufstätigkeit Aufgabe und Position. Dass es dazu kommen konnte, bestätigt eine Passung des Habitus zu diesem Feld. Wie Bourdieu ausführt, erfährt ein Habitus beim Eintritt in ein neues Feld eine Prüfung auf Passung, um ins Feld zu gelangen und um damit zum Spiel zugelassen zu werden. Bei diesen ersten Positionswechseln sind die Herausforderungen für den Habitus begrenzt. Wie Hermann (2004, S. 195)

34 Grundlegend: Bourdieu, 2007, S. 277ff. Im Kontext wird dies bspw. bei Krais & Gebauer, 2008, S. 75 und Schwingel, 2009, S. 76ff. erklärt.

35 Zu Habitualisierungen beim Eintritt in ein neues Feld: „Man tritt in ein soziales Feld nicht mit einem Habitus ein, der fix und fertig ist, der passende Habitus wird nicht schon von vornherein vorausgesetzt:

‚Was der neu Eintretende tatsächlich in dieses Spiel hineinbringen muss, ist nicht der Habitus, der hier stillschweigend oder explizit verlangt wird, sondern ein Habitus, der praktisch kompatibel sein oder ei-ne genügende Nähe aufweisen und der vor allem formbar und geeigei-net sein muss, um sich in eiei-nen konformen Habitus konvertieren zu lassen‘“ (Krais & Gebauer, 2008, S. 61, mit einem Zitat von Bour-dieu, hier BourBour-dieu, 1993, S. 120).

36 „Wenn wir als ein Beispiel den Begriff bzw. die gesellschaftliche Realität der Familie nehmen, so ist uns einerseits – relativ unabhängig von unserer Milieu- und teilweise auch Kulturzugehörigkeit – die Realität der Familie als Institution bekannt, als Bereich institutionalisierten und rollenförmigen Han-delns, welcher u.a. generalisierte Erwartungserwartungen hinsichtlich beispielsweise der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und deren sozialen Identitäten beinhaltet, ein Wissen um die rechtlichen und religiösen Traditionen der Institution Familie ebenso wie auch die Common Sense-Theorien über die Familie und ihre normative Legitimation“ (Bohnsack, 2013, S. 179).

schreibt, ist der primär angelegte Bildungsweg und dort fortentwickelte Habitus zunächst entscheidend für die Übernahme einer ersten Führungsaufgabe. Das er-forderliche Kapital ist im Grunde bereits bereitgestellt und wird über Leistung aktualisiert. Leistung geht in der Regel mit erhöhtem zeitlichen Einsatz37 und damit einem Festlegen der Prioritäten einher. Dadurch sind grundlegende Vo-raussetzungen für den Eintritt ins Management geschaffen.

4. Die erlebte Passung führt zu einer Karriere und damit zu Statuspassagen, also zur Übernahme einer Führungsverantwortung. Einerseits hilft hier der praktische Sinn, d.h. eine Idee davon zu haben, wie man sich hier zu bewegen hat oder ha-ben könnte. Andererseits wird damit Zutritt zu einem Teil des Feldes möglich, der nun Neuland darstellt. Es kommen Situationen auf die Führungskraft zu, die von institutionellen Erwartungen38 geprägt sind und Handeln erfordern. Erst hier kann man erfahren, ob der Habitus so ausgebildet ist, dass dieser schon passende Handlungsweisen auch für diese neuen Situationen bereithält. Das ist kein posi-tiver Automatismus, wie Bourdieu festhält, sondern eine echte Passungsprüfung, ob und wie „das Weiterwirken der Erstkonditionierung“ (Bourdieu, 1993, S.

117) funktioniert.

Hier ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass nur bestimmte Facetten des Gesamt-habitus adressiert werden: diejenigen, die in diesem Feld relevant sind. Die Führungs-kraft setzt sich in den neuen Situationen in seiner Rolle als FührungsFührungs-kraft mit den Er-wartungen und Ansprüchen der Institution auseinander. Die Art der an sie gerichteten Erwartungen leitet sich aus der (neuen) Rolle ab. Diese Auseinandersetzung ist ein akti-ver reflektierender Prozess. Nach Bourdieu geschieht dies in besonderen (krisenhaften) Situationen (Bourdieu & Wacquant, 1996, S. 165-166). Nun ist eine Statuspassage kein traumatisches Ereignis, dennoch eines, welches die automatisierten Handlungsmuster des Habitus herausfordert.

Die meisten Befragten dieser Studie geben an, sie hätten in der Praxis gelernt, und eini-ge saeini-gen deutlich, dass es die Fehler waren, die den Lernprozess im Besonderen eini-

37 Vgl. Bourdieu, 1983, S. 188 zur Bedeutung von zur Verfügung stehender Zeit und erfolgreicher Kapita-lisierung: „Es ist unmittelbar ersichtlich, daß die zum Erwerb erforderliche Zeit das Bindeglied zwi-schen ökonomischem und kulturellem Kapital darstellt.“

38 Vgl. die Ausführungen zum engeren und weiteren Orientierungsrahmen, wie ihn Bohnsack definiert (2013, S. 181).

dert hätten. An diesen Aussagen zeigt sich, dass es vorab mangels Gelegenheit kaum möglich ist, routiniert (automatisch im Sinne des Habitus) zu agieren.

Diese Ausführungen zu den grundlegenden Habitualisierungen auf dem Weg zur Füh-rungskraft sollen zunächst genügen, wobei dieser Weg keiner ist, der an den Akteuren spurlos (auch buchstäblich im Sinne der Inkorporierung) vorbeigeht. Die positionellen Veränderungen lösen Anpassungsprozesse aus. Was in dieser Dialektik dann passiert, interessiert hier auf einen Ausschnitt des Gesamthabitus bezogen. Es geht um die Pro-zesse, die a) im Feld und b) in der Rolle der Führungskraft adressiert und aktiviert wer-den – und c) die sich weiter eingeschränkt auf wer-den Bereich Gesundheit beziehen.