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Aus dem persönlichen Erleben dieser Entwicklungen aufgrund der eigenen beruflichen Tätigkeit in der Führungskräfteentwicklung entstand die Motivation zur vertieften wis-senschaftlichen Auseinandersetzung im Rahmen einer Promotion. Dabei stand erst ein-mal der Wunsch im Vordergrund, die Prozesse zu verstehen: „Wie kommt das?“ – Füh-rungskräfte haben in ihrer Entwicklung in der Regel ausreichend Seminarerfahrung, haben vielfältige Entwicklungsangebote wahrgenommen, um in der Rolle reflektierter zu agieren und leistungsfähiger zu werden. Und doch gibt es deutliche Unterschiede unter Führungskräften im gesundheitsbezogenen Handeln, wie die Wahrnehmung aus der Praxis zunächst ergibt. Wo die eine Führungskraft konsequent für sich sorgt, Gren-zen zieht, Sport treibt und sich nicht von der Schokolade auf dem Schreibtisch verfüh-ren lässt, so erklärt die andere, dass ihr für jede Form des Ausgleichs einfach die Zeit fehle und eine dritte räumt sogar ein, erst nach einer ersten ernsthaften Erkrankung Zeit-fenster gefunden zu haben. Soweit stellt sich das Problem aus der impulsgebenden Pra-xis der beratenden Arbeit mit Führungskräften dar.

Die Frage ist also, wie zu erklären ist, dass manche Führungskräfte in Bezug auf ihre Gesundheit so und andere anders handeln und ob sich diesbezüglich erklärende Muster finden lassen. Gleichzeitig hilft dies der Praktikerin in der Forscherin (sowie Personal-abteilungen und Personalentscheidern) perspektivisch dabei, der Führungskraft aus dem Wissen um diese Muster oder um bestimmte Handlungstypen spezifische Angebote in Bezug auf ihre individuelle Gesundheit unterbreiten zu können.

Um vom praktischen, professionell getriebenen Anliegen zu einem wissenschaftlichen Forschungsthema zu gelangen, sind grundlegende ‚Übersetzungen‘ zu leisten, um eine adäquate Frage zu formulieren und dieser im Rahmen einer eigenen Studie nachzuge-hen. Dazu ist zunächst zu klären, wo dieses Anliegen in der Forschung beheimatet ist – oder anders gesagt: wo es die Forscherin beheimaten möchte, um den größten Mehrwert im Sinne des Forschungsbeitrags zu erzielen.

Dabei stand eines fest: Es sollte um die Akteure gehen, also um Führungskräfte in ihrer Rolle und dementsprechend auch in ihrem beruflichen Wirkungsfeld.

Mit der Übernahme einer Führungsaufgabe gehen bestimmte Haltungen und Einstellun-gen einher, die – neben der Kenntnis der notwendiEinstellun-gen Führungsinstrumente – das

pro-fessionelle Handeln leiten. Zumal es nicht die Führung gibt, sondern bestimmte Men-schen und Situationen jeweils Anpassungen im Führungsstil erfordern. Die fachliche Diskussion darum, was Führung von Mitarbeitern bedeutet und beinhaltet und wie die ideale Führungskraft aussieht, ist breit gefächert und immer wieder Veränderungen un-terworfen. Wesentlich ist der Wandel von der transaktionalen zur transformalen Füh-rung, das heißt in wenigen Worten von einer FühFüh-rung, die im Wesentlichen auf Wei-sung und Kontrolle basiert, zu einer deutlich dialogischeren, die motivierend und wert-schätzend ist. Auch das virtuelle Führen, um ein weiteres Beispiel für den Wandel im Führen darzustellen, also das Führen von Mitarbeitern, die nicht am selben Ort wie ihre Führungskraft arbeiten, erfordert spezifische Kompetenzen, wie bspw. eine klare Kom-munikation und Vertrauensfähigkeit.4 Ebenso unterliegen gesellschaftliche Einstellun-gen zur Gesundheit einem Wandel, wobei nun zunehmend Gesundheit fokussiert wird.

Und genau hier setzt diese Arbeit an, wobei nicht der Frage nachgegangen werden soll, wie die ideale Führungskraft aussieht oder was sie tut. Vielmehr soll herausgearbeitet werden, welche Bedeutung Gesundheit für diesen Kreis hat und ob dies in einem Zu-sammenhang mit der Führungsrolle steht – und falls ja: in welchem.

Derartige Fragestellungen sind gesellschaftlich und betriebswirtschaftlich hochaktuell.5 Mehr denn je werden Aspekte von Gesundheit zu Aspekten von Führung. Gesundes Führen ist mittlerweile ein gängiges Schlagwort in den Unternehmen und vor allem bei den zuständigen Personalentwicklern. Es geht dabei sowohl um die Gesundheit des Führenden als auch um die des Mitarbeiters sowie die Wechselwirkungen aus deren Beziehung und die förderlichen und hinderlichen Faktoren. Dabei kann, entsprechend dem Vorbild der Gesundheitswissenschaften, der Fokus entweder auf die Verhältnisse oder auf das Verhalten gerichtet sein. Entweder richtet sich das wissenschaftliche Er-kenntnisinteresse auf die Einflüsse und Wechselwirkungen aus dem Kontext des Unter-nehmens oder auf die handelnde Person. Letzteres soll hier geschehen. Es muss also keine Verbindung von der Person oder der Aufgabe der Führung zu Aspekten von Ge-sundheit konstruiert werden, denn faktisch liegt sie bereits im Unternehmensalltag vor.

4 Vgl. bspw. von Rosenstiel, Regnet & Domsch, 2014; Stroebe, 2006.

5 Vgl. dazu bspw. Meck, 2014 mit der zentralen Fragestellung einer größer angelegten Studie einer Klinik und Unternehmensberatung: „Wie fit sind Deutschlands Manager?“ (vgl. Heindrick & Struggels, 2014)

Aus diesem praktischen Anliegen kristallisierte sich ein Forschungsinteresse heraus, das sich zunächst über die folgenden ideenleitende Fragen darstellen lässt, bevor diese in eine tragfähige Forschungsfrage überführt werden.

Welche Rolle spielt Gesundheit für Führungskräfte?

Was meinen sie überhaupt, wenn sie von Gesundheit sprechen?

Wie sehen entsprechende gesundheitsbezogene Haltungen aus?

Wie beschreiben und benennen Führungskräfte diese selbst?

Welche Folgen hat das für das Handeln?

Um das Thema erst einmal zu verorten, ist zunächst zu prüfen, welche Disziplinen sich am gegenwärtigen Diskurs über dieses Thema beteiligen.

Der Gesundheit von Führungskräften kann man sich aus verschiedenen Richtungen nä-hern: Als Mediziner wird man vor allem den Blick auf die Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten in der Zielgruppe richten. Als Wirtschaftswissenschaftler interessiert man sich für die Auswirkungen von kranken oder gesunden Managern in unternehmeri-schen Zusammenhängen, während sich der Psychologe vor allem mit den individuellen Treibern von und für Verhalten befasst. Soziologen weiten den Blick über das einzelne Individuum hinaus, um überindividuelle Strukturen für die im Fokus stehende Zielgrup-pe zu entdecken und damit das Soziale an der Gesundheit zu erfassen.

Auffällig ist das Bestreben aller Disziplinen, lösungsorientiert Maßnahmen anzubieten.

Vor dem Hintergrund des Feldes Wirtschaft ist dies verständlich, weil dadurch im Hin-blick auf den Anschluss wissenschaftlicher Forschung an die Praxis konkrete Hilfestel-lungen angeboten werden können, die wiederum Defizite ausgleichen bzw. Unterneh-menseinbußen vermeiden lassen. Der Zugang über soziologische Betrachtungen eröff-net – auch ohne unmittelbar anschließende Interventionsansätze – Erklärungsmöglich-keiten, die hinter den Symptomen liegen, und bspw. psychologische verhaltensorientier-te Modelle sinnvoll ergänzen können. Es geht nicht darum, in Konkurrenz mit Erklä-rungsmodellen zu treten, sondern den Blick zu erweitern, indem soziale Entstehungszu-sammenhänge identifiziert werden und Erklärungen ermöglichen.

Der Gesundheitswissenschaftler Hurrelmann hält fest: „In neueren Ansätzen wird die wechselseitige Beziehung zwischen den psychischen und den sozialen Bedingungsfak-toren für Gesundheit und Krankheit betont. Hierdurch ergeben sich Berührungspunkte

zwischen Gesundheitssoziologie und Gesundheitspsychologie, die symptomatisch für eine zunehmende interdisziplinäre Orientierung sind“ (Hurrelmann, 2010, S. 16).

Die gängigen psychologischen Modelle mit thematischem Bezug bieten Lösungen an, die am Verhalten des Einzelnen ansetzen (vgl. dazu Faltermaier, 2005). Die Frage nach dem Kontext, d.h. warum Menschen in bestimmten Situationen so handeln, wie sie es tun, kann soziologische Forschung klären. Hier kann danach gefragt werden, welche Einflüsse der Kontext und dessen Interpretation auf das individuelle Handeln haben und wo sich das Soziale im Thema Gesundheit findet. Auf den Forschungsgegenstand bezo-gen heißt das, danach zu frabezo-gen, wo es Erklärunbezo-gen in der Lebenswelt gab bzw. gibt, die das Gesundheitshandeln der Zielgruppe beeinflussen. Die Chance anderes zu entdecken als mit der individuellen und personenbezogenen Innenperspektive des Psychologen, wird hier als Treiber gesehen, sich dem Thema soziologisch zu widmen.

Auch innerhalb der Soziologie bieten unterschiedliche Schulen auch jeweils verschie-dene Zugänge – bspw. über die Gesundheitssoziologie. Hurrelmann definiert das Ziel der Gesundheitssoziologie mit der Analyse von gesellschaftlichen Bedingungen für Krankheit und Gesundheit (Hurrelmann, 2010, S. 13). Für ihn schaffen soziale, kulturel-le, ökonomische und ökologische Aspekte Gesundheitsverhältnisse, die einen starken Einfluss auf das individuelle Gesundheitshandeln ausüben, weswegen gesundheitsför-derliche und -hingesundheitsför-derliche Faktoren auch im überindividuellen Kontext zu suchen sind.

So führt der Weg wieder relativ direkt zum konkreten Tun bzw. auch zu einer Verbesse-rung der Bedingungen. Damit sind auch die Bedingungen in gesellschaftlichen Teilbe-reichen gemeint, wie das hier beleuchtete wirtschaftliche System (ebd.). Er betont, dass neben Bildungspotenzialen auch der sozioökonomische Status eine große Rolle für die Gesundheits- und Krankheitsbilanzen von Menschen spielt. Wenn in der vorliegenden Arbeit das gesundheitsbezogene Handeln der Zielgruppe Führungskräfte beleuchtet wird, kann das in einem Zusammenhang mit Gesundheitsförderung stehen. Vorrangig interessiert in dieser Arbeit aber die Frage nach den individuellen Dispositionen, die noch vor jedwedem Aktivwerden eines Akteurs, vor jedem Handeln stehen.

Konkreter sind solche Dispositionen gemeint, die sich über soziale Prozesse (Erleben, Nachmachen und zur automatisierten Gewohnheit werden) etablieren und in den Ein-zelnen dadurch eingeschrieben haben.

Vor dem Hintergrund des Forschungsanliegens, welches solche Einschreibungsprozesse in den Körper sichtbar machen möchte, ist es naheliegend, sich das Habitus-Konzept von Bourdieu zunutze zu machen. Eine Einführung in dieses Konzept sowie in die grundlegenden Begriffe des Bezugsrahmens dieser Arbeit erfolgt im Weiteren.