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8. Gesundheitsbezogene Orientierungen

8.2 Dimension I – Konstruktionen von Gesundheit

8.2.4 Ausdruck (übergeordneten) Wohlbefindens

Diese beiden kleinen Sequenzen leiten diesen Abschnitt treffend ein:

I: „Was ist Gesundheit für Sie?“

Be: „Zustand. Hmhmhmh. Erst mal ein Zustand. Wie GEHT'S mir. Das ist meine Gesundheit. So, im Prinzip ist es das schon.“

… und fünf Minuten später äußert er noch auf Nachhaken Folgendes:

I: „Was noch? Was für Aspekte hat Gesundheit für Sie noch? (...) Wann ist man gesund?“

Be: „Das ist für mich GEFÜHL. Wenn's mir so, ich sag mal, gut geht.“ (Althaus, 149 und 183)

Gesundheit wird hier als Zustand begriffen und ebenso als Gefühl, also als etwas, das nur mit einem eigenen, inneren Maßstab erfasst werden kann.65

Dieses Fallbeispiel steht nicht allein. Es wiederholt sich der Gedanke in den geführten Interviews, dass das Gefühl und damit das In-sich-hinein-Spüren als oberste Referenz für Gesundheit betrachtet werden:

Be: „Für mich ist Gesundheit eigentlich immer dieses WOHLfühlen. Auf den KÖRPER hören. Dinge machen, von denen ich ausgehe, wo mein Körper mir widerspiegelt: JA, das macht mir Spaß, das GEFÄLLT mir. Das sind eigentlich so die Dinge, die für mich unter gesunde Ernährung, gesundes Leben oder so fal-len“ (Wächter, 106).

Wiederholt ist es der Begriff des Wohlfühlens, der Gesundheit beschreiben und definie-ren soll. Das reflexive Verb ,sich wohlfühlen‘ legt schon sprachlich nahe, dass der Aus-druck sehr persönlich gemeint ist, denn das reflexive Verb verweist nur auf den Spre-cher als Instanz. Laut Duden ist es ein „schwaches Verb“, obwohl es dennoch eine be-achtliche Tiefe in seinen möglichen Bedeutungen erlangt, denn es ist geeignet, eine Vielzahl unterschiedlicher Gefühlszustände zu umfassen. Für das Anliegen, Orientie-rungen wie Dimensionen angegessen zu erfassen, ist es wertvoll, diese Tiefe auszu-leuchten.

65 Interessant ist der Fortgang bei der zweiten Sequenz für die weitere Analyse insofern, als dass hier erkennbar wird, dass dem Gefühl eine wichtige Beurteilungsfähigkeit zugesprochen wird. Die Urteils-kraft von Gefühl reicht auch bis zu körperlich-funktional gefassten Gesundheit: „Das ist für mich GE-FÜHL. Wenn's mir so, ich sag mal, gut geht. Hört sich blöd an. Ich hab keine Einschränkungen (…) Solange es mir mit dem Kopf gut geht und ich keine Schmerzen habe, ich mich bewegen kann, und das kann ich, fühl ich mich gesund“ (Althaus, 149 und 183).

Gesundheit drückt sich auch über empfundene Maßeinheiten wieSpaß oder Wohlfühlen aus. Wenn jemand mit Gesundheit assoziiert, dass er gern zu Arbeit gehe anstatt bspw.

das Leistungsvermögen in den Vordergrund zu stellen, oder wenn ein anderer Ge-sprächspartner Gesundheit an sichtbarerer Lebensfreude festmacht, so sind dies wertvol-le Hinweise darauf, wie Gesundheit auch erwertvol-lebt werden kann. Die Antworten wertvol-legen be-reits nahe, dass Gesundheit im individuellen Erleben mehrdimensional ist und mehr als die Abwesenheit von Krankheit, von Symptomfreiheit und Messbarkeit umfasst. Es geht um einen eigenen Maßstab und demnach ein eigenes Referenzsystem für die eigene Gesundheit. Wohlfühlen hat dabei Verweischarakter, denn es verweist auf etwas, was nicht unmittelbar sichtbar bzw. den Befragten zugänglich ist. Jedoch sind auch hier un-terschiedliche Betrachtungsweisen auf das Wohlfühlen auszumachen.

Wohlfühlen wird bei der nachfolgend zitierten Führungskraft als eine Ortung in einem fast mechanistischen Bereich verstanden. Es misst gleichsam mit dem Maßstab, mit dem Körperfunktionen gemessen werden und meint hier nicht in erster Linie psychi-sches Wohlbefinden oder Ausgeglichenheit:

„Mhm, also ich denke im Wesentlichen ein Sich-wohlfühlen in dem Sinne, dass man eben nicht körperliche Schmerzen oder, ich sage mal, echte Krankheits-symptome eben hat. Nicht unbedingt so wohlfühlen, dass man immer bester STIMMUNG sein muss, aber eben SO wohlfühlen, dass man sagt: Ja, mein Körper FUNKTIONIERT, da ist alles ok und ich habe hier nicht Stechen in der Brust oder Verspannungen oder was auch immer“ (Dr. Schwarzer, 103).

Diese Führungskraft spricht vom Wohlfühlen. Das Wohlfühlen, das diese beschreibt, ist zum einen die positive und damit angenehme Empfindungen auslösende Rückmeldung des Körpers, dass dieser uneingeschränkt funktioniert. Zum anderen spricht er eine mentale Ebene an, die „Stimmung“. Auch legt er einen Maßstab an, der aber anders als bei körperlich-funktionalen Aspekten eingeordnet wird: Ein Stechen in der Brust wiegt schwerer als eine nicht vorhandene „beste Stimmung“. Es kommt ebenso im folgenden Fall zu einer Priorisierung. Dieser kommt der umgangssprachlichen Lesart von Wohl-fühlen näher, die sich abhebt von dem, was funktional und messbar ist. Es drückt sich durch mehr Leichtigkeit und durch weniger kognitive Prozesse aus, wobei eben auch eine Rangfolge in der Wichtigkeit des Wohlfühlfaktors ausgemacht wird: „Das heißt, wenn Krankheiten erst mal nicht da sind, schon mal prima. Wenn dann noch ein wirk-lich gefühltes Wohlsein mit dabei ist, dann perfekt“ (Borgmann, 83). Eine weitere

Les-art könnte hier eine Bescheidenheit darüber sein, was er als Führungskraft zu erwLes-arten können oder dürfen glaubt.

Diese Sichtweise ist allerdings nicht typisch. Ebenso kann ein körperliches Erleben ne-ben ein Gefühl als weitere Ene-bene gestellt werden, ohne dass diese als konkurrierende oder aufeinander aufbauende gesehen werden: „Wenn du körperlich krank bist, könntest du dennoch zufrieden sein“ (Carstens, 10). Aber nicht nur dass diese Ebenen völlig un-abhängig voneinander existieren können, sie stellen auch zwei Seiten dar:

„Was tue ich? Bin ich damit zufrieden oder nicht? Ist mein Körper in Ordnung?“

(Dr. Albrecht 117) sowie: „Das hat für mich zwei Komponenten. Das eine ist die rein physikalische, körperliche Gesundheit im Sinne, wie sie ein Arzt definieren würde. Ich sag mal Blutwerte etc. pp. Und das andere ist der zweite Faktor, wie sie vielleicht der Mensch selber oder eine Psychologe definieren würde, das ist das Thema WOHLFÜHLEN. Also, fühle ich mich wohl, fühle ich mich mit meinem Körper wohl, fühle ich mich wohl, wie ich lebe, wie mein Job ist etc.

pp. Das sind für mich ZWEI Komponenten an der Stelle. Das eine ist das rein PHYSIKALISCHE in Anführungsstrichen, was ich an wie auch immer definier-ten Faktoren ablesen kann, das andere ist ein WOHLFÜHLfaktor quasi“ (Dr.

Albrecht, 83).

Noch widersprüchlicher wird die Beschreibung von Gesundheit, wenn die physische Seite als wenig aussagekräftig für den Gesundheitszustand bzw. das –empfinden bewer-tet wird, wie im nachfolgenden Fall:

I: „Wenn Sie sich das Bein gebrochen haben, sind Sie dann, in welchem Zustand sind Sie dann?“

Be: „Auch gesund“ (Ehrmann, 149).

Aussagekräftig in dieser Hinsicht sind auch Antworten auf die Frage danach, wann Ge-sundheit als gefährdet betrachtet wird. Vor allem wird darüber spekuliert, wann beim Ausbleiben des eigenen Wohlbefindens eine Grenze zu ziehen wäre, wenn sich dies NICHT auf bekannte Krankheitssymptome zurückführen lässt oder mit ärztlichen Diag-nosen oder Befunden zu belegen ist.

„Bei mir/ ich würde schon sagen, wenn ich dauerndes Unwohlgefühl hätte, dann ja. Wenn ich ein Unwohlgefühl habe eine gewisse Zeit, aber selber überzeugt

bin, ich VERSUCHE es mal, dann absolut noch nicht. Erst wenn auf lange Sicht ein Unwohlgefühl da wäre, dann würde ich sagen: Da muss ich was anders ma-chen“ (Ehrmann, 407).

Die Bedeutung des eigenen Gefühls wiegt insgesamt schwerer, wenn es darum geht, die Frage nach der Gesundheit zu beantworten. Dieses Gefühl ist die Basis eines individuel-len Referenzsystems.