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8. Gesundheitsbezogene Orientierungen

8.2 Dimension I – Konstruktionen von Gesundheit

8.2.2 Abwesenheit von Krankheit

Es entspricht einer traditionellen Sichtweise Gesundheit und Krankheit insofern in ei-nem unmittelbaren Zusammengang zu betrachten, dass das eine über die Abwesenheit des anderen beschrieben wird.63

„NICHT nur Fehlen von Krankheit, sondern, ich glaube, für mich gehört zur Ge-sundheit auch Zufriedenheit dazu. Wenn du körperlich krank bist, könnest du dennoch zufrieden sein. Es gibt viele, ich will jetzt bei Behinderung nicht von

63 Vgl. Faltermaier, 2005, S. 193: Hier geht er auf eine – mittlerweile klassische – Studie von Herzlich (1973) ein, in der „Gesundheit als Vakuum“ und als eine Vorstellung von Gesundheit dargestellt wird.

Das heißt, Gesundheit wird nur am Fehlen von Krankheit festgemacht.

Krankheit sprechen, aber bei Einschränkungen, die sind trotzdem glücklich und zufrieden mit ihrem Leben, weil sie sich irgendwie arrangiert haben. Aber ich denke doch, dass Zufriedenheit eine Messgröße sein kann, ob sich jemand ge-sund fühlt oder nicht“ (Carstens, 10).

Nicht nur das Fehlen von Krankheit wird hier als Charakteristikum von Gesundheit er-kannt. Es deutet sich aber auch an, dass von einem gemeinsamen Verständnis darüber ausgegangen werden kann, dass das Fehlen von Krankheit wesentlich ist, das Konstrukt Gesundheit aber eben nicht ausreichend fasst und deshalb zur Definition nicht (bei kei-nem Befragten) allein steht. In diesem Fall werden bereits nicht-körperliche Anteile angesprochen. Aber an dieser Stelle soll der Blick zunächst auf die Aussage gelenkt werden, wie Krankheit Richtung Gesundheit skaliert wird. Es wird Behinderung ge-nannt, diese eingeordnet und mit dem Label „Einschränkung“ versehen. Eine andere Führungskraft zieht im selben Kontext den Begriff „gehandicapped“ heran, um zu ver-deutlichen, dass es eine Form der Einschränkung gibt, die sie aber ebenfalls nicht als krank (und damit weniger funktionierend für den Gesamtorganismus) einstufen möchte:

„Der ist gehandicapped ganz klar. Aber der Kopf funktioniert, ne?“ (Dr. Schwarzer, 215).64

Beachtenswert sind die unterschiedlichen Bestrebungen, Kranksein bzw. die Schwelle zum Kranksein zu beschreiben und einzuordnen: Das Ringen um die passende Be-schreibung sowie ein Verorten von Zuständen auf der Skala Krankheit – Gesundheit wird in folgendem Gesprächsbeitrag veranschaulicht:

„Gesundheit ist das Nichtvorhandensein von schwerwiegenden Erkrankungen ((lacht und hustet, passend zur durchweg hörbaren Erkältung)). Nein, aber ich glaube, das Thema Erkrankung, Krankheit ist ein wichtiger Aspekt von Gesund-heit. Ja, wie soll man das definieren? Was ist Gesundheit? Also, ich bin gesund, wenn ich mich gut fühle und wenn ich jetzt tatsächlich nicht KRANK bin. Jetzt kann man definieren, was ist krank? Also, Sie hören, Schnupfen hab ich ein bisschen und meine Schulter habe ich mir gestern auch verknackst. Also, ich bin jetzt nicht 100 Prozent nicht krank, aber ich würde trotzdem sagen, mit meiner Gesundheit steht das gut. Und ich fühle mich gut“ (Beck, 86).

64 Hier bringt er im Nachsatz einen weiteren Aspekt ein: mentale Gesundheit vs. physische Unversehrt-heit.

Aufschlussreich ist hier der Nachsatz: „Und ich fühle mich gut“, der wie eine Lösung, eine Quintessenz am Schluss seiner Ausführungen steht. Die Bedeutung der Ebene der Empfindungen und Gefühle wird weiter unten detailliert betrachtet. An dieser Stelle soll zunächst nur dafür sensibilisiert werden. Wie unbefriedigend sich diese Erklärung anzu-fühlen scheint, zeigt sich darin, dass derselbe Gesprächspartner einen Moment später doch weiter räsoniert:

„Also, ist Gesundheit mehr als das Fehlen von Krankheit? Ja, frage ich jetzt mal zurück? Also, oder vergesse ich jetzt einen wichtigen Aspekt, der mit Gesund-heit zu tun hat? Also GesundGesund-heit und KrankGesund-heit. Das sind ja: Bin ich gesund o-der bin ich krank? Das sind ja die beiden Pole. Also Krankheit und Gesundheit sind zwei Dinge. Aber das ist mir ein bisschen wenig bei Gesundheit, weil man kann ja auch mal krank sein und trotzdem ist aber Thema Gesundheit kein Prob-lem“ (Beck, 100).

Er selbst versucht, sich Klarheit über seine eigenen Vorstellungen von Gesundheit zu verschaffen, indem er den Facettenreichtum seiner ersten Ausführung (die Skalierung, die Ebene der Empfindungen) verringert, indem er nun nur noch von „zwei Dingen“,

„zwei Polen“ spricht, wodurch er Komplexität zu reduzieren versucht. Nimmt man bei diesem Fallbeispiel noch die Äußerungen hinzu, die zwischen beiden zitierten stehen, so wird es noch einmal spannender, denn hier kommen noch weitere, völlig andere Aspek-te seiner Definition von Gesundheit zum Vorschein: „Ich komme gerne zur Arbeit und habe eigentlich ganz gute Laune und fühle mich in der Lage, meinen Job zu machen“

(Beck, 96). Hier kommen nun ganz neue Themen zur Sprache: noch intensiver der Aus-druck von Gefühlen sowie der Bezug zum Feld. Liest man nun alle Antworten sequen-ziell, so unterstreicht es das oben Angesprochene: Es findet während des Gesprächs eine Suche nach einer Definition statt. Er gibt klar erkennbar persönliche Vorstellungen da-von ab, was dazu gehört, aber ihm selbst scheint dies nicht zu reichen oder jedenfalls im Rahmen des Interviews nicht zu genügen („Jetzt frage ich mal zurück... vergesse ich einen wichtigen Aspekt?“). Es zeichnet sich der Blick auf Krankheit und deren Abwe-senheit als sehr grundlegend ab, aber es zeigt sich gleichsam, wie wenig hinreichend diese Erklärung auch von den Befragten selbst empfunden wird, um Gesundheit zu er-klären.

Ein anderer Befragter löst dies für sich, indem er Gesundheit in zwei Bereiche gliedert:

körperliche und psychische Gesundheit. Er verortet „Herz, Kreislauf, alles, was so dazu

gehört“ bei der körperlichen Gesundheit und macht diese messbar, greifbar und leicht definierbar. Davon trennt er die psychischen Aspekte von Gesundheit ab, worunter er Ausgeglichenheit, Ruhephasen und Ablenkung fasst (Völkers, 109). Beiden Bereichen ordnet er aus seiner Sicht geeignete Maßnahmen zu, wobei er diese für den körperlichen Anteil nicht weiter ausführt („Dafür tue ich etwas“), und beim psychischen „Ruhepha-sen“ benennt, die dabei helfen sollen, im Beruf („wenn ich hier unter Strom stehe“) be-lastbar zu sein.

Ein anderer Manager versieht einen Zwischenbereich mit der Überschrift: „semi-krank“.

Dieser Zwischenzustand trifft auf ihn zu, wenn er zwar nicht zum Arbeiten ins Büro fahren kann, aber sich doch in der Lage fühlt, etwas per Laptop von Zuhause aus zu erledigen (Werle, 287). Hier kommt eine neuer Aspekt zum Tragen: Hier wird sich bei den Überlegungen zur Gesundheit sowie zum Gesundheitshandeln direkt auf das Feld bezogen bzw. auch über den Feldwechsel und die Erfordernisse nachgedacht, um sich dort in vollem Umfang und gemäß den geltenden Spielregeln bewegen zu können.

Dass auf der Skala von Krankheit bis hin zu ihrer Abwesenheit diese auch anders be-griffen werden kann, zeigt der Fall, wo eine körperliche Einschränkung als „nicht ge-sund“ empfunden wird (Völkers, 344-356). Da genau dieser Zustand, in diesem Fall ein mit Metall gestützter Knochen, die Bewegung einschränkt, wodurch ein impliziter Ver-weis auf eine andere Kategorie angezeigt wird: Handlungsfähigkeit, die hier als die Möglichkeit verstanden wird, Dinge gemäß den eigenen Vorstellungen auszuführen.

Dies erweist sich als eine eigene und wesentliche Kategorie, auf die später eingegangen wird.