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4. Institutionelle Analyse des Ausgabeverhaltens

4.1. Aufgaben und Rollen der Akteure

4.1.2. Das Volk: geringe Einflussnahme

Zu den besonderen politischen Rechten des Volkes gehören das Peti­

tionsrecht (Art. 42 LV) und das Recht der Beschwerdeführung (Art. 43 LV) s owie das Wahlrecht (Art. 46 LV), das Recht der Initiative in der Gesetzgebung (Art. 64 Abs. 1 lit. c LV) und das Referendumsrecht (Art. 66 LV).257 Im Unterschied zur Schweiz besteht in Liechtenstein sowohl die Möglichkeit einer Verfassungs- als auch einer Gesetzesinitia­

tive. Der Landtag hat auf ein gültig zustande gekommenes Initiativ­

begehren einzutreten. Mit Zustimmung zu einer Initiative kann das Par­

lament von einer Volksabstimmung absehen. Gegen einen Beschluss des Landtags kann ein Referendum ergriffen werden, wenn dieser nicht für

256 Allgäuer T., S. 82. Thomas Allgäuer führt dazu aus: "Die hierdurch erzeugte präventive Kontrollwirkung kann nicht gemessen werden, wird aber von Kennern als bedeutend eingestuft: die Regierung wird eine Vorlage besser und ausgewogener formulieren und begründen, wenn sie weiss, dass sie damit auch vor den Monarchen treten muss."

257 Vgl. dazu Batliner M.

Rollen der Akteure

dringlich erklärt wird. Liechtenstein kennt somit kein obligatorisches, sondern nur ein fakultatives Referendum. Das Referendum kann bei Verfassungs-, Gesetzes- und Finanzbeschlüssen des Landtags sowie neuerdings auch bei Staatsverträgen (Art. 66bis LV) ergriffen werden.

Für die Staatsausgaben und den Finanzhaushalt bedeutend waren insbe­

sondere das AHV-Gesetz, das 1952 vom Volk knapp angenommen wurde, und das 1990 verworfene Steuergesetz.

Finanzpolitisch wichtige Referendumsbegehren erhob das Volk zu den Verpflichtungskrediten zur Einrichtung einer geschützten Ope­

rationsstätte, zum Bau eines Kunsthauses und eines Konferenztraktes in Vaduz, zum Strassentunnel Gnalp-Steg und zur Errichtung eines Landtagsgebäudes (Regierungsviertels). Die Finanzbeschlüsse über die geschützte Operationsstätte, das Kunsthaus und den Strassentunnel Gnalp-Steg fanden die Zustimmung des Volkes, während die Verpflich­

tungskredite zum Bau des Konferenzzentrums und des Regierungsvier­

tels abgelehnt wurden. Das im Jahre 1980 eingereichte Referendums­

begehren zu einem Verpflichtungskredit über das Kunsthaus und Konferenzzentrum in Vaduz hat für besonderes Aufsehen gesorgt. In der gleichzeitig durchgeführten Volksabstimmung wurden der Ver­

pflichtungskredit zum Kunsthaus angenommen und der Verpflichtungs­

kredit zum Konferenzzentrum von den Stimmbürgern abgelehnt. Wie die Geschichte des Kunsthausfalles zeigt, waren jedoch nicht finanzielle Gründe für die Verhinderung des Baus entscheidend.258

Von 1945 bis 1970 wurden vor allem Gesetzesinitiativen eingereicht, wobei die Initiative zur Steuersatzsenkung, zur Erhöhung der Familien­

zulagen, zur Abschaffung der Alkoholsteuer und zur Erhöhung des Finanzausgleichs an die Gemeinden finanzpolitisch von Bedeutung wa­

ren. Ab Mitte der siebziger Jahre waren es dann vorwiegend Verfas­

sungsinitiativen zur Ausübung politischer Rechte, wie zum Beispiel die Einführung einer Mehrheitsklausel, die Erhöhung der Abgeordneten­

zahl, die Gewährleistung gleicher Rechte für Mann und Frau, das Staats­

vertragsreferendum, die Wahrung von Minderheitsrechten (PUK) oder

258 Zum Kunsthausfall vgl. Waschkuhn A.: Politisches System Liechtenstein, S. 217ff.

Waschkuhn merkt dazu an (S. 236, Fussn. 131): "Ohne einen Konsens, der nicht nur von den herrschenden Eliten definiert wird, sondern auf Aufklärung, verlässlichen Informationen, gesamtgesellschaftlich geteilten Uberzeugungen und Gestaltungsab­

sichten beruht, wird sich künftig kein Vorhaben von landesweiter Bedeutung mehr realisieren lassen."

die Aufhebung der 8-Prozent-Klausel im Wahlrecht und das Diskrimi­

nierungsverbot. Initiativbegehren wurden vorwiegend von der jeweili­

gen Minderheitspartei und in der jüngsten Vergangenheit auch von der Freien Liste lanciert. Martin Batliner stellt dazu fest: "Zwar haben Min­

derheitsparteien und oppositionelle Gruppen mit Initiativen oft Erfolge gefeiert, zur straffen Opposition und Kontrolle der Behörden taugt die Initiative aber nicht."259

Eine spezielle Bestimmung enthält Art. 64 Abs. 3 LV: "Ist das Begeh­

ren eines der unter a bis c erwähnten Organe auf Erlassung eines nicht schon durch diese Verfassung vorgesehenen Gesetzes gerichtet, aus des­

sen Durchführung dem Lande entweder eine einmalige im Finanzgesetz nicht schon vorgesehene oder eine länger andauernde Belastung er­

wächst, so ist das Begehren nur dann vom Landtage in Verhandlung zu ziehen, wenn es zugleich auch mit einem Bedeckungsvorschlage ver­

sehen ist." Wie Martin Batliner dazu ausführt, war diese Bestimmung in den ersten Verfassungsentwürfen noch nicht vorgesehen, wurde dann aber aufgrund der Anregungen der Verfassungskommission aufgenom­

men, um "oberflächlichen Treibereien .. . und schädlicher Populari-tätshascherei"260 entgegenzuwirken. Nach Art. 64 Abs. 3 LV müssten nicht nur wahlberechtigte Landesbürger, die ein Initiativbegehren lancieren, sondern auch der Landtag und der Landesfürst bei Einbrin­

gung von Gesetzesvorschlägen beziehungsweise Regierungsvorlagen prüfen, welche Kosten es verursacht und über welche Einsparungen oder Staatseinnahmen es finanziert werden kann. Diese verfassungsmäs­

sige Bestimmung ist in der Vergangenheit in Vergessenheit geraten, bis die Regierung die Einführung eines Bedeckungsvorschlages mit dem Finanzleitbild 2005 neu zur Diskussion stellte.261

Im Gesetz betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte (VRG) wurde diese Bestimmung aufgenommen und in Art. 80 Abs. 3 VRG konkretisiert.262 Wie Martin Batliner dazu ausführt, bestehen in der

259 Batliner M., S. 175.

260 Vgl. Batliner M., S. 173.

261 Vgl. BuA zum Landesvoranschlag für das Jahr 1996, S. 50.

262 Art. 80 Abs. 3 VRG (LGBl. 1996/84): "Ein Volksbegehren (Gemeinde- oder Sammel-Initiative), aus dessen Durchführung dem Land entweder eine im Finanzgesetz nicht vorgesehene einmalige Ausgabe von 300 000 Franken oder eine länger andauernde jährliche Belastung von 150 000 Franken erwächst, muss mit einem Bedeckungsvor-schlag versehen sein, wenn es vom Landtag in Behandlung gezogen werden muss, aus­

genommen es handle sich um ein in der Verfassung bereits vorgesehenes Gesetz."

Rollen der Akteure

rechtlichen Auslegung gewisse Unsicherheiten, wozu sich der Staatsge­

richtshof in einem Gutachten zur Sparkassa-Initiative im Jahre 1935 ein einziges Mal äusserte.263 In der bisherigen Praxis wurden lediglich zwei Initiativen wegen des fehlenden Bedeckungsvorschlages zurückgewiesen, nämlich die oben erwähnte Sparkassa-Initiative, die den Hypothekar­

zinsfuss, und die Lawena-Initiative, die den Strompreis senken wollte.

Wie Batliner weiter dazu ausführt, wurde eigentlich nur eine einzige Initiative, nämlich die Initiative zur Erhöhung der Kinder- und Familien­

zulage, mit einem Bedeckungsvorschlag eingebracht. Der verfassungs-und gesetzmässigen Bestimmung des Bedeckungsvorschlages wurde demnach bei Initiativbegehren wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Seitens des Volkes wird die Möglichkeit, mit Initiativen oder Referen­

den auf die Gesetzgebung und damit indirekt auf die staatlichen Ausga­

ben einzuwirken, kaum genutzt.264 Der jährliche Voranschlag wird vom Landtag für dringlich erklärt und unterliegt damit nicht dem Referen­

dum. Es ist zu vermuten, dass in den letzten Jahren eine Veränderung des Interesses bei den Stimmbürgern stattgefunden hat: Initiativen, wel­

che die politischen Volksrechte, aber weniger die Staatsfinanzen betref­

fen, werden vorwiegend zur Verfassung eingereicht. Referenden werden insbesondere bei Verpflichtungskrediten ergriffen, um staatliche Gross­

projekte zu verhindern. Finanzpolitische Argumente werden zwar bei den Abstimmungen vordergründig verwendet, das Wählerverhalten dürfte aber entscheidend von inhaltlichen und parteipolitischen Argu­

menten beeinflusst sein. Die direkte Einflussnahme des Volkes auf die Staatsausgaben beschränkt sich vorwiegend auf die vom Landtag gefäll­

ten und zum Referendum ausgeschriebenen Finanzbeschlüsse.