1.3. Staatsauf gaben und Aufgab enteilung 1. Rechtliche Grundlagen und Ausrichtung
1.3.2. Kommunale und staatliche Aufgabenteilung
Die staatliche und kommunale Aufgabenteilung ist aus der geschicht
lichen Entwicklung des liechtensteinischen Staatswesens und der Bil
dung der (Bürger-)Gemeinden heraus zu verstehen. Leider wurde bei der Revision des Gemeindegesetzes (LGBl. 1996/76) die bisherige Auftei
lung von Aufgaben im eigenen und übertragenen Wirkungskreis über
52 Vgl. dazu die weiteren Ausführungen von Musgrave R.A., Musgrave P.B. und Kullmer L.
53 Bei den Änderungsvorschlägen geht es um die Kompetenzen zur Ernennung der Rich
ter und Beamten sowie um die Rücktrittsregelung des Fürsten im Falle des Misstrauens durch das Volk. Vgl. dazu: LVo vom 18. Februar und 16. August 1994 und LVa vom 16. März und 16. August 1994. Vgl. dazu auch Gstöhl Ch.
nommen, ohne abzuklären, was von den Gemeinden selber zu regeln und zu finanzieren ist. Die Ausführung dieser Aufgaben ist gesetzlich weitge
hend normiert und steht unter staatlicher Aufsicht. Wie auch bei kleinen Kantonen der Schweiz festzustellen ist, besteht für die liechtensteini
schen Gemeinden eine hohe staatliche Regelungsdichte unter Aufsicht der Landesverwaltung.54 Die eigentliche Ausführung der Aufgaben wird sowohl im eigenen wie im übertragenen Wirkungskreis jedoch weitge
hend durch den Staat per Gesetz und Verordnung bestimmt und von der Landesverwaltung überwacht. Gemäss Art. 116 Abs. 1 und 2 GemG ste
hen die Gemeinden unter Aufsicht des Staates. Bei den Aufgaben im eige
nen Wirkungskreis ist die Staatsaufsicht auf die Uberprüfung der Recht
mässigkeit der Beschlüsse und der Tätigkeit der Gemeindeorgane be
schränkt.
Entsprechend Art. 12 Abs. 1 GemG umfasst der eigene Wirkungs
kreis "alles, was das Interesse der Gemeinde zunächst berührt und in er
heblichem Umfang durch sie geordnet und verwaltet werden kann. Dar
über hinaus kann die Gemeinde Aufgaben in freier Selbstverwaltung wahrnehmen, insoweit gesetzliche Beschränkungen nicht entgegenste
hen."55 In Art. 12 Abs. 2 GemG sind die Aufgaben des eigenen Wir
kungskreises angeführt.56 Bei dieser Aufzählung von Aufgaben im eige
nen Wirkungskreis fällt auf, dass das Bildungswesen eigentlich von staatlicher Seite eingeführt und gemäss Art. 16 und 17 LV eine Staatsauf
gabe unter Führung und Aufsicht der Regierung beziehungsweise des Schulamtes ist.57 Die Errichtung und Erhaltung von Kindergärten und Primarschulen sind in diesem Sinne eine Angelegenheit des Staates, wel
che die Gemeinden aufgrund des Schulgesetzes besorgen. Auch in ande
ren Aufgabengebieten, wie zum Beispiel bei der Aufrechterhaltung von Ruhe, Sicherheit und Ordnung oder der Abwasser- und Abfallentsor
gung, sind die Gemeinden zur Einhaltung gesetzlicher Normen ver
pflichtet. Sie nehmen diese Aufgaben im verfassungsmässigen (Art. 110
5< Vgl. Geser H.: Staatsorganisation, S. 342f.
55 Vgl. dazu Bielinski J.
56 Dazu zählen die Wahl der Gemeindeorgane, die Organisation der Gemeinde, die Verlei
hung des Gemeindebürgerrechts, die Verwaltung des Gemeindevermögens sowie die Errichtung öffentlicher Bauten und Anlagen, die Einhebung von Umlagen und die Fest
setzung von Steuerzuschlägen, die Förderung des sozialen, kulturellen und religiösen Lebens, die Einrichtung und Erhaltung von Kindergärten und Primarschulen, die Auf
rechterhaltung von Ruhe, Sicherheit und Ordnung, die Ortsplanung, die Wasserversor
gung sowie die Abwasser- und Abfallentsorgung.
57 Vgl. Graham M., S. 39ff.
Staatsaufgaben und Aufgabenteilung
LV) und gesetzlichen Auftrag des Landes wahr und sind insbesondere für deren Vollzug verantwortlich.58
Wie Job von Neil darauf hinweist, enthält das liechtensteinische Recht "eine Vielzahl von Regelungen, die eine Kompetenzzuweisurig zwischen Staat und Gemeinden bei der Erfüllung öffentlicher Aufga
ben zum Inhalt haben. ... Die zum Teil von der aktuellen Entwicklung überholten und sich widersprechenden Vorschriften erschweren jedoch eine klare Aufgabenzuordnung und die Bestimmung des Umfangs der gemeindlichen Autonomie."59 Es stellt sich die Frage, wozu die Unter
scheidung zwischen Aufgaben des eigenen und übertragenen Wir
kungskreises überhaupt gemacht wird, da die eigenständige Entschei
dungsbefugnis der Gemeinden in einigen Aufgabenbereichen, wie zum Beispiel im Schulwesen und im Fürsorgebereich, durch die staatliche Mitwirkung stark eingeschränkt ist. Der grösste Entscheidungs- und Handlungsspielraum besteht für die Gemeinden noch in der Förde
rung des sozialen, kulturellen und religiösen Lebens. Auf dem ge
schichtlichen und verfassungsmässigen Hintergrund betrachtet, kommt der Selbstverwaltung der Gemeinden zwar besondere Bedeutung zu, doch selbst die Aufgaben im eigenen Wirkungskreis sind weitgehend durch den Staat bestimmt und stehen unter staatlicher Aufsicht durch die Regierung.
Gemäss Art. 13 Abs. 2 GemG sind die Gemeinden "verpflichtet, an der Vollziehung von Gesetzen mitzuwirken." Neu in die Revision des Gemeindegesetzes aufgenommen wurde der Zusatz, dass sie dazu die erforderlichen Mittel erhalten. In Art. 13 Abs. 3 ist zudem festgehal
ten: "Gesetze, welche die Mitwirkung der Gemeinden vorsehen, haben zu bestimmen, ob eine Angelegenheit zum eigenen oder übertragenen Wirkungskreis gehört." Diese neuen Bestimmungen enthalten finanz
rechtlich nicht unkritische Punkte zur Frage des Lasten- und Finanz
ausgleichs. Die Einnahmen der Gemeinden sind durch das Steuerge
setz, das Gesetz über die nicht zweckgebundenen Finanzzuweisungen an die Gemeinden und durch das Subventionsgesetz bestimmt. In der generellen Neuregelung des Gemeindegesetzes fehlt jedoch ein An
knüpfungspunkt, aus welcher dieser Quellen die Gemeinden welche
58 Die Aufgaben der Gemeinden im übertragenen Wirkungskreis sind somit in einzelnen Gesetzen und Verordnungen geregelt, wie z.B. im Baugesetz, Gewässerschutzgesetz, Steuergesetz, Schulgesetz, Sozialhilfegesetz, Luftreinhaltegesetz, im Feuerwehrgesetz oder im Brandschutzgesetz.
59 von Neil J., S. 97.
Mittel in welchem Ausmass zur Vollziehung der Gesetze erhalten sol
len. - Zur Gewährleistung einheitlicher Standards hat der Staat zu
nehmend die Bestimmung und Überwachung der öffentlichen Auf
gabenerfüllung in den Gemeinden übernommen, womit eine fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens betreffende Aufgabenverflechtung zwischen Staat und Gemeinden entstanden ist.60 Die Gemeinden wer
den immer mehr Aufgabenträger des Staates vor Ort, denen in be
stimmten Aufgabengebieten mehr oder weniger Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit zugestanden wird. Eine Unterscheidung von kom
munalen Aufgaben nach eigenem und übertragenem Wirkungskreis ist in der Praxis kaum mehr möglich.61 Die Grenzen sind fliessend, da sie vom Grad bestimmt sind, inwieweit eine Gemeinde ein Aufgabenge
biet autonom gestalten und regeln kann. Die Gemeinden haben zwar noch ihre Gebietshoheit bei der Ausübung ihrer Aufgaben und ihre Personalhoheit bei der Bestellung öffentlicher Amter, doch die Orga-nisations-, Planungs-, Ordnungs- und Finanzhoheit sind durch das Gemeindegesetz und andere gesetzliche Normen eingeschränkt.
Gemäss Art. 7 GemG können Gemeinden zur gemeinsamen Erfül
lung öffentlicher Aufgaben Zweckverbände bilden oder bestehenden beitreten. Ein Zweckverband entsteht durch Vereinbarung der Gemein
den und Genehmigung der Vereinbarung durch die Regierung. Zweck
verbände haben sich zur Errichtung und zum Betrieb technischer Ein
richtungen, wie zum Beispiel zur Wasserversorgung oder zur Abwasser-und Abfallbeseitigung, gebildet sowie zur gemeinsamen Führung der Alters- und Pflegeheime. Job von Neil beschreibt in seiner Dissertation die öffentlich-rechtliche Zusammenarbeit der Gemeinden und die ver
schiedenen Zweckverbände und Genossenschaften.62 Als wichtigste ge
hören heute dazu: die Wasserversorgung Liechtensteiner Unterland und die Gruppenwasserversorgung Liechtensteiner Oberland, der Abwas-' serzweckverband Liechtenstein, der Verein für Abfallbeseitigung mit Sitz in Buchs, die Grossgemeinschaftsantennenanlage sowie die Stiftung Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe.63
60 Vgl. von Neil J., S. 41.
61 von Neil J., S. 222ff.
62 von Neil J., S. 131 ff.
63 Auf die Alters- und Krankenhilfe gehen Manfried Gantner und Johann Eibl in ihrer Studie ein. In meiner Forschungsarbeit habe ich ergänzend und schwerpunktmässig dazu die kosten- und verursachergerechte Gebührengestaltung der kommunalen Werk
betriebe untersucht.
Staatsauf gaben und Aufgab enteilung
Nach Art. 12 Abs. 2 lit. k GemG fallen die Wasserversorgung sowie die Abwasser- und Abfallentsorgung in den eigenen Wirkungskreis einer Gemeinde. In diesen Aufgabenbereichen haben die Gemeinden Zweckverbände eingerichtet. Es waren vor allem sachtechnische, ver-waltungsmässige und wirtschaftliche Gründe, die zur Bildung dieser kommunalen und regionalen Einrichtungen führten.64 Insbesondere kleinere und finanzschwache Gemeinden könnten von sich aus eigene Werke kaum aufrechterhalten. So konnten einzelne Gemeinden, durch den steigenden Lebensstandard und die Industrialisierung bedingt, die Wasserversorgung nicht mehr ausreichend gewährleisten. Ausserdem wäre ein kommunaler Betrieb einzelner Anlagen von den Grössenver-hältnissen her nicht mehr zu rechtfertigen, da die durchschnittlichen In-vestitions- und Betriebskosten einer Abwasserreinigungsanlage (ARA) von der Grösse der Anlagen abhängig sind.65 Mit dem zunehmenden Wohlstand des Landes stellten sich seit den sechziger Jahren vor allem auch Aufgaben des Umweltschutzes an die Gemeinden. Sie haben vor allem eine den Umweltschutznormen entsprechende Reinigung der Abwässer sowie eine umweltgerechte Vermeidung und Entsorgung der Abfälle sicherzustellen.66