• Keine Ergebnisse gefunden

4. Institutionelle Analyse des Ausgabeverhaltens

4.1. Aufgaben und Rollen der Akteure

4.1.3. Die Parteien: Vertreter ihrer Interessengruppen

Wesentlichen Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse und die Machtver­

teilung im Lande üben die Landesbürger über ihr Wahlrecht aus. In den politischen Grundsätzen bestehen zwischen den beiden etablierten Par­

teien kaum Unterschiede. In ihrer Ausrichtung sind VU und FBP

263 Vgl. Batliner M., S. 174.

2H Vgl. Malunat B., S. 138. Vgl. dazu: Resultate der Abstimmungen und Wahlen, in: StatJB 1994, S. 364ff.

"Volks- und Gemeinwohlparteien, tragen aber auch Charakteristika und Züge einer Amtspatronagepartei."265 Die FL als wichtigste oppositio­

nelle Sammelbewegung in Liechtenstein versteht sich als Partei des so­

zialen Ausgleichs, des ökologischen Bewusstseins und des neuen Den­

kens.266 In ihrem Wahlprogramm des Jahres 1993 "Visionen und Wege"

kommen die programmatischen Unterschiede zu den traditionellen Par­

teien, insbesondere in Fragen der Gleichberechtigung, der Sozial-, Wirt­

schafts- und Umweltpolitik, deutlich zum Ausdruck.267 Vergleicht man die Wahlprospekte und Programme der Parteien vom Jahre 1993, so haben sie doch eines gemeinsam: einen Katalog von mehr oder weniger allgemeinen Zielsetzungen ohne Bezug auf die Kosten, die ihre Pro­

grammpunkte mit sich bringen würden.

Die Freie Liste nimmt trotz des umfassenden Programms und vieler Forderungen in ihrem Wahlprogramm vom Frühjahr 1993 keinen Bezug zum öffentlichen Haushalt und zur Finanzpolitik des Staates. Die VU erwähnt in ihrem Programm zu den Herbstwahlen die Finanzpolitik als ein wichtiges Instrument für die Zukunftsgestaltung und Basis für in­

nere Solidarität und soziale Sicherheit.268 Dabei verspricht sie, eine solide Finanzpolitik durch eine restriktive Ausgabenpolitik und eine an­

gemessene Einnahmenpolitik sowie die Anwendung des Verursacher­

prinzips fortzusetzen. In ihrem Wahlprogramm möchte die VU die Kostenexplosion vor allem im Sozial- und Gesundheitsbereich durch neue Lösungen, wie zum Beispiel vermehrte Selbstverantwortung, preisgünstigere Basisangebote mit persönlichen Zusatzversicherungen, eindämmen. Zudem sollten durch eine Teilrevision des Steuergesetzes Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen behoben, die günstigen Steuerbedingungen jedoch beibehalten werden. Die FBP versuchte die Finanzlage des Staates schon im Wahlkampf des Frühjahres 1993 zu thematisieren und wies insbesondere auf den Abbau der Reserven hin, der zu einer Defizitwirtschaft führe.269

Im Wahljahr 1997 hält die VU in ihrem Wahlprogramm zur Finanz-und Fiskalpolitik grFinanz-undsätzlich fest, dass der Staat nicht mehr ausgeben

265 Waschkuhn A.: Politisches System Liechtenstein, S. 264.

266 Vgl. Ruther N., S. 167.

267 Freie Liste (Hrsg.): Visionen und Wege, Januar 1993.

268 Vgl. Vaterländische Union (Hrsg.): Unser Programm, Wahlen 22./24. Oktober 1993.

269 Vgl. Waschkuhn A.: Politisches System Liechtenstein, S. 319.

Rollen der Akteure

soll, als er einnimmt.270 Es wird darin gefordert, dass für neue Ausgaben ein Finanzierungsnachweis erbracht wird, die Leistungsfähigkeit in allen Bereichen gesteigert, die Personal- und Kostenstrukturen im Bau-, Bil-dungs- und Sozialwesen überprüft sowie eine moderne Verwaltungs­

führung durch das New Public Management und das Benchmarking eingeführt werden. Weiters werden darin partielle Anpassungen des Steuergesetzes nach den Grundsätzen der Steuergerechtigkeit, der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit und der sozialen Verträglichkeit verlangt. Die FBPL hält in ihrem Wahlprogramm grundsätzlich fest, dass sie die gute Finanzlage des Staates erhalten wolle und die hervorra­

gende Einnahmesituation dazu verpflichte, Reserven zu bilden und nutzbringende Investitionen voranzutreiben.271 Zur Finanz- und Haus­

haltspolitik nimmt die FL im Wahlprogramm für das Jahr 1997 nicht Stellung.272

Wie in den Ausführungen zur Budgetierung und zur Rechnungsle­

gung näher darauf eingegangen wird, versuchen die Parteien über ihre Abgeordneten und Presseorgane sich in der Finanzpolitik zu profilieren.

Die aktuelle Finanzlage ist ein zentrales Instrument der Parteipolitik, und es gibt dazu auch regelmässig Auseinandersetzungen im Landtag, insbesondere bei der Budgetdebatte. Die oppositionelle FBPL-Fraktion versuchte bisher, die Finanzpolitik der VU-Regierung anzugreifen, was angesichts der steigenden MWSt-Einnahmen und der zunehmenden Fi­

nanzreserven immer schwieriger wird. Dazu kommt die mangelnde Transparenz über den Staatshaushalt und die Rechnungslegung, die selbst Politikern den Durchblick erschwert. Die finanzielle Reservebil­

dung ist kein Staatszweck und Sparen im öffentlichen Haushalt bei dieser guten Finanzlage kein Thema mehr. Die finanzpolitische Ausein­

andersetzung scheint sich daher immer mehr darauf zu konzentrieren, wie die Mehreinnahmen und Finanzreserven verteilt werden sollen.

Gerard Batliner sieht in den teils detaillierten Wahlprogrammen der Parteien die Gefahr, dass diese die Mehrheit wie ihre einzelnen Mitglie­

der in Regierung und Landtag zu Gefangenen ihrer Programme machen,

270 V gl. Vaterländische Union: Das Programm der VU. Die tun was! (1997), S. 6f.

271 Vgl. Fortschrittliche Bürgerpartei in Liechtenstein: Unsere Ziele für die Landtags- und Regierungsarbeit 1997-2001, S. 6.

171 Vgl. Freie Liste: Mehr Demokratie wagen! Mehr Lebensqualität erreichen!, FL-info Nr. 1 /Januar 1997.

weil sie sich dem gegebenen Wahlversprechen verpflichtet fühlen.273

Helga Michalsky führt hinsichtlich der Erwartungshaltung der Bürger gegenüber den Parteien und dem Staat aus: "Gleichzeitig erwarten sie aber ebenso mehrheitlich Unterstützung ihrer sehr persönlichen Anlie­

gen durch die Amtsträger ihrer Partei sowie Schutz ihrer Interessen."274 Es besteht besonders in Liechtenstein die Gefahr einer sogenannten Ge­

fälligkeitsdemokratie, indem die Parteienvertreter versuchen, die Erwar­

tungen und Ansprüche ihrer Wähler gegenüber dem Staat zufriedenzu­

stellen, um so den Ausgang der nächsten Wahl zu beeinflussen und die Machtverhältnisse für sich zu bestimmen.

Die Wahlprogramme der politischen Parteien sind auch Spiegel der Ansprüche und Erwartungen gegenüber dem Staat. Durch die positive Finanzlage des Staates und die als gesichert geltenden Steuereinnahmen dürften im Laufe der Zeit in der liechtensteinischen Bevölkerung staatli­

che Leistungen zur Selbstverständlichkeit geworden sein. Es stellt sich die Frage, wieweit die Finanz- und Ausgabenpolitik des Staates für die Bevölkerung überhaupt noch von Interesse und in den Zusammenhän­

gen bewusst ist. Zu vermuten ist, dass in den Vorstellungen weiter Kreise der Bevölkerung der Staat für ihre Einzelinteressen da ist und die Parteien ihre Interessen zu vertreten haben. Der Blick für das Ganze und die Zurückstellung persönlicher Ansprüche im Interesse des Ge­

meinwohls scheinen mit dem fortschreitenden Wohlstand in Liechten­

stein immer mehr verloren zu gehen.

Gerard Batliner sah im früheren Zweiparteiensystem die Gefahr,

"dass die verfassungsrechtlichen, eigenverantwortlichen Organe wie Re­

gierung, Landtag und Fürst zu Ausführungsorganen der Parteien und ihrer Programme werden."275 Die äusserst knappen Mehrheitsverhält­

nisse im Landtag seit Ende des Zweiten Weltkrieges zwangen die Par­

teien zu persönlichen Rücksichtnahmen, insbesondere wenn es um die politische Besetzung von Ämtern oder die Vergabe von Staatsaufträgen ging.276 Wie Arno Waschkuhn ausführt, haben die direkten persönlichen Beziehungen zwischen Parteianhängern und Politikern auch zu

persön-273 Vgl. Batliner G.: Lage des Parlaments, S. 158ff.

274 Michalsky H.: Politischer Wandel, S. 149.

275 Batliner G.: Lage des Parlaments, S. 159.

276 Seit 1945 verfügt die regierende Partei im Landtag mit Ausnahme der Jahre 1958 bis 1962 und 1993 nur jeweils über einen Abgeordnetensitz mehr.

Rollen der Akteure

liehen Abhängigkeiten und Verpflichtungen geführt.277 Aufgrund der sozialen Nähe und der persönlichen Beziehungen in einem Kleinstaat erwartet der Bürger von seinen politischen Akteuren Entgegenkommen sowohl auf der politischen als auch auf der Verwaltungsebene.278 So warnt Waschkuhn auch vor der Gefahr, dass die Parteien lediglich mit Stimmen Ämter und mit Ämtern Stimmen gewinnen wollen.279

Neben den Parteien kommt in Liechtenstein auch den verschiedenen Verbänden und Organisationen hinsichtlich der politischen und wirt­

schaftlichen Interessenvertretung gegenüber dem Staat eine besondere Bedeutung zu. Arno Waschkuhn gibt eine umfassende Ubersicht zu den organisierten Interessen im Bereich der Wirtschaft und der Arbeitswelt, im sozialen Bereich, im Bereich Freizeit und Erholung, im gesellschafts­

politischen Bereich sowie im Bereich von Religion, Kultur und Wissen­

schaft.280 In seinen Ausführungen zeigt er auch auf, wie sich diese Inter­

essenverbände organisieren, welche speziellen Interessen sie gegenüber dem Staat vertreten und wie sie sich dabei verhalten. Dazu stellt er fest:

"Die Strategieformen des öffentlichen Drucks (pressure) und der poli­

tisch-administrativ internen Beeinflussung (lobbying) sind eher grob­

schnittartige Vorstellungsmuster erfolgreicher Einflusspolitik, während die tatsächlichen Zusammenhänge viel subtiler und informeller ausge­

staltet sind."281

Die Schwierigkeit besteht darin, dass diese Einflussnahmen in den verschiedensten Formen meist verborgen und nur Insidern bekannt sind. Dennoch dürfte dieses Phänomen von entscheidender Relevanz sein, da Verbände und Gruppen durch die partikulare Wahrnehmung von Sonderinteressen die auf allgemeinen Konsens und auf Wählerstim­

men ausgerichteten Parteien unter Druck setzen können. Herbert Wille stellte schon früher fest, dass Verbände ausserhalb des Verfassungsfeldes Sachentscheidungen beeinflussen und die Gefahr besteht, dass Landtag und Regierung zu Stätten der blossen Reproduktion bereits gefällter Entscheide herabgemindert werden.282 Thomas Allgäuer stellt diesbe­

züglich fest: "Die ausgeprägte personelle Verflechtung von Parteien,

277 Waschkuhn A.: Politisches System Liechtenstein, S. 264.

278 Vgl. Michalsky H.: Parteien, S. 257ff.

279 Vgl. Waschkuhn A.: Politisches System Liechtenstein, S. 277.

280 Vgl. Waschkuhn A.: Politisches System Liechtenstein, S. 280ff.

281 Waschkuhn A.: Politisches System Liechtenstein, S. 281.

282 Vgl. Wille H., S. 29.

Vertretern von Partikularinteressen, Regierung, Verwaltung und Parla­

ment führt, verstärkt durch das System der Ko-Opposition, wohl zu vor- und ausserparlamentarischen Entscheidungsverfahren, ohne aber den Landtag völlig auszuschalten."283 Während in grösseren Staaten vor allem Lobbyisten Regierung und Parlament zu beeinflussen suchen, ist es in Liechtenstein vor allem das persönliche und parteipolitische Bezie­

hungsgeflecht, das vorentscheidend eingesetzt wird.