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Verweildauern, Halbwertszeiten, Remobilisierung

Im Dokument 114/2015 (Seite 95-99)

Lokale Belastung durch Punktquellen

4.5 Verweildauern, Halbwertszeiten, Remobilisierung

Die Verweildauer von Kontaminanten in einem Umweltkompartiment (z.B. Boden oder Sedi-ment) oder einem Reservoir (z.B. Deponie) ist ein wichtiger Parameter um die aktuelle Belastung mit historischem Eintrag abzuschätzen und um Vorhersagen für die zukünftige Entwicklung der Belastung zu machen. Die Verweildauer wird durch die Halbwertszeit/Abbau-rate und durch die Remobilisierung einer Substanz bestimmt. Für PCB und PCDD/F gibt es Daten zu Halbwertszeiten in Böden und Sedimenten (siehe Abschnitt 4.5.1), die jedoch nur wenig experimentell belegt und deshalb mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten sind.

4.5.1 Halbwertszeiten/Abbauraten

56

Für die Vorhersage des Verhaltens von Chemikalien in der Umwelt ist die Halbwertszeit für den Abbau in den einzelnen Umweltmedien von zentraler Wichtigkeit. Die Halbwertszeit kann dabei folgendermaßen abgeschätzt werden:

56 Der Begriff Halbwertszeit wird für PCB und PCDD/F etwas unscharf verwendet: In den PCB und Dioxin Gemischen hat theoretisch jedes Kongener eine eigene Halbwertszeit. Somit kann für Gesamt-Gemische und/

oder Homologen eigentlich keine Gesamt-Halbwertzeit angegeben werden: die Gesamt-Konzentration zeigt dann keinen exponentiellen Abfall und nur bei exponentiellem Abfall ist eine Halbwertszeit definiert. Korrekt wäre es Halbwertszeiten z.B. nur für einzelne Kongenere anzugeben. Da die Datenlage für Böden und

Sedimenten sehr dürftig ist, werden hier pragmatisch die in der Literatur genannten „Gruppenhalbwertszeiten“

zitiert.

t1/2 = ln 2/(kH + kB + kP);

wobei kH, kB and kP die Abbauraten (pseudo) erster Ordnung für Hydrolyse (H), biologischen Abbau (B) und Photolyse (P) sind.

Für Dioxine und PCB ist die Hydrolyse, d.h. die Spaltung der Verbindung durch eine Reaktion mit Wasser, in der Umwelt extrem gering und kann daher für die Halbwertszeitberechnung vernachlässigt werden (Sinkkonen und Paasivirta 2000). Der biologische Abbau hängt sehr stark von der Art der im Boden vorhandenen Mikroorganismen und von anderen Faktoren ab

(Feuchtigkeit, Temperatur, Bodenzusammensetzung, Vegetation, etc.) und von der lokalen / regionalen Geschichte der Umweltverschmutzung. Der photolytische Abbau in der Luft und im Wasser umfasst direkte Photolyse und Abbaureaktionen mit OH-Radikalen, Ozon, Stickstoff-oxiden und anderen photochemisch erzeugten Radikalen. Im Allgemeinen ist der Abbau über OH-Radikale der wichtigste Mechanismus der Photolyse von POPs. Der Photoabbau von PCDD/F in Böden ist auf etwa 0,2 mm Eindringtiefe begrenzt (Miller et al. 1989).

Somit können die Halbwertszeiten für den Abbau von POPs in Luft, Wasser, Boden und Sediment folgendermaßen angegeben werden (Sinkkonen und Paasivirta 2000):

t1/2 (Luft) = ln 2/[kP (direkt) + kP (indirekt)] ; t1/2 (Wasser) = ln 2/[kP (direkt) + kP (indirekt) + kB];

t1/2 (Boden) = ln 2/kB; t1/2 (Sediment) = ln 2/kB:

Die Halbwertszeiten von PCB und PCDD/F in der Atmosphäre durch Reaktionen mit OH-Radi-kalen sind kürzer als die Halbwertszeiten in den anderen Umweltkompartimenten: für PCB und für PCDD/F abhängig vom Chlorierungsgrad im Bereich von Tagen bis Wochen. Die photo-chemische Abbaugeschwindigkeit im Wasser wird auf etwa 10% des photophoto-chemischen Abbaus in der Atmosphäre geschätzt (Sinkkonen und Paasivirta 2000).

Belastbare Daten von Abbauraten und Halbwertszeiten von POPs in Sedimenten, Böden und Wasser sind rar. Die Abschätzungen von Halbwertszeiten von PCDD, PCDF und PCB in Sedi-menten und Böden variieren von mehreren Jahren bis zu Jahrzehnten und länger (Brown und Wagner 1990; Lake et al. 1992; Mackay et al. 1985, Beurskens et al. 1995, Rappe et al. 1999).

Dabei können sowohl aerober wie auch anaerober biologischer Abbau eine Rolle spielen, dies hängt auch vom Clorierungsgrad ab. Halbwertszeiten in Boden wurden in Abhängigkeit von der Bodentiefe auf 10 bis 100 Jahre abgeschätzt (Nauman und Schaum, 1987). In einer Sedi-mentkernstudie wurden für PCDD Halbwertszeiten von etwa 100 Jahren und für TeCDF von 80 Jahren errechnet (Kjeller und Rappe 1995). Auch die Untersuchung von PCDD/FProfilen und -Konzentrationen in der Altlast einer Leblanc-Fabrik in Lampertheim (mit Leblanc-Produktion von 1840 bis 1890) deutet darauf hin, dass während der vergangenen 120 bis 180 Jahre kein signifikanter Abbau von PCDD/F in den Böden und Ablagerungen stattgefunden hat (Balzer et al. 2008).

Diese langen Halbwertszeiten führen dazu, dass die PCDD/F- und PCB-Belastung der extensiv gehaltenen Nutztiere die nächsten Jahrzehnte nicht signifikant durch Abbau der PCDD/F im Boden abnehmen werden. Eine Reduktion kann nur durch geeignete Managementmaßnahmen erreicht werden (siehe Abschnitte 5.2.8, 5.4.5).

4.5.2 Remobilisierung

Die Remobilisierung von PCDD/F und PCB hängt neben physikalisch-chemischen Parametern wie Dampfdruck oder Löslichkeit vor allem von Mobilisierungsmechanismen der einzelnen Reservoire ab. Die wichtigsten Mechanismen sollen hier kurz für die größten Reservoire von PCDD/F und PCB in Umweltkompartimenten - Böden und Sedimente - beschrieben werden.

Dazu gehören auch Überlegungen für die Remobilisierung aus Deponien und Altlasten, die große PCDD/F- und PCB-Reservoire enthalten (Abbildung 4-2, Abbildung 4-3).

4.5.2.1 Remobilisierung aus Sedimenten

PCB und PCDD/F werden aus Flusssedimenten kontinuierlich remobilisiert (Abbildung 4-9 und Abschnitt 4.3.3.2). Diese Remobilisierung wird durch Starkregenfälle und Hochwasser verstärkt, was zum Beispiel an einem starken Anstieg von PCDD/F in Schwebstoffen in Rhein und Neckar während Starkregenfällen gezeigt wurde (Wölz et al. 2010). Dabei werden Sedimente aus dem Flussbett in Flussauen geschwemmt und zum Teil Boden/Altsedimente aus den Flussauen in die Flüsse gespült.

Ein anderer Mobilisierungsmechanismus von Sedimenten und darin enthaltenen Schadstoffen sind Baumaßnahmen wie Flussvertiefungen, in denen Sedimente ausgebaggert und dabei teilweise in den Fluss resuspendiert werden. Solche Baumaßnahmen führen zu einer Remobili-sierung von Schadstoffen einschließlich PCB, PCDD/F und anderer POPs (Heinisch et al. 2003).

Eine Remobilisierung mit potenzieller Exposition erfolgt auch dadurch, dass Sedimente bei Flussvertiefungen oder anderen Sediment-Ausbaggerungen zum Teil auf Wiesen und Ackerland ausgebracht wurden.

4.5.2.2 Remobilisierung aus Böden

Wie oben beschrieben erfolgt eine Remobilisierung von semivolatilen Verbindungen wie PCDD/F und PCB aus Böden über die Gasphase nur sehr begrenzt. Die Desorption ist dabei stark abhängig vom Chlorierungsgrad der PCDD/F und PCB, sie sinkt mit zunehmender Zahl der Chloratome. So zeigte sich für den deutschen Ackerboden, der 42 Jahre mit Klärschlamm be-aufschlagt und beprobt wurde (Umlauf et al. 2004), für PCB-169 (3,3’,4,4’,5,5’-Hexachlorbi-phenyl) in den letzten 40 Jahren keine signifikante Abnahme, während PCB-77 (das etwas leichter flüchtige 3,3’,4,4’-TetraCB) in diesem Zeitraum um etwa 80% abgenommen hat, was primär auf Desorption zurückgeführt wird (Umlauf 2012). Diese Daten weisen darauf hin, dass eine Remobilisierung aus Böden durch Desorption nur für niederchlorierte PCB eine gewisse Rolle spielt. Dies zeigen auch PCB-Messungen in Deponiegas (Bayerisches Landesamt für Umwelt 2009; siehe Abschnitt 4.5.2.3).

Dass keine relevante Desorption von dl-PCB und PCDD/F aus dem Boden stattfindet, wird auch dadurch gezeigt dass keine oder keine relevante Korrelation zwischen PCB- und PCDD/F-Gehalten im Boden und PCDD/F-Gehalten im Aufwuchs gefunden wird (Zeddel et al. 2011, Hembrock-Heger 2011).

Von daher scheinen die wichtigsten zwei Mobilisierungsmechanismen für PCB und PCDD/F aus Böden, die zu einer Exposition von Nutztieren führen partikelgebundene Mechanismen zu sein:

Der Transfer von Bodenpartikeln auf die Pflanzenoberfläche von Futterpflanzen (durch trockene Deposition, durch Mobilisierung von Partikeln durch Regen oder erntebedingt durch kurzen Schnitt oder Kontakt mit dem Boden durch z.B. Wenden von Heu)

Die direkte Aufnahme von PCB und Dioxinen über Bodenpartikel, die beim Grasen oder durch Picken von Boden mit aufgenommen werden.

Eine Remobilisierung kann auch durch Ausbaggerungen oder Überschwemmungen erfolgen (siehe auch Abschnitt Deponien und Altlasten).

4.5.2.3 Remobilisierung aus Deponien und Altlasten

PCB oder PCDD/F können aus Deponien über Sickerwasser (Götz et al. 2013) oder geführtes Deponiegas (Bayerisches Landesamt für Umwelt 2009) oder durch diffuse Emissionen remobi-lisiert werden. Auch durch Staubemission bei der Belieferung von Deponien und bei Arbeiten auf Deponien können Schadstoffe emittiert werden.

Für das Jahr 1994 wird eine PCB-Konzentration in diffus freigesetztem Deponiegas von 1,6 µg/m3 angegeben (Detzel et al. 1998). Bei der Untersuchung von drei bayerischen Abfall-deponien auf PCB-Emissionen wurden in allen untersuchten Proben von geführtem Deponiegas relativ hohe Konzentrationen an tri- und tetrachlorierten PCB und leichter flüchtigen PAK gefunden (Bayerisches Landesamt für Umwelt 2009). Mit abnehmender Flüchtigkeit nahmen die Gehalte von beiden Stoffgruppen im Deponiegas drastisch ab. Aus den gemessenen PCB-Konzentrationen wurde eine Jahresfracht über Deponiegas von ca. 30 g Gesamt-PCB für die bayerischen Abfalldeponien abgeschätzt Die vergleichsweise schwer flüchtigen PCDD/F und polybromierten Diphenlyether (PBDE) waren im Deponiegas nicht nachweisbar (Bayerisches Landesamt für Umwelt 2009).

In Sickerwasser sind die schwerlöslichen Dioxine und PCB meist an Partikel gebunden. In Deponien mit hoher Organikfracht können neben Sickerwässer auch Sickeröle entstehen, mit denen Dioxine und PCB remobilisiert werden (Götz et al. 2013).

Auch Überschwemmungen von Deponien57 oder Altlasten können zu starker Erhöhung von Kontaminationsfrachten führen (Laner et al. 2009). Hohe Emissionen von PCB werden bei einer Schweizer Deponie beobachtet, die PCB-Kondensatoren enthält und öfter überflutet wird (Zennegg et al. 2010a,b). Das Risiko der Remobilisierung von PCB und anderen POPs aus Deponien und Altlasten sollte vor dem Hintergrund des Klimawandels und erhöhter Stark-regenfällen und Überflutungen untersucht werden (Weber et al. 2012).

Eine weitere Remobilisierung aus Deponien erfolgt durch Deponierückbau (Stief 1994), was heute – neben der Notwendigkeit von Sanierungen – vor allem im Rahmen der Rohstoff-gewinnung (“Landfill Mining“) diskutiert wird (Hölzle 2010). Für eine aktuell im Rückbau befindliche Deponie in der Schweiz wurde, wegen der Gefahr der Mobilisierung/Exposition von/durch Dioxinen, diese Stoffklasse bei den Arbeitsschutzmaßnahmen berücksichtigt (Forter 2006). Das Potenzial, durch „Landfill Mining“ die Futter- und Lebensmittelkette zu belasten, wurde Ende der 1990er Jahre durch einen Futtermittelskandal aufgezeigt (Malisch 2000, Torres et al. 2013a). Hier wurde mit PCDD/F belastetes Calciumhydroxid aus einer brasilianischen Sondermülldeponie der Organochlor-Industrie (PVC-, EDC-, VCM-Produktion) für die Neutrali-sation von Zitrustrester verwendet. Der behandelte Zitrustrester wurde 1998 nach Europa exportiert und als Futtermittel eingesetzt. Dies führte zu einer breitflächigen PCDD/F-Kontami-nation von Milch in Deutschland und anderen europäischen Ländern (Malisch 2000, Torres et al. 2013a).

57 Für Deponien in Österreich wurde für etwa 30% der Altdeponien ein Überflutungsrisiko festgestellt (Laner et al.

2009).

4.5.2.4 Mobilisierung von PCB aus offenen und geschlossenen technischen Anwendungen

PCB werden aus offenen Anwendungen kontinuierlich in die Atmosphäre desorbiert (Abschnitt 4.4.2.2). Die PCB-Raumluftkonzentration in Gebäuden mit PCB-Fugenmassen kann Werte von 10.000 ng/m3 aufweisen. Eine Mobilisierung der PCB erfolgt hier durch unsachgemäße Behand-lung von Reservoiren der Technosphären (z.B. Abschleifen/Abstrahlen von Farben und Fugen-massen; Abbruch von Gebäuden). Bei unsachgemäßer Entsorgung und Lagern/Recyceln von belastetem Bauschutt werden PCB aus Fugenmassen und Farben unkontrolliert in die Umwelt gebracht und können zu Exposition von Nutztieren führen. PCB werden auch aus geschlosse-nen Anwendungen durch Leckagen mobilisiert. Leckage-Raten für Transformatoren und Kondensatoren wurden quantifiziert (UNEP 2013). Auch kann PCB durch unsachgemäße Ent-sorgung dieser Geräte in Umwelt und Nahrungskette gebracht werden (Fiedler et al. 2000).

Unsachgemäße PCB-Entsorgung kann auch zu hoher Exposition von Menschen führen wie der ENVIO PCB-Fall in Dortmund zeigt (Prognos AG 2011 a,b).

5 Belastung von Nutztieren durch PCDD/F und PCB an der Schnittstelle zwischen

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