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2.2 Medientheorie nach McLuhan

2.2.5 Vergleich zu anderen Medientheorien / Kritiker

engeren Sinne Begründer eines solchen Blicks auf die Machart oder Form von Medien ist Marshall McLuhan. Er hat nicht nur Aussagen wie Das Medium ist die Botschaft in die Popkultur überführt, sondern auch Medien als Bedingung von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen verstärkt in den Blick genommen. Obwohl seine Arbeit zu Recht als unvollständig und unsystematisch kritisiert werden kann, hat McLuhan seine Popularität bei und Nähe zu Medienmachern der späten 1950er bis 1970er Jahre geradezu pädagogisch genutzt, um Irritation für die bis dahin übliche Trennung von Form und Inhalt und den verzerrenden Fokus auf den Inhalt zu generieren und zu einer Auseinandersetzung mit der medialen Umgebung der Massenkultur zu motivieren. Insofern scheint der mcluhansche Medienbegriff der Inbegriff eines strukturalen Medienbegriffs zu sein, insbesondere auch, weil das Medium als Erweiterung des Menschen konzipiert ist und eben nicht als etwas, das in der Welt als unveränderliches Objekt präsent ist. Ähnlich wie Bildung als Begriff in der strukturalen Bildungstheorie im Spannungsfeld von Selbst- und Weltverhältnis stattfindet, so findet das Medium oder besser gesagt Medialität im Spannungsfeld zwischen Subjekt und Objekt statt, ist aber klar an das Subjekt, also den Menschen, gebunden. Kulturell gerahmte Medialität als unhintergehbare Bedingung für ein Selbst- und Weltverhältnis muss dann etwas sein, was vom Menschen ausgeht und ihm nicht als von außen aufgezwungen betrachtet werden kann. In dieser Perspektive sind Medien dann auch konstitutiver Teil von gesellschaftlichen Aushandlungs- und Transformationsprozessen, wie McLuhan sehr deutlich argumentiert.

Rainer Leschke führt dies auf ein „grundlegendes Missverständnis der Logik von Forschung und Theorie“ bei McLuhan (Leschke 2016, S. 5) zurück und bemerkt, dass im Anschluss an Kant Theorien ohne Forschung leer und Forschung ohne Theorien blind seien (vgl. ebd.). McLuhan sei sich seiner Methode nicht bewusst und er käme, wenn er auch über die traditionellen Geisteswissenschaften hinausgehe, nie bei den Naturwissenschaften an (vgl. ebd., S. 8 f.). Dieser Einschätzung kann man entnehmen, dass McLuhan sich durchaus konventionellen wissenschaftlichen Methoden entzieht, dies aber durchaus vorsätzlich tut. In den zahlreichen Interviews und auch späteren Vorträgen wird deutlich, dass McLuhan die Form seiner Publikationen, wie durch seine eigenen Thesen quasi gefordert, gezielt einsetzt um die Wahrnehmung zu beeinflussen, ja bewusst zu irritieren. Wie schon angedeutet, wird hier eine pädagogische Absicht deutlich und es scheint daher eher unwahrscheinlich, dass sich McLuhan seiner Methode nicht bewusst war. Vielmehr scheint es plausibel, dass die Neu- und Andersartigkeit der Thesen McLuhans gezielt in einer medialen Form präsentiert wurde, die für die etablierte Umgebung eben so neu- und andersartig ist. Letztendlich ist das Forschungsinteresse McLuhans nichts anderes als ein radikaler und durchaus dynamischer Perspektivwechsel verbunden mit einem Programm, diesen Perspektivwechsel auch für andere sicht- oder besser erlebbar zu machen. Genau dieses Programm verfolgte McLuhan im Grunde sein Leben lang.

Es wurde zuvor schon angedeutet, dass Parallelen zwischen der (systemischen) Medientheorie Luhmanns und Aspekten der Medientheorie McLuhans aufgezeigt werden können und es stellt sich die Frage, ob diese Verbindungspunkte, wenn sie auch nur oberflächlich sein mögen, wie Jörissen betont, fruchtbare Zusammenhänge hervorbringt und wo genau die Unterschiede liegen.

Jörissen bezieht sich hier auf Rasmussen (1998), der eben jene Beziehung näher betrachtet hat.

Einige interessante Punkte seien hier nur kurz genannt:

In Benjamin Jörissens Auseinandersetzung mit McLuhan gilt die Kritik Mike Sandbothes an McLuhans Arbeit primär seinem Theoretizismus, der einer pragmatischen Perspektive auf Medien entgegenstehe (vgl. Jörissen 2007, S. 209 ff.). Tatsächlich ist McLuhans Medientheorie, von der er jedoch häufig bestritt, dass es eine Theorie sei, an einige Grundannahmen bezüglich der menschlichen Wahrnehmung durch ein Modell eines Sinnesapparates und auch einer kognitiven Verarbeitung geknüpft. Ferner unterstellt er Medien eine direkte Wirkung auf eben diesen Sinnesapparat und die Verarbeitungsprozesse. Seine Unterscheidung von kalten und heißen Medien wiederum basiert auf dem mediengeschichtlichen Modell, das zuvor schon erläutert wurde, aber als solche ebenfalls problematisiert werden kann. Sandbothe nimmt daher eine Pragmatisierung dieser Unterscheidung vor:

„Sandbothes Vorschlag besteht in einer pragmatischen Transformation v.a. der hot/cool-Unterscheidung. Zurückgewiesen wird die ontologisierende Fixierung dieser Kategorien zugunsten einer gebrauchsorientierten Fassung: »›Kühl‹ und ›heiß‹ bezeichnen vielmehr Mediennutzungsstile, die sich epochalen Konstruktionen entziehen, weil sie sich innerhalb unterschiedlicher technischer und kultureller Konstellationen auf je spezifische Weise realisieren«“ (ebd., S. 209 f., zit. nach Sandbothe 2001, S. 158).

Aus diesem Gedanken der „Perspektive des Gebrauchskontextes“ (ebd., S. 210) abgeleitet formuliert Sandbothe eine dreiteilige Systematisierung des Medienbegriffs: Erstens seien konkrete Formen von Medien zu betrachten, es wird eine Unterscheidung in Medien im engeren Sinn und Medien im weiteren Sinn vorgenommen. Die einen kann man mit dem Begriff des technischen Übertragungsmedium bezeichnen, die anderen sind sinnliche Wahrnehmungsmedien wie Raum und Zeit (vgl. ebd.).

„Auf der methodischen Ebene bedient sich McLuhan zudem sowohl konventioneller historischer Erklärungsmuster als auch unreflektierter, normativ- anthropologischer Grundannahmen. Seine rationalitätskritische Haltung entspringt nicht einem theoriekritisch fundierten Projekt, sondern ist Ergebnis einer Reihe von Annahmen über Medialität und Technik, die überwiegend lediglich anekdotisch belegt und im Grunde unhinterfragt bleiben.“ (Jörissen 2007, S. 199)

Häufig wird Marshall McLuhan eine Form von Technikdeterminismus unterstellt, die aber so schlicht nicht zutrifft. Bei McLuhan steht eindeutig die Wechselwirkung von Menschheit und Medien im Vordergrund. Medien, die in der Regel als Medienhybride zu verstehen sind, entstehen als Werkzeuge von Menschen, beginnend mit der Sprache, die sich von einfachen Lauten zu komplexen Formen entwickelt hat und Referenz für die Entstehung von Schrift war. Das Entstehen der Schrift als Werkzeug hatte sicherlich praktischer Gründe, hat gleichzeitig aber auch eine Entwicklung in Gang gesetzt, die bis zur gutenbergschen Druckerpresse und darüber hinaus skizziert werden kann. Sie hat damit Möglichkeitsräume eröffnet, die genutzt werden konnten, aber es kann sicherlich nicht von einem Determinismus gesprochen werden, schon allein weil unterschiedliche Sprachen in unterschiedlichen Kulturen zu unterschiedlichen Schriften geführt haben. Die kulturellen Besonderheiten sind auch bei McLuhan präsent, wenn er beispielsweise die Nutzung des Telefons zur Kommunikation zwischen Sowjetunion und den USA kritisiert (McLuhan 1964, S. 36 ff.), folglich ist auch eine Gleichschaltung durch Medientechnologien bei McLuhan nicht Thema. Ein Medieneffekt im mcluhanschen Sinn ist auch immer abhängig vom den vorhandenen Medienarchitekturen, ein Gedanke, den McLuhan anhand diverser Studien und Anekdoten immer wieder illustriert. Insofern ist eine Analyse von konkreten Effekten immer schwierig, die gegenseitige Einflussnahme wird im Grunde bei McLuhan nicht aufgelöst. Genau eben deshalb kann aber von Technikdeterminismus nicht die Rede sein.

Insbesondere nach Understanding Media (auch als UM abgekürzt), obwohl oder vielleicht gerade weil es auch sein populärstes Buch war, wurde McLuhan häufig vorgeworfen, dass seine Theorien (wenn man sie überhaupt als Theorien zu bezeichnen wagt) unwissenschaftlich seien. Dieser Kritik hat sich McLuhan auch nie verschlossen, wie man einigen Interviews, späteren Werken und insbesondere dem posthum erschienenen Buch Laws of Media entnehmen kann. Hier leitet Eric McLuhan genau damit ein, dass sein Vater als Reaktion auf diese Kritik aus der eigentlich geplanten erweiterten Neuauflage von Understanding Media ein komplett neues Projekt machte.

Eine Begründung für die These, dass McLuhan unwissenschaftlich arbeitete, war, dass der Aufbau

des ursprünglichen Buches nicht linear und im Sinne einer Argumentation strukturiert war (McLuhan & McLuhan 1989, vii):

„The style of UM had been deliberately chosen for its abrasive and discontinuous character, and was forged over many redraftings. It was designed deliberately to provoke the reader, to jar the sensibilities into a form of awareness that better complimented the subject-matter. This is poetic technique (science, if you will) of a high sort – satirizing the reader directly as a means of training him“ (ebd., viii).

Ein zweiter Vorwurf sei gewesen, dass McLuhan keine wissenschaftlichen Aussagen träfe. Das neue Projekt sollte genau hier Abhilfe schaffen:

„Finally, one evening, he found the answer in Sir Karl Popper’s Objective Knowledge – that it was something stated in such a manner that it could be disproved. That was it. The next day he began asking: ‚What statements can we make about media that anyone can test – prove and disprove – for himself? What do all the media have in common? What do they do?‘“ (ebd.).

Generell impliziert McLuhan insbesondere, wenn es um die Auswirkungen von Medien auf unterschiedliche Kulturen und Völker geht recht simple soziale Formeln und Annahmen, die ferner schon deswegen schwer zu diskutieren sind, weil sie selten explizit thematisiert werden.

Gleichzeitig scheint insbesondere Kritik an der Radikalität McLuhans häufig ihrerseits zu wenig differenziert, insbesondere wenn man die Gesamtheit seiner Werke in den Blick nimmt. In einer zusammenfassenden Kritik formuliert Krotz beispielsweise wie folgt:

„Insgesamt kann man also mit einigem Recht kritisieren, dass McLuhan seine Thesen zu radikal aufgestellt und die elektrischen und elektronischen Medien überbewertet oder falsch verstanden hat. Das Ende des Lesens zeichnet sich bisher nicht so recht ab, und auch die radikale Umwälzung der Gesellschaft und der Formen des Zusammenlebens durch das Fernsehen ist in dem fundamentalen Ausmaß, das McLuhan erwartet hat, nicht festzustellen“ (Krotz 2001a, S. 78, Hervorhebung im Original).

Zum einen, und das ist insbesondere Gegenstand dieser Arbeit, sind die Ausläufer was die sogenannten elektrischen, elektronischen oder, wie argumentiert werden soll, digitalen Medien noch kaum sichtbar und mit fortschreitender technischer Entwicklung scheint sich zu zeigen, dass McLuhan im Verständnis dieser Medien seiner Zeit voraus gewesen sein könnte. Zum anderen muss man festhalten, dass McLuhans Erwartungen an gesellschaftliche Veränderung weit weniger eng konkret an das Fernsehen gekoppelt sind, als es hier angenommen wird und während die Umwälzungen durch das Fernsehen möglicherweise nicht allzu grundlegend waren (was aber eine durchaus zu untersuchende These wäre) so scheint das Internet doch wesentlich fundamentaler unsere Medialität und damit auch Kultur und Gesellschaft zu beeinflussen. Die veränderte Bedeutung des Buches mit dem Ende des Lesens insgesamt gleichzusetzen scheint ebenso zu weit gegriffen. Mithin besteht die Problematik bei der Bewertung von McLuhans Thesen darin, sie sich

differenziert anzuschauen, dabei verschiedene Abstraktionsebenen zu berücksichtigen und die assoziative Argumentationsstruktur, also eine alternative Art des Denkens, nicht brachial in eine lineare Logik überführen zu wollen. Nichtsdestotrotz blieben viele Aussagen McLuhan unvollständig und bisweilen unbegründet.