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2.2 Medientheorie nach McLuhan

2.2.4 Pädagogik und McLuhan

Medientechnologien in sich aufzunehmen und dadurch womöglich die gesamte Medienumgebung zu transformieren.

Es scheint also kein Zufall zu sein, dass man insbesondere seit den 1990ern und dem Aufkommen des Internets wieder verstärkt Bezüge zu McLuhan findet und zahlreiche Versuche ihn neu oder erneut zu interpretieren, ihn für den aktuellen Diskurs zu erschließen und auf aktuelle Medienentwicklungen zu beziehen (vgl. Leeker et al. 2008, McLuhan 1998). Denn im Kontext der digitalen Medien, so die These, erhalten viele von McLuhans Vorhersagen, teils auch eher spirituellen Natur, neue Relevanz. Nicht umsonst fiel die Wahl des Schutzheiligen des Technologie-Magazins „Wired“ auf McLuhan (vgl. Wolf 1996). Die Relevanz von McLuhan für das digitale Netz wird später noch diskutiert. Zuvor soll der besondere pädagogische Charakter von McLuhans Arbeit in den Vordergrund gerückt werden, weil dieser insbesondere, wenn man sich McLuhans disziplinäre Heimat anschaut, erstmal nicht naheliegend erscheint. Es wurde in Teilen auf die scheinbar pädagogische Zielsetzung seiner Arbeit hingewiesen und auch auf die Rezeption im Rahmen der Erziehungswissenschaft, doch die Argumentation soll an dieser Stelle noch weiter ergänzt werden.

machen und zu hinterfragen (vgl. Marchand 1998, S. 130 & S. 195). Dabei, und das erschwert die Lektüre zusätzlich, war McLuhan lange Zeit nicht darauf bedacht Antworten geben zu können, sondern stellte vielmehr immer neue Fragen und trug, indem er auch sich selbst, seine Äußerungen und seine Popularität in Frage stellte, beispielsweise auch in zahlreiche Radio- und Fernsehinterviews zu einer Irritation um seine Thesen bei. Weggefährten attestieren ihm, dass er ein großartiger Lehrer und Diskutant gewesen sei und in seinen Lehrveranstaltungen die Studierenden an seinen Lippen hingen. Vor diesem Hintergrund und insbesondere auch aufgrund der Entstehungsgeschichte um sein Werk Unterstanding Media lässt sich die Vermutung aufstellen, dass McLuhan ein zutiefst pädagogisches Programm verfolgte, das er als eine Art Training/Erziehung für die Sinne gesehen haben mag (vgl. Friesen 2009). Da Medien als Erweiterungen des menschlichen Körpers, des Sinnesapparates in allen seinen Facetten, sich in der Annahme McLuhans direkt auf den Sinnesapparat auswirken, kann nur eine bewusste, entsprechend trainierte Wahrnehmung es ermöglichen, sich die Effekte eben jener Medien bewusst zu machen. Tatsächlich argumentiert McLuhan, dass man mit neuen Medien, die er als Hybride alter und neuer Technologien denkt, die Effekte anderer Medienformen sichtbar machen kann und attestiert insbesondere Künstlern, dass sie mit Medien in genau diesem Sinne umzugehen verstehen und macht daran im Grunde die gesellschaftliche Funktion der Kunst fest (vgl. McLuhan 1992, S. 70 ff.). Ähnlich argumentiert dann auch, allerdings vor einem ganz anderen Hintergrund, Kristin Thompson in ihrem Entwurf einer neoformalistischen Filmanalyse. Dieser liegt die Idee zugrunde, dass Kunst allgemein und Film als Kunstwerk im Besonderen, eine Form der nicht-alltäglichen Wahrnehmung ermögliche (vgl. McLuhan 1992, S. 82 ff.).12 Diese wird zwar durch den Filmemacher (hier der Künstler im Sinne McLuhans) gesteuert, aber durch die Wahrnehmung des Zuschauers und dessen Vorkenntnisse ebenso beeinflusst. Im besten Fall ist der Zuschauer, dessen Wahrnehmungsschemata aus dem Alltag im Film nur eingeschränkt oder gar nicht greifen, auf sich zurückgeworfen und muss sich seine Wahrnehmung bewusstmachen und hinterfragen. Aus dem russischen Formalismus heraus begründet wird daraus eine Fokussierung auf die Medienform abgeleitet. Auch wenn McLuhan anders argumentiert, so scheint in der Essenz eine klare Schnittmenge sichtbar: die Schulung und das kritische Sich-Bewusst-machen der Eindrücke auf die eigene Wahrnehmung (und der damit verbundenen Effekte) ist Ausgangspunkt für eine Theorie des Mediums. Dabei ist insbesondere auch der Anschluss der sinnlichen Schnittstelle an digitale Medien relevant (vgl. Meder 1995, S. 3 ff.). In der Lesart Norbert Meders wird besonders deutlich, dass das Konzept der Verschmelzung mehrerer Medien (man kann laut Meder von digitalen Medien als einem Multimedium oder Hypermedium sprechen) insbesondere mit McLuhan greifbar wird, weil es hier quasi als Teil der Natur des Mediums aufgefasst wird, dass es sich auf seine Umgebung und damit auch die umgebenden Medien auswirkt. Meder entwickelt eine Systematik zur Analyse von Medien und ihren drei Funktionen: (1) die Darstellungsfunktion, (2) die Dokumentationsfunktion und (3) die Mitteilungsfunktion. Ferner sieht er Medien – ähnlich wie McLuhan in der Tradition eines

12Zum generellen Verhältnis von Ästhetik und Medialität vgl. Jörissen 2015

Basismediums Sprache – als semiotische Räume und damit mit Wittgenstein auch als Sprachspiele (ebd., S. 5). In dieser Logik geht es primär darum, die Grammatik der Medien zu erfassen und zu analysieren, die man braucht um jedweden Inhalt überhaupt verstehen zu können:

„Wenn McLuhan sagt, daß das Medium selbst die Botschaft ist, dann meint er die Grammatik der Medien, insofern man sie als Sprachspiele betrachten kann und muß. Weil wir der Grammatik folgen müssen, um die Inhalte der Sprache erfassen und genießen zu können, sozialisiert die Grammatik unmittelbar. Sie ist der heimliche Lehrplan einer Sprach- und Medienkultur“ (ebd., S. 6).

Diese Analyse der Grammatik sei das Ziel McLuhans und tatsächlich kann man nicht von der Hand weisen, dass er im Laufe seiner Studien zahlreiche Versuche unternommen hat, generelle analytische Aussagen über Medien zu treffen, was sich besonders auch in den Schemata der heißen und kalten Medien oder der Tetrade der Medieneffekte zeigt. Die zentralen Gesichtspunkte für eine Analyse sind bei Meder daher Sinnlichkeit, Semiotik und Dramaturgie. Im Bereich der Sinnlichkeit sieht er drei Dimensionen: Die dominanten Sinnesfelder, das Medium im Raum und das Medium in der Zeit. Ersteres kann man sehr deutlich auf die Logik der heißen und kalten Medien beziehen, die letzten beiden ergeben sich aus dem Verständnis heraus, dass Medien Raum und Zeit – beispielsweise unter dem Stichwort Beschleunigung – gleichsam neu strukturieren (vgl. McLuhan 1964, S. 8; McLuhan 1995, S. 11, S. 127 und S. 173). Die vierte Dimension ist die Zeichendimension. Hier geht es um die Materialität des Zeichens und die Reflexion auf das Zeichen, die es ihm ermöglicht Bedeutung zu generieren. Insbesondere hier wird deutlich, wie das Medium als Inhalt eines anderen Mediums aufgefasst werden kann beziehungsweise muss (Meder 1995, S. 16 f.). Medien und Gegenständlichkeit stellt die fünfte Dimension dar und ist konkret in die Dauer und die Genauigkeit unterteilt. Als sechste Dimension verweist Meder auf die mediale Temperatur, insbesondere mit dem Hinweis, dass ein Mangel an Genauigkeit auf Seiten des Mediums die Notwendigkeit zum Ausgleich durch den Kommunikationspartner mit sich bringt. Die siebte und letzte Dimension sind Zeichen und Kodierung, bei der es letztendlich darum geht, wie Zeichen unter technischen Gegebenheiten bestimmter Medien decodiert werden und welche Effekte sich daraus ergeben.

Am Ende kommt Meder auch nochmals auf den Begriff Multimedia zu sprechen:

„Multimedia ist nämlich nicht die Technologie, alle Medien digitalisieren und dann irgendwie mischen zu können. Multimedia ist selbst ein Medium, ein Meta- bzw. Hypermedium, in das – gleichsam wie bei Esperanto – die Darstellungsmittel verschiedener anderer Medien zusammengeflossen sind. Das ergibt auf der einen Seite einen buntgewürfelten Zeichenvorrat und auf der anderen Seite ein heterogenes Sammelsurium von Regeln, wie man mit den verschiedenen Zeichensorten umzugehen hat. Was wir finden müssen, sind neue Regeln, wie man das Buntgewürfelte zu einem Ganzen komponiert.“ (ebd., S. 24).

Hier weist Meder auf eine Besonderheit der digitalen Medien hin, die als die zentrale Herausforderung von Multimedia verstanden werden kann und die mit McLuhan generell ein zentrales Element von Medien darstellt: Auch, wenn wir alte Medien im neuen wiederfinden, bedeutet dies nicht, dass auch die alten Regeln, sie zu verwenden, noch funktionieren müssen. Am Beispiel des Internets könnte man dies mannigfaltig illustrieren, dies soll jedoch erst später in der Arbeit geschehen. Hier bleibt festzuhalten, dass Meder mit McLuhan im Rücken ein Schema zur Medienanalyse vorlegt und damit eine Systematik, auf die im Verlauf der Arbeit noch zurückgegriffen werden kann, um McLuhans ansonsten eher unsystematische Ansätze und Sonden zu sortieren.

Darüber hinaus schaffte McLuhan mit seiner Idee, den Blick auf die Medien selbst anstatt auf die Medieninhalte zu lenken, erstmals weitreichendes Bewusstsein dafür, dass sich die Medien üblicherweise dem Blick entziehen. Dies wurde im Kontext der Strukturalen Medienbildung schon als Verunsichtbarmachung der Medien thematisiert: Wir nehmen die Programme, die Bedeutung geschriebener Texte, die Narrationen des Filmes oder die Bedeutung der Worte einer Sprache wahr, beschäftigen uns aber in diesen Momenten nicht bewusst mit dem Medium Fernsehen, dem Medium Zeitung oder Buch, dem Medium Kino oder dem Medium Sprache. Trotzdem ist sofort offensichtlich, dass jedes dieser Medien seine Inhalte spezifisch anders darbietet und damit einen anderen Effekt erreicht. Dieser Perspektivwechsel, den McLuhan auch performativ vorantrieb, wie man insbesondere anhand seiner Werke nach Understanding Media feststellen kann, scheint heute unumgänglich, muss aber zu McLuhans Zeit geradezu revolutionär angemutet haben.

Als Literaturwissenschaftler und -kritiker bediente er sich dabei auch kunstvoll der Sprache und immer wieder literarischen Verweisen, aber so gut wie keiner wissenschaftlichen Systematik, wie auch Norbert Meder diagnostiziert (Meder 1995, S. 2). Erst in den letzten Jahren seines Lebens und zusammen mit seinem Sohn Eric McLuhan bemühte er sich um eine stärkere Systematik, woraus beispielsweise die Tetrade der Medieneffekte hervorging. Ansonsten muss man konstatieren, dass McLuhan die Systematisierung seiner Ideen, die in immer wiederkehrenden Wellen zu frischer Relevanz gelangen und daher nie ganz aus dem Diskurs verschwinden, weitgehend nachfolgenden Wissenschaftlern überlassen hat, so dass es auch heute noch schwierig ist von einer tatsächlichen Medientheorie McLuhans zu sprechen. In Interviews und Diskussionen, von denen noch zahlreiche Bild- und Tondokumente verfügbar sind, insbesondere aus der Zeit seiner hohen Popularität in den 1960er und 1970er Jahren, zeigt sich jedoch, dass es McLuhan widerstrebte klare oder finale Antworten zu geben. Vielmehr wollte er die Menschen motivieren, sich ihrer medialen Umgebung bewusst zu werden und diese womöglich sogar zu hinterfragen.

Dies, so würde man rückblickend konstatieren, ist eindeutig ein medienpädagogisches Ziel.

Um die heutige Bedeutung von Marshall Mcluhan einschätzen zu können, sollte man sich zunächst seine Bedeutung für seine damalige Gegenwart anschauen, denn wie auch Douglas Coupland in seiner McLuhan-Biografie schreibt, das Problem mit genialen Ideen ist, dass hinterher alle sagen, da wären Sie auch draufgekommen (vgl. Coupland 2011, „Offensichtlich und doch nicht“). Aus

heutiger Sicht und nach etwa 50 Jahren konsekutiver Medientheorien mag es uns schwerfallen nachzuvollziehen, welchen Wert McLuhans Herausforderung wirklich hatte und hat. Er selbst hat in einer Fernsehdiskussion gesagt, dass es seine primäre Strategie sei Menschen aus der Fassung zu bringen (to put people off) und verglich sich dabei mit Komikern, die einen ähnlichen Effekt verfolgten. Walter Ong charakterisierte McLuhan als „superb teacher who could stir people’s minds“ (Ong 1981, S. 129) und unterstellte ihm damit, dass er im Stande sei aus dem Denken eine

„[..]overpowering activity[..]“ zu machen, die selbst dann erfreulich sei, wenn sie Anstrengung erfordere (ebd.).

Im Anschluss an diese Aussagen und der Logik seiner Bücher, die eben nicht nur durch Inhalte, sondern durch formale Effekte auffielen, kann man ihm daher unterstellen, dass seine zentrale Mission also auf die Entlarvung von und das Aufmerksam-Machen auf mediale Effekte und Wirkungen abzielt. Damit hat er zahlreiche ihm nachfolgende Denker inspiriert, wenn auch nicht alle explizit auf ihn Bezug nehmen. So weist beispielsweise Jörissen in einer Fußnote darauf hin:

„Obwohl gewisse zumindest äußerliche Parallelen zwischen McLuhans und Luhmanns Medientheorien aufgezeigt werden können, vermeidet Luhmann m.W. stoisch jede Erwähnung McLuhans“ (Jörissen 2007, S. 198).

Diese Ebene des Diskurses gehört nicht nur Dank McLuhan heute durchaus selbstverständlich zur Medienforschung. Eine Definition des Medienbegriffs ist offenbar ein recht komplexes Projekt. Die Komplexität begründet sich einerseits aus der Wandelbarkeit des Begriffs, der potentiell eine Bandbreite vom menschlichen Wahrnehmungs- und Sinnesapparat bis hin zu Technologien erschaffen von menschlicher Hand umfasst. Andererseits ist die gesellschaftliche Relevanz von Medien in der wissenschaftlichen Perspektive recht unterschiedlich eingeschätzt worden und erst seit Auftauchen der Massenmedien gibt es, beispielsweise mit der Frankfurter Schule und der kritischen Auseinandersetzung durch Horkheimer und Adorno (1988) und Benjamin (2011 [1939]), explizite wissenschaftliche Auseinandersetzungen, die sich den Medien widmen und damit eine mehr oder weniger systematische Aufarbeitung des Themas.

Nun ist es allerdings das Anliegen dieser Arbeit, Aussagen über ein konkretes Medium, nämlich das Internet, und dessen Strukturmerkmale machen zu können und ohne eine Arbeitsdefinition des Begriffes scheint dieses Anliegen aussichtslos. Kann das Internet überhaupt als Medium deklariert werden? Und welche Konsequenzen sind daraus abzuleiten? Die Diskussion dazu erfolgt im letzten Teil des Kapitels, zunächst soll allerdings ein erster Schritt hin zu einem Medienbegriff gemacht werden, der Voraussetzung dafür sein kann. Im Kontext der Strukturalen Medienbildung scheint es folgerichtig einen strukturalen Blick auf Medien zu werfen, sämtliche empirischen Methoden, die schon kurz vorgestellt wurden, fokussieren die Betrachtung der Machart von Medien und leiten daraus Bildungspotentiale sowie bildungsrelevante Effekte ab. Der Neoformalismus für den Film (der für das Medium der Computerspiele weiterentwickelt wird, vgl. Fromme & Könitz 2013), die Bildanalyse nach Panofsky und die Strukturmerkmale der Onlineethnografie (vgl. Marotzki 2013) haben trotz ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen gemeinsam, dass sie nicht einen wie auch immer gearteten Inhalt des untersuchten Mediums in den Blick nehmen, sondern die Struktur anhand formaler Aspekte der Medien fokussieren und daraus Schlussfolgerungen ziehen. Der im

engeren Sinne Begründer eines solchen Blicks auf die Machart oder Form von Medien ist Marshall McLuhan. Er hat nicht nur Aussagen wie Das Medium ist die Botschaft in die Popkultur überführt, sondern auch Medien als Bedingung von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen verstärkt in den Blick genommen. Obwohl seine Arbeit zu Recht als unvollständig und unsystematisch kritisiert werden kann, hat McLuhan seine Popularität bei und Nähe zu Medienmachern der späten 1950er bis 1970er Jahre geradezu pädagogisch genutzt, um Irritation für die bis dahin übliche Trennung von Form und Inhalt und den verzerrenden Fokus auf den Inhalt zu generieren und zu einer Auseinandersetzung mit der medialen Umgebung der Massenkultur zu motivieren. Insofern scheint der mcluhansche Medienbegriff der Inbegriff eines strukturalen Medienbegriffs zu sein, insbesondere auch, weil das Medium als Erweiterung des Menschen konzipiert ist und eben nicht als etwas, das in der Welt als unveränderliches Objekt präsent ist. Ähnlich wie Bildung als Begriff in der strukturalen Bildungstheorie im Spannungsfeld von Selbst- und Weltverhältnis stattfindet, so findet das Medium oder besser gesagt Medialität im Spannungsfeld zwischen Subjekt und Objekt statt, ist aber klar an das Subjekt, also den Menschen, gebunden. Kulturell gerahmte Medialität als unhintergehbare Bedingung für ein Selbst- und Weltverhältnis muss dann etwas sein, was vom Menschen ausgeht und ihm nicht als von außen aufgezwungen betrachtet werden kann. In dieser Perspektive sind Medien dann auch konstitutiver Teil von gesellschaftlichen Aushandlungs- und Transformationsprozessen, wie McLuhan sehr deutlich argumentiert.