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3 WISSEN UND WISSENSGENERIERUNG

3.1 Systematik des Wissensbegriffs / Typen von Wissen in der Moderne

3.1.3 Daten, Information, Wissen - Ein systemischer Wissensbegriff

abhängige denotative Aussagen“ zu legitimieren, sondern auch und vielleicht vor allem darum zu entscheiden, ob etwas richtig ist und gemacht werden sollte: “Das Wissen ist nicht mehr das Subjekt, es dient diesem; seine einzige, aber beträchtliche Legitimität besteht darin, der Moralität zu erlauben, Realität zu werden“ (ebd., S. 108).

Das hier von Lyotard formulierte Konzept von Postmoderne scheint zunächst für die Fragestellung sekundär, es soll daher nicht weiter Gegenstand sein. Interessant ist aber die Diagnose der Veränderung des Wissensbegriffs, auf die im Verlauf dieser Arbeit wiederholt Bezug genommen wird. Es zeigt sich in der ersten Betrachtung, dass die erkenntnistheoretische Definition Wissen an Wahrheit knüpft, woraus sich ein Wissen als Faktenwissen schließen lässt. Die Definition einer wahren und gerechtfertigten Überzeugung ist als theoretisches Ideal plausibel, pragmatisch betrachtet haben wir es aber – und das zeigt eben genau der postmoderne Wissensbegriff – vordergründig mit einem sozialen Phänomen der Aushandlung zu tun. Was wahr oder was falsch ist, wird meist über gesellschaftliche Aushandlung unter Einbeziehung von institutionellen Kontexten festgelegt und verändert sich in Abhängigkeit vom historischen und kulturellen Kontext.

Und aus bildungstheoretischer Sicht wird es gar erst dann besonders interessant, wenn Fragen zu beantworten sind, bei denen Fakten nicht weiterhelfen und bei denen es kein klares Richtig oder Falsch gibt. Daher gibt es ferner offenbar die Notwendigkeit unterschiedliche Modi, Dimensionen oder Typen von Wissen zu unterscheiden, weil diese jeweils unterschiedlich konstituiert und diskutiert werden. Ein postmoderner Wissensbegriff zeigt dies anhand von Sprachspielen auf, was im Kontext eines Basismediums Sprache besonders relevant ist. Es deutet sich hier also schon ein Zusammenhang zwischen Medialität, Sozialität und Wissen an, den es zu untersuchen gilt. Das Problem der Moderne bleibt weiter erhalten, die Frage der Legitimierung von Wissen und von gerechtfertigtem Handeln scheint anhand von deklarativem Faktenwissen nicht zu klären zu sein.

Das postmoderne Wissen ist eine spannende Diagnose, verhilft an dieser Stelle aber zu keinem für die folgende Argumentation hilfreichen Wissensbegriff. Sie führt wohl aber zu der Feststellung, dass das Individuum „auf sich selbst zurückgeworfen“ und gleichzeitig „in einem Gefüge von Relationen“ gefangen, also eben gerade nicht unabhängig sei (Lyotard 2015, S. 54 f.). Diese Diagnose stellt sich in Bezug auf die zu Beginn formulierte Theorie der Krise der Moderne als anschlussfähig dar.

Im Folgenden soll nun ein anderer Wissensbegriff eingeführt werden, der einerseits eine klarere Abgrenzung in der Struktur von Wissen ermöglichen soll, andererseits aber auch einen Zugang zu verschiedenen Typen von Wissen ermöglicht und damit eventuell Möglichkeiten einer Systematisierung eröffnet.

koppelt Wissen an Sprache, reduziert sich allerdings auf den Aspekt der Weitergabe von Wissen in kodifizierter Form. Der Vorgang an sich ist damit aber nicht weiter beschrieben und basiert außerdem auf der unsicheren Annahme, dass Wissen objektivierbar sei. Offenbar besteht auch eine Unterscheidung zwischen Wissen als im Subjekt begründet und einem metaphorischen Begriff von Wissen als kulturelle Ressource für Gruppen, Gemeinschaften oder Gesellschaften. Das zumindest legt der postmoderne Wissensbegriff nahe. Insofern scheint eine Unterscheidung auch auf begrifflicher Ebene hilfreich und notwendig.

Dieser Gedanke liegt dem Wissensbegriff des Systemischen Wissensmanagements von Helmut Willke zugrunde, der in seiner gleichnamigen Abhandlung die Grundbegriffe wie folgt definiert. Er unterscheidet zunächst die Kategorien Daten, Informationen und Wissen. Daten seien demnach kodierte Ergebnisse von Beobachtungen mit spezifischen Instrumenten und Werkzeugen und folglich schon durch diese Umstände konstruiert (Willke 1998, S. 7). Trotzdem seien sie zunächst bedeutungslos und es gebe sie in durchaus großer Zahl. Willke dazu: „Daten sind allerdings nur der Rohstoff, der für sich wenig bedeutet, wenig kostet und wenig wert ist.“ (ebd., S. 8) Als Codierungsform seien drei Optionen möglich: Zahlen, Sprache/Text und Bilder.20 Informationen entstehen dann, wenn Daten in einen „ersten Kontext von Relevanzen, die für ein bestimmtes System gelten“ (ebd.) eingebunden werden. Eine Information könne somit nur systemrelativ sein, da Relevanzen nur innerhalb eines definierten Systems existierten. Ebenso sei damit ein einfacher Informationsaustausch zwischen unterschiedlichen Systemen nicht möglich (ebd., S. 9). Eine vermeintliche Übertragung einer Information könne nur durch Umwandlung in codierte Beobachtung stattfinden, die von anderen Systemen als Datum aufgenommen und anhand der jeweiligen Relevanzkriterien in neue Information überführt werden.

„Damit liegt das Grundproblem jedes ‚Informationsaustausches‘ auf der Hand. Wir meinen in der üblichen naiven Betrachtung, es hätte tatsächlich eine Übertragung von (identischen) Informationen stattgefunden und beide Systeme verfügten deshalb über dieselbe Information. In Wirklichkeit ist nur ein Anlaß für Missverständnis und versteckten Dissens geschaffen worden, weil jeder fälschlicherweise glaubt, der andere befände sich auf ‚gleicher Wellenlänge‘“ (ebd., S. 10).

Diese Differenzierung zu einem Alltagsverständnis des Informationsbegriffs macht deutlich, dass schon immer Umwandlungs- oder Codierungsprozesse stattfinden müssen, wenn Informationen übertragen werden sollen.21 Eine Reproduktion identischer Information ist damit problematisch, aber nicht grundsätzlich unmöglich.

Wissen entstehe nun in der gleichen Argumentation erst durch die Einbindung von Informationen in einen zweiten Kontext von Relevanzen. Dabei geht es nicht mehr um systematische Relevanzkriterien, sondern um Erfahrungsmuster, „die das System in einem speziell dafür erforderlichen Gedächtnis speichert und verfügbar hält“ (ebd., S. 11). Ferner führte Willke aus:

„Wissen entsteht durch den Einbau von Informationen in Erfahrungskontexte, die sich in Genese

20Hier zeigt sich ganz offenkundig der mediale Bezug, auch wenn er von Willke so nicht benannt wird.

21 Dies ist insbesondere eine durchaus bemerkenswerte Eigenschaft zeitgenössischer technischer Kommunikationssysteme.

und Geschichte des Systems als bedeutsam für sein Überleben und seine Reproduktion herausgestellt haben“ (ebd.). Diese Erfahrungskontexte sind demnach hochspezifisch beziehungsweise für das System Mensch individuell. Eine direkte (also unveränderte) Weitergabe von Wissen scheint vor dem genannten Problem der Reproduktion so höchst unwahrscheinlich.

Anhand dieser Definition der drei Grundbegriffe, die für den Verlauf dieser Arbeit immer wieder relevant werden, ergeben sich zentrale Implikationen. Zunächst, und das führt Willke an anderer Stelle genauer aus, ergibt sich sofort die Möglichkeit, dass Wissen nicht nur für Individuen existent sein kann, sondern auch für intersubjektive Systeme wie z.B. Organisationen. Die lernende Organisation ist dann auch das eigentliche Thema für Willke. Die Möglichkeit, dass Gruppen, Gemeinschaften, Gesellschaften oder Kulturen lernen können und Wissen generieren wird beim folgenden historischen Rückblick deutlich und wird später im Kontext der digitalen Netze für die Argumentation relevant. Damit wird allerdings auf eine Ebene von Modi der Wissensgenerierung verwiesen, die innerhalb von Gruppen identisch sein können.

Für klassische subjektorientierte Wissenskonzepte ergeben sich ebenfalls Konsequenzen. So sei die Unterscheidung in deklaratives und prozessuales Wissen nicht aufrechtzuerhalten, da deklaratives Wissen als Daten verstanden werden muss (vgl. ebd., S. 12). Die Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen nach Michael Polanyi (vgl. Polanyi 1985) wiederum sei von zentraler Bedeutung, da genau die Übergänge zwischen diesen Wissensformen von gesteigertem Interesse ist. Dies gilt auch für das Interesse dieser Arbeit, denn medial reproduzierte Informationen (oder gar medial generiertes Wissen) muss immer explizierbar sein und setzt also neben dem Prozess der Kodierung und Decodierung auf verschiedenen Ebene auch immer einen Prozess der Objektivierung voraus.

Es muss angemerkt werden, dass Willkes Argumentation einem systemtheoretischen Ansatz folgt.

Für die Betrachtungen dieser Arbeit ist daher nur die grundlegende Trennung von Daten, Information und Wissen relevant sowie die unterschiedlichen Kontexte, an die sie geknüpft sind und die bei Umwandlungsprozessen beachtet werden müssen. Wissen im metaphorischen Sinn wie beispielsweise ein Begriff des kulturellen Wissens muss so als ein Typ von Information betrachtet werden, wenn ein konkreter zweiter Relevanzkontext der gemeinsamen Erfahrung fehlt. Für Erfahrungswissen ist klar, dass es zunächst an eine Person und erst auf nächster Ebene an Organisationen gebunden ist. Und: Um Wissen in jeglicher Form transferieren zu können, scheint eine Weitergabe des Erfahrungskontextes als Information unumgänglich. Weder sagt der systemische Wissensbegriff etwas über den Zweck oder die Herkunft des Wissens aus oder wie es abgesichert wird. Noch liefert dieser folglich eine Möglichkeit zur weiteren Differenzierung von Wissen, die aber zu Beginn dieses Kapitels herausgestellt wurden. Darum sollen im Anschluss verschiedene relevante Differenzierungen thematisiert werden, die anhand der Herkunft und Legitimation von Wissen gemacht werden können.