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3 WISSEN UND WISSENSGENERIERUNG

3.3 Wissen und moderne Gesellschaft

3.3.3 Netzwerkgesellschaft

An den primär auf Informationstechnologien fokussierten Begriff, der den Fokus ähnlich wie eben das Konzept einer Wissensgesellschaft auf den Austausch von Informationen/Wissen (je nach Definition) und die dadurch transformierten Strukturen im Bereich der Wirtschaft, Bildung, Verwaltung und damit Gesellschaft legt, schließt in der aktuellen Diskussion der Begriff der Netzwerkgesellschaft relativ nahtlos an.

Zu den bereits genannten empirisch nachvollziehbaren Veränderungen kommt hier die soziologische Perspektive hinzu, die schon seit über 50 Jahren ein Modell für Beziehungsstrukturen propagiert, das methodisch über die Netzwerkanalyse erhoben werden kann (vgl. White 2008).

Diese beiden sehr unterschiedlichen Ansatzpunkte werden seit einigen Jahrzehnten dahingehend verknüpft, dass daraus ein neues, dominantes Modell für gesellschaftliche Strukturen insgesamt abzuleiten sei. Vielleicht der bekannteste Vertreter dieser These ist Manuel Castells, der in seinem mehrbändigen Werk Das Informationszeitalter26 und insbesondere dem ersten Buch Aufstieg der Netzwerkgesellschaft das Netzwerk zur Superstruktur der globalen Gesellschaft erklärt und dies aus soziologischen, ökonomischen, organisationstheoretischen und technischen Perspektiven begründet.

Unter anderem leitet Castells die Verbindung zwischen der Bildung neuer Gesellschaftsstrukturen und den Informations- und Kommunikationstechnologien aus den „Erfordernissen flexibler Dezentralisierung“ (Castells 2001, S. 432 ff.) ab. Insbesondere argumentiert er:

„Finally, perhaps the most important feature of multimedia is that they capture within their domain most cultural expressions, in all their diversity. Their advent is tantamount to ending the separation, and even the distinction, between audiovisual media and printed media, popular culture and learned culture, entertainment and information, education and persuasion. Every cultural expression, from the worst to the best, from the most elitist to the most popular, comes together in this digital universe that links up in a giant, non-historical hypertext, past, present, and future manifestations of the communicative mind. By so doing, they construct a new symbolic environment. They make virtuality our reality“ (Castells 2009, The Grand Fusion: Multimedia as Symbolic Environment).

Nach Castells ist also auf kultureller Ebene jede Form der Kommunikation bei gleichem Aufwand digital abbildbar. Gleichzeitig hat der Begriff des Massenmediums (im Sinne von Kommunikation mit einem Massenpublikum von passiven Empfängern) ausgedient: „In sum, the new media determine a segmented, differentiated audience that, although massive in terms of numbers, is no

26In der Reihe The Information Age: Economy, Society, and Culture sind zwischen 1996 und 1998 die Bände The Rise of the Network Society, The Power of Identity sowie End of the Millennium erschienen.

longer a mass audience in terms of simultaneity and uniformity of the message it receives“

(Castells 2009, The New Media and the Diversification of Mass Audience).

Zwei weitere Aspekte der Theorie von Castells beziehen sich auf die Grundstrukturen von Zeit und Raum beziehungsweise deren Umstrukturierung vor dem Hintergrund des Informationszeitalters.

Zum einen nennt er dabei die „zeitlose Zeit“ (Castells 2001, S. 430), die er als Gegenmodell zur Uhren-Zeit sieht. Während einerseits Zeit für bestimmte Abläufe nur komprimiert würde, sei sie andererseits „ihres Verlaufs beraubt“ (ebd.), verlaufe also nicht mehr in einer vorgegebenen Sequenz. „Der ‚Raum der Ströme‘ bezieht sich auf die technische und organisatorische Möglichkeit, die Gleichzeitigkeit sozialer Praxis ohne geografische Nähe zu gewährleisten“ (ebd.).

Damit wird dem globalen Charakter Rechnung getragen, denn entgegen dem „Raum der Orte“

(„space of places“) sei hier nicht die Bedeutung vom Ort abhängig, sondern von den Strömen, die im Netzwerk verarbeitet würden (ebd.).

Neben diesen Aspekten könne man auch auf politischer Ebene Dezentralisierungstendenzen beobachten. So gebe es „eine entscheidende Verschiebung der Macht hin zu multinationalen und transnationalen Organisation“, wie etwa der NATO, dem IWF, den Organisationen der Vereinten Nationen oder der WHO (Castells 2001, S. 431).

Als einen wichtigen Grund, warum Netzwerkstrukturen sich gegenwärtig überall verbreiteten, sieht Castells, ähnlich bestimmter Argumentationsfiguren für die Informations- und Wissensgesellschaft, den instantanen Beitrag der digitalen Medien. Demnach erlaube „die Einführung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien [..] es Netzwerken erstmals, ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu bewahren und damit ihre entwicklungsfähige Natur zu behaupten“ (Castells 2001, S. 431).

Es scheint naheliegend, dass damit ähnliche Effekte gemeint sind, wie sie schon Marshall McLuhan bei den von ihm als elektrische Medien bezeichneten Phänomenen beobachtet hat und deren Auflösung starrer Strukturen er mit dem Begriff der „Implosion“ (aber auch als Auflösung von Fragmentierung und Linearität) freilich nur angedeutet hatte. Castells stellt die Bedingungen, die sich aus der Netzwerkmetapher ergeben, sehr deutlich heraus:

„Alles, was im Netzwerk existiert, ist nützlich und notwendig für die Existenz des Netzwerks. Was nicht im Netzwerk vorhanden ist, existiert aus der Perspektive des Netzwerks nicht und muss deshalb entweder ignoriert (wenn es nicht für die Aufgaben des Netzwerks relevant ist) oder eliminiert werden (sofern es mit den Zielen oder der Funktionsweise des Netzwerks konkurriert).

Wenn ein Knoten des Netzwerks aufhört, eine nützliche Rolle zu spielen, wird er aus dem Netzwerk herausgelöst und das Netzwerk reorganisiert sich — wie Zellen in biologischen Prozessen. Einige Knoten sind wichtiger als andere, aber alle benötigen sich wechselseitig, so lange sie Teil des Netzwerks sind. Die Dominanz eines Knotens ist niemals systemisch bedingt. Knoten erhöhen ihre Bedeutung dadurch, dass sie mehr Informationen absorbieren und sie effizienter verarbeiten.

Wenn ihre Leistung nachlässt, übernehmen andere Knoten ihre Aufgaben. Somit ergibt sich die Relevanz und das relative Gewicht der Knoten nicht aus ihren spezifischen Eigenschaften, sondern aus ihrer Fähigkeit, vom Netzwerk mit einem zusätzlichen Informationsanteil betraut zu werden. In diesem Sinne sind die Hauptknoten keine Zentren, sondern Schalter, die in ihrer Funktion für die

Gesamtstruktur mehr einer Netzwerklogik als einer Kommandologik folgen. Als soziale Form sind Netzwerke wertfrei und neutral. Sie können gleichermaßen Fluch und Segen sein: nichts ist persönlich gemeint. Sie gehen gemäß den Zielen vor, auf deren Ausführung hin sie programmiert sind“ (ebd., S. 432).

Indem er Netzwerke als von außen programmiert bezeichnet, scheint Castells ihnen keine eigene Handhabe über ihre Dynamik einzuräumen und schlussfolgert, dass soziale Akteure für die Programmierung der Netzwerke verantwortlich seien. Dieser „Charakterzug“ von Netzwerken soll gegen Ende des vierten Kapitels wieder aufgegriffenen werden. Der soziale Konflikt liege demnach in der Festlegung der Ziele des Netzwerks, der aber nur einmalig ausgetragen werde.

Da an dieser Stelle das Phänomen Internet noch nicht genauer betrachtet wurde, werden sich die Parallelen zu den Netzwerktechnologien, die dessen Grundlage bilden, erst im nächsten Kapitel zeigen können. Man kann diese recht inflationäre und weiträumige Verwendung des Begriff Netzwerk und der damit verbundenen Metapher natürlich auch kritisch sehen (vgl. Leschke 2014), es stellt sich in jedem Fall die Frage, inwiefern man die doch sehr heterogenen und teils auch kulturell sehr unterschiedlichen Entwicklungen tatsächlich unter einen Strukturbegriff vereinen kann und ob es dazu nicht schon einer groben Vereinfachung bedarf. Unter den drei vorliegenden Begriffen haben wir zwei, die sich mit (Medien-)Technologien beschäftigen und versuchen technische und soziale beziehungsweise gesellschaftliche Entwicklungen miteinander zu verknüpfen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Beide bleiben dabei recht deutlich auf einer Makroebene und blenden das Subjekt eher aus, zumindest beschäftigen sie sich wenig bis gar nicht mit der Ebene des Individuums. Das Konzept der Wissensgesellschaft macht das Subjekt sehr stark, der Begriff des Wissens, so wie er hier eingeführt wurde, unterstützt diese These. Wissen ist somit auch immer der Prozess seiner (Re-)Produktion und Kodifizierung als Information, also ein grundlegend medialer Prozess. Insofern ist ein Einfluss der Medien auf Wissen unausweichlich: So wie Medien für unsere Wahrnehmung der Welt unhintergehbar sind, sind sie es auch für die Konstitution von verschiedenen Typen von Wissen. Im Folgenden soll zusammenfassend diskutiert werden, inwiefern also Wissen im Kontext von Pädagogik und insbesondere dem Konzept der Strukturalen Medienbildung relevant ist.