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2.2 Medientheorie nach McLuhan

2.2.2 Heiße Medien, Kalte Medien und andere Sonden

Die beiden relevantesten Werke für seine Medientheorie sind wahrscheinlich Die Gutenberg Galaxis (The Gutenberg Galaxy) aus dem Jahr 1962 sowie Die magischen Kanäle (Understanding Media. The extensions of man), welches zwei Jahre später erschien.

Nach seinem ersten medienorientierten Ausflug The Mechanical Bride, in dem er nicht nur seinen mosaikartigen Schreibstil erprobte, sondern auch schon Analysen zeitgenössischer Medien und ihrer Effekte vornahm, eröffnete er mit der Gutenberg-Galaxis einen an Innis angelehnten Blick auf die Geschichte der Medien, der in folgenden Werken von ihm immer wieder aufgegriffen wurde.

Wie bereits erwähnt, wurde McLuhan schon Ende der 1950er Jahre von der National Association of Educational Broadcasters als Berater beauftragt, um einen Lehrplan zum Thema neue Medien zu entwickeln. Der Report on Project in Understanding Media dazu wird 1960 vorgelegt und ist die Vorlage für das 1964 erscheinende Buch Understanding Media. Besonders interessant hierbei ist, dass eine klare pädagogische Motivation hinter dieser Studie steht, die McLuhan selbst einführend als Zieldefinition formuliert:

„objectives were:

(a) to explain the character of a dozen media, illustrating the dynamic symmetries of their operation on man and society,

Leinwandrückprojektion (im Stile von TV) gezeigt wurden („light-on“ versus „light-through“). Ziel war es aufzuzeigen, dass die Effekte in Abhängigkeit der Medienform unterschiedlich ausfallen.

(b) to do this in a syllabus usable in secondary schools. (Secondary schools were chosen as offering students who had not in their own lives become aware of any vested interest in acquired knowledge. They have very great experience of media, but no habits of observation or critical awareness. Yet they are the best teachers of media to teachers, who are otherwise unreachable.)“

(McLuhan 1960, S. 4).

Man beachte die Auswahl von weiterführenden Schulen, da Schüler dort als besonders medienaffin angesehen werden, Ihnen gleichzeitig aber ein eingeschränkter kritischer Umgang mit diesen Medien unterstellt wird. Insbesondere fokussiert McLuhan in diesem Bericht auch stark die Sprache als Basismedium oder zumindest als grundlegende Metapher für die Analyse von Medien.

Ferner sind seine Erkenntnisse hier wesentlich linearer formuliert, als das später bei Understanding Media der Fall ist, sogar die Wahl des mosaikartigen Formates wird in Teilen erklärt und auf die von McLuhan geprägte Sicht des Künstlers zurückgeführt (vgl. ebd., S. 2 ff.). Was genau diese Sicht ausmacht soll später noch im Detail untersucht werden, jedoch hat der Künstler bei McLuhan eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe, was den Umgang mit neuen Medien und Medieneffekte sowie eine mögliche Immunisierung gegen deren Auswirkungen betrifft (vgl.

McLuhan 1964, insb. Kapitel 5, 6 und 11).

Der Untertitel von Understanding Media von McLuhan lautet „The extensions of man" und beinhaltet damit schon seine Definition von Medien. Diese seien demnach Erweiterungen des menschlichen Körpers, also von Gliedmaßen, der sensorischen Wahrnehmung oder, wie im Fall der elektrischen Medien, des menschlichen Zentralnervensystems. Häufig verwendet McLuhan auch den Begriff der Technologie anstelle des Begriffes Medium. Wenn die Medien am menschlichen Sinnesapparat andocken, könnten Sie laut McLuhan als Erweiterungen der fünf Sinne oder anderer körperlicher Attribute gesehen werden, sie sind damit als Teil des Menschen zu betrachten.

Überhaupt scheint eine kontinuierliche Entwicklung bei McLuhan immer mitgedacht. Ohne dass McLuhan technologische Errungenschaften wie das Mobiltelefon oder die Ubiquität digitaler Netze, wie wir sie heute kennen, hätte ahnen können, sind all diese Möglichkeiten nah an einer Vision, die er immer wieder auch in seinen Werken und Interviews formuliert. Es ist ebenfalls sofort plausibel, dass, vor einer solchen Definition, die menschliche Wahrnehmung nur über Medien stattfinden kann aber diese Medien immer durch den Menschen selbst entwickelt werden, weil sie sich ja an dessen Bedürfnissen und Fähigkeiten orientieren.

Auf das mcluhansche Konzept, nach dem Medien immer der Inhalt anderer Medien seien, soll später noch genauer eingegangen werden. So gilt die Sprache beispielsweise als Basiskommunikationsmedium und ist in allen modernen Medienformen vorhanden. Norbert Meder verwendet konsequenterweise den Begriff der Grammatik, um die besonderen Auswirkungen unterschiedlicher Medien zu beschreiben:

„Wenn McLuhan sagt, daß das Medium selbst die Botschaft ist, dann meint er die Grammatik der Medien, insofern man sie als Sprachspiele betrachten kann und muß. Weil wir der Grammatik folgen müssen, um die Inhalte der Sprache erfassen und genießen zu können, sozialisiert die

Grammatik unmittelbar. Sie ist der heimliche Lehrplan einer Sprach- und Medienkultur“ (Meder 1995, S. 6).

Dem Medienbegriff McLuhans liegt ebenso eine historische Dimension zugrunde, an die er kontinuierlich anknüpft, wie insbesondere auch Benjamin Jörissen betont: „Durchaus in der Manier linearer Historiographie unterscheidet er vier Phasen: die Epoche der oralen Stammeskultur, darauf folgend die Manuskript-Kultur, die »Gutenberg-Galaxis« sowie das elektronische Zeitalter. Medientechnisch entspricht dieser Aufreihung die Abfolge Sprache – Schrift – Buchdruck – Elektrizität“ (Jörissen 2007, S. 199 f.). Offenkundig verknüpft McLuhan hier, durchaus nicht unumstritten, historische Epochen mit dominanten Formen der Sinneserfahrung, Jörissen fasst dies wie folgt zusammen:

„In dieser Überzeichnung lassen sich den Medienepochen unterschiedliche sensorische Erfahrungstypen zuordnen. Für die orale Stammeskultur ist dies die Auditivität; die Manuskript-Kultur ist von Taktilität geprägt; die »Gutenberg-Galaxis« von Visualität; das elektronische Zeitalter schließlich zeichnet sich durch eine Integration der verschiedenen Sinneskanäle aus. Die

Charakteristik der jeweiligen Medienepoche generiert McLuhan dabei v.a. aus der Analyse und Übertragung des jeweiligen sensorischen Erfahrungstyps“ (ebd.).

Die Epoche des Buchdrucks, auf die auch später im historischen Rückblick eingegangen werden soll, wird von McLuhan auch wiederholt als „mechanisch“ bezeichnet. Insbesondere in Understanding Media referenziert er mit den verschiedenen Medienbeispielen immer wieder implizit diese Abfolge, ohne dass sie dort explizit eingeführt würde. Ebenso wird an die Epochen jeweils ein dominanter sensorischer Wahrnehmungsmodus geknüpft, so wird die orale Stammeskultur durch Auditivität dominiert, die Schriftkultur durch Taktilität und die mechanische Kultur durch Visualität (vgl. ebd.; McLuhan 2001, S.83 ff. & S. 88 ff.). Mit dem elektrischen Zeitalter verbindet McLuhan die Annahme, dass es eine Art Equilibrium zwischen den Sinnen ermöglichen könne und kein Sinn mehr die übrigen überrage, damit sei eine Rückkehr zur oralen Kultur oder eine Retribalisierung verknüpft.

Bei Marshall McLuhan wird das Medium ferner nicht unbedingt oder ausschließlich als ein Kommunikationsmedium gedacht. So bezeichnet er das elektrische Licht (oder auch Kleidung und Geld) als Medien, weil sie soziale Effekte auf Gesellschaft und Kultur hätten und nur durch ihr Vorhandensein grundlegende Schemata und damit das Leben der Menschen essentiell veränderten. Elektrisches Licht ermögliche es, einen Raum zu beleuchten und so quasi den Tag zu verlängern beziehungsweise das menschliche Handeln vom durch die Natur vorgegebenen Tag/Nacht-Zyklus zu entkoppeln (vgl. McLuhan 2001, S. 8 ff). Infolgedessen sei es möglich abends länger zu arbeiten oder anderen Aktivitäten nachzugehen, der Alltag des Menschen ist nicht mehr an das Licht der Sonne gekoppelt. Im Ergebnis führt das zu einer radikal veränderten Lebensweise und auch zu einer neuen Ökonomisierung und Beschleunigung, da mehr Zeit pro Tag effizient nutzbar gemacht werden kann. Es ist also nicht die Fähigkeit Informationen zu übertragen, die

McLuhans Medienbegriff ausmacht (auch wenn es für seine Differenzierung von heißen und kühlen Medien maßgeblich scheint), sondern es sind die aus Medien entstehenden gesellschaftlichen Effekte, die sich mithin unbemerkt einstellen und mit den konkreten Inhalten von Medien nichts zu tun haben. Kleidung sieht McLuhan als Erweiterung der Haut und sie erfülle damit ebenso eine unmittelbare Körperfunktion (Schutz vor der Umwelt) neben einer möglichen Kommunikationsfunktion also z.B. Kleidung als Repräsentation von Status oder sozialer Zugehörigkeit (vgl. ebd., S. 129 ff). Geld transformiere Waren und Güter in eine standardisierte, uniforme, leicht transportable Form, die Handel über weite Strecken erst ermöglicht habe (vgl.

ebd., S. 142 ff.). Diese Effekte von Medien sind für McLuhan die eigentliche Nachricht der Medien und wirken, wie er nicht müde wird zu betonen, unabhängig von den konkreten Informationen, die Medien übertragen können. Allerdings unterstellt er Medien eine Funktion der Übersetzung (als ein Modus von Kommunikation), so würden mittels Geld unterschiedliche Dienstleistungen ineinander übersetzt und generell die Leistungen unterschiedlicher Berufe und Formen von Gütern ineinander überführbar gemacht.

Der elektrische Strom, die Automatisierung als Möglichkeit jegliche Information in uniforme computerlesbare Form umzuwandeln und zu transportieren sowie womöglich auch Computer erfüllen ebenso eine Kommunikationsfunktion der Übersetzung und haben auch die genannten Effekte der Beschleunigung, der Transformation und einer daraus resultierenden sozialen Veränderung. Nach dieser Definition, und das ist die These, die dieser Arbeit zugrunde liegt, muss also auch das Internet als Medium thematisiert werden, das selbst durch den elektrischen Strom bedingt wird und andererseits wiederum weitere (Kommunikations-)Medien erst ermöglicht. Nach McLuhan sind derlei hybride Konstruktionen die Regel. Dieser Gedanke soll später noch einmal aufgegriffen werden, da er auf die Möglichkeit komplexer Medienarchitekturen verweist.

Besonders populär wurde aber das von McLuhan mit Understanding Media eingeführte Schema von heißen und kalten Medien, mit denen er erstmals versucht Medieneffekte zu systematisieren.

Die Unterscheidung erfolgt jeweils anhand der technischen Beschaffenheit von Medien sowie anhand der Sinne, an die sich die jeweiligen Medien richten. Ein Medium, dass eine hohe Informationsdichte hat und in „hoher Auflösung“ (vgl. McLuhan 2001, S. 24) vorliegt beziehungsweise einen menschlichen Sinn oder eine Körperfunktion in hoher Auflösung erweitert, ist demnach ein heißes Medium, während ein kaltes Medium meist in niedriger Auflösung vorliegt, mehr als nur einen Sinn anspricht und durch seine Beschaffenheit das Publikum dazu nötigt, selbst die Lücken zu füllen und damit stark involviert zu werden.

Ein heißes Medium ist demnach dazu geeignet, sich berieseln zu lassen, ein kaltes Medium aber nicht, es erfasst den Menschen ganzheitlich und lässt Freiräume, die es auszufüllen gilt. Heiß und kalt sind dabei als relative Größen zu verstehen, die konkret nur im Vergleich mit anderen Medien eine Zuordnung ermöglichen. Außerdem hängen die konkreten Medieneffekte auch von der Art der Gesellschaft ab, denn ein kaltes Medium habe in einer aufgeheizten Gesellschaft andere Effekte, als in einer abgekühlten (z.B. sprachbasierten) Gesellschaft (vgl. McLuhan 2001, S. 24ff).

Damit wird auch klar, dass Medien jeweils kulturell gerahmt werden, auch wenn McLuhan diesen Aspekt nur beiläufig mit einstreut. Die Vorstellung einer relativen Medienwirkung auf Gesellschaft,

die auch mit einbezieht, wie die mediale Struktur eine Gesellschaft beispielsweise zum Zeitpunkt der Entstehung eines neuen Mediums aussieht, erscheint aber als zentral und für eine vollständige Lesart McLuhans wesentlich. Eine Stammesgesellschaft, die von oralen Medien dominiert sei, reagiere auf Medien der gegenteiligen Zuordnung (also die mechanischen Medien wie die gedruckte Schrift) demnach anders als eine Gesellschaft, die schon Schrift oder schriftbasierte Medien integriert hat. Andersherum seien die Einflüsse der elektrischen Medien, denen McLuhan eine retribalisierende Form zuschreibt, auf die stark schriftbasierten Gesellschaften der westlichen Welt radikal anders als beispielsweise für afrikanische Gesellschaften, die noch nicht so umfassend durch die Mechanisierung und Literarisierung geprägt seien. Die durch elektrische Medien initiierten Umstrukturierungen in der westlichen Welt seien daher sehr viel aufwändiger.

Insofern stellt die Unterteilung in heiße und kalte Medien nur eine Dimension, oder wie McLuhan es nannten eine von vielen „Sonden“ dar, die er zur Analyse von Medieneffekten und -strukturen ins Feld führt. Folglich scheinen viele der Begründungen, die er selbst im Buch zur Illustration verwendet, wenig systematisch und in einzelnen Fällen widersprechen sie sich scheinbar sogar.

Die Unterscheidung in heiße und kalte Medien, die McLuhan vorschlug, wurde und wird intensiv diskutiert. Dabei ist es eben weniger beabsichtigt eine klare Ordnung der Einzelmedien zu erreichen als deren Wirkungen mit- und untereinander zu charakterisieren. Heiß und kalt sind dabei, wie schon erwähnt, auch nicht als starre Kategorien zu verstehen, sondern als die beiden extremen Pole einer relativen Zuordnung. Jörissen fasst die Hinweise aus den magischen Kanälen/Understanding Media in fünf Leitmotive zusammen:

1. Sinnliche Affektion und Verkörperung symbolischer Ordnung.

2. Informationsdichte.

3. Rezeptivität.

4. Betäubung.

5. Autonomie, Komplexität, Selbstreferenzialität (vgl. Jörissen 2007, S. 201 f.).

McLuhan gehe zunächst davon aus, dass „bestimmte Medien einen oder mehrere Sinne affizieren“

(ebd.). Damit schließt er durchaus plausibel an die Logik seiner Segmentierung der Mediengeschichte an, bleibt aber relativ vage. „Es ist undeutlich, ob McLuhan dies eher im engeren, etwa wahrnehmungspsychologischen Sinn meint (so wie Sprache, Radio und Telefon das Ohr, Schrift, Buchdruck und Telegraf das Auge und Fernsehen Auge und Ohr ansprechen), oder ob eine abstraktere Konzeption intendiert ist.“ (ebd.)

Bisweilen ist diese Beziehung bei bestimmten Medien aber eher auf Körperfunktionen bezogen (das Rad als Erweiterung der Beine, Kleidung als Haut), was durchaus eine abstrakte Ebene nahelegt, da die sinnliche Ebene hier weniger direkt zum Tragen kommt. Auf der anderen Seite argumentiert er in Teilen auch wahrnehmungs- und gestaltpsychologisch, letztere Linie greift er immer wieder mit Blick auf die Gesamtheit von Sinneswahrnehmung in der Dialektik Figur und Hintergrund auf (vgl. McLuhan & Powers 1989, S. 5 f.) sowie als Grundlage in der Konzeption seiner Tetrade der Medieneffekte auf (vgl. McLuhan & McLuhan 1988).

Als zweiten Punkt nennt Jörissen die Informationsdichte, die McLuhan jedem Medium in unterschiedlicher Qualität attestiere:

„Die kühlen, als informationsarm charakterisierten Medien können dabei aufgrund der notwendigen konstruktiven Rolle des Rezipienten als die »kommunikativeren« betrachtet werden;

je »heißer« und invasiver ein Medium wird, desto einseitiger wird der Informationsfluss – auch hieran kann McLuhan den ausschließenden, trennenden Effekt heißer Medien anbinden“ (Jörissen 2007, S. 201).

Unter dem Begriff Rezeptivität ist die (re-)konstruktive Funktion für Rezipienten zu verstehen, die damit das „Wahrnehmungsereignis“ (ebd.) erst zustande kommen lässt. Dabei hebt Jörissen hervor, dass es hier nicht um die "soziale Wirkung oder Funktionen des Mediums“ geht, obwohl diese als zentrale Aspekte von McLuhans Thesen gesehen werden können. „Die rezeptive Aktivität wird von McLuhan vielmehr als eine Art kreativer sinnhafter Vervollständigung der »Gestalt« des – in diesem Kontext dann doch nur so zu benennenden – übermittelten »Inhalts« vorgestellt, wenn beispielsweise das »Punktemosaik« des Fernsehbildschirms zu einem Bild synthetisiert wird“

(ebd.).

Unter dem Begriff der Betäubung thematisiert McLuhan die sensorischen Effekte, die er von Eindrücken trennt. Seiner Ansicht nach verändern Medien gerade nicht den Sinn, auf den sie einwirken, da dieser betäubt würde, sondern alle übrigen. Dies gibt McLuhan sogar als Auslöser für seine Medienuntersuchungen an:

„Early in 1960 it dawned on me that the sensory impression proffered by a medium like movie or radio, was not the sensory effect obtained. Radio, for example, has an intense visual effect on listeners. But then there is the telephone which also proffers an auditory impression, but has no visual effect. In the same way television is watched but has a very different effect from movies.

These observations led to a series of studies of the media, and to the discovery of basic laws concerning the sensory effects of various media“ (McLuhan 1960, S. 1).

Jörissen bezeichnet dies auch als „Mechanismus der Verschleierung“ (Jörissen 2007, S. 202).

Im letzten Punkt stellt Jörissen fest, dass Medien autonom verbleiben, also ihre Struktur nicht durch die Nutzung verändern. Diesem Punkt kann man mit Blick auf das Konstrukt des Medienhybrid, wie später noch mit Blick auf das Internet deutlich werden wird, nicht zustimmen.

Ein sich durch Nutzungspraktiken und Einflüsse anderer Medien entwickelndes und transformierendes Medium scheint bei McLuhan gerade der Kern der Auseinandersetzung. Ferner handele es sich laut McLuhan bei Medien um komplexe Gebilde aus „Sinnlichkeit, immaterieller Symbolik und Technik“ (ebd.), was sie schwer durchschaubar mache. Diese begriffliche Unschärfe kann aber als didaktische Absicht verstanden werden, eine bis dahin nicht vorhandene Auseinandersetzung mit dem Begriff des Mediums zu erkunden oder zu sondieren. Und schließlich seien Medien bei McLuhan hochgradig selbstreferenziell: „Wenn der »Inhalt« eines Mediums immer ein anderes Medium ist (insofern das Medium selbst die »Botschaft« ist), kann dieser inter-

oder transmediale Verweisungszusammenhang schwerlich eine »Botschaft« enthalten, die von außerhalb stammt“ (ebd.).

Hierzu ist anzumerken, dass McLuhan auf ein Basismedium Sprache abhebt, aber auch das Bildhafte dazu parallel im Blick hat:

„Der Inhalt der Schrift ist Sprache, genauso wie das geschriebene Wort Inhalt des Buchdrucks ist und der Druck wieder Inhalt des Telegrafen ist. Auf die Frage: »Was ist der Inhalt der Sprache?«

muß man antworten: »Es ist ein effektiver Denkvorgang, der an sich nicht verbal ist.« Ein abstraktes Bild stellt eine direkte Äußerung von schöpferischen Denkvorgängen dar, wie sie etwa in Mustern von Elektronenrechnern erscheinen könnten. Was wir jedoch hier betrachten, sind die psychischen und sozialen Auswirkungen der Muster und Formen, wie sie schon bestehende Prozesse verstärken und beschleunigen“ (McLuhan 1992, S. 18).

Es zeigt sich deutlich, dass McLuhans Medienverständnis zwar offengehalten ist, aber durchaus plausible Charakteristika für Medien beinhaltet. Insbesondere wird, auch wenn man die konkreten Effekte, die McLuhan teilweise nennt, in Frage stellen kann, klar, dass er für Medienstrukturen und Formen von Medialität (ohne diesen Begriff zu benutzen) eine sehr differenzierte Betrachtung fordert. Damit lässt sich der Mangel an klaren Antworten durchaus begründen, denn trotz vielerlei Anknüpfungspunkte bleibt vieles in dieser Systematisierung metaphorisch und unbestimmt:

„Darüber hinaus gehört es durchaus zu den Leistungen McLuhans, einen weiten Kreis von medientheoretischen Bezügen bereitzustellen, die Zusammenhänge, aber auch nicht zuletzt Differenzierungsbedarf anzeigen. Erwähnt wurde bereits die Vermischung von Verbreitungsmedien und generalisierten Interaktionsmedien. Offen bleibt zudem die Abgrenzung von Medien und Technik einerseits, andererseits das Verhältnis von Körperlichkeit und Medialität, das mit dem Ausdruck ‚extensions of man‘ ausgesprochen metaphorisch, begrifflich unterbestimmt bleibt“

(Jörissen 2007, S. 202).

Diese Kritik zeigt an, dass ein systematisches Arbeiten mit den Theorien McLuhans (wenn man sie denn als solche bezeichnen will) zwar schwierig ist, aber als Ausgangspunkt interdisziplinär anschlussfähig. Wegen der ihnen innewohnenden Vorläufigkeit, Unbestimmtheit und Widersprüchlichkeit, aber auch der Form, wie sie von McLuhan in Texten und auch vielen Interviews dargeboten wurde, entziehen sie sich vielleicht der Eindeutigkeit, gleichzeitig stellen sich viele der Annahmen und Prophezeiungen aber auch als fruchtbare Gedankenexperimente heraus. Während eine saubere Trennung des Mediums in technische Trägermedien, Wahrnehmungsmedien, Kommunikationsmedien, Massenmedien oder weitere Spezifizierungen die konkrete Diskussion über bestimmte Mediencharakteristika ermöglicht, maskiert sie jedoch auch das komplexe Zusammenspiel von Medienarchitekturen und wie sie für Menschen eine Beziehung zur Welt herstellen. Medieneffekte lassen sich mit McLuhan sehr eingeschränkt auch abstrakt betrachten, wenn er beispielsweise Aussagen auf der Ebene heißer und kalter, mechanischer oder elektrischer Medien macht. Konkret stellen sich die Effekte jedoch lediglich dann dar, wenn ein Medium als Medium mit seiner Umgebung, also als Figur und Hintergrund,

betrachtet wird. Das könnte man als Argument für einen qualitativen Modus der Medienanalyse auffassen, wie sie im Rahmen der Strukturale Medienbildung betrieben wird. Es legt aber auch die Vermutung nahe, dass der Medienbegriff in einer elektrischen Gesellschaft nicht länger fragmentiert und linear betrachtet werden kann. Medien sind dann vielmehr ein Konstrukt aus Bestandteilen, die sich gegenseitig beeinflussen und jeweils untereinander verknüpft sind. In dieser Logik beinhaltet ein Medium nicht länger genau ein Medium, sondern ist mit allen Medien eng oder lose verknüpft, womit auch plausibel wäre, warum sich Medien untereinander beeinflussen. Dieser Gedanke soll an späterer Stelle noch genauer ausformuliert werden, er lässt sich in der Tat mit einigen der späteren Veröffentlichungen McLuhans in Verbindung setzen, weshalb wir nochmals kurz zu dessen Biografie zurückkehren.

1979 erlitt McLuhan einen Schlaganfall, der seine Sprechfähigkeit und damit seine Möglichkeiten weiter zu arbeiten empfindlich beeinträchtigte. Seine Popularität ließ nach, weil er nicht länger medial präsent sein konnte. Schließungspläne des Centre for Communication and Technology (heute McLuhan Program in Culture and Technology) wurden durch seine Unterstützer verhindert.

Der Ausbau seiner Hinterlassenschaften wurde insbesondere auch von Mcluhans Sohn Eric und Derrick de Kerckhove (Direktor des Programms bis 2008) befördert. Daraus wird aber auch deutlich, dass man McLuhan zunächst (und bis in die 1990er Jahre) wenig Relevanz beimaß.

McLuhan erholte sich nie wirklich von seinem Schlaganfall und verstarb am 31. Dezember 1980 im Schlaf. Doch auch in den letzten Jahren seines Lebens hatte McLuhan zusammen mit Partnern noch an Publikationen gearbeitet, die dann erst posthum veröffentlicht werden konnten. In der öffentlichen wie auch der wissenschaftlichen Wahrnehmung werden diese Veröffentlichungen mithin nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit betrachtet wie die früheren Bestseller, nichtsdestotrotz setzen sie viele der angefangenen Projekte McLuhans konsequent fort.

Insbesondere wird ein letzter Versuch einer Systematisierung unternommen, der zumindest diskussionswürdig scheint.