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5 STRUKTURMERKMALE DES NETZES UND DEREN BEDEUTUNG FÜR WISSEN UND BILDUNG

5.2 Der Hacker als der mcluhansche Künstler

In McLuhans Perspektive besteht die Herausforderung im Umgang mit den neuen Medien im Sich-Bewusstmachen der meist unbewussten Struktur und damit auch der Effekte der Medien auf die menschliche Wahrnehmung und die Bedingungen, die sich daraus ergeben. Einer Gruppe von Menschen attestiert er wiederholt, dass sie diese Fähigkeit in hohem Maße besäßen und dass das Ausnutzen eben jener medialen Effekte der Wahrnehmung zentraler Bestandteil ihrer Tätigkeit sei, nämlich den Künstlern: „The serious artist is the only person able to encounter technology with impunity, just because he is an expert aware of the changes in sense perception.“ (McLuhan 2001, S. 19)

McLuhan charakterisiert den Künstler offenbar als aus sich selbst heraus „medienkompetent“ – nicht nur, aber wohl auch im Sinne des Medienkompetenzbegriffs nach Baacke (2007) –, weil er nicht nur im Umgang mit Medien geübt sei, sondern auch deren Effekte gezielt einzusetzen und gestalterisch umzusetzen vermag. Er könne damit in seinen Augen sogar eine Art Immunisierung der Gesellschaft vor Effekten neuer Technologien bewirken, weil er die Effekte bemerkt, bevor ihre Konsequenzen zutage treten: „The artist picks up the message of cultural and technological challenge decades before its transforming impact occurs. He, then, builds models or Noah's arks for facing the change that is at hand“ (McLuhan 2001, S. 35). Die gesellschaftliche Position des Künstlers verändert sich daher grundlegend. Er hat sozusagen einen Bildungsauftrag zu erfüllen, wenn man so will:

„For in the electric age there is no longer any sense in talking about the artist's being ahead of his time. Our technology is, also, ahead of its time, if we reckon by the ability to recognize it for what it is. To prevent undue wreckage in society, the artist tends now to move from the ivory tower to the control tower of society. Just as higher education is no longer a frill or luxury but a stark need of production and operational design in the electric age, so the artist is indispensable in the shaping and analysis and understanding of the life of forms, and structures created by electric technology“

(Mcluhan 2001, S. 66).

Der Künstler sei auch in der Lage die Kraft unterschiedlicher Medien miteinander in Beziehung zu setzen:

„Artists in various fields are always the first to discover how to enable one medium to use or to release the power of another. In a simpler form, it is the technique employed by Charles Boyer in his kind of French-English blend of urbane, throaty delirium“ (McLuhan 2001, S. 55).

McLuhan formuliert diese zentrale Rolle des Künstlers auch nicht als Option, sondern eher mit einer sehr klaren Dringlichkeit:

„Um einen unnötigen Schiffbruch der Gesellschaft zu verhindern, will der Künstler nun seinen elfenbeinernen Turm verlassen und den Kontrollturm der Gesellschaft übernehmen. Genauso wie höhere Bildung längst nicht mehr eine Marotte oder ein Luxus, sondern eine dringende

Notwendigkeit für die Produktions- und Betriebsorganisation im elektrischen Zeitalter ist, wird der Künstler unentbehrlich bei der Gestaltung und Analyse und zum Verständnis der Lebensformen und Strukturen, die die Technik der Elektrizität hervorbringt“ (McLuhan 1992, S. 83).

Etwas konkreter wird er in Bezug auf den Künstler auch in seinem späteren Werk Laws of Media.

Im Zusammenhang mit der Argumentation, dass Technologie gleichsam eine Fortsetzung der Evolution mit anderen Mitteln sei (vgl. McLuhan & McLuhan 1980, S. 94 ff.), wird auch der Künstler wieder in seiner Aufgabe thematisiert: „The artist is the person who invents the means to bridge between biological inheritance and the environments created by technological innovation“ (ebd., S. 98). Aber wie sieht dieser Künstler mit seiner für die Gesellschaft so integralen Aufgabe in der digitalen Medialität aus? Dies ist Gegenstand einer Arbeit von Claus Pias (2008), der sich mit dem Medium Computer in Bezug auf Mcluhan beschäftigt und dabei auch thematisiert, dass man den Hacker als den mcluhanschen Künstler des Computerzeitalters betrachten kann. Damit argumentiert er vor allem für den Computer als ein eigenständiges Medium, wie es bei McLuhan selbst so nicht explizit thematisiert wird, aber im Anschluss an Meder und die Strukturanalysen des vorherigen Kapitels durchaus plausibel erscheint. Während McLuhan einige in den 1960er Jahren schon absehbaren technologischen Entwicklungen von Computertechnologie durchaus im Ansatz zur Kenntnis nimmt (Mikrofilm als neues Speichermedium, Elektrisches Zeitalter, Automatisierung), wird der Computer, der in dieser Zeit schon präsent war, als Medium nicht aufgegriffen. Trotzdem, so Pias, ermögliche erst McLuhan, dass dies im Nachgang geschehen konnte und führt so den Hacker ins Feld, der sich grundsätzlich erst einmal durch seine Tendenz zur Antiautorität auszuzeichnen scheint, was ihm eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem

„service environment“, wie McLuhan es bezeichnet, gibt:

„Der Hacker war respektlos gegenüber den willkürlichen Vorschriften von Programmen, Systemverwaltern oder Nutzungskontexten und lernte lieber autodidaktisch. Die Autorität, die sein

’trial and error’ legitimierte und einschränkte, war nur die konkrete Technik selbst, die Materialität von Geräten und ihren Leistungsgrenzen“ (Pias 2008, S. 145).

In einer Auseinandersetzung des Autors mit der Geschichte des Hackertums (Holze 2012) wurde ebenfalls deutlich, dass der kreative und künstlerische Umgang mit Computertechnik ein Kernanliegen der Hackerbewegung war und ist. So haben die ersten Hacker einerseits versucht vorhandene Computer in kreativer Art und Weise zu ge- oder auch missbrauchen und andererseits diese Computer auch zu dekonstruieren, selbst herzustellen, zu entwerfen und zu entwickeln. Aus dieser vielschichtigen Auseinandersetzung mit einer zu dieser Zeit noch einer Elite vorbehaltenen Technologie entsteht eine Subkultur, die bis heute für den Prozess der Digitalisierung und der digitalen Revolution immer wieder neue Impulse gegeben hat:

„Der Hacker als intimer Kenner und Bewunderer der neuen Technologien weiß um ihr Potenzial und rückt damit in die Position, die McLuhan dem Künstler vorbehielt: ’The artist has been called the

‚antennae‘ of the race. The artistic conscience is focused on the psychic and social implications of technology. The artist builds models of the new environment and new social lives that are the

hidden potential of new technology’ (McLuhan 1966:100). Nur in der Wahrnehmung des Künstlers zeichne sich die neue, kommende Welt ab, weil nur er mediengerecht denken könne“ (Pias 2008, S.

145 f.).

Das lässt sich wiederum an diversen Beispielen zeigen, von denen hier nur kurz einige wenige genannt werden sollen: So sind die Hacker des MIT, mit denen sich Steven Levy (2010) eingehend auseinandergesetzt hat, die Keimzelle für eine Kultur, die später zur Bewegung für freie Software führt und damit eine der grundlegenden Basen für das Internet, nämlich freie Betriebssysteme und Serversoftware, initiiert. Sie sind die ersten, die mit dem Computer spielen oder die mit ihm Musik erzeugen. Als besonderes „Sakrileg“ galt es, ihn für alltägliche Aufgaben nutzen:

„Es entstand eine Reihe solcher ‚Hacks‘, die aufgrund ihrer Unangemessenheit in Bezug auf das, was auf einem so teuren Rechner allgemein als angemessen erschien, alle mit ‚expensive‘

begannen. Da beispielsweise die Hausaufgaben der Analysis-Kurse auf dem Papier oder mit elektromechanischen Kalkulatoren zu lösen waren, schrieb Bob Wagner ein Programm namens Expensive Calculator, das aus dem TX-0 einen Taschenrechner im heutigen Sinne machte und fiel durch die entsprechende Prüfung, gerade weil er einen Computer benutzt hatte. Mit Expensive Typewriter folgte die Emulation eines weiteren Bürogerätes“ (Pias 2002).

Ein anderes Beispiel ist der in der Szene äußerst populäre Steve Wozniak, der zusammen mit Steve Jobs die Firma Apple gründete und dort die ersten populären Computer für den privaten Gebrauch entwickelte und baute (vgl. Isaacson 2011). Die Ursprünge für die meisten heute ubiquitären digitalen Entwicklungen liegen in der Hackerszene und den wirtschaftlichen Kräften des amerikanischen Silikon Valley sowie der amerikanischen Gegenkultur der 1960er und 1970er Jahre begründet, so entsteht die erste virtuelle (Online-)Community „The WELL - Whole Earth 'lectronic link“62 (vgl. Rheingold 1994) im Kontext des von Steward Brand gegründeten Whole Earth Catalog, der zentralen Publikation eben dieser Gegenkultur. Die Verknüpfungen sind deutlich und zahlreich und sollen an dieser Stelle nicht im Detail betrachtet werden. Es scheint jedoch deutlich, dass das Internet in seiner grundlegenden Form und viele weitere der technologischen Bausteine einer Kultur der Digitalität eine gewisse Ideologie, auch die „California ideology“ (vgl. Barbrook &

Cameron 1996) genannt, in sich trägt, die man kaum zu ignorieren vermag (vgl. Morozov 2013).

Die Ausläufer eben dieser ideologischen Grundlagen, wirken sich auch heute noch aus und lassen sich teilweise strukturell in der Technologie identifizieren, auch wenn sich diese durch die Privatisierung in den 1990er Jahren grundlegend gewandelt hat (vgl. Kapitel 4.1.1). Genau auf diese Dynamik weist McLuhan wiederholt hin und erneut kann das Zitat von den Werkzeugen, die der Mensch kreiert und die dann auf ihn zurückwirken, als sehr weitsichtige Feststellung angeführt werden. Die Bedeutung des Künstlers ist für McLuhan unzweifelhaft, er erhebt ihn über alle Maßen in den zentralen Bezugspunkt für den Schutz der Gesellschaft, um gegenüber der „Gewalt der Medien“ nicht schutzlos zu bleiben. Gleichzeitig warnt er jedoch auch vor übersteigertem

62immer noch online unter https://www.well.com/

Ruhm und einer daran gebundenen Sicht des Künstlerseins, die dessen eigentliche Fähigkeit überschattet:

„Knowledge of this simple fact is now needed for human survival. The ability of the artist to sidestep the bully blow of new technology of any age, and to parry such violence with full awareness, is age-old. Equally age-old is the inability of the percussed victims, who cannot sidestep the new violence, to recognize their need of the artist. To reward and to make celebrities of artists can, also, be a way of ignoring their prophetic work, and preventing its timely use for survival. The artist is the man in any field, scientific or humanistic, who grasps the implications of his actions and of new knowledge in his own time. He is the man of integral awareness.“ (McLuhan 2001, S. 65)

Es scheint fast, als hätte McLuhan die Inflation des Künstlers im Sinne eines massenmedialen Produkts ebenfalls vorausgeahnt. Zwar war er an der Populärkultur – wie wir wissen – keineswegs uninteressiert, aber der Praxis, jeden Interpreten künstlerischer Artefakte prominent machen zu wollen, würde er wohl eher kritisch gegenüberstehen. Ebenso ist der Künstler nicht über seine Inhalte oder sein Feld definiert, sondern eben über die „integrale Wahrnehmung“. Daher, so schlussfolgert Pias, entsteht in den USA eine Bewegung, die den Computer als Medium erschließe (Pias 2008, S. 146). Im Gegensatz zur vorherigen Nutzung durch eine ausgewählte Elite und für als angemessen befundene Anwendungen, wird plötzlich mit dem Computer gespielt und experimentiert. An Stelle von riesigen, systematisch von der Außenwelt abgeschotteten Maschinen in Laboren wird der Computer etwas, das Bastler in ihrer Freizeit selbst zusammensetzen und modifizieren können und das einer Nicht-Fachöffentlichkeit zur Verfügung steht, die damit eine uneingeschränkte Menge an Möglichkeiten erprobt, eben gerade weil sie keine Fachleute sind. Er wird zum Zugang zu einer aufkommenden Welt von Technologie, die es zu verstehen und zu durchdringen gilt, also ein Gegenstand von Bildungsprozessen im engsten humboldtschen Sinn. Und im Experimentellen und Explorativen sieht Pias dann auch den Anknüpfungspunkt an McLuhan:

„Das Experimentieren mit Medienfunktionen wird plötzlich als ‚Medientheorie‘ artikulierbar, weil McLuhans medientheoretische Diagnose des Computerzeitalters von Leuten gelesen wird, die technisches Verständnis für das Potential des Computers hatten, und nun plötzlich merken, dass sie es mit einem Medium zu tun haben“ (Pias 2008, S. 147).

Damit ist McLuhan als Orakel der zukünftigen Medienwelt gleichzeitig Inspiration für diejenigen, die diese neue Medienwelt gestalten und die in gewissem Sinne genau die Künstler darstellen, die McLuhan heraufzubeschwören gedachte. Dies führt letztendlich zur aktuellen Transformation etablierter Medien beziehungsweise auch zu neuen medialen Phänomenen der Digitalität wie beispielsweise einer Industrie für digitale Unterhaltungssoftware, die erst wenige Jahrzehnte existiert und heute einen stetig wachsenden Markt bedient.

Im Zusammenhang mit den transformierenden (nach McLuhan eher hybridisierenden) Effekten des Computers führt Pias den Fernseher an, der als Ausgabegerät für Heimcomputer plötzlich jenseits seines angestammten Zweckes verwendet wurde und so ebenfalls Teil des

Hybridisierungsprozesses wurde, den wir heute mit der vollständigen Digitalisierung des Fernsehsystems und der Wandlung des Fernsehgeräts zum Bildschirm für allerlei Geräte und (Online-)Dienste stärker feststellen können als je zuvor. Während Fernsehen zu Beginn ein Sammelbegriff für einen konkreten Übertragungsweg, eine Institution, eine Aufnahmetechnik und ein Endgerät war, also eine komplette Infrastruktur, so ist der Fernseher heute quasi nur noch Bildschirm, manchmal Smart-Bildschirm, aber eben ein Endgerät unter vielen. Er wird mit diversen Eingangsquellen bespielt und hat so gut wie kein exklusives Programm mehr63. Ob der Fernseher Teil des Heimkinos ist, oder nur eine weitere Option Youtube-Videos zu schauen, entscheidet sich am Ende der Übertragung beim Konsumenten, nicht mehr beim Sender und aufgrund der Universalität des Internets auch nicht anhand der Infrastruktur.64

Das Zusammenspiel von Ausläufern der Gegenkultur und der fortschreitenden Entwicklung von Computertechnologie, welches Pias als „grandiose Erfolgsgeschichte“ (Pias 2008, S. 154) bezeichnet, funktionierte allerdings nur in den USA offenbar so gut, in Deutschland fand die Kybernetik und ihre experimentellen Ausläufer kaum Anklang. Pias verweist beispielsweise auf Helmar Frank (1969) und seine kybernetische Pädagogik als Beispiel für solche Versuche im deutschsprachigen Raum. Vor dem Hintergrund der Strukturalen Medienbildung aber ergeben sich Anknüpfungspunkte auf völlig anderer Ebene, um den Hacker als spezifischen Künstler des digitalen Zeitalters zu begreifen. Ein Fokus auf der Frage von Sinneswahrnehmungen, die von McLuhan aufgeworfen wurde, findet sich ebenfalls in der Neoformalistischen Filmanalyse, einer der zentralen qualitativen Forschungsmethoden der Medienbildung (vgl. Jörissen & Marotzki 2009, S. 41 ff., Holze & Verständig 2018). Der Neoformalismus65 (vgl. Bordwell & Thompson 2016) betrachtet den Film vornehmlich als Kunstwerk und lehnt somit ein klassisches Kommunikationsmodell von Sender-Medium-Empfänger ab (vgl. Thompson 1995, S. 27). In ihrem Lehrbuch „Film Art“ (vgl. Bordwell & Thompson 2016) stellen sie intensiv die verschiedenen, rein formalen Gestaltungsoptionen für den Spielfilm auch aus Sicht des Filmemachers systematisch dar. Dabei ist aber auch klar, dass die Machart in ihrer Konsequenz nicht unabhängig von einer Rezeption durch das Publikum gedacht werden kann. Darin sehen sie letztendlich die Natur des Kunstwerks begründet:

„Kunstwerke fordern den Betrachter vielmehr auf allen Ebenen und verändern unser Wahrnehmen, Fühlen und Denken. […] Die nicht praktisch orientierte Wahrnehmung ermöglicht es uns, innerhalb eines Kunstwerkes alles anders zu sehen als in der Realität, da die Dinge in diesem neuen Kontext fremd erscheinen“ (Thompson 1995, S. 30).

63 Selbst Fernsehserien und ähnliche Formate werden nahezu zeitgleich kurz nach Erstausstrahlung im Netz z.B. in Mediatheken verfügbar gemacht.

64 Es gibt zwar weiterhin digitalisierte Formen des klassischen unidirectional übertragenen Fernsehens (Stichwort DVB-Standards), aber auch diese stellen nur noch einen Dienst unter vielen dar und sind nicht zwangsläufig an ein Fernsehgerät gekoppelt.

65Bordwell & Thompson beschreiben den Neoformalismus als Fortsetzung des russischen Formalismus in der Literatur Anfang des 20. Jahrhunderts

Ähnlich wie in den Überlegungen von McLuhan zu Medien im Allgemeinen spielen dabei Wahrnehmungsgewohnheiten eine besondere Rolle, denn diese können den Zuschauenden durch Medien, die unsere Wahrnehmung herausfordern oder irritieren, bewusst gemacht werden.

McLuhan argumentiert damit, dass Medien immer Ausweitungen oder Fortsetzungen des menschlichen Körpers seien (vgl. McLuhan 1992, S. 58 ff.). Um die Sinne in Balance zu halten, bedarf es daher der Medien, die einen ausgleichenden Effekt zwischen ihnen erzielen können. Je nach Kultur und der vorherrschenden Wahrnehmungs- und damit Medienkonfiguration können diese Effekte laut McLuhan anders ausfallen (vgl. McLuhan 1992, S. 61). Die von Bordwell und Thompson beschriebene Funktion der Verfremdung von Wahrnehmung durch das Medium Film ist daher keineswegs als eine besondere Rolle dieses einzelnen Mediums zu verstehen, sondern muss, wenn man McLuhan folgt, eher als eine Grundfunktion eines jeden Mediums (und insbesondere der Kunst als Praxis im Umgang mit diesen Medien) gesehen werden. Insofern scheint es folgerichtig, dass auch mit Blick auf die neuen Medien wie beispielsweise digitale Spiele eine Form der neoformalistischen Analyse Anwendung finden kann (vgl. Fromme & Könitz 2013) beziehungsweise, dass strukturale Effekte digitaler Spiele für die Medienbildungsforschung relevant sind (vgl. Holze & Verständig 2014a, 2017). Um Medienarchitekturen verstehen zu können, kann dieser Blick des Künstlers, der mehr ist als ein Blick hinter die Kulissen, besonders hilfreich sein. Folgt man dieser Annahme, dann kann der Hacker als Gestalter und Kritiker der neuen digitalen Medien genau diesen neoformalistischen Ansatz der Kunst für sich nutzbar machen, denn er kann die Form – also Hardware und Software – nicht nur verstehen und reflektieren, sondern den Code, über den zuvor diskutiert wurde, auch beeinflussen, um damit Effekte nicht-alltäglicher Wahrnehmung zu produzieren. Die im Hackertum übliche Praxis vorhandene Computersystem auf Sicherheitslücken hin zu überprüfen und diese dann zu veröffentlichen, damit sie geschlossen werden können, gehört zu den Praktiken, die uns für die besonderen Eigenschaften und Schwächen digitaler System sensibel machen und uns deren Grenzen aufzeigen, aber auch deren Freiräume und Möglichkeiten, beispielsweise wenn es um die künstliche Erweiterung des menschlichen Körpers geht.66

Ein zweiter Punkt scheint hier relevant, und das ist der Aspekt der Unabgeschlossenheit. Das Hackertum ist, zumindest in der Grundannahme und anhand der gängigen Hackerethik offen und inklusiv gegenüber allen, die sich den Idealen des Hackertums verschreiben wollen und daher folglich äußerst heterogen. Es gibt zumindest generell keine formale Schwelle der Mitgliedschaft, keine einzelne Institution mit traditionellem Initiationsritus oder ähnliches, oder wenn es sie gibt, dann sind diese zahlreich und ebenfalls heterogen. Explizit wird Diskriminierung anhand von Geschlecht, politischer, sexueller oder religiöser Zugehörigkeit, sowie aufgrund von Rasse oder gar des Alters in der Hackerethik abgelehnt. Die Hackerkultur ist also, ähnlich wie wir es zuvor technisch dem Internet selbst attestiert haben, an den Rändern erweiterbar und nicht abgeschlossen, nicht vollständig. Das gilt auch für die Felder, in denen Hacker tätig sein können, denn das zeitgenössische Hackertum rekrutiert sich potentiell aus allen gesellschaftlichen

66Zur Diskussion der Relevanz des Körpers für Identität, Reflexion und Bildung vgl. Jörissen 2007, 2009

Bereichen und nicht etwa nur aus dem akademischen Kontext oder gar speziellen Disziplinen. Für die Dynamik des Netzes und digitaler Medien insgesamt kann, so die Vermutung, nur in einer solchen Subkultur tatsächlich eine Sensibilität existieren, die mit dem Prinzip genereller Offenheit und Tentativität wie selbstverständlich umgehen kann. Womöglich besteht darin eine notwendige Voraussetzung, um die Funktion des Künstlers, die McLuhan beschreibt, erfüllen zu können.

Anhand der aufgezeigten Parallelen zwischen Strukturmerkmalen des Mediums und den sozialen Normen der Gruppe der Hacker kann man der These von Pias zustimmen. Es gibt anscheinend klare Hinweise auf Wechselwirkungen und darüber hinaus sogar vereinzelt politisches Engagement in den Reihen der Hacker67. In der Verlängerung bedeutet das aber, und das ist implizit auch bei McLuhan heraus zu lesen, dass der mcluhansche Künstler immer auch Architekt der Medien und der Medienumgebungen ist, in denen er operiert. So wie McLuhan anhand einer Verknüpfung von Kunst- und Mediengeschichte für gesellschaftliche Entwicklungen argumentiert, zeigt das einerseits erneut, dass er deutlich von einem Technologiedeterminismus entfernt ist und andererseits, dass das Medium in seinen Effekten gewendet werden kann. Es ist zwar nicht aus sich heraus neutral, aber es kann neutralisiert werden, wenn man so will. Das ist insbesondere eine Frage für die (Medien-)Pädagogik, denn genau hier beschäftigt man sich mit den notwendigen Voraussetzungen, um Subjekten innerhalb ihrer Lebenswelt Autonomie zu verschaffen. Medien können dafür Werkzeug sein und sind gleichsam eben auch Räume, in denen Autonomie hergestellt werden muss, wie später noch an Beispielen deutlich werden wird.

67So werden beispielsweise Experten des CCC von den Ausschüssen des Bundestags zu digitalen Themen und Fragen der Netzpolitik gehört.