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2.3 Mediatisierung / Digitale Medien / Digitalisierung

2.3.1 Mediatisierung als Meta-Prozess

Der Begriff wird von Friedrich Krotz zur Beschreibung zahlreicher empirisch feststellbarer Phänomene im Umgang mit Medien eingeführt. Diesem liegt ein kommunikationsbasierter Medienbegriff zugrunde, der also enger gedacht wird als der des mcluhanschen Mediums, der aber ebenso von grundlegendem sozialen und gesellschaftlichen Wandel ausgeht. So formuliert Krotz:

„Medien sind in ihrer jeweiligen Form Teil einer spezifischen Kultur und Epoche, insofern sie in Alltag und Gesellschaft integriert sind. Dadurch, durch ihre gesellschaftliche und stabilisierte Form und weil die Menschen in Bezug auf sie soziale und kommunikative Praktiken entwickelt haben, sind sie gesellschaftliche Institutionen, die auf Technik beruhen. Die Geschichte der Menschheit kann dann als Entwicklung gesehen werden, in deren Verlauf immer neue Kommunikationsmedien entwickelt wurden und die auf unterschiedliche Weise Verwendung fanden und finden. In der Konsequenz – weil Medien sich nicht substituieren und ablösen, sondern es zu einem Ausdifferenzierungsprozess kommt – entwickelten sich immer mehr immer komplexere mediale Kommunikationsformen, und Kommunikation findet immer häufiger, länger, in immer mehr Lebensbereichen und bezogen auf immer mehr Themen in Bezug auf Medien statt. (Auch) dadurch verändern sich Alltag, Gesellschaft und Kultur“ (Krotz 2007, S. 37 f., Hervorhebung im Original).

Demnach sei der Metaprozess der Mediatisierung ein Prozess des sozialen Wandels, der sich allerdings in zahlreichen Teildimensionen vollziehe. Er wird explizit nicht als Prozess nur der digitalen oder neuen Medien betrachtet, vielmehr wird auf frühere, historische Prozesse von Mediatisierung verwiesen, insbesondere auch auf McLuhan, wenn auch nur in Bezug auf das Fernsehen und die Druckerpresse (ebd., S. 42). Dabei sei der Begriff der Mediatisierung grundsätzlich aber „zeit- und kulturgebunden“ (ebd., S. 39) zu betrachten und konkrete Prozesse seien womöglich auf spezifische Gruppen beschränkt. Krotz sieht in der Mediatisierung aktuell einen Prozess, der parallel zur Individualisierung und auch der Globalisierung stattfindet und mit diesem, in noch näher zu untersuchender Art und Weise in Verbindung steht und damit als einer der großen Metaprozesse der Moderne/Postmoderne zu sehen ist.

Ferner werden im gleichen Zuge die Konzepte von Informations- und Wissensgesellschaft kritisiert.

„Diese Konzepte postulieren notwendiger Weise ein vorher/nachher, ohne dass sie wirklich beschreiben können, wie dieses Nachher (sic) aussieht oder was genau von dem vorher wichtig war“ (ebd., S. 40). Krotz unterstellt demgegenüber, dass es einen „in der Geschichte der

Menschheit schon immer stattfindenden gesellschaftlichen Mediatisierungsprozess“ (ebd.) gebe, den es zu untersuchen gelte. Damit hebt er, ähnliche wie McLuhan und Innis, auf eine kontinuierliche Wechselwirkung zwischen Medientechnologien und gesellschaftlicher, sozialer und kultureller Entwicklung ab.

Es ist aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht natürlich plausibel, das Medium an Kommunikationsfunktionen festzumachen, aus bildungswissenschaftlicher Sicht, und das wird später an Beispielen noch deutlich werden, erscheint eine solche Fokussierung zunächst als Einschränkung, weil mediale Architekturen eben auch auf andere Arten und Weisen Bildungspotentiale freisetzen können. Trotzdem scheint der Begriff der Mediatisierung zur Beschreibung recht hilfreich, insbesondere weil er auf eine historische Kontinuität verweist und zumal er auch im wissenschaftlichen englischsprachigen Diskurs verbreitet ist.

Dem Konzept der Mediatisierung werden im Folgenden einige Annahmen unterstellt:

• Medienentwicklung sei kein technischer, sondern ein essentiell sozialer Vorgang, „insofern die sozialen und kulturellen Auswirkungen nicht aus der Technik, sondern aus dem Handeln und Kommunizieren der Menschen hergeleitet werden“

• es biete sich für handlungstheoretische Betrachtungsweise an

• es behandele die mediale Entwicklung als graduellen Prozess

• Mediatisierung könne als Bezugsmuster der theoretischen und empirischen Auseinandersetzung mit Medienentwicklung, Mediennutzung sowie des Bedeutungswandels verwendet werden

• und könne somit auch zur Bewertung empirisch feststellbarer Veränderungen herangezogen werden.

• umfasse unter anderem auch die Teilprozesse der „Individualisierung der Mediennutzung“ und der

„Globalisierung von Medieninhalten“

(vgl. Krotz 2007, S. 41)

Krotz bezeichnet seinen Ansatz einer Medientheorie, den er explizit auf die Perspektive McLuhans und seinen Leitsatz „Das Medium ist die Botschaft“ zurückführt und der im Begriff offenbar auf Meyrowitz (1986) rekurriert, als „Mediumstheorie“ (Krotz 2001a, S. 79). Zentrale Aspekte, die dabei erneut auftauchen, sind zunächst die essentiellen strukturellen Konsequenzen für Gesellschaft, in denen Medien vorhanden sind:

„Menschen konstituieren dementsprechend die Formen ihres Zusammenlebens (und damit sich selbst) anders, wenn die Gesellschaft, in der sie leben, literal ist oder über audiovisuelle Medien verfügt, als in Gesellschaften, die das nicht sind bzw. nicht tun. Medien spielen damit auch eine Rolle dafür, wie die Menschen arbeiten und ihre Freizeit verbringen, wie sie ihr Familienleben gestalten, Kontakte und Beziehungen aufnehmen oder erhalten, ihren Lebensstil wählen, was sie wissen, wie sie denken und welche Arbeits-, Organisations- und Politikformen möglich sind“ (Krotz 2007, S. 42).

Ferner ist der Fokus nicht auf die Medieninhalte zu legen, Krotz verwendet den Begriff der Medienwirkung und sieht diesem, wie auch McLuhan, nicht in exklusiver Abhängigkeit von den

Inhalten. Ein weiterer zentraler Aspekt im Anschluss and Wolfgang Riepl sei, dass neue Medien alte nicht verdrängen, sondern sich den Medienumgebungen hinzufügen, ggf. vorhandene transformieren oder, im Anschluss an die Idee des Mediums als Hybrid von McLuhan, sie umschließen. „Die Medienumgebungen der Menschen und damit ihre Kommunikationspotenziale werden also durch neue Medien vielfältiger, komplexer und zugleich spezialisierter“ (ebd., S. 43).

Während wir uns aus Sicht der Bildungswissenschaft den Fokus auf die Kommunikationspotentiale nur eingeschränkt zu eigen machen wollen, sind es die komplexen Medienumgebungen oder Medienarchitekturen, die überaus anschlussfähig scheinen. Denn mit der steigenden Komplexität von Welt gehen auch komplexere Formen von Mediennutzung einher, wie man an vielen Nutzungspraktiken im Internet, aber beispielsweise auch im Umgang mit digitalen Spielen eindrucksvoll zeigen kann. Diese inkludieren sehr häufig vordigitale Medienformen oder verweisen zumindest implizit auf sie. Die Inszenierung von Spiel- aber auch Zwischensequenzen eines narrativen Computerspiels orientiert sich beispielsweise häufig an den stilistischen Mitteln, die sich über Jahrzehnte im Spielfilm entwickelt haben. Bildsprache, Kameraeinstellungen, Mise-en-Scéne oder Schnitt werden für das digitale Spiel nicht neu erfunden, sie werden zunächst übernommen und variiert, später gegebenenfalls weiterentwickelt. Das geschieht bisweilen auch als umgekehrte Bewegung, so dass mit der Digitalisierung der Filmproduktion (insbesondere der Post-Produktion) wiederum stilistische Mittel aus digitalen Spielen Einzug in den Film gefunden haben, wie man beispielsweise 1999 im Film "Matrix" sehen konnte. Der Begriff der Medienkonvergenz (vgl. Jenkins 2008) wird häufig gebraucht um derlei Konsequenzen aus der Hybridisierung von Medien zu beschreiben.

Der Fokus von Krotz liegt ganz offensichtlich und verständlicher Weise auf dem Konzept der Kommunikation und somit auf den kommunikativen Aspekten von Medien. Im Anschluss an McLuhan, mit dem wir uns zuvor beschäftigten, ist aber auch klar, dass Medien nicht ausschließlich als Kommunikationsmedien gefasst und diskutiert werden können. So ist das Beispiel des elektrischen Lichtes, einer Technologie, die McLuhan als Beispiel für ein Medium ohne Inhalt anführt (vgl. McLuhan 2001, S. 8), in der Tat im eigentlich Sinn kein Kommunikationsmedium, es werden zweifellos keinerlei Informationen übertragen. Trotzdem veränderte seine Erfindung und generelle Verfügbarkeit menschliche Verhaltensweisen und Gesellschaftsformen in beträchtlichem Umfang. Der Alltag, die Arbeitswelt und daran anknüpfend Institutionen und Organisationen wurden durch die Möglichkeit der Beleuchtung in der Nacht oder bei wetterbedingter Dunkelheit nachhaltig transformierte oder gar erst ermöglicht.

Insofern ist eben der Fokus auf Medien und Ihre Kommunikationsfunktion eine bewusste Fokussierung, für die Zwecke der Betrachtung von Medien in Bezug auf Informationen und Wissen aber wahrscheinlich zu eng.