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2.2 Medientheorie nach McLuhan

2.2.3 Die Medientetrade

betrachtet wird. Das könnte man als Argument für einen qualitativen Modus der Medienanalyse auffassen, wie sie im Rahmen der Strukturale Medienbildung betrieben wird. Es legt aber auch die Vermutung nahe, dass der Medienbegriff in einer elektrischen Gesellschaft nicht länger fragmentiert und linear betrachtet werden kann. Medien sind dann vielmehr ein Konstrukt aus Bestandteilen, die sich gegenseitig beeinflussen und jeweils untereinander verknüpft sind. In dieser Logik beinhaltet ein Medium nicht länger genau ein Medium, sondern ist mit allen Medien eng oder lose verknüpft, womit auch plausibel wäre, warum sich Medien untereinander beeinflussen. Dieser Gedanke soll an späterer Stelle noch genauer ausformuliert werden, er lässt sich in der Tat mit einigen der späteren Veröffentlichungen McLuhans in Verbindung setzen, weshalb wir nochmals kurz zu dessen Biografie zurückkehren.

1979 erlitt McLuhan einen Schlaganfall, der seine Sprechfähigkeit und damit seine Möglichkeiten weiter zu arbeiten empfindlich beeinträchtigte. Seine Popularität ließ nach, weil er nicht länger medial präsent sein konnte. Schließungspläne des Centre for Communication and Technology (heute McLuhan Program in Culture and Technology) wurden durch seine Unterstützer verhindert.

Der Ausbau seiner Hinterlassenschaften wurde insbesondere auch von Mcluhans Sohn Eric und Derrick de Kerckhove (Direktor des Programms bis 2008) befördert. Daraus wird aber auch deutlich, dass man McLuhan zunächst (und bis in die 1990er Jahre) wenig Relevanz beimaß.

McLuhan erholte sich nie wirklich von seinem Schlaganfall und verstarb am 31. Dezember 1980 im Schlaf. Doch auch in den letzten Jahren seines Lebens hatte McLuhan zusammen mit Partnern noch an Publikationen gearbeitet, die dann erst posthum veröffentlicht werden konnten. In der öffentlichen wie auch der wissenschaftlichen Wahrnehmung werden diese Veröffentlichungen mithin nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit betrachtet wie die früheren Bestseller, nichtsdestotrotz setzen sie viele der angefangenen Projekte McLuhans konsequent fort.

Insbesondere wird ein letzter Versuch einer Systematisierung unternommen, der zumindest diskussionswürdig scheint.

nicht als lose nebeneinanderstehende Einzelphänomene. Als weiterer Aspekt des mcluhanschen Medienbegriffes kann die gegenseitige Abhängigkeit von Medium und Umgebung genannt werden, die er in späteren Veröffentlichungen mit den gestaltpsychologisch geprägten Begriffen Figur und Hintergrund (figure and ground, vgl. McLuhan & McLuhan 1988) bezeichnet hat. Damit generiert jede Technologie (jedes Artefakt) seine Infrastruktur, es verändert unser Verständnis von Zeit und Raum.

Ein sich wiederholender Vorwurf, den man McLuhan immer wieder machte, ist, dass sich seine Erkenntnisse schwerlich in abstrakten Theorien wiedergeben lassen und er selbst diesen Versuch auch nie ernsthaft unternommen hat. Tatsächlich wird schon bei der Betrachtung seiner Werke deutlich, dass er sich kaum darum bemüht kohärente Zusammenhänge aufzuzeigen, und selbst dort, wo er dies tut, findet man keine lineare Textform als systematische Argumentationslinie.

Theorien werden in teils scheinbar zusammenhangslosen Fetzen – in McLuhans Verständnis als Mosaik – dargeboten. Die von ihm entwickelten Modelle, wie das der heißen und kalten Medien, scheinen entweder nicht durchgängig plausibel oder lassen sich sehr schwer verallgemeinern, was sie gegebenenfalls schwer anwendbar macht.

“We found that everything man makes and does, every process, every style, every artefact, every poem, song, painting, gimmick, gadget, theory, technology — every product of human effort —  manifested the same four dimensions.” (McLuhan & McLuhan 1988)

Erst gegen Ende seines Lebens versucht McLuhan zusammen mit seinem Sohn Eric einige der Erkenntnisse in Modellen zu systematisieren und entwickelte aus allen seinen Beobachtungen das Konzept der Tetrade der Medieneffekte in „Laws of Media“ (McLuhan & McLuhan 1988) mit seinem Sohn Eric. Es findet sich auch ein Glossar zur Tetrade im Buch „The Global Village“

(McLuhan & Powers 1989).

In der Essenz stellt die Tetrade vier Dimensionen für Medieneffekte dar, von denen sich zwei auf die Figur (das Medium im Vordergrund) und zwei auf den Hintergrund (und damit im engeren Sinn die Medienumgebung) beziehen. Mit dem Konzept von Figur und Hintergrund (figure and ground) bezieht sich McLuhan, wie schon erwähnt, explizit auf die Gestaltpsychologie, da er in Medien immer Ausweitungen oder Prothesen des menschlichen Körpers sieht. Schon in seinen frühen Werken geht McLuhan implizit davon aus, dass das Medium und die dazugehörige Umgebung zusammen untersucht werden müssen, auch wenn man dazu neigt, immer nur jeweils eines davon in den Blick zu nehmen. Aber erst später greift er bewusst auf dieses Konzept und die Begriffe von Figur und Hintergrund zurück (vgl. auch McLuhan 1975 - Interview mit Nina Sutton). Wie schon erläutert, lag McLuhans Fokus immer auf den Auswirkungen oder Effekten der Medien, also wie sie Schemata von Raum, Zeit und Gesellschaft umgestalten. So führt das Automobil dazu, dass Straßen und Autobahnen errichtet werden und dass letztendlich Satellitensiedlungen außerhalb großer Städte entstehen konnten. Das sind grundlegend andere Effekte als beispielsweise durch die Eisenbahn entstanden waren, obwohl es sich ebenfalls um ein Transportmedium handelt:

„ ...the ground of any technology is both the situation that gives rise to it as well as the whole environment (medium) of services and disservices that the technology brings with it. These are side-effects and impose themselves willy-nilly as a new form of culture“ (McLuhan & McLuhan 1988, S. 475).

Die vier Dimensionen der Tetrade werden durch vier Fragen repräsentiert:

1. Was wird erweitert oder verstärkt? (What does it enhance?) - Figur oder Vordergrund (figure): Dabei geht es primär um die Erweiterung einer menschlichen Fähigkeit oder Körperfunktion.

2. Was veraltet, wird obsolet oder zurückgenommen? (What does it make obsolete?) - Hintergrund (ground): Bestimmte menschliche Fähigkeiten oder Charakteristika werden obsolet, nicht notwendigerweise andere Technologien

3. Was wird wiedergefunden/zurückgewonnen, das vorher obsolet geworden war? (What does it retrieve that had been obsolesced earlier?) - Figur oder Vordergrund (figure): Eine zuvor verlorene Möglichkeit oder Fähigkeit wird wieder zurückgeholt und bekommt neue Relevanz

4. Wie wird das Medium umgekehrt, wenn es an seine Grenzen gebracht wird? (What does it flip into when pushed to extremes?) - Hintergrund (ground): In Understanding Media sprach McLuhan von sogenannten break boundaries (McLuhan 2001, S. 41 f.), an denen ein Medium oder System sich umkehrt und zu seinen ursprünglichen Charakteristika entgegengesetzt entwickelt.

Häufig wird die Tetrade als fünf in X-Form angeordnete Quadrate dargestellt, in der Mitte befindet sich das Medium. Die linke Seite gilt dann den Figurdimensionen und die rechte dem Hintergrund.

Dabei sei die Tetrade nicht als wissenschaftliches Werkzeug gedacht, sondern solle zur Exploration der dynamischen Effekten von Medien eingesetzt werden, damit man die Grammatik und Syntax der Medien betrachten könne (vgl. ebd., S. 12). Ähnlich wie die vier Dimensionen der alltagsweltlichen Orientierung, die im ersten Kapitel mit der Strukturalen Medienbildung genannt wurden, sind auch die Dimensionen der Tetrade rein analytisch und treten immer gleichzeitig auf.

Offenkundig kann es auch mehrere Antworten auf die jeweilige Frage geben, es kann also nur darum gehen, anhand konkreter Phänomene Aspekte in Beziehung zu setzen und dabei Medien in ihrer jeweiligen Umgebung zu betrachten. Auch das Modell der Tetrade verfolgt den pädagogischen Anspruch, den McLuhan schon in Understanding Media formuliert hat, sich der Medieneffekte, die hochdynamisch und von der Medienumgebung insgesamt abhängig sind, bewusst zu werden.

In diesem Modell trägt McLuhan mehreren essentiellen Beobachtungen aus seiner vorhergehenden Arbeit Rechnung: Medien können nicht unabhängig von ihrer Umgebung betrachtet werden und beeinflussen sich immer gegenseitig, insbesondere auch deshalb, weil

Medien sich gegenseitig beinhalten können. Ferner sind Medien Erweiterungen des Menschen und wirken auf ihn und seinen Sinnesapparat zurück, betäuben ihn gegebenenfalls sogar für bestimmte Wahrnehmungen. Ebenso können sich Medien, wenn sie ins Extrem getrieben werden, umkehren und bringen dann gegenteilige Effekte hervor.

Das Ziel der Tetrade ist es also, das Medium mit seiner Umgebung, seinem Hintergrund zu verknüpfen und die Zusammenhänge zu verdeutlichen. Man würde natürlich noch weitere plausible Antworten auf die Fragen finden können, insbesondere wenn man konkrete Kontexte im Hinterkopf hat. Insofern ist die Behauptung, es handele sich um kein wissenschaftliches Werkzeug, eigentlich irritierend, denn man kann vor dem Hintergrund konkreter analytischer Fragen durchaus einen explorativen wissenschaftlichen Prozess damit beginnen, auch wenn das allein noch keine Fragen beantworten dürfte. Im Kontext einer Strukturanalyse stellt die Tetrade aber zumindest ein plausibles Schema dar um Medieneffekte zu einem Medium zu sammeln. In dieser Funktion soll das Schema im Verlauf der Arbeit noch zum Einsatz kommen.

Dieser letzte Ansatz einer Systematisierung umfasst nahezu alle Aspekte, die McLuhan auch schon in frühen Studien nannte und ermöglicht zumindest, die Denkweise McLuhans in Bezug auf Effekte von Medien besser nachzuvollziehen. Er verdichtet in gewisser Weise den kritischen Blick auf die Zusammenhänge von Technologie und Gesellschaft, die McLuhan lose verknüpft in seinen ersten Werken gesammelt hat. Im folgenden Kapitel soll daher auf Basis dieser Systematik in mehreren Schritten der Versuch unternommen werden, die Tetrade für das Internet und seine Dienste fruchtbar zu machen. Gleichzeitig zeigt das Modell aber auch seine Nähe zu einem pädagogischen Umgang mit den Medieneffekten auf Gesellschaft, denn das Modell wird durchaus als pädagogisches rezipiert, welches primär dazu dienen soll, sich der Medieneffekte – also der strukturierenden oder konstitutiven Kraft der Medien – im größeren Maßstab bewusst zu werden.

Die Tetrade soll daher als tentativer Zugang zur Strukturanalyse von Medien verstanden werden.

Darüber hinaus löst sich das Modell auch deutlich von der Idee einer linearen Verknüpfung oder sequenziellen Evolution von Medien ab. Durch die vier Kategorien für Effekte ergeben sich mögliche Verknüpfungen von Medien, insbesondere beispielsweise, wenn neuere Medientechnologien veraltete Aspekte zurückholen und damit gegebenenfalls auch das entsprechende Medium transformieren oder umschließen. Wie schon angemerkt worden ist und wie anhand der Tetrade noch klarer wird, finden Medien als Hybride statt, wobei ein Hybrid nicht auf einen Dualismus reduziert werden kann. Durch die Tetrade wird eher, wie zuvor schon angedeutet, auf eine komplexere Medienstruktur verwiesen, die man eben als Medienarchitektur/-en bezeichnen kann, als Medienumgebung/-en oder vielleicht auch als Mediennetzwerk/-e. Da das Netzwerk mit dem nächsten Kapitel ein essentieller Gegenstand dieser Arbeit wird, scheint diese Feststellung in mehrfacher Hinsicht lohnenswert. Nicht nur wird sichtbar werden, dass es sich beim Internet um ein Computernetzwerk der besonderen Art handelt, was seine Charakteristika qua Design angeht. Es ist als Medium auch ein Netzwerk von Medien und aufgrund seiner digitalen Infrastruktur und im Rahmen eines groß angelegten Prozesses der Digitalisierung darauf angelegt, nahezu alle Medienformate und

Medientechnologien in sich aufzunehmen und dadurch womöglich die gesamte Medienumgebung zu transformieren.

Es scheint also kein Zufall zu sein, dass man insbesondere seit den 1990ern und dem Aufkommen des Internets wieder verstärkt Bezüge zu McLuhan findet und zahlreiche Versuche ihn neu oder erneut zu interpretieren, ihn für den aktuellen Diskurs zu erschließen und auf aktuelle Medienentwicklungen zu beziehen (vgl. Leeker et al. 2008, McLuhan 1998). Denn im Kontext der digitalen Medien, so die These, erhalten viele von McLuhans Vorhersagen, teils auch eher spirituellen Natur, neue Relevanz. Nicht umsonst fiel die Wahl des Schutzheiligen des Technologie-Magazins „Wired“ auf McLuhan (vgl. Wolf 1996). Die Relevanz von McLuhan für das digitale Netz wird später noch diskutiert. Zuvor soll der besondere pädagogische Charakter von McLuhans Arbeit in den Vordergrund gerückt werden, weil dieser insbesondere, wenn man sich McLuhans disziplinäre Heimat anschaut, erstmal nicht naheliegend erscheint. Es wurde in Teilen auf die scheinbar pädagogische Zielsetzung seiner Arbeit hingewiesen und auch auf die Rezeption im Rahmen der Erziehungswissenschaft, doch die Argumentation soll an dieser Stelle noch weiter ergänzt werden.