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Empirischer Teil

8 Datenerhebung mit problemzentrierten Leitfadeninterviews

9.2 Verfahren zur Datenauswertung

Zur Auswertung von Interview-Transkripten gilt die qualitative Inhaltsanalyse als besonders geeignet, da dabei große Mengen an transkribierten Interviews auf ein geeignetes Maß reduziert werden können (Lange, 2008). Neben der qualitativen Inhaltsanalyse gibt es die Auswertung nach der Grounded Theory, die als eine der „am weitesten verbreiteten Verfahren der qualitativ-interpretativen Sozialforschung“ gilt (Strübing, 2008, 7). Beide Verfahren beinhalten die Bil-dung von Kategorien, unterscheiden sich jedoch in einigen Punkten deutlich. In diesem Ab-schnitt folgt zunächst eine kurze Vorstellung der beiden Verfahren, um anschließend die Argu-mentation für die qualitative Inhaltsanalyse darzustellen.

108 9.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring

Die Inhaltsanalyse ist eine Methode, bei der sprachliches Material untersucht wird (Mayring, 2015). Das Material entstand im Rahmen einer Kommunikation, wird protokolliert und schließ-lich auf Grundlage vorab festgelegter Regeln systematisch analysiert (Mayring, 2015). Diese Regeln entsprechen auch dem Gütekriterium der Regelgeleitetheit (Mayring, 2002) und machen die Analyse nachvollziehbar (Mayring, 2015). Dabei soll der/die Forschende das sprachliche Material auf Grundlage des bereits vorhandenen theoretischen Wissens interpretieren (May-ring, 2015). Ziel ist es, die Textstellen bestimmten Kategorien zuzuordnen (May(May-ring, 2008).

Eine Kategorie ist „das Ergebnis der Klassifizierung von Einheiten“ (Kuckartz, 2014, 41). Die Entwicklung eines Kategoriensystems ist die zentrale Aufgabe dieser Auswertungsmethode (Kuckartz, 2014). Nach Reinhoffer (2008, 125) ist es das „Herzstück“ der qualitativen Inhalts-analyse. Neben der Analyse des Inhalts der fixierten Kommunikation soll die Kommunikation selbst genau betrachtet werden (Mayring, 2015). Die Kategorien sollen auf Grundlage der In-terpretation und Bewertung des Materials durch den/die Forscher/-in kodiert werden, somit ist das Ergebnis auf das aktive Verständnis des/der Kodierenden angewiesen (Kuckartz, 2014).

Mayring schlägt daher den Begriff „kategoriengeleitete Textanalyse“ (Mayring, 2015, 13) vor.

Besonders bekannt ist in Deutschland die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring. Dieser An-satz ist nicht ausschließlich qualitativ, sondern integriert ebenfalls quantitative Verfahrenswei-sen (Mayring, 2015). Das liegt daran, dass das Material einerseits qualitativ analysiert und Ka-tegorien zugeordnet, aber schließlich auch die Häufigkeiten der KaKa-tegorien quantitativ unter-sucht werden (Mayring, 2008). Demnach enthält jede qualitative Inhaltsanalyse auch quantita-tive Schritte. Die qualitaquantita-tive Inhaltsanalyse richtet sich dabei nach folgendem Schema:

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Abbildung 11: Phasenmodell zum Verhältnis qualitativer und quantitativer Analyse (Mayring, 2010, 21)

Das dreistufige Phasenmodell zeigt, dass die qualitative Inhaltsanalyse den Mixed-Methods-Methoden zugeordnet werden kann. Die erste Phase ist qualitativ. Dabei werden die Fragestel-lung, Begriffe, Kategorien und die Analyseinstrumente entwickelt. In der zweiten Phase wird das Analyseinstrument qualitativ oder quantitativ angewandt. Dabei soll das Ziel der Analyse beachtet werden. Im letzten Schritt werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellung interpretiert.

Mayring (2015) entwickelte drei wesentliche Grundformen des Analyseverfahrens:

- Explikation: Das Ziel der Explikation ist es, dem Datenmaterial weitere Informationen oder Daten hinzuzufügen. Somit sollen Textstellen verständlicher gemacht werden und bestimmte Teile des Transkripts genauer erklärt werden. Diese Form der qualitativen Inhaltsanalyse dient demnach der Erklärung von Unverständlichkeiten.

- Zusammenfassung: Die Zusammenfassung hat eine Reduktion des Materials zum Ziel, sodass schließlich nur die wichtigsten Inhalte erhalten bleiben.

- Strukturierung: Bei der Strukturierung ist es das Ziel, das Material in vorab definierte Kategorien einzuordnen. Die deduktiv entwickelten Kategorien werden an das Material herangetragen (Mayring, 2008).

Mayring (2015) bezeichnet die Strukturierung als die zentralste inhaltsanalytische Technik.

110 9.2.2 Grounded Theory

Die Grounded Theory hat ihren Ursprung 1967 mit dem Erscheinen des Buchs ,The Discovery of Grounded Theory‘ der beiden Begründer Glaser und Straus. Die Soziologen präsentieren in ihrer Schrift ein forschungsmethodisches Vorgehen, bei dem der Schwerpunkt nicht auf die Überprüfung und Verifizierung von Hypothesen, sondern auf der Generierung von Theorien ausgerichtet ist. Ziel ist es, neue theoretische Vorstellungen zu einem Sachverhalt zu entwi-ckeln, indem der Forschende sich kreativ mit dem Datenmaterial auseinandersetzt. Die Idee entstand aus der Kritik der Autoren, dass viele Forschende nur noch Hypothesen prüfen und keine eigenen Theorien mehr erstellen (Glaser & Straus, 1967). Die Grounded Theory ist in-duktiv, das bedeutet, man entwickelt Kategorien auf Grundlage der empirischen Daten bezie-hungsweise des Materials (Kuckartz, 2014). Es wird von speziellen Fällen ausgegangen und versucht, mittels permanenter komparativer Analyse eine Verallgemeinerung zu finden (Glaser

& Strauss, 2010). Der Name dieses Verfahrens kommt von einer Arbeitsweise, „die eng am vorgefundenen Material arbeitet bzw. in den Daten verankert (grounded) ist“ (Bortz & Döring 2006, 332). Die Methode eignet sich besonders zur Untersuchung sozialer Phänomene (Glaser

& Strauss, 2010). In der Grounded Theory gibt es keine strikte Trennung der Datenerhebung und -auswertung (Kuckartz, 2014). Auf Grundlage der ersten gewonnenen Daten entstehen Hy-pothesen, die überprüft werden. Es werden somit weitere Daten gesammelt und wieder Hypo-thesen aufgestellt – mit dem Ziel, eine gegenstandsbezogene Theorie zu entwickeln (Lamnek

& Krell, 2016). Demzufolge ist die Generierung einer Theorie als Prozess zu sehen, wobei die Orientierung an bereits bestehenden Theorien bei der Datenanalyse abgelehnt wird (Glaser &

Strauss, 2010). Strauss und Corbin (1996) entwickelten hierfür ein Kodierungsverfahren als Möglichkeit, Daten zu entschlüsseln und sie anschließend wieder auf neue Weise zusammen-zusetzen. Dieses theoretische Kodieren bildet das Kernstück der Methode. Der mehrstufige dierprozess besteht aus verschiedenen Teilschritten: dem offenen Kodieren, dem axialen Ko-dieren und dem selektiven KoKo-dieren. Die drei Schritte sind jedoch nicht zeitlich voneinander abgegrenzt, sondern der/die Forscher/-in kann bei Bedarf immer wieder in einen anderen Schritt wechseln. Trotzdem beginnt das Analyseverfahren mit dem offenen Kodieren und endet meist mit dem selektiven Kodieren (Flick, 2017).

9.2.3 Entscheidung für die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring

Wie aus der Darstellung des Verfahrens zur Grounded Theory hervorgeht, eignet sich diese besonders gut für eine explorativ qualitative Untersuchung, deren Gegenstandsbereich noch

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weitgehend unerforscht ist (Mayring, 2016). Durch das induktive Verfahren sollen neue Theo-rien generiert werden. Bei der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring geschieht die Analyse des Datenmaterials im Hinblick auf die Forschungsfrage(-n). Dabei kann sowohl induktiv als auch deduktiv vorgegangen werden. Da das Theoriesegment des Bildungs- und Lernkapitals Basis der vorliegenden empirischen Untersuchung ist und sich die Forschungsfragen daran ori-entieren, ist die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring in diesem Fall besser geeignet. Auf-grund dieser Argumentation wurde im Zuge der vorliegenden Arbeit die qualitative Inhaltsan-alyse nach Mayring und spezifisch die strukturierende AnInhaltsan-alyse zur Datenauswertung verwen-det. Diese Form erscheint für die vorliegende Studie als am besten geeignet. Denn dabei legt der/die Forscher/-in bereits vor der Analyse bestimmte Kategorien fest, es wird demnach de-duktiv analysiert und kann durch inde-duktive Kategorien ergänzt werden (Mayring, 2008). Die strukturierende Inhaltsanalyse ist jedoch sehr allgemein und kann weiter in vier Formen unter-teilt werden: die formale Strukturierung, die inhaltliche Strukturierung, die typisierende Struk-turierung und die skalierende StrukStruk-turierung (Mayring, 2015). Diese Formen werden folgen-dermaßen unterschieden:

- Formale Strukturierung: Hierbei ist es das Ziel, „Strukturen im Material herauszuarbei-ten, die das Material in einer bestimmten Weise untergliedern, zerlegen, schematisieren.

So können die Struktur von Satzkonstruktionen, die Gliederung nach thematischen Ein-heiten, die Argumentationsstruktur oder bei Gesprächsprotokollen die Gesprächsstruk-tur von Interesse sein“ (ebd., 99).

- Inhaltliche Strukturierung: Das Material soll hinsichtlich bestimmter Inhalte zusam-mengefasst werden (Mayring, 2015).

- Typisierende Strukturierung: Bei dieser Form werden besondere Muster oder Merkmale aus dem Material gezogen, die zur Klärung bestimmter Sachverhalte oder Gegenstands-bereiche beitragen können (Kuckartz, 2016).

- Skalierende Strukturierung: Bei dieser Form soll die Ausprägung verschiedener Dimen-sionen auf einer Ordinalskala eingeschätzt und analysiert werden (Mayring, 2015).

Aufgrund der Zielsetzung der vorliegenden Dissertation wurde eine Kombination aus der ska-lierenden und der inhaltlichen Strukturierung verwendet. Da das PZI auf Basis des Bildungs- und Lernkapitals mit dem Ziel entwickelt wurde, einen Einblick in die subjektive Einschätzung der Ressourcen sowie deren Beziehungen untereinander zu gewinnen, soll das Datenmaterial nach der Ausprägung der verschiedenen Ressourcen eingeschätzt werden. Die Technik der ska-lierenden Strukturierung wird von einigen Autoren auch als evaluative qualitative

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lyse bezeichnet (Kuckartz, 2016). Es ist davon auszugehen, dass die Befragten über die sourcen in unterschiedlichem Maße verfügen, demnach wurden die zehn verschiedenen Res-sourcen anhand einer dreistufigen Ausprägungsskala (hoch – durchschnittlich – niedrig) ausge-wertet.

Ein weiteres Ziel ist es, die relevanten Aspekte aus den Daten zu sondieren und einen Überblick über die Verfügbarkeit von Ressourcen, Substitutionsmöglichkeiten und Stärken bildende Ka-pitale, begründet aus Erfahrungen der Einzelnen, zu schaffen. Für dieses Vorhaben wurden in der Hauptstudie zusätzlich inhaltlich strukturierende Inhaltsanalysen durchgeführt.

In der qualitativen Inhaltsanalyse ist es erforderlich, zunächst die verschiedenen Schritte der Interpretation festzulegen. Dabei geht es hauptsächlich um die Entwicklung eines Kategorien-systems (Mayring, 2015). Mayring (2015) schlägt folgende Vorgehensweise zur Einordnung des Materials in das Kategoriensystem vor: Zunächst sollen die Kategorien definiert, also prä-zise benannt und voneinander abgegrenzt werden. Anschließend sollen konkrete Textstellen als Beispiele für die verschiedenen Kategorien dargestellt werden. Diese werden als Ankerbei-spiele bezeichnet. Schließlich sollen Kodierregeln aufgestellt werden, die eine klare Zuordnung von Textstellen zu den Kategorien ermöglichen.

Um ein Kategoriensystem zu entwickeln, bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Kategorien können auf Basis des Materials induktiv gewonnen oder deduktiv zusammengestellt werden.

Die deduktive Formulierung von Kategorien ist bspw. auf Grundlage der Leitfragen des Inter-views oder auf der Basis von theoretischen Konzepten möglich (Reinhoffer, 2008). Das bedeu-tet, dass die deduktiven Kategorien vor der Analyse des Materials gebildet werden (Kuckartz, 2014). Beide Verfahren haben ihre Vor- und Nachteile. Bei der induktiven Kategorienbildung wird das Prinzip der Offenheit qualitativer Forschung anstrebt, allerdings wird kritisiert, dass theoretische Aspekte durch die Fokussierung allein auf das Material vernachlässigt werden. Die deduktive Kategorienbildung bezieht zwar theoretisches Wissen mit ein, allerdings ist die Schwäche des rein deduktiven Ansatzes eine mögliche mangelnde Offenheit (Reinhoffer, 2008). Um die Vorteile der beiden Ansätze zu erhalten und die Nachteile bestmöglich auszu-schließen gibt es für die qualitative Inhaltsanalyse eine Kombination der beiden Verfahren, nämlich die deduktiv-induktive Kategorienbildung (Kuckartz, 2014). Diese Mischform bedeu-tet, dass zunächst ein Kategoriensystem auf Basis theoretischer Überlegungen konstruiert wird.

Auf Grundlage des Materials werden dann induktiv weitere Kategorien gebildet (Kuckartz, 2014).

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Im vorliegenden Rahmen wurden die deduktive und die induktive Kategorienbildung kombi-niert. Die Kategorien wurden zunächst auf Basis des Bildungs- und Lernkapitals (Ziegler &

Stöger, 2011), also einer bereits vorhandenen Theorie, formuliert und anschließend direkt am Material in verschiedene Ausprägungsgrade eingeschätzt. Die Entscheidung für diese Vorge-hensweise wurde aufgrund der umfassenden Thematik und Zielsetzung der Dissertation getrof-fen. Das Bildungs- und Lernkapital bot eine Grundlage zur inhaltlichen Strukturierung und er-möglicht eine Vergleichbarkeit der Interviews. Somit geht die Analyse der Interviews von der Theorie aus und die theoretischen Konzepte werden auf das Material übertragen. Gleichzeitig wurden die vorhandenen Kategorien bei der systematischen Auswertung des Materials auf Grundlage von Memos ergänzt (Reinhoffer, 2008). Memos sind Anmerkungen oder Ideen des/der Forscher/-innen während der Analyse (Kuckartz, 2014). Diese Ergänzungen enthielten Informationen über Beziehungen zwischen Kapitalen, genauer gesagt Substitutionsmöglichkei-ten sowie Stärken bildende Ressourcen. Die deduktiv-induktive Vorgehensweise entspricht der Forderung nach Offenheit qualitativer Verfahren (Lamnek, 1995) und verbindet diese mit dem Kriterium der Theoriegeleitetheit, welches auch beim PZI zentral ist (Witzel, 2000).