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Ergebnisse der methodischen Auswertung

Empirischer Teil

8 Datenerhebung mit problemzentrierten Leitfadeninterviews

10.5 Ergebnisse der methodischen Auswertung

Zur Überprüfung des Interviewleitfadens kam es aufbauend auf die transkribierten Audioda-teien zu kritischen Anmerkungen, Abänderungen, Ergänzungen sowie zur Kürzung des Inter-viewleitfadens. Rückblickend zeigen sich bei den Interviews nachfolgende Vorteile sowie Probleme.

10.5.1 Interviewführung

Es ist der Interviewerin gelungen, die Befragten ausreden zu lassen und ihnen genug Zeit für Überlegungen und ausführliche Antworten zu geben. Weiter wurden in den Interviews auf-grund der guten Strukturierung stets alle zehn Ressourcen thematisiert. In manchen Interviews äußerten die Befragten teilweise einen Führungswunsch, wie bspw. BB6, indem sie fragt: „Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll jetzt. Wie, wie, worauf zielt die Frage ab?“ (51) oder

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MB3 mit der Frage „[…] Soll ich noch mehr dazu sagen, oder?“ (3). Diese Fragen können durch eine bessere Steuerung und konkretere Formulierung der Fragen vermieden werden.

Auf die von Witzel (2000) empfohlenen Mittel der Gesprächsführung wurde in den Interviews nur teilweise zurückgegriffen. Es fehlt die vorformulierte Einleitungsfrage, durch die möglich-erweise ein Teil der weiteren Fragen bereits beantwortet gewesen wäre. Allerdings wurden die einzelnen Themenfelder teilweise mit einer Einleitungsfrage begonnen, die zum Erzählen auf-fordert. Ferner fiel es der Interviewerin in den ersten Interviews noch schwer, von dem Fragen-katalog abzuweichen und bei fehlenden Informationen genauer nachzuhaken, sodass wenig all-gemeine Sondierungsfragen verwendet wurden. Allall-gemeine Sondierungen zeigen sich bspw.

in den folgenden Auszügen:

„Ok, magst du das noch genauer erzählen?“ (I, 74, Interview mit MB2)

„Gut, dann. Wirst du durch deinen Partner, Eltern, Dozenten oder so weiter ermutigt, nach deinem Studium weiter in die wissenschaftliche Forschung zu gehen?“ (I, 170)

„Schon. Aber mich persönlich interessiert das eigentlich recht wenig“ (MB2, 171).

„Ok, also von wem, wer hätte das gerne?“ (I, 172)

„Hast du schon einmal daran gedacht, dein Studium abzubrechen?“ (I, 274)

„Ja“ (BB7, 275).

„Da hast du ja am Anfang gesagt auch mal wegen der finanziellen Belastung, gab es sonst noch andere Gründe oder deswegen?“ (I, 276)

„Äh, ne, das war nur noch das Studium davor in Erlangen. Das war aber nur inhaltlich, äh, nicht das was ich machen wollte“ (BB7, 277).

Diese detailfördernde Nachfrage wurde formuliert, da die Befragte die Frage, ob sie schon ein-mal überlegt hat, ihr Studium abzubrechen, nur bejahte und nichts mehr dazu erzählte. Im ersten Teil des Interviews erzählte sie jedoch von der finanziellen Belastung. In diesem Fall zeigt sich die Prozessorientierung des Interviews. Die Interviewerin greift das vorher Gesagte auf und verknüpft es mit den weiteren Fragen.

Die Technik der Zurückspiegelung sowie Verständnisfragen wurde nur marginal verwendet.

Ein Beispiel einer Verständnisfrage findet sich in Interview MB2: „Das heißt, hauptsächlich deine Eltern finanzieren das Studium?“ (I, 63) Aufgrund der zahlreichen vorformulierten Fra-gen waren VerständnisfraFra-gen oft nicht nötig, da die Situation der Befragten auch ohne sie ver-standen werden konnte.

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Das Interview der Vorstudie besteht fast ausschließlich aus Ad-hoc-Fragen. Diese sind nach Witzel zentral für die Untersuchung, um die Vergleichbarkeit der Interviews zu sichern. Wie bereits erwähnt, hielt sich die Interviewerin meist streng an den Interviewleitfaden, dadurch bestehen die Interviews der Vorstudie aus einer Vielzahl von Ad-hoc-Fragen, bspw. im Inter-view BB6: „Die Qualität der Lehrveranstaltungen, wie empfindest du die?“ (I, 171).

An dieser Stelle wird direkt nach dem didaktischen Bildungskapital der Befragten gefragt. Die Befragte hat im Verlauf des Interviews dazu noch nichts gesagt, aber da das didaktische Kapital für die Untersuchung relevant ist, wurde das Gespräch darauf gelenkt.

Zusammenfassend richtete sich die Interviewerin zu sehr nach dem Leitfaden und es wurde Kapital für Kapital abgefragt. Eine strukturierte Herangehensweise und die erweiterte Nutzung der Mittel der Gesprächsführung sind daher das Ziel für die Interviewführung in der Hauptstu-die. Durch Rückmeldungen von Arbeitskollegen und die eigene kritische Sichtweise konnte sich die Forscherin im Verlauf der Vorstudie zu einer kompetenten Interviewerin entwickeln.

Mit den Interviews konnte die Interviewerin zunehmend Erfahrungen sammeln, um für die Hauptstudie sicherer auftreten zu können, sodass sie sich nicht mehr so stark an dem Leitfaden orientieren muss.

10.5.2 Soziodemografischer Kurzfragebogen

Der standardisierte Kurzfragebogen wurde mit den ersten beiden Teilnehmerinnen telefonisch vor Beginn des Interviews angewendet. Das nahm jedoch viel Zeit in Anspruch, sodass dieser den nachfolgenden Befragten vorab per E-Mail zugeschickt wurde und diese ihn noch vor Durchführung des Interviews ausgefüllt zurücksendeten. Das erwies sich als eine sehr gute Lö-sung. Der Kurzfragebogen ist aus zwei Gründen zweckdienlich: Einerseits erhielt die Forsche-rin dadurch bereits einen kurzen Überblick über die Lebenssituation der Befragten. Das Vor-handensein dieser zentralen Informationen erleichterte ihr den Einstieg in das Gespräch. Dar-über hinaus ist es ein Faktor zur Zeitersparnis, da diese Fragen nicht mehr während des Inter-views gestellt werden mussten.

10.5.3 Bewertung der Fragen und Antworten des Interviewleitfadens

Insgesamt generiert der Fragenkatalog eine Menge an Informationen und Datenmaterial und er enthält viele für den Forschungsgegenstand ergiebige Fragen. Speziell bei den offen gestellten

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Fragen können interessante Sichtweisen der Befragten zum Vorschein kommen. Dies zeigt sich bspw. beim kulturellen Kapital hinsichtlich der Einstellung bezüglich traditioneller Lebensfor-men oder dem subjektiven Empfinden der Situation von Frauen in den MINT-Domänen. Viele Fragen sind gut verständlich und alltagsnah gestellt. Gleichwohl liegen einige Punkte vor, die bei der Entwicklung des Interviewleitfadens für die Hauptstudie beachtet werden müssen, so-dass dieser optimal gestaltet ist.

Ein zentraler Kritikpunkt ist das Zeitkriterium. Das Interview ist mit ca. 130 Fragen und einer Länge von 40 bis 120 Minuten deutlich zu lang, was sich vor allem in den Antworten am Ende der Interviews widerspiegelt. Die Fragen zum episodischen und attentativen Kapital wurden von allen Befragten sehr knapp, oft jeweils nur mit einem Wort beantwortet, sodass wenige Informationen zu diesen beiden Ressourcen vorliegen. Das lässt sich teilweise auf die Länge des Interviews zurückführen, das von 40 Minuten bis zu zwei Stunden gedauert hat. Eine Kür-zung des Leitfadens ist demnach wichtig. Zur KürKür-zung stehen vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung, welche in diesem Kapitel vorgestellt werden.

Eine Möglichkeit, ist eine Einleitungsfrage zu Beginn des Interviews, bei der die Befragten zunächst offen über ihren Werdegang sprechen können. Somit kann ein Teil der Fragen bereits abgedeckt werden. Auch die Eingangsfragen zu den einzelnen Ressourcen sollen jeweils mit einer offenen Frage beziehungsweise einer Erzählaufforderung beginnen. Bei fehlenden Infor-mationen kann dann weiter nachgehakt werden. Dies wurde im vorliegenden Interview nur teil-weise erfüllt, bspw. ökonomischen Kapital mit der Frage, wie die Befragte ihr Studium finan-ziert. Beim sozialen Kapital hat sich die Einleitungsfrage bspw. als unangemessen erwiesen, da sie nicht offen genug ist. Es empfiehlt sich eine breite Einstiegsfrage, in der die Unterstützung im Hinblick auf das MINT-Studium und die berufliche Laufbahn durch Familie, Partner/-in, Freunde, Kommiliton/-innen, Dozierende und Mentor/-innen abgefragt wird. Diese Frage ist sehr breit gefächert und damit wird bereits ein Großteil der weiteren Fragen zum sozialen Bil-dungskapital abgedeckt. Im Anschluss an die Frage können noch weitere Aspekte geklärt wer-den, welche die Befragte möglicherweise nicht erwähnt hat, beziehungsweise bei interessanten Punkten noch weiter nachgehakt werden. Auch beim attentativen Kapital ist die Eingangsfrage zu geschlossen, sodass die Befragten zunächst nur mit einem Satz antworten. Es erscheint sinn-voll, einige der acht Fragen zu einer offenen Eingangsfrage zusammenzufassen. Es wird bspw.

einzeln nach der Ablenkbarkeit, nach Konzentrationsproblemen sowie nach Ausdauerproble-men beim Lernen gefragt. Das alles kann zusamAusdauerproble-mengefasst werden.

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Insgesamt sind viele Fragen zu geschlossen, wodurch die Offenheit des Interviews beeinträch-tigt ist, bspw. die Frage beim kulturellen Kapital, ob die Studentinnen bereits Widerstand oder Unverständnis bezüglich ihres Studienfachs erfahren haben. Diese wird von einigen nur kurz verneint. Besonders die Fragen zum episodischen Kapital müssen hinsichtlich einer weiteren Öffnung überarbeitet werden. Weiterhin sind Fragen zu nennen, die sich als überflüssig erwie-sen haben, da sie keine neuen Erkenntnisse über den Forschungsgegenstand lieferten. Ein Bei-spiel ist die Frage nach der Menge an männlichen und weiblichen Lehrkräften in den MINT-Fächern in der Schule. Die Befragten gaben hier alle ein gemischtes Profil mit etwas höherem Männeranteil an.

Aufgrund der Zeitersparnis können auch einige Fragen in den standardisierten Kurzfragebogen übernommen werden. Beispielsweise befassen sich die ersten Fragen zum sozialen Kapital mit der (möglichen) Beziehung der Befragten und dem/der Partner(-in), sowie dessen/deren Ein-stellung, welche soziale Rolle die Befragte im Anschluss an das Studium einnehmen soll. Es erscheint sinnvoller, die Frage nach der Beziehung in den soziodemografischen Kurzfragebo-gen aufzunehmen, sodass diese FraKurzfragebo-gen bei Alleinstehenden direkt übersprunKurzfragebo-gen werden kön-nen. Auch die Fragen nach der Konfession, dem Migrationshintergrund und der Muttersprache sind geschlossen, daher werden diese in dem soziodemografischen Kurzfragebogen aufgenom-men und hier beim kulturellen Kapital gestrichen.

Wichtig ist für die Interviewführung im Rahmen der Hauptstudie, sensible Fragen aus dem Interview zu kennen und darauf vorbereitet zu sein. Zunächst entstanden Bedenken, dass sich die Fragen zum ökonomischen Kapital als schwierig erweisen würden, da es sich aufgrund der finanziellen Situation um sehr sensible Daten handelt. Diese anfängliche Skepsis wurde jedoch nicht erfüllt und die Befragten gaben Auskunft über ihre finanzielle Situation. Auch die Fragen zum organismischen Kapital zielen auf sehr private Informationen ab, bspw. ob die Befragte an einer Krankheit leidet, die ihre kognitive Leistungsfähigkeit einschränkt. Eine der Befragten reagierte emotional auf dieses belastende Thema und erzählte von ihrer schweren Depression, worauf ich im Interview nicht vorbereitet war. Es ist wichtig, sich vor den Interviews bewusst zu machen, dass bestimmte Themen emotional belastend sein und negative Gefühle thematisiert werden können. Daher ist es bei der Vorbereitung auf die Interviews von Vorteil, sich mit mög-lichen Reaktionen der Interviewteilnehmer auseinanderzusetzen, um diese entlasten zu können (Helfferich, 2005). Beispielsweise äußerte die Befragte Selbstzweifel, auf die ich in der Inter-viewsituation genauer eingehen hätte können. Es sind also gewisse Kompetenzen – wie bspw.

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Sensibilität – notwendig, um auf den/die Interviewpartner/-in einzugehen (Rager, Oestmann, Werner, Schreier & Groeben, 1999).

Am Ende wurden die Interviewten gebeten, Zusatzinformationen über sich und ihr Studium zu geben, die sie im Rahmen dieses Interviews noch als wichtig erachteten. Somit erhielten die Befragten die Gelegenheit, weitere für sie relevante Informationen unabhängig von den formu-lierten Fragen zur Thematik zu geben. Diese offene Frage am Ende stellte sich als gut heraus.

Neben diesen Änderungen ist es in Bezug auf die Forschungsfragen wichtig, weitere Fragen in den Leitfaden aufzunehmen. Hier sind solche Fragen gemeint, die Beziehungen zwischen den Kapitalen zeigen, sodass die Substitutionsmöglichkeiten und mögliche positive Auswirkungen eines Kapitals auf eine andere Ressource der Befragten direkt angesprochen werden. Beispiels-weise soll durch gezieltes Nachfragen eruiert werden, ob ein wenig ausgeprägtes Kapital sub-stituiert werden kann und wenn ja, wie. Beispielsweise könnte bei viel Stress und somit niedri-gem organismischen Kapital gefragt werden, was die Befragte in solchen Stresssituationen ge-tan hat. Möglicherweise hat sie sich an eine/-n Mentor/-in gewandt, der ihr diesbezüglich Tipps gegeben hat, sodass der Mangel an organismischem Kapital durch soziales Bildungskapital substituiert werden konnte.

10.5.4 Zusammenfassung der methodischen Auswertung

Insgesamt wurde der Zeitaufwand vorher falsch beurteilt und in vielen Interviews sank im Ver-lauf die Aufmerksamkeit der Befragten sowie die Länge ihrer Antworten, was eine Minderung der Antwortqualität zur Folge hatte. Das längste Interview nahm mit 120 Minuten sehr viel Zeit in Anspruch. Ein Grund dafür war die große Menge an Fragen des Leitfadens. Das Kürzen des Interviewleitfadens ist demnach unerlässlich. Denn bei einem zu langen Leitfaden erhält der/die Forscher/-in am Ende eine große Fülle an Datenmaterial, das seriös nur mit einem hohen Zeit-aufwand auszuwerten ist. Es ist demnach fundamental, die Fragen stets und konsequent mit dem Forschungsgegenstand abzugleichen und die Wichtigkeit abzuwägen (Mayer, 2002, 44).

Weiter kann der Leitfaden verbessert werden, indem mit einer offenen Einleitungsfrage begon-nen wird und zwischen den verschiedebegon-nen Themenkomplexen Übergangsfragen eingebaut wer-den. Da insgesamt zehn verschiedene Themenkomplexe angesprochen werden, ist es wichtig, die Übergänge besser zu gestalten, denn der plötzliche Wechsel von einem Thema zum nächs-ten wirkt irritierend auf die Befragnächs-ten. Durch die Übergangsfragen werden die Übergänge sanf-ter und das Gespräch gerät nicht aufgrund von Irritationen ins Stocken. Im Hinblick auf die

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Forschungsfragen wird der Interviewleitfaden um Fragen zu Substitutionsmöglichkeiten und Stärkenbildungen ergänzt.

Im nächsten Kapitel folgt die Diskussion der Vorstudie, um anschließend den Prozess der Da-tenerhebung und -auswertung sowie die Ergebnisse der Hauptstudie detailliert darzustellen.