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Diskussion der qualitativen Vorstudie

Empirischer Teil

8 Datenerhebung mit problemzentrierten Leitfadeninterviews

10.6 Diskussion der qualitativen Vorstudie

In diesem Kapitel werden zunächst die Vorteile und Grenzen der Methodik aufgezeigt und an-schließend die aus der Auswertung der Vorstudie gewonnenen Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfragen interpretiert. Darauffolgend wird auf die Güte der Ergebnisse eingegangen und abschließend ein Ausblick auf die Hauptstudie gegeben.

10.6.1 Diskussion der Methode

Das qualitative Vorgehen erweist sich in diesem Bereich als fruchtbar, da möglichst individu-elle Aspekte und Bildungswege von Frauen erfasst werden konnten. Dies kann durch die vor-liegenden Ergebnisse bestätigt werden. Die Entscheidung, die Erhebung mit problemzentrierten Leitfadeninterviews durchzuführen, stellte sich als sinnvoll heraus. Die Befragten konnten dadurch ihren Bildungsweg und die verwendeten Ressourcen differenziert beschreiben. Es konnten Nachfragen gestellt und somit auf viele Aspekte genauer eingegangen werden.

Die qualitative Inhaltsanalyse bot bei der Analyse des Datenmaterials vielfältige Möglichkei-ten, sodass die Interviews sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewertet wurden. Mithilfe der Technik der skalierenden Strukturierung konnten Mittelwerte der Ausprägungen der deduk-tiven Kategorien bestimmt werden. Neben dem dedukdeduk-tiven Vorgehen wurden induktiv mithilfe von Zusammenfassungen weitere Ergebnisse aus dem Material gefiltert. Auf Grundlage dieser induktiv gewonnenen Erkenntnisse konnten Substitutionsmöglichkeiten und verstärkende Ka-pitale beschrieben werden.

Es zeigten sich allerdings auch einige limitierende Faktoren, die bei der Interpretation der Er-gebnisse berücksichtigt und nun offengelegt werden. Eine wesentliche Limitation der Studie bildet die geringe Stichprobe von nur sechs Befragten. Durch diese geringe Anzahl an Befrag-ten sind die Ergebnisse der Studie nicht repräsentativ. Die zweite Limitation bezieht sich auf die telefonische Durchführung der Interviews. Dies ist für die qualitative Forschung weniger

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geeignet, da sie „durch das fehlende visuelle Element einen unpersönlichen, ja anonymen Cha-rakter [erhalten]“ (Lamnek, 1995, 59). Diese Anonymität wurde in den geführten Interviews deutlich, es war schwer, einen persönlichen Bezug und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, sodass die Antworten vielleicht nicht die Tiefe erreichten, wie in anderen Situationen möglich gewesen wäre. Holbrook, Green und Krosknick (2003) verglichen in einer Studie das Antwort-verhalten der Befragten in Telefon- und Face-to-Face-Interviews. Sie stellten fest, dass die feh-lende vertrauensvolle Atmosphäre bei einem Telefoninterview dazu führt, dass die Befragten eher sozial erwünscht antworten. Ein Skype-Interview wäre als Kommunikationsmedium bes-ser geeignet. Denn dabei können auch etwaige nonverbale Signale gezeigt und gesehen werden.

Diese sind in einem Interview von besonderer Bedeutung, da der/die Interviewende auf diese Weise signalisieren kann, dass die Erzählungen des/der Gesprächspartners/-in in die richtige Richtung gehen beziehungsweise interessant sind (Helfferich, 2005).

In der Pilotstudie wurden bezüglich des Interviewleitfadens einige Probleme deutlich, allen vo-ran die Länge des Interviews. Weiter fehlten konkrete Fragen bezüglich Substitution und Stär-kenbildung, sodass sich die Zuordnung der Beziehungen zwischen den Ressourcen in eine der beiden Gruppen teilweise als schwierig erwies. Zudem fiel während der Bearbeitung der transkribierten Daten auf, dass an manchen Stellen Nachfragen zu detaillierteren Erkenntnissen geführt hätten. Um diesen Problemen entgegenzuwirken, wird der Leitfaden für die Hauptstudie gekürzt und optimiert, sowie konkrete Fragen bezüglich der Substitution und Stärkenbildung hinzugefügt. Das getestete Instrument kann nach der Modifikation als weitgehend optimal an-gesehen werden, sodass der Interviewleitfaden für die Hauptstudie verwendet werden kann.

Nachfolgend werden ausgewählte Ergebnisse der Vorstudie dargestellt und interpretiert, sowie Hypothesen für die Hauptstudie aufgestellt.

10.6.2 Interpretation der Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfragen

Ziel der Vorstudie war es, in kleinem Rahmen zu erforschen, ob es einen Zusammenhang zwi-schen den vorhandenen Ressourcen und der Weiterqualifikation durch einen universitären Mas-ter gibt. Hierfür wurde ein InMas-terviewleitfaden entwickelt und dieser erstmals im Rahmen einer Studie zur Erhebung des Bildungs- und Lernkapitals von MINT-Studentinnen, die sich in der Statuspassage von der Ausbildung in die Berufstätigkeit oder in die nächsthöhere Qualifizie-rungsstufe befinden, angewandt. Anschließend wurde der Interviewleitfaden modifiziert. Wei-ter sollten bereits Beziehungen zwischen den Ressourcen und die Bedeutung derer für die

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MINT-Frauen erarbeitet werden. Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse der Vorstudie zu-sammenfassend dargestellt und interpretiert.

Ergebnis 1: Es gibt einen Zusammenhang zwischen den vorhandenen Ressourcen von MINT-Studentinnen und der Entscheidung zu einem weiterqualifizierenden Masterstudium.

Mittels evaluativer qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2016) konnte in dieser Pilotstudie ge-zeigt werden, dass es große Differenzen im Kapitalvorkommen zwischen den beiden Ver-gleichsgruppen gibt. Die Studentinnen, die sich für ein Masterstudium entschieden haben, ver-fügen durchschnittlich in neun von zehn Ressourcen über ein höheres Kapitalvorkommen als die Gruppe, die nach dem Bachelor-Studium die Universität verlässt. Diese weist lediglich im ökonomischen Kapital eine höhere Ausprägung auf. Somit lassen die Ergebnisse der Inter-viewanalyse auf einen Zusammenhang zwischen dem vorhandenen Bildungs- und Lernkapital und der Weiterqualifikation an der Universität schließen. Es konnte im kleinen Rahmen gezeigt werden, dass jene Studentinnen, die sich für ein Masterstudium entscheiden, deutlich besser mit Kapitalen ausgestattet sind. Da ein höherer Bildungsabschluss jedoch mit einem schnelleren Aufstieg in der Karriere korreliert (Sicherman & Galor, 1990) ergibt sich aus dem Ergebnis folgende Hypothese:

H1: Frauen in MINT-Führungspositionen haben durchschnittlich mehr Ressourcen zur Verfügung als Frauen in untergeordneten Positionen.

Besonders auffällig sind die soziale, die infrastrukturelle, die aktionale, die telische und die episodische Ressource, da sie bei der Gruppe MB besonders hoch ausgeprägt sind. Bei der Gruppe BB sind diese – mit Ausnahme des episodischen Kapitals – nur durchschnittlich vor-handen. Daraus kann die Hypothese formuliert werden, dass diese fünf Ressourcen besonders wichtig für Frauen im Hinblick auf die Karriereentwicklung im MINT-Bereich sind:

H2: Bei der Entwicklung von besonderen Leistungen in MINT sind für Frauen fünf Ressourcen von besonderer Bedeutung: die soziale, die infrastrukturelle, die aktionale, die telische und die episodische Ressource.

Ergebnis 2: Es gibt Beziehungen zwischen den Ressourcen.

Durch vertiefende Einzelfallinterpretationen konnten Beziehungen zwischen Kapitalen festge-stellt werden. Diese Beziehungen wurden weiter unterteilt im Hinblick darauf, ob ein Kapital einen Mangel substituiert oder es ein bereits gut ausgeprägtes Kapital noch weiter stärkt. Dabei zeigte sich quantitativ kein Unterschied zwischen den beiden Untersuchungsgruppen. Im Rah-men der Interviews wurde einmal mit dem attentativen Lernkapital und dreimal mit der sozialen Ressource substituiert.

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H3: Ein Mangel an Ressourcen bezüglich des MINT-Bereichs kann substituiert werden.

Auch hinsichtlich der verstärkenden Wirkung scheint das soziale Kapital bedeutend zu sein.

Das bereits vorhandene soziale Kapital generiert in sechs Fällen mehr Kapital, gefolgt vom telischen Lernkapital, das zweimal verstärkend wirkt. Die kulturelle und die aktionale Res-source zeigen jeweils einmal eine verstärkende Wirkung. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Ausstattung von sozialem, telischem, kulturellem und aktionalem Kapital die übrige Ressourcenbildung begünstigt.

H4: Eine hoch vorhandene Ressource kann zur Stärkung der eigenen (anderen) Ressour-cen eingesetzt werden.

Allerdings konnten nicht zwischen allen Ressourcen Beziehungen festgestellt werden. Bei-spielsweise wird das episodische Lernkapital weder zur Stärkung noch zur Substitution ver-wendet.

Allen Befragten gemein ist, dass ihnen von jeder Kapitalart zumindest ein Minimum zur Ver-fügung steht. Da keine der Befragten ein gänzlich abstinentes Kapital aufweist, kann die Frage nach dem Gesetz des Minimums nicht beantwortet werden. Allerdings gibt es bei zwei Frauen der Gruppe BB Anzeichen dafür, dass die Entscheidung gegen ein Masterstudium aufgrund eines Kapitalmangels getroffen wurde. Eine Befragte hat Probleme im ökonomischen, organis-mischen und attentativen Kapital. Sie gibt jedoch nicht explizit an, dass sie deswegen die Bil-dungslandschaft verlässt. Eine weitere Befragte der Gruppe BB weist Mängel im organismi-schen, telischen und attentativen Lernkapital auf, sodass diese ebenfalls zum Ausstieg beitragen können. Auf Grundlage dieser Überlegungen lässt sich die Hypothese aufstellen, dass das öko-nomische, das organismische, das telische und das attentative Kapital nicht gänzlich abstinent sein dürfen, ansonsten greift das Gesetz des Minimums.

Zusammenfassend lassen sich folgende Hypothesen für die Hauptstudie aufstellen:

H1: Frauen in MINT-Führungspositionen haben durchschnittlich mehr Ressourcen zur Verfügung als Frauen in untergeordneten Positionen.

H2: Bei der Entwicklung von besonderen Leistungen in MINT sind für Frauen fünf Ressourcen von besonderer Bedeutung: die soziale, die infrastrukturelle, die aktionale, die telische und die episodische Ressource.

H3: Ein Mangel an Ressourcen bezüglich des MINT-Bereichs kann substituiert werden.

H4: Eine hoch vorhandene Ressource kann zur Stärkung der eigenen (anderen) Ressour-cen eingesetzt werden.

180 10.6.3 Güte der Ergebnisse

Die Ansprüche an die sechs Gütekriterien der qualitativen Sozialforschung nach Mayring (2002) wurden in der Vorstudie folgendermaßen beachtet: Die Forderung der Verfahrensdoku-mentation wird im Zuge dieser Arbeit dahingehend erfüllt, dass der Forschungsprozess detail-liert von der Erstellung des Interviewleitfadens bis hin zur Auswertung mithilfe der MAXQDA-Software im Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring dokumentiert wird. Um der argumentativen Interpretationsabsicherung gerecht zu werden, wurde im Rahmen des Theorie-teils der Dissertation das Vorwissen zum Themenbereich ,Frauen in MINT‘ systematisch erar-beitet. Die Interpretationen aus den Interviews wurden im empirischen Teil dieser Arbeit mit direkten Zitaten untermauert. Im Sinne der Regelgeleitetheit wurden im Zuge der vorliegenden Dissertation differierende Regeln verwendet. Einerseits die Transkriptionsregeln, die in Kapitel 9.1 (Transkription) dargestellt wurden und andererseits die Regeln zur Vorgehensweise bei der Auswertung einer evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse. Diese Regeln sind im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse besonders bei der Bildung von eindeutigen Kategorien wichtig (Lange, 2008). Die Themenbereiche, die in dieser Forschungsarbeit erfragt werden, beziehen sich auf das MINT-Studium beziehungsweise die Arbeit der Befragten. Die Frauen haben dem-nach alle einen Bezug zu diesem Themenfeld, somit ist auch die Nähe zum Gegenstand erfüllt.

Eine kommunikative Validierung wurde aufgrund der beschränkten Ressourcen nicht durchge-führt. Im Hinblick auf die Triangulation wurden in dieser Dissertation multiple Untersuchungs-gruppen gebildet. Zudem wurden im Theorieteil der Arbeit verschiedene theoretische Perspek-tiven auf die Ursachen der Leaky Pipeline erarbeitet.

Des Weiteren müssen die Ergebnisse in Bezug auf die Beziehungen zwischen den Ressourcen mit Vorsicht genutzt werden, da im Interviewleitfaden konkrete Fragen dazu fehlen. Es wurde lediglich das Vorhandensein des Bildungs- und Lernkapitals abgefragt, die Substitutionsmög-lichkeiten und verstärkenden Ressourcen wurden im Nachhinein anhand der Interviews von der Forscherin interpretiert. Die Zuordnung ob Substitution oder Stärken bildend stellte sich teil-weise als schwierig heraus.

10.6.4 Ausblick auf die Hauptstudie

In der Vorstudie konnte ein Zusammenhang zwischen einem hohen Ressourcenvorkommen und der Entscheidung zu einem weiterqualifizierenden Masterstudium in MINT ermittelt wer-den. Im Rahmen der Hauptstudie soll das Interview nun an der eigentlichen Stichprobe

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wandt werden. Ziel ist es, Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit von Ressourcen zwi-schen MINT-Frauen in unterschiedlichen Karrierestufen zu finden. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Vorstudie kann die Hypothese formuliert werden, dass Frauen in MINT-Füh-rungspositionen besser mit Bildungs- und Lernkapital ausgestattet sind als jene Frauen ohne Führungsverantwortung.

Ferner bestätigte die Vorstudie die Vermutung, dass Ressourcen nicht künstlich isoliert vonei-nander betrachtet werden dürfen, sondern vielfältig untereivonei-nander in Beziehung stehen. Es gibt Ressourcen, die andere verstärken und solche, die einen Mangel kompensieren können. In der Hauptstudie soll nun überprüft werden, ob sich die verschiedenen Gruppen von Frauen hin-sichtlich der Beziehungen zwischen den Kapitalen unterscheiden und wenn ja, inwiefern.

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11 Hauptstudie

Die vorliegende qualitativ-explorative Hauptstudie befasst sich mit der Frage, ob der Grund für die verschiedenen Karrierewege von Frauen in MINT mit deren Bildungs- und Lernkapitalen sowie der Substitution und Stärkenbildung dieser einhergeht.

Zunächst wird in der Hauptstudie die Frage adressiert, inwieweit die verschiedenen Kapitalar-ten Einfluss auf den weiteren Karriereweg von Frauen nach einem MINT-Studium nehmen. Ein möglicher Zusammenhang zwischen Erfolg im MINT-Beruf und der Höhe des Bildungs- und Lernkapitals soll dargestellt werden. Anschließend sollen die in der Vorstudie ermittelten Be-ziehungen zwischen den Kapitalarten überprüft sowie weitere mögliche Substitutionsmöglich-keiten und Stärken bildende Kapitale identifiziert werden.

11.1 Datenerhebung

Im Zuge der Hauptstudie kommen sowohl ein soziodemografischer Kurzfragebogen sowie ein problemzentriertes Leitfadeninterview nach Witzel (2000) zum Einsatz. Diese Kombination hat sich in der Vorstudie als gut erwiesen.

11.1.1 Instrument der Datenerhebung

Für die Datenerhebung der Hauptstudie wurde der modifizierte Leitfaden aus der Vorstudie verwendet. Zusätzlich wurde er bei jeder Kapitalart um je eine Frage zur Substitution sowie zur positiven Auswirkung auf andere Ressourcen erweitert. Die folgende Tabelle zeigt einen Aus-schnitt aus dem Interviewleitfaden. Das vollständige Interview befindet sich im Anhang.

Tabelle 16: Auszug aus dem Interviewleitfaden (Hauptstudie)

Leitfrage (Erzählaufforderung) Mögliche

Zu Beginn bitte ich Sie, mir einen Über-blick über Ihren Studien- und Karrierever-lauf bezüglich des MINT-Fachs zu geben.

Welche Beweggründe haben Sie dazu ver-anlasst, ein MINT-Fach zu studieren?

Wie hat sich Ihre weitere berufliche Lauf-bahn seit dem abgeschlossenen MINT-Studium entwickelt?

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Ökonomisches Bildungskapital

In dem ersten Teil geht es um die Finan-zierung Ihres Bildungswegs. Wie haben

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Sie das Studium und Ihren Bildungsweg finanziert? (Promotion etc.)

Konnten Sie sich Geldausgaben für das Studium und den Beruf problemlos leis-ten?

Denken Sie, dass Sie finanziell mehr Möglichkeiten hatten als andere? / Haben Sie mehr Geld als andere in die MINT-Bildung investiert?

Wurden Ihnen Fort- und Weiterbildungen nach dem Studium finanziert? (z. B. vom Arbeitgeber)

Bitte erläutern Sie möglichst konkret, wie Personen aus Ihrem sozialen Umfeld auf Ihr MINT-Studium und Ihre berufliche Tätigkeit im MINT-Bereich reagiert ha-ben (Haltung der Familie, Freunde, Kom-militonen, Arbeitskollegen, Vorgesetz-ten).

Wurden Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn je mit stereotypen Klischees konfrontiert?

Zunächst wurde bei jedem Kapital das Vorhandensein dessen mithilfe der Leitfragen abgefragt.

Sobald die Interviewerin im Interview individuell feststellte, dass ein Defizit eines Kapitals vorlag, wurde zusätzlich in einem zweiten Teil geklärt, ob der Mangel entweder durch imma-nente oder komplexe Substitution substituiert wurde. War keine Substitution möglich, so wurde analysiert, ob aufgrund der fehlenden Substitution eine Entscheidung bezüglich des weiteren Karrierewegs gefällt wurde. War ein Kapital sehr stark ausgeprägt, so wurde zusätzlich die Frage bezüglich einer verstärkenden Wirkung gestellt. Dabei sollte erforscht werden, inwiefern die hoch ausgeprägte Ressource positive Auswirkungen auf andere Kapitale hat. Für sämtliche Vergleichsgruppen wurde derselbe Interviewleitfaden genutzt, da nur so die Daten anschlie-ßend vergleichend ausgewertet werden können (Rager, Oestmann, Werner, Schreier & Gro-eben, 1999).

Neben dem Interviewleitfaden wurde ein soziodemografischer Kurzfragebogen (Witzel, 2000) eingesetzt. Dieser enthielt Fragen bezüglich Alter, Staatsbürgerschaft, Familienstand, familiä-ren Hintergrunds, Studium, Universität, Jahr des Studienabschlusses, beruflicher Position und Anzahl der Kinder. Durch die Fragen zum familiären Hintergrund erhält die Forscherin einen Einblick in die Berufstätigkeit der Eltern, die möglicherweise relevant auf dem Bildungsweg der Befragten war. Durch die im Rahmen des Kurzfragebogens erhobenen Daten erhält die Forscherin einen Überblick über die Befragte und kann die Frauen später besser vergleichen.

184 11.1.2 Sampling

Die Auswahl der Untersuchungsgruppe der Hauptstudie wurde nach dem Prinzip der heteroge-nen Auswahl getroffen (Lamnek & Krell, 2016). Das bedeutet, es wurden bewusst heterogene Gruppen von Frauen gebildet. Die Bildung von „multiplen Vergleichsgruppen“ (Lamnek &

Krell, 2016, 110) bietet den Vorteil, dass sowohl Gegensätze als auch Zusammenhänge der Gruppen herausgearbeitet werden können. Die Befragten gelten dabei jeweils als Repräsentan-ten ihrer Gruppe (Mayer, 2002).

Da aufgrund der Ergebnisse der Vorstudie davon ausgegangen wird, dass es Unterschiede in den vorhandenen Ressourcen von MINT-Frauen gibt, zielte die Wahl der Interviewpartnerin-nen darauf ab, drei verschiedene Perspektiven einzubeziehen. Die Frauen, die sich durch ihr Studium für eine berufliche Laufbahn in MINT entschieden haben, wurden jeweils in eine der nachfolgenden Gruppen eingeteilt:

- Gruppe 1: Frauen, die ein MINT-Studium abgeschlossen haben, jetzt aber nicht mehr in diesen Domänen berufstätig sind.

- Gruppe 2: Frauen, die ein MINT-Studium abgeschlossen haben und in diesen Domänen ohne Führungsaufgaben in der Wissenschaft oder Wirtschaft berufstätig sind.

- Gruppe 3: Frauen, die ein MINT-Studium abgeschlossen haben und eine Spitzenposi-tion in ihrer Domäne in der Wissenschaft oder Wirtschaft erreicht haben.

Gruppe 1 wird interviewt, um einen Kontrast zu den anderen beiden Gruppen herzustellen. Zu-dem kann dergestalt herausgearbeitet werden, ob sie den MINT-Bereich aufgrund von fehlen-den Ressourcen verlassen haben. Diese Gruppe wird im Folgenfehlen-den als Gruppe A (Ausstieg) bezeichnet.

Die Perspektive von Gruppe 2 ist interessant, da nach dem Prinzip der heterogenen Auswahl sowohl die extremen als auch die gewöhnlichen Fälle als Vergleichsgruppen interessieren (Lamnek & Krell, 2016). Zu dieser Kontrollgruppe gehören bspw. Lehrerinnen oder Ange-stellte auf niedrigeren beruflichen Ebenen. Die Gruppe erhält im Rahmen der vorliegenden Ar-beit das Kürzel UP, welches für ,untergeordnete Position‘ steht.

Die Interviews mit Gruppe 3 dienen der Beantwortung der Frage, welche Ressourcen Frauen benötigen, um im MINT-Bereich eine Führungsposition zu erreichen. Ihnen wird das Kürzel FP (=Führungsposition) zugeordnet. Durch eine Befragung dieser multiplen Vergleichsgruppen kann es gelingen, die Besonderheiten und Ressourcen der verschiedenen Gruppen herauszuar-beiten.

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Die Anzahl der Befragten ist in der qualitativen Forschung nicht vorab definiert (Lamnek, 1995). Insgesamt wurden im Zuge der Hauptstudie 25 Interviews geführt, wobei die Frauen vor dem Interview einer der drei Vergleichsgruppen zugeordnet wurden. Da sich im Rahmen eines Interviews herausstellte, dass die Befragte zwar aktuell nicht in einer Führungsposition ist, es aber schon einmal war, wurde dieses Interview nicht in die Datenauswertung aufgenommen, sodass schließlich jeweils acht Frauen pro Gruppe interviewt wurden. Es bestand in keinem Fall eine Bekanntschaft zwischen der Forscherin und den befragten Frauen. Die Beschränkung auf acht Frauen pro Gruppe ergibt sich einerseits aus dem Umstand, dass gegen Ende kaum noch neue Informationen aus den Interviews gewonnen werden konnten. Ein weiterer Aspekt, der für die Begrenzung der Anzahl an Interviewpartnerinnen spricht, ist die hohe Durchfüh-rungs- und Auswertungszeit, die im Rahmen dieser Dissertation schwer zu bewältigen ist.

Allen Frauen ist gemeinsam, dass sie vor mindestens zehn Jahren ein MINT-Studium erfolg-reich abgeschlossen haben. Die Eingrenzung der Tatsache, dass der Abschluss des Studiums mindestens zehn Jahre zurückliegen soll, dient der Notwendigkeit, dass der berufliche Werde-gang der Frauen und die möglichen Probleme aufgrund fehlender Ressourcen zentral für die Zielsetzung der Erhebung ist. Es soll herausgearbeitet werden, welche Ressourcen für die Frauen auf ihrem Weg besonders wichtig waren usw. Dafür werden die MINT-Frauen gebeten, retrospektiv ihre verfügbaren Ressourcen einzuschätzen.

11.1.3 Kontaktaufnahme

Die Rekrutierung von Interviewpartnerinnen fand im Februar und März 2019 statt. Hierfür wurde eine Anfrage mit der beabsichtigten Untersuchung über die Online-Plattform CyberMen-tor verschickt. Dieses Online-MenCyberMen-toring-Programm zur MINT-Mädchenförderung wurde be-reits kurz in Kapitel 3.2 (Diversität als Ziel) genannt. An CyberMentor nehmen jährlich bis zu 800 Schülerinnen teil, die von einer persönlichen Mentorin aus Wissenschaft oder Wirtschaft betreut wird. Um die Anfrage an alle auf der Plattform aktiven Mentorinnen zu versenden, wurde die Forscherin von einer Kollegin unterstützt, die bei CyberMentor arbeitet. Insgesamt erklärten sich fast 60 Frauen dazu bereit, an dem Interview teilzunehmen, sodass insbesondere die Vergleichsgruppen FP und UP schnell gebildet waren. Die Kontaktaufnahme zu Frauen der Gruppe A stellte sich als schwieriger heraus. Einige Frauen, die bereits interviewt wurden, lei-teten die Anfrage an ehemalige Kolleginnen weiter, die nicht mehr im MINT-Bereich arbeiten.