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Empirischer Teil

6 Forschungsziel und Forschungsfragen

In diesem Abschnitt soll das Ziel des empirischen Teils der vorliegenden Dissertation transpa-rent gemacht und die Forschungsfragen offengelegt werden. Die Zielsetzung besteht darin, mit-hilfe problemzentrierter Leitfadeninterviews und der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring empiriebasierte Ursachen und Motive zu ermitteln, die Frauen dazu veranlassen, aus dem MINT-Bereich auszusteigen oder in diesem erfolgreich zu sein. Es sollen Theorien entwickelt werden, mittels derer sich die Karriereentwicklungen von MINT-Frauen erklären lassen. Der Verlust der Frauen in den hohen Qualifikationsstufen wird analysiert und es wird diskutiert, warum viele von ihnen nicht in Spitzenpositionen sind. Als theoretische Basis der empirischen Forschung wird das Bildungs- und Lernkapital aus dem Aktiotop-Modell verwendet.

Im Vordergrund der Studien steht die Frage, ob die hohe Drop-out-Rate von Frauen auf jeder höheren Qualifikations- und Hierarchiestufe mit deren vorhandenen Bildungs- und Lernkapita-len konnektiert ist. Es ergeben sich folgende erkenntnisleitende Forschungsfragen:

1) Welchen Einfluss haben die vorhandenen domänenspezifischen personenbezogenen und umweltbedingten Entwicklungsressourcen auf die Karriere von Frauen in MINT?

2) Welche Ressourcen sind für Frauen zur Erreichung einer Führungsposition in MINT besonders wichtig?

3) Ist es möglich, auch bei nicht oder nur marginal vorhandenen Ressourcen durch Substi-tution eine Spitzenposition in MINT zu erreichen?

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4) Gibt es Ressourcen, die einen positiven Einfluss auf andere Ressourcen haben und wenn ja, welche Rolle spielen sie für Frauen bei der Erreichung einer MINT-Führungsposi-tion?

5) Welche Auswirkungen hat das Gesetz des Minimums auf Frauen im MINT-Bereich?

Das vorliegende Forschungsvorhaben ist aufgrund seiner Zielsetzung nicht darauf ausgelegt, Hypothesen zu bestätigen, sondern soll im Zuge der qualitativen Exploration die Beweggründe von MINT-Frauen zum Verbleib in beziehungsweise dem Ausstieg aus diesen Domänen er-gründen. Um zunächst einmal die beiden Themenkomplexe ,Frauen in MINT‘ und ,Bildungs- und Lernkapital‘ miteinander zu verknüpfen, enthält diese Arbeit eine Vorstudie. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob MINT-Studentinnen, die mit vielen Umwelt- und Entwicklungs-ressourcen ausgestattet sind, sich eher für ein weiterqualifizierendes Masterstudium entschei-den als jene, entschei-denen weniger Kapital im Sinne des Bildungs- und Lernkapitals zur Verfügung steht. Mögliche Diskrepanzen zwischen diesen beiden Gruppen sollen eruiert werden. Das pri-märe Ziel ist es, Aussagen über den Zusammenhang zwischen der Ausstattung an Bildungs- und Lernkapital und der Entscheidung, sich im MINT-Bereich weiter zu qualifizieren, zu tref-fen.

Neben der inhaltsanalytischen Auswertung ist es das sekundäre Ziel der Vorstudie, einen Inter-viewleitfaden zu erstellen, der möglichst umfassend alle Aspekte der Forschungsfragen berück-sichtigt und in der Hauptstudie für verschiedene Gruppen von Frauen verwendet werden kann.

Die Interviews der Vorstudie werden also als Teil der Methodenentwicklung und -probung ver-standen.

In der Hauptstudie werden drei verschiedene Vergleichsgruppen gebeten, ihr Bildungs- und Lernkapital im Laufe ihres Lebenswegs einzuschätzen. Es geht darum, die Bildungsgeschichte und die aktuelle Lebenssituation von MINT-Frauen zu erheben und mit der qualitativen Inhalts-analyse nach Mayring auszuwerten. Dabei interessiert insbesondere der Vergleich von MINT-Frauen in Führungspositionen mit MINT-MINT-Frauen, die nicht mehr in den Domänen arbeiten. Zu-dem werden Frauen befragt, die in den MINT-Domänen – allerdings ohne Führungsaufgaben – arbeiten.

Es soll untersucht werden, welche Ressourcen Frauen benötigen, um trotz der im Theorieteil der vorliegenden Dissertation ausführlich beschriebenen Barrieren nach einem MINT-Studium eine erfolgreiche Karriere in diesen Domänen zu durchlaufen. Wie unterscheiden sich diese

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drei Gruppierungen hinsichtlich des Bildungs- und Lernkapitals? Auf der Basis des im Rahmen der Vorstudie entwickelten und optimierten problemzentrierten Leitfadeninterviews sollen Er-kenntnisse darüber gewonnen werden, welche Ressourcen zur Entwicklung einer MINT-Karri-ere beigetragen haben. Zudem sollen mögliche kritische Kapitale herausgearbeitet und der Frage nachgegangen werden, ob die vollkommene Abstinenz eines Kapitals den Ausstieg aus den MINT-Domänen begünstigen. Ein weiteres wichtiges Ziel der Hauptstudie ist es, Substitu-tionsmöglichkeiten zu eruieren und Stärken bildende Ressourcen herauszufiltern.

Zusammenfassend soll eine qualitative Untersuchung des vorhandenen Bildungs- und Lernka-pitals bei verschiedenen Gruppen von MINT-Frauen Erkenntnisse über die Gründe des Aus-stiegs sowie des Verbleibs und die Karriereentwicklung in diesen Domänen liefern.

7 Methodologie

In diesem Kapitel werden die methodische Vorgehensweise sowie deren Begründung für den Forschungsprozess transparent gemacht. Auf Grundlage der Begründung der qualitativen Me-thodik werden anschließend das problemzentrierte Leitfadeninterview und die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring dargestellt.

7.1 Auswahlkriterien der qualitativen Methodik zur Datenerhebung

Zu Beginn des Forschungsvorhabens fand eine intensive Auseinandersetzung mit diversen quantitativen und qualitativen Verfahren statt. Ziel war es, die Methode zu finden, welche der Zielsetzung der vorliegenden Dissertation optimal gerecht würde, denn je nach Fragestellung ist eine der beiden Methoden besser geeignet, und der zu untersuchende Gegenstand ist Be-zugspunkt für die Wahl der Methode der empirischen Forschung (Flick, 2017).

Bei quantitativen Verfahren stehen die Überprüfung und anschließende Verifikation oder Fal-sifikation zuvor aufgestellter Hypothesen im Vordergrund (Lamnek, 1995). Diese werden auf Grundlage theoretischen Wissens sowie empirischer Studien gebildet (Mayer, 2002). Bei einem derartigen Vorgehen benötigt der/die Forscher/-in demzufolge bereits im Vorfeld Annahmen zu einem bestimmten Feld. Demgegenüber stehen die qualitativen Verfahren, die einen hypo-thesengenerierenden Charakter haben (Lamnek, 1995) und deren Theorien anhand der Empirie

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entwickelt werden sollen (Flick, 2017; Mayer, 2002). Qualitative Forschung soll neue Erkennt-nisse über einen bestimmten Gegenstand generieren und mögliche Zusammenhänge zwischen ihnen aufzeigen (Mayring, 2015). Somit findet sich ein typisches Abgrenzungsmerkmal der quantitativen gegenüber der qualitativen Forschung in dem Stellenwert von Hypothesen.

Mayring (1995) betont die Notwendigkeit, in der Soziologie vermehrt qualitativ orientiert zu forschen. Dies begründet er mit einer Kritik an der Einseitigkeit quantitativer Methoden sowie der Forderung nach Subjektorientierung. Um menschliches Verhalten zu erklären, ist eine in-dividuelle Betrachtung der Individuen und ihrer subjektiven Sicht auf verschiedene Zusammen-hänge notwendig. Qualitative Forschung erfüllt dieses Kriterium, denn der Befragte erhält bei ihr die Möglichkeit, „seine Wirklichkeitsdefinition dem Forscher mitzuteilen“ (Lamnek, 1995, 61). Folglich werden die subjektiven Sichtweisen der Befragten erfasst. Bei quantitativen Ver-fahren ist dies aufgrund der Standardisierung oft nicht möglich, und es können wichtige Infor-mationen zum Forschungsgegenstand verloren gehen (Mayer, 2002).

Wie bereits im Rahmen von Kapitel 4.3 (Ausarbeitung der Befundlage) angedeutet, liegen bis-lang kaum Untersuchungen vor, die Frauen nicht als eine homogene Gruppe klassifizieren. Das Gebiet ist wenig untersucht, und daher erscheint es sinnvoll, die subjektiven Einstellungen und Hintergründe der betroffenen Frauen zu explorieren. Nach Flick (2017) eignen sich die Anwen-dungsfelder der qualitativen Forschung insbesondere bei wenig untersuchten Forschungsgebie-ten. Daher und auf Grundlage der explorativen Zielsetzung ergibt sich die Entscheidung für eine qualitative Methode.

Qualitative Methoden zeichnen sich durch verschiedene Prinzipien aus: Das erste Prinzip qua-litativer Forschung ist das Prinzip der Offenheit (Lamnek, 1995). Das bedeutet, die „Beforsch-ten sollen die Gelegenheit haben, ihre eigene Sichtweise zu äußern, ihre Sprache anstelle von vorgegebenen Antwortkategorien zu benutzen und ihre Motive und Gründe zu äußern“

(Kuckartz, 2014, 52). Durch diese Offenheit hat der/die Forscher/-in die Möglichkeit, tiefe In-formationen und authentische Einblicke in die Lebenswelt der Befragten zu erhalten. Diese Offenheit soll auch gegenüber der Untersuchungssituation und den Methoden bestehen (Lam-nek & Krell, 2016), und dies soll ebenfalls mit der Zielsetzung der empirischen Studie der vor-liegenden Arbeit erreicht werden.

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Ein weiteres zentrales Prinzip qualitativer Forschung ist Kommunikativität. Forschung ist „als Kommunikation zu denken […], vor allem als Kommunikation und Interaktion zwischen For-scher und zu Erforschendem“ (Lamnek & Krell, 2016, 34). Da empirische Forschung immer auch Kommunikation ist, müssen die Regeln der Kommunikation beachtet werden (Lamnek &

Krell, 2016).

Das Prinzip der Prozessualität meint, dass empirische Forschung prozesshaft ist und sich der Ablauf ändern kann. Damit verbunden ist ein weiteres Prinzip qualitativer Forschung, die Fle-xibilität. Das bedeutet, dass die Forschung flexibel gestaltet werden und sich an Veränderungen und verschiedene Situationen anpassen muss (ebd.).

Unter Reflexivität wird in der qualitativen Forschung verstanden, dass der/die Forscher/-in stets reflektiert handelt und die Methode, den Untersuchungsgegenstand sowie die persönliche Ein-stellung immer wieder hinterfragt (ebd.).

Der Begriff Explikation bedeutet, dass der/die Forscher/-in alle Schritte des Forschungsprozes-ses offen darstellt. Hierzu gehören bspw. die Regeln der Datenerhebung, sodass die Untersu-chung nachvollziehbar ist (ebd.).

7.2 Gütekriterien der qualitativen Methodik

Nachfolgend werden die zentralen Gütekriterien für die vorliegende qualitative Forschungsar-beit vorgestellt. „Unter der Güte von sozialwissenschaftlichen Theorien, Methoden und Begrif-fen soll der Grad ihrer Angemessenheit an die empirische Realität und an das Erkenntnisziel des Forschers verstanden werden“ (Lamnek & Krell, 2016, 143). Gütekriterien sind folglich Merkmale, anhand derer die Qualität des Forschungswegs sowie der Ergebnisse überprüft wer-den kann (Mayring, 2016). Die Wurzeln der Gütekriterien liegen in der quantitativen Forschung (Mayer, 2002). Zu den klassischen Gütekriterien gehören die Validität, die Reliabilität und die Objektivität (Kuckartz, 2014). Unter Validität versteht man die Gültigkeit der Daten, also die Übereinstimmung des Gemessenen mit dem Gegenstand, der gemessen werden sollte. Reliabi-lität bedeutet Zuverlässigkeit. Bei der ReliabiReliabi-lität geht es um die Genauigkeit der Messung und sie gibt an, ob das Messinstrument unter gleichen Bedingungen zuverlässig das gleiche Ergeb-nis erzielt (Mayer, 2002). Objektivität benennt, dass die ErgebErgeb-nisse unabhängig vom forschen-den Subjekt gleich sind. Diese Gütekriterien werforschen-den in der qualitativen Forschung kontrovers

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diskutiert. Einige Forscher sind der Meinung, es sollten in der qualitativen Forschung dieselben Gütekriterien gelten wie in der quantitativen Forschung, andere lehnen Gütekriterien in der qualitativen Forschung ab. Eine dritte Gruppe vertritt den Standpunkt, es müsse eigene Krite-rien für die qualitative Forschung geben (Kuckartz, 2014; Flick, 2017). Immer mehr Forscher vertreten mittlerweile die Meinung der letzten Gruppe, nämlich, dass es für die qualitative For-schung eigene Kriterien geben muss (Mayring, 2016). Dieser Standpunkt wird in dieser Disser-tation ebenso vertreten.

Mayring (2002.) schlägt sechs Gütekriterien für die qualitative Forschung vor, auf diese wird nachstehend der Fokus ausgerichtet:

1) Verfahrensdokumentation

Um den Forschungsprozess nachprüfbar zu machen, soll dieser detailliert dargestellt und dokumentiert werden.

2) Argumentative Interpretationsabsicherung

Sobald Interpretationen im Forschungsprozess gemacht werden, müssen diese so doku-mentiert, begründet und erklärt werden, dass andere sie verstehen und nachvollziehen können. Lamnek und Krell (2016) fügen dem hinzu, dass insbesondere dieses Gütekri-terium in der qualitativen Sozialforschung von besonderer Relevanz ist. Denn diese wird oft für ihre Beliebigkeit kritisiert (Mayring, 2002).

3) Regelgeleitetheit

Dieses Gütekriterium bedeutet, dass es trotz des Prinzips der Offenheit in der qualitati-ven Forschung Regeln gibt, an die sich der/die Forschende halten muss. Dabei ist eine systematische, schrittweise Vorgehensweise fundamental.

4) Nähe zum Gegenstand

Unter Nähe zum Gegenstand wird die Ausrichtung der Forschung auf die Alltagswelt der Beforschten bezeichnet. Es soll also kein Experiment in einem Labor stattfinden, sondern die verschiedenen Interessen des erforschten Subjekts einbezogen werden.

5) Kommunikative Validierung

Das Gütekriterium der kommunikativen Validierung hat Mayring (2002) von Heinze und Thiemann (1992) übernommen. Es geht darum, die Gültigkeit der Ergebnisse noch einmal zu überprüfen. Beispielsweise, indem diese dem/der Beforschten noch einmal vorgelegt werden, um darüber zu diskutieren. In diesem Dialog geben die beforschten Subjekte Rückmeldung in Form von Zustimmung oder Kritik zu den Ergebnissen (Ma-yring, 2002).

100 6) Triangulation

Triangulation benennt „die Kombination verschiedener Methoden, verschiedener For-scher, Untersuchungsgruppen, lokaler und zeitlicher Settings sowie unterschiedlicher theoretischer Perspektiven in der Auseinandersetzung mit einem Phänomen“ (Flick, 2017, 519). Die somit gewonnenen unterschiedlichen Ergebnisse sollen verglichen wer-den, sodass man nicht nur einen Blickwinkel auf die Forschung hat, sondern die Qualität durch diese verschiedenen Sichtweisen vergrößert wird (Mayring, 2016).

Durch die Verfahrensdokumentation und die argumentative Interpretationsabsicherung ist nach Mayer (2002) die Reliabilität in der qualitativen Forschung gegeben. Zusätzlich seien die Nähe zum Gegenstand, also die Alltagsnähe, die er als ökologische Validierung bezeichnet, sowie die kommunikative Validierung Merkmale, welche die Validität qualitativer Forschung sicher-stellen.

Nachdem die zentralen Gütekriterien für die empirische Studie festgelegt wurden, soll nun die Erhebungsmethode aufgezeigt werden.