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Das problemzentrierte Interview nach Witzel

Empirischer Teil

8 Datenerhebung mit problemzentrierten Leitfadeninterviews

8.2 Das problemzentrierte Interview nach Witzel

Das problemzentrierte Interview (PZI) nach Witzel (2000) stellt eine Variante des halbstandar-disierten Interviews dar (Hopf, 1995) und „ist ein theoriegenerierendes Verfahren, das den meintlichen Gegensatz zwischen Theoriegeleitetheit und Offenheit dadurch auszuheben ver-sucht, dass der Anwender seinen Erkenntnisgewinn als induktiv-deduktives Wechselspiel or-ganisiert“ (Witzel, 2000). Der Wechsel aus induktivem und deduktivem Vorgehen bedeutet, dass einerseits das Vorwissen des/der Forscher/-in zur Formulierung der Fragen verwendet wird, die Interviewten jedoch trotzdem zu Narrationen angeregt werden und möglichst offen auf die Fragen antworten können.

Das PZI hat „eine möglichst unvoreingenommene Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen und Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität“ (Witzel, 2000) zum Ziel. Nach Witzel (2000) sind drei zentrale Kriterien kennzeichnend für das PZI:

Die Problemzentrierung, die Gegenstandorientierung und die Prozessorientierung. Diese Kri-terien bezeichnet der Autor als Grundpositionen. Die Problemzentrierung bedeutet, dass sich das PZI an relevanten gesellschaftlichen Problemstellungen orientiert. Dafür verwendet der/die Interviewer/-in theoretisch begründetes Vorwissen bei der Entwicklung der Fragen. Unter der Gegenstandsorientierung versteht der Autor, dass die Methoden flexibel gewählt werden sollen in Abhängigkeit vom Gegenstand. Das Interview ist zwar das zentrale Instrument zur Datener-hebung, daneben können aber weitere Methoden flexibel werden wie bspw. eine zusätzliche Gruppendiskussion oder ein standardisierter Fragebogen. Die Prozessorientierung bedeutet, dass der gesamte Forschungsverlauf prozesshaft organisiert sein soll. Während des Interviews soll sich der/die Interviewer/-in auf den Verlauf einlassen, sodass der/die Befragte offen sowie selbstreflektiert antworten kann und das Gespräch demnach von Vertrautheit geprägt ist.

Lamnek (1995) schlägt vor, zu Beginn des problemzentrierten Interviews einen standardisierten Kurzfragebogen zu verwenden, der einige wichtige Sozialdaten erfasst. Neben dem Kurzfrage-bogen sind für Witzel (2000) drei weitere Instrumente zentral: Die Tonträgeraufzeichnung, der Leitfaden und Postskripte. Durch Tonträgeraufzeichnungen wird das gesamte Gespräch festge-halten und kann im Anschluss transkribiert werden. Das ist eine Hilfestellung, da der/die Inter-viewer/-in nicht während des Gesprächs protokollieren muss und seine Aufmerksamkeit dem

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Interview schenken kann. Der Leitfaden ist eine Unterstützung, durch die keine wichtigen In-halte vergessen werden und die Interviews aufgrund der ähnlichen Fragen besser verglichen werden können. Postskripte sollen direkt nach dem Interview erstellt werden. Dabei sollen In-halte, die Gesprächssituation und auffällige Bemerkungen skizziert werden.

Im PZI können nach Witzel verschiedene Gesprächstechniken genutzt werden: erzählungsge-nerierende und verständnisgeerzählungsge-nerierende Kommunikationsstrategien. Als erzählungsgenerie-rend gilt bspw. die vorformulierte Einleitungsfrage. Mit dieser soll das Interview auf das Prob-lem gelenkt werden und der/die Befragte aufgefordert werden, offen über seine Sichtweise zu erzählen. Anschließend können allgemeine Sondierungsfragen verwendet werden. Dabei wer-den die auf die Einleitungsfrage thematisierten Inhalte aufgegriffen und dazu tiefere Nachfra-gen gestellt, um einen detaillierteren Einblick in die ErfahrunNachfra-gen und Sichtweisen des/der Be-fragten zu erlangen. Zusätzlich schlägt Witzel Ad-hoc-Fragen vor. Diese verwendet der/die In-terviewer/-in, wenn für die Vergleichbarkeit von Interviews notwendige Inhalte nicht von selbst angesprochen werden.

Bei den verständnisgenerierenden Kommunikationsstrategien ist die Vorgehensweise eher de-duktiv. Das vorhandene Wissen durch die theoretische Auseinandersetzung mit der Thematik sowie aus dem Interview selbst wird vom/von der Forscher/-in zur Fragestellung verwendet.

Zu diesen Kommunikationsstrategien zählen die Zurückspiegelung, Verständnisfragen und Konfrontationen (Witzel, 2000). Die Zurückspiegelung ist eine Möglichkeit der kommunikati-ven Validierung (Mayring, 2002). Die Methode entstammt der Gesprächspsychotherapie und bietet den Befragten die Möglichkeit zur Selbstreflexion sowie zu einer möglichen Korrektur von falschen Annahmen der/des in. Verständnisfragen kann der/die Interviewer/-in bei sich widersprechenden Aussagen stellen und Konfrontationen dienen der tieferen und detaillierteren Erfassung der Sichtweise der Befragten (Witzel, 2000).

Die Entscheidung für ein leitfadengestütztes, problemzentriertes Interview wurde für das For-schungsvorhaben dieser Dissertation gewählt, da einerseits alle Aspekte und Themenbereiche, die für die Forschung interessant sind, abgedeckt werden können und dennoch ein gewisser Spielraum besteht, um auch ausführlichere Erzählungen des/der Befragten zu erlauben, da diese/r eventuell weitere für die Forschung interessante Aspekte nennen und der Forschungs-gegenstand weiträumig betrachtet werden kann.

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Ferner eignen sich Leitfadeninterviews besonders dann, wenn es um die subjektiven Empfin-dungen und Ansichten der Befragten zu einem bestimmten Bereich geht, um damit Hypothesen darüber zu entwickeln (Rager, Oestmann, Werner, Schreier & Groeben, 1999). Da das vorlie-gende Forschungsziel darin besteht, Zusammenhänge zwischen den vorhandenen Ressourcen und dem Ausstieg beziehungsweise dem Verbleib von Frauen in der Leaky Pipeline zu finden, bildet ein Leitfadeninterview die passende Form.

Zur Erstellung und Auswertung problemzentrierter Interviews gibt es einen strukturierten Ab-lauf, der in dem folgenden Modell dargestellt wird:

Abbildung 10: Ablaufmodell des PZIs (Eigene Darstellung nach Mayring, 2016, 71)

Im vorliegenden Rahmen wurden die Schritte des Ablaufmodells befolgt. Die Problemanalyse erfolgte im theoretischen Teil der Arbeit, darauf aufbauend wurde ein Leitfaden konstruiert. Zu Beginn der Vorstudie wurde ein Pretest gemacht, wobei die gesamte Vorstudie als Pilotphase

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gelten kann. Die Interviews der Hauptstudie enthielten Sondierungsfragen, Leitfadenfragen so-wie Ad-hoc-Fragen und wurden aufgezeichnet.

Zusammenfassend entspricht das problemzentrierte Leitfadeninterview dem Forschungsanlie-gen der vorlieForschungsanlie-genden Dissertation, da sowohl die ForschungsfraForschungsanlie-gen beantwortet werden können und gleichzeitig die Offenheit für etwaige noch nicht berücksichtigte Themenbereiche gewähr-leistet wird. Aufgrund der beträchtlichen Anzahl von insgesamt zehn unterschiedlichen The-menbereichen erscheint ein Leitfaden sinnvoll, denn mit diesem kann sichergestellt werden, dass sämtliche Themenbereiche detailliert behandelt werden. Andererseits sollten die Befragten aber auch die Möglichkeit erhalten, auf Aspekte genauer einzugehen und die Interviewerin konnte so den Verlauf des Interviews flexibel gestalten.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die qualitative Forschung als Methodologie und das problemzentrierte, halbstrukturierte Leitfadeninterview als Erhebungsmethode dem Forschungsziel und dem Erkenntnisinteresse der Fragestellung angemessen sind.

Die Daten dieser Dissertation werden systematisch mithilfe eines problemzentrierten Leitfa-deninterviews gewonnen. Auf Grundlage dieser Daten soll eine Theorie hervorgebracht wer-den. Für die Auswertung des PZI postuliert Witzel (2000), die Interviews mithilfe der digitalen Aufnahmen zu transkribieren, anschließend Satz für Satz zu betrachten und zu kategorisieren.

Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ist dem von Witzel vorgeschlagenen Kate-goriensystem sehr ähnlich und wird deshalb zur Auswertung der Daten im Rahmen dieser Dis-sertation verwendet. Der Schwerpunkt des folgenden Kapitels liegt daher auf der Datenauswer-tung sowie der Generierung von Theorien mit der qualitativen Inhaltsanalyse.

9 Datenauswertung

In diesem Kapitel wird die Auswertung der Vor- und der Hauptstudie dargestellt. Zu Beginn der qualitativen Inhaltsanalyse müssen die PZIs transkribiert werden, deshalb beginnt das Ka-pitel der Datenauswertung mit dem Unterpunkt Transkription, in dessen Rahmen die Transkrip-tionsregeln erläutert werden. Anschließend wird die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring dargestellt, um schließlich die computergestützte Hilfestellung bei der Auswertung vorzustel-len.

106 9.1 Transkription

Die Interviews wurden digital aufgezeichnet und die somit gewonnenen Daten anschließend transkribiert. Wie genau dieser Prozess im Rahmen dieser Forschungsarbeit stattgefunden hat, wird in diesem Kapitel offengelegt. Bevor die Daten transkribiert werden, müssen bestimmte Regeln festgelegt werden (Kuckartz, 2014). Eine Vielzahl von Autoren haben hierfür ein Sys-tem erstellt. Bei der Auswahl der Transkriptionsregeln ist es infolgedessen wichtig, sich am Zweck der Untersuchung zu orientieren. Nach Dresing und Pehl (2013) ist der Transkribierende einem Dilemma ausgesetzt. Auf der einen Seite soll das Erzählte und der Inhalt der Interviews so viele Details wie möglich enthalten, sodass man beim Lesen dieses Transkripts einen guten Eindruck über den Gesprächsverlauf erlangt und keine Informationen verloren gehen, anderer-seits kann es bei zu vielen Details im Transkript dazu führen, dass das Lesen und die Auswer-tung erschwert werden.

In dieser Dissertation war es das Ziel, die Interviews möglichst genau zu transkribieren und trotzdem den zeitlichen Aufwand aufgrund der großen Menge an verbalen Daten möglichst gering zu halten. Daher wurde das Transkriptionssystem von Kuckartz (2014) verwendet. Das bedeutet, dass das gesamte Gespräch wörtlich abgeschrieben wurde. Lediglich Wortdoppelun-gen und Verständnissignale der Interviewerin, welche das aktive Zuhören verdeutlichen sollten, wie bspw. „aha“ oder „mhm“, wurden nicht transkribiert. Weiter wurde die Sprache zur besse-ren Lesbarkeit geglättet. Längere Pausen und durch Betonung hervorgehobene Begriffe wurden kenntlich gemacht. Die Fragen und Aussagen der Interviewerin wurden mit „I“ gekennzeichnet und die Absätze der Befragten jeweils mit einem Kürzel, welches die Zuordnung zur Ver-gleichsgruppe ermöglicht, und einer Zahl, wie zum Beispiel „MB3“. Hörbare Beiträge wie bspw. Lachen oder Gähnen wurden in einer Doppelklammer kenntlich gemacht, wie zum Bei-spiel ((lacht)). Stellen, die aufgrund der Tonqualität unverständlich waren, wurden mit (unv.) notiert. Schließlich wurden die Daten anonymisiert. Das ist ein wichtiger Schritt bei der Tran-skription, da die befragte Person oft sensible Informationen erzählt (Mayer, 2002). Durch die Anonymisierung kann schließlich kein Rückschluss auf die Person erfolgen (Kuckartz, 2014).

Die Daten wurden auf Grundlage der festgelegten Regeln am Computer transkribiert.

Die Vorstudie und ein Teil der Interviews der Hauptstudie wurden von der Forscherin selbst-ständig transkribiert. Für die Transkription der Interviews der Hauptstudie organisierte die Wis-senschaftlerin zusätzlich zwei Personen, die mit Transkriptionen vertraut waren. Anschließend

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wurden die Transkripte noch einmal von der Forscherin Korrektur gelesen und kleine Fehler verbessert.

Zur Illustration der Transkription folgt ein Beispiel aus der Forschungspraxis der vorliegenden Dissertation:

I: „Wie reagieren Personen darauf, wenn du als Frau dein Studium in Informatik er-wähnst?“ (20)

MB3: „Die meisten sagen dann ‚Och, das hätte ich jetzt aber nicht gedacht bei dir‘

((lacht)). Also, die meisten erwarten nicht, dass ein, allgemein eine Frau etwas mit In-formatik studiert und dann kommt dann noch, dass ich anscheinend viel zu hübsch dafür bin. Also, ja“ (21).

I: „Also eher das Stereotyp, dass eine Informatikerin wie ein Nerd vor dem PC sitzt, oder?“ (22)

MB3: „Genau, ja. Und das erfülle ich nicht und deswegen sind sie alle überrascht“ (23).

Das ist ein Auszug eines Transkripts, das im Rahmen der Vorstudie und auf Grundlage der in diesem Kapitel vorgestellten Regeln erstellt wurde. Dieses Transkriptionssystem hat sich für den Zweck der vorliegenden Studien bewährt.