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Frauen in MINT: Ein systemischer Erklärungsansatz der Leaky Pipeline

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Academic year: 2022

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Frauen in MINT:

Ein systemischer Erklärungsansatz der Leaky Pipeline

Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades Dr. phil.

an der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

vorgelegt von Lea Stemmer aus Schrobenhausen

Nürnberg, 2019

(2)

II

Als Dissertation genehmigt

von der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Tag der mündlichen Prüfung: 27.05.2020

Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Thomas Demmelhuber

Gutachter: Prof. Dr. Dr. Albert Ziegler

Prof. Dr. Bärbel Kopp

(3)

III

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS III

ABBILDUNGSVERZEICHNIS VII

TABELLENVERZEICHNIS IX

1 EINLEITUNG 1

1.1 PROBLEMSTELLUNG 1

1.2 FORSCHUNGSINTERESSE UND ZIELSETZUNG DER ARBEIT 3

1.3 METHODISCHES VORGEHEN 5

1.4 RELEVANZ DES FORSCHUNGSVORHABENS 7

1.5 AUFBAU DER ARBEIT 8

THEORETISCHER TEIL 11

2 DESKRIPTIVE GESCHLECHTERUNTERSCHIEDE IN MINT 11

2.1 GESCHLECHT UND MINT IN DER GYMNASIALEN OBERSTUFE 11

2.2 GESCHLECHTSSPEZIFISCHE STUDIENFACHWAHL 12

2.3 FRAUEN IN MINT IM INTERNATIONALEN VERGLEICH 15

2.4 WISSENSCHAFTLICHE QUALIFIKATION LEAK BEI PROMOTIONEN UND HABILITATIONEN 16 2.5 FRAUEN IN FÜHRUNGSPOSITIONEN DER WIRTSCHAFT IN DEUTSCHLAND 19

2.5.1 EXKURS:FÜHRUNGSDEFINITION 20

2.5.2 GERINGER FRAUENANTEIL IN SPITZENGREMIEN DEUTSCHER UNTERNEHMEN 21

2.6 ZUSAMMENFASSENDE ERKENNTNISSE 23

3 PROBLEM- UND AUSGANGSLAGE: DIE GLÄSERNE DECKE 25

3.1 NEGATIVE FOLGEN DER LEAKY PIPELINE 26

3.2 DIVERSITÄT ALS ZIEL 28

4 ANSÄTZE ZUR ERKLÄRUNG DER MARGINALITÄT VON FRAUEN IN HOCHQUALIFIZIERTEN

BERUFEN UND PROFESSIONEN IN MINT 31

4.1 SOZIOKULTURELLE ERKLÄRUNGSMODELLE 31

4.1.1 GESCHLECHTSSPEZIFISCHE SOZIALISATION 32

4.1.2 GESCHLECHTSSTEREOTYPE UND STEREOTYPE THREAT 38

4.1.3 GESCHLECHTSUNTERSCHIEDE IM FÄHIGKEITSBEZOGENEN SELBSTKONZEPT 44

4.1.4 ATTRIBUTION VON FÜHRUNGSKOMPETENZ 50

4.1.5 FEHLENDE ROLLENVORBILDER 53

(4)

IV

4.1.6 TOKEN MINORITY 55

4.2 STRUKTURELLE BARRIEREN 57

4.2.1 WEIBLICHE VERNETZUNG 58

4.2.2 HOMOSOZIALE KOOPTATION 61

4.2.3 VEREINBARKEITSPROBLEMATIK 63

4.3 AUSARBEITUNG DER BEFUNDLAGE UND FORSCHUNGSLEITENDES FAZIT 67 5 BILDUNGS- UND LERNKAPITAL: RESSOURCEN ZUR ERREICHUNG VON LEISTUNGSEXZELLENZ 71

5.1 ENTWICKLUNG VON BEGABUNG AUF GRUNDLAGE DES AKTIOTOP-MODELLS 71 5.2 BILDUNGS- UND LERNKAPITAL ZUM GELINGEN DES LERNPROZESSES 75

5.3 BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN RESSOURCEN 82

5.4 BILDUNGS- UND LERNKAPITAL ALS THEORETISCHE BASIS DER EMPIRISCHEN FORSCHUNGSARBEIT 84 5.4.1 BEDEUTUNG DES BILDUNGS- UND LERNKAPITALS FÜR AKTIVITÄTEN IN DEN MINT-DOMÄNEN 85 5.4.2 AUSARBEITUNG DER BISHER EXISTIERENDEN THEORIEN ZUR ERKLÄRUNG DER LEAKY PIPELINE UNTER DER

PERSPEKTIVE DES BILDUNGS- UND LERNKAPITALS 90

EMPIRISCHER TEIL 94

6 FORSCHUNGSZIEL UND FORSCHUNGSFRAGEN 94

7 METHODOLOGIE 96

7.1 AUSWAHLKRITERIEN DER QUALITATIVEN METHODIK ZUR DATENERHEBUNG 96

7.2 GÜTEKRITERIEN DER QUALITATIVEN METHODIK 98

8 DATENERHEBUNG MIT PROBLEMZENTRIERTEN LEITFADENINTERVIEWS 100

8.1 DAS HALBSTANDARDISIERTE LEITFADENINTERVIEW 101

8.2 DAS PROBLEMZENTRIERTE INTERVIEW NACH WITZEL 102

9 DATENAUSWERTUNG 105

9.1 TRANSKRIPTION 106

9.2 VERFAHREN ZUR DATENAUSWERTUNG 107

9.2.1 QUALITATIVE INHALTSANALYSE NACH MAYRING 108

9.2.2 GROUNDED THEORY 110

9.2.3 ENTSCHEIDUNG FÜR DIE QUALITATIVE INHALTSANALYSE NACH MAYRING 110 9.3 COMPUTERGESTÜTZTE DATENANALYSE MIT DER MAXQDA-SOFTWARE 113

10 VORSTUDIE 115

10.1 METHODISCHES VORGEHEN BEI DER LEITFADENENTWICKLUNG 116 10.1.1 ERSTELLUNG EINES SOZIODEMOGRAFISCHEN KURZFRAGEBOGENS 116

(5)

V

10.1.2 ERSTELLUNG DES LEITFADENS MITHILFE DES SPSS-PRINZIPS 116

10.2 DATENERHEBUNG 122

10.2.1 SAMPLING 122

10.2.2 KONTAKTAUFNAHME 124

10.2.3 PRETEST 124

10.2.4 DURCHFÜHRUNG DER PROBLEMZENTRIERTEN INTERVIEWS 125

10.3 DATENAUSWERTUNG 126

10.3.1 INHALTSANALYTISCHE AUSWERTUNG DER INTERVIEWS DER VORSTUDIE 126 10.3.2 METHODISCHE AUSWERTUNG DER INTERVIEWS DER VORSTUDIE 137 10.4 ERGEBNISSE DER INHALTSANALYTISCHEN AUSWERTUNG 138

10.4.1 BESCHREIBUNG DER TEILNEHMERINNEN 138

10.4.2 RESSOURCEN DER GRUPPEN IM VERGLEICH 140

10.4.3 ZUSAMMENFASSENDE ERGEBNISSE DER AUSSTATTUNG MIT RESSOURCEN (VORSTUDIE) 155

10.4.4 VERTIEFENDE QUALITATIVE EINZELFALLINTERPRETATIONEN 158

10.4.5 MÖGLICHKEITEN DER SUBSTITUTION 167

10.4.6 STÄRKEN BILDENDE KAPITALE 168

10.4.7 GESETZ DES MINIMUMS 170

10.5 ERGEBNISSE DER METHODISCHEN AUSWERTUNG 170

10.5.1 INTERVIEWFÜHRUNG 170

10.5.2 SOZIODEMOGRAFISCHER KURZFRAGEBOGEN 172

10.5.3 BEWERTUNG DER FRAGEN UND ANTWORTEN DES INTERVIEWLEITFADENS 172

10.5.4 ZUSAMMENFASSUNG DER METHODISCHEN AUSWERTUNG 175

10.6 DISKUSSION DER QUALITATIVEN VORSTUDIE 176

10.6.1 DISKUSSION DER METHODE 176

10.6.2 INTERPRETATION DER ERGEBNISSE IM HINBLICK AUF DIE FORSCHUNGSFRAGEN 177

10.6.3 GÜTE DER ERGEBNISSE 180

10.6.4 AUSBLICK AUF DIE HAUPTSTUDIE 180

11 HAUPTSTUDIE 182

11.1 DATENERHEBUNG 182

11.1.1 INSTRUMENT DER DATENERHEBUNG 182

11.1.2 SAMPLING 184

11.1.3 KONTAKTAUFNAHME 185

11.1.4 DURCHFÜHRUNG DER PROBLEMZENTRIERTEN INTERVIEWS 186

11.2 DATENAUSWERTUNG 187

11.3 EMPIRISCHE FORSCHUNGSERGEBNISSE 190

11.3.1 BESCHREIBUNG DER TEILNEHMERINNEN 190

11.3.2 RESSOURCEN DER GRUPPEN IM VERGLEICH 196

11.3.3 ZUSAMMENFASSENDE ERGEBNISSE DER AUSSTATTUNG MIT RESSOURCEN (HAUPTSTUDIE) 221

11.3.4 MÖGLICHKEITEN DER SUBSTITUTION 222

11.3.5 STÄRKEN BILDENDE KAPITALE 228

11.3.6 GESETZ DES MINIMUMS 232

11.4 DISKUSSION DER QUALITATIVEN HAUPTSTUDIE 239

11.4.1 DISKUSSION DER METHODE 239

11.4.2 DISKUSSION DER ZENTRALEN ERGEBNISSE DER HAUPTSTUDIE 242

(6)

VI

11.4.2.1 VERFÜGBARKEIT UND NUTZUNG VON BILDUNGS- UND LERNKAPITAL ALS EIN ENTSCHEIDENDER FAKTOR FÜR

DIE KARRIEREENTWICKLUNG VON FRAUEN IN MINT 242

11.4.2.2 RESSOURCEN MIT BESONDERER RELEVANZ AUF DEM WEG ZU EINER FÜHRUNGSPOSITION 248

11.4.2.3 SUBSTITUTION SCHWACH AUSGEPRÄGTER RESSOURCEN 249

11.4.2.4 DER MATTHÄUS-EFFEKT BEI DER KARRIEREENTWICKLUNG VON FRAUEN IN MINT 252 11.4.2.5 AUSWIRKUNGEN DES GESETZES DES MINIMUMS AUF DIE KARRIERE VON FRAUEN IM MINT-BEREICH 254 11.4.2.6 EVIDENZ FÜR BISHER EXISTIERENDE THEORIEN ZUR ERKLÄRUNG DER LEAKY PIPELINE 257

11.4.3 GÜTE DER ERGEBNISSE 261

12 IMPLIKATIONEN FÜR FORSCHUNG UND PRAXIS 263

LITERATURVERZEICHNIS 266

ANHANG 282

(7)

VII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aufbau der Dissertation 10

Abbildung 2 Geschlecht und Studienfachwahl 13

Abbildung 3: Frauenanteile in den MINT-Studiengängen 14 Abbildung 4: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der akademischen Laufbahn 17 Abbildung 5: Frauenanteil an Promotionen und Habilitationen 18 Abbildung 6: Verteilung der Geschlechter auf Führungspositionen nach Branchen 22 Abbildung 7: Frauenanteil in den Vorständen der 100 bzw. 200 größten deutschen

Unternehmen von 2006 bis 2017 23

Abbildung 8: Das multimodale und hierarchische Selbstkonzeptmodell 45

Abbildung 9: Komponenten des Aktiotops 71

Abbildung 10: Ablaufmodell des PZIs 104

Abbildung 11: Phasenmodell zum Verhältnis qualitativer und quantitativer Analyse 109

Abbildung 12: Postskripte bei MAXQDA 114

Abbildung 13: SPSS-Prinzip der Leitfadenentwicklung 117

Abbildung 14: Ablaufschema einer evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse 128 Abbildung 15: Beispiel einer interaktiven Segmentmatrix in MAXQDA 136 Abbildung 16: Mittelwerte der Ressourcen aller Befragten (Vorstudie) 156 Abbildung 17: Ausprägungen der Ressourcen der Gruppen (Vorstudie) 157 Abbildung 18: Möglichkeiten der komplexen Substitution (Vorstudie) 168

Abbildung 19: Stärken bildende Kapitale (Vorstudie) 169

Abbildung 20: Beispielhafte Liste mit kodierten Textstellen einer Kategorie des

Interviews FP4 188

Abbildung 21: MINT-Domänen der Befragten (Hauptstudie) 191 Abbildung 22: Verteilung der Befragten der Vergleichsgruppen auf die

MINT-Domänen (Hauptstudie) 192

Abbildung 23: Höchster Bildungsabschluss der Mutter (Hauptstudie) 192 Abbildung 24: Höchster Bildungsabschluss des Vaters (Hauptstudie) 193

Abbildung 25: Berufsdomäne der Mutter (Hauptstudie) 194

Abbildung 26: Berufsdomäne des Vaters (Hauptstudie) 194

Abbildung 27: Familienstand der Befragten (Hauptstudie) 195 Abbildung 28: Familienstand der Befragten der Vergleichsgruppen (Hauptstudie) 196

(8)

VIII

Abbildung 29: Mittelwerte des ökonomischen Bildungskapitals (Hauptstudie) 200 Abbildung 30: Mittelwerte des kulturellen Bildungskapitals (Hauptstudie) 204 Abbildung 31: Mittelwerte des sozialen Bildungskapitals (Hauptstudie) 206 Abbildung 32: Mittelwerte des infrastrukturellen Bildungskapitals (Hauptstudie) 208 Abbildung 33: Mittelwerte des didaktischen Bildungskapitals (Hauptstudie) 210 Abbildung 34: Mittelwerte des organismischen Lernkapitals (Hauptstudie) 213 Abbildung 35: Mittelwerte des aktionalen Lernkapitals (Hauptstudie) 215 Abbildung 36: Mittelwerte des telischen Lernkapitals (Hauptstudie) 216 Abbildung 37: Mittelwerte des episodischen Lernkapitals (Hauptstudie) 218 Abbildung 38: Mittelwerte des attentativen Lernkapitals (Hauptstudie) 219 Abbildung 39: Mittelwerte der Ressourcen (Hauptstudie) 221 Abbildung 40: Möglichkeiten der komplexen Substitution (Hauptstudie) 224

(9)

IX

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Ausschnitt aus dem Kodierleitfaden 1 der Vorstudie 130 Tabelle 2: Veranschaulichung der Ausprägung der Bewertungskategorie

,Infrastrukturelles Bildungskapital‘ 133

Tabelle 3: Auszug aus dem Kodierleitfaden 2 der Vorstudie 134 Tabelle 4: Demografische Charakteristika der Befragten (Vorstudie) 138 Tabelle 5: Aspekte des ökonomischen Bildungskapitals (Vorstudie) 140 Tabelle 6: Aspekte des kulturellen Bildungskapitals (Vorstudie) 142 Tabelle 7: Aspekte des sozialen Bildungskapitals (Vorstudie) 145 Tabelle 8: Aspekte des infrastrukturellen Bildungskapitals (Vorstudie) 147 Tabelle 9: Aspekte des didaktischen Bildungskapitals (Vorstudie) 148 Tabelle 10: Aspekte des organismischen Lernkapitals (Vorstudie) 149 Tabelle 11: Aspekte des aktionalen Lernkapitals (Vorstudie) 151 Tabelle 12: Aspekte des telischen Lernkapitals (Vorstudie) 152 Tabelle 13: Aspekte des episodischen Lernkapitals (Vorstudie) 154 Tabelle 14: Aspekte des attentativen Lernkapitals (Vorstudie) 154

Tabelle 15: Quantitative Ergebnisse der Vorstudie 156

Tabelle 16: Auszug aus dem Interviewleitfaden (Hauptstudie) 182 Tabelle 17: Ausschnitt aus dem Kodierleitfaden 3 (Hauptstudie) 188 Tabelle 18: Ressourcen der Gruppen im Vergleich (Hauptstudie) 198 Tabelle 19: Deskriptive Statistik für die einzelnen Variablen der Vergleichs-

gruppen (Hauptstudie)

200

Tabelle 20: Kreuztabelle "komplexe Substitution" der verschiedenen Gruppen

(Hauptstudie) 223

(10)

1

1 Einleitung

„Komm, mach MINT“ – mit diesem Slogan möchte der Nationale Pakt für Frauen in MINT- Berufen Mädchen und Frauen für ein Studium in den MINT-Domänen begeistern. Diese Ziel- setzung verfolgt ebenfalls CyberMentor, Deutschlands größtes Online-Mentoring-Programm und viele weitere Initiativen. Der eingetragene Verein FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte e.V.) mit circa 800 Mitgliedern setzt sich für mehr Frauen in deutschen Aufsichtsräten und Führungs- positionen ein. Des Weiteren sind vielfältige Berichte, Presseartikel und wissenschaftliche Pub- likationen zum Thema Diversity Management veröffentlicht worden, in denen mehr Frauen in Führungspositionen gefordert werden. Diese Beispiele verdeutlichen bereits das gegenwärtige gesellschaftliche, aber auch wissenschaftliche Interesse, mehr Führungspositionen im MINT- Bereich mit Frauen zu besetzen. Dieses Anliegen erfährt zudem in der Öffentlichkeit erhebliche Aufmerksamkeit.

1.1 Problemstellung

Mit 50,6 % absolvieren heute in Deutschland etwas mehr Frauen als Männer ein Studium (OECD, 2018). Bei genauerer Betrachtung wird gleichwohl im Studium und weiteren Karrie- reverlauf eine geschlechtsspezifische Abtrennung deutlich: Die horizontale Segregation be- schreibt die Tatsache, dass Frauen und Männer in verschiedenen Branchen und Berufssparten vertreten sind (Leuze & Strauß, 2009). Daneben gibt es die vertikale Segregation, aus der her- vorgeht, dass Frauen und Männer in unterschiedlichen Hierarchieebenen zu finden sind (All- mendinger et al., 2008).

Die Relevanz der beiden Segregationen ergibt sich aus der stagnierenden Unterrepräsentanz von Frauen in Spitzenpositionen – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Wirtschaft, in den Domänen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (OECD, 2008). Diese Fächer werden zusammengefasst als MINT-Fächer bezeichnet, wobei die Fächer Chemie, Phy- sik, Biologie, Astronomie, Pharmazie, Geologie und einige Umweltwissenschaften zu den Na- turwissenschaften gezählt werden und sich Technik primär aus den Fächern Elektrotechnik, Maschinenbau und Ingenieurwissenschaften zusammensetzt (Braun, Ettischer, Halfmann &

Rapp, 2017). Viele Studien, Analysen und Erhebungen weisen darauf hin, dass Frauen, die sich für diese von Männern dominierte Bereiche interessieren, vor vielfältigen Barrieren der beruf- lichen Segregation stehen.

(11)

2

Einerseits sind soziokulturelle Erklärungsansätze anzuführen, bspw. das Doing gender (West

& Zimmermann, 1987). Mädchen und Jungen werden demnach aufgrund ihres Geschlechts an- ders behandelt und erzogen (Unutkan, 2006). Auch in der Gesellschaft vorherrschende Stereo- type und der sogenannte stereotype threat (Steele, 1997) haben große Auswirkungen auf die Entwicklung und Berufswahl der Individuen. Aufgrund stereotyper Einstellungen können sich Mädchen und Frauen weniger mit den MINT-Fächern identifizieren und ziehen sich als ein Resultat davon aus diesen beruflichen Domänen zurück. Ein weiterer soziokultureller Erklä- rungsansatz für die Asymmetrie der Geschlechterverteilung in MINT wird in der differierenden Wahrnehmung des fähigkeitsbezogenen Selbstkonzepts vermutet (Kessels, 2012). Mädchen ha- ben ein niedrigeres fähigkeitsbezogenes Selbstkonzept in diesen Domänen sowie ungünstige Attributionsmuster. Das zeigt sich bereits in der Grundschule. Bei gleichen Leistungen schätzen Mädchen ihre Fähigkeiten in Mathematik schlechter ein als Jungen (Bartels, 2006). Attributio- nen sind ebenfalls in Bezug auf Führungskompetenz vorherrschend. Das Think-manager-think- male-Phänomen besagt, dass eine erfolgreiche Person mit einem Mann assoziiert wird (Schein, 1973). Denn der Prototyp einer Führungskraft steht im Konflikt mit den von der Gesellschaft zugeschriebenen Rollenmerkmalen von Frauen (Powell et al., 2002). Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Fehlen von Rollenvorbildern. Dieses bewirkt, dass Mädchen und Frauen für sich geringere Erfolgschancen in hohen Positionen im MINT-Bereich antizipieren und sich somit eher für ein typisch weibliches Fach entscheiden (Viehoff, 2015). Fällt die Wahl der Frauen dessen ungeachtet auf einen männlich dominierten Beruf, so erhalten sie aufgrund der Unterre- präsentanz den Status einer token minority (Kanter, 1977). Kanter konstatiert überdies, dass der Minderheitenstatus zu drei Phänomenen führt: erhöhter Visibilität, Polarisation sowie Assimi- lation. Diese drei Phänomene können Gründe für das Aussteigen aus den MINT-Berufen sein.

Neben den soziokulturellen Erklärungsansätzen gibt es strukturelle Barrieren für Frauen, wie bspw. die homosoziale Kooptation. Diese Rekrutierungspraxis besagt, dass Akteure dazu ten- dieren, „bevorzugt mit anderen Personen zu interagieren, die ihnen ähnlich sind“ (Barthauer, Sauer & Kauffeld, 2017, 12). Daraus resultiert ein erheblicher Nachteil für das weibliche Ge- schlecht, da der Großteil der Führungskräfte aus Männern besteht (Bürgel, 2018a). Auch das weibliche Netzwerkverhalten unterscheidet sich von jenem der Männer. Die Integration in aka- demische Netzwerke sowie gezieltes Networking sind zentrale Strategien für die positive Kar- riereentwicklung (Cornils & Rastetter, 2012). Allerdings belegen zahlreiche Studien, dass viele Netzwerke männlich dominiert sind und Frauen immer noch ausgeschlossen bleiben (Cornils

& Rastetter, 2012; Metz & Tharenou, 2001; Schubert & Engelage, 2011). Schließlich ist die Vereinbarkeitsproblematik von Familie und Beruf ein häufiger Grund, der dazu führt, dass

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3

Frauen verfrüht aus den MINT-Domänen aussteigen. Da sich Führungspositionen durch lange Arbeitszeiten sowie möglichst vollständige Verfügbarkeit auszeichnen (Haffner, Könekamp &

Krais, 2006), ist es nicht verwunderlich, dass bei der Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und familiären Lebensarrangements Schwierigkeiten auftreten (Kleinert, 2006). Insbesondere in MINT-Berufen ergeben sich besondere Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Ihsen, Höhle, Baldin, Hackl-Herrwerth, Skok, Zimmermann, Gebauer, Hantschel, 2010). Es zeigt sich, dass in dieser Domäne deutlich mehr Männer als Frauen Kinder haben.

Haffner, Könekamp und Krais (2006) benennen einen Grund dafür mit unterschiedlich gestal- teten Partnerschaften von Männern und Frauen. Während die Partnerinnen von Männern in Führungspositionen mehrheitlich nicht erwerbstätig sind beziehungsweise nur eine Teilzeit- stelle ausfüllen, leben Frauen oft in sogenannten Doppelkarrierepaaren und verzichten zuguns- ten der Karriere häufig auf Kinder. Ungeachtet der vielen Untersuchungen zum Thema sowie mannigfaltigen Aktivitäten und Programmen zur Erhöhung der Partizipationsrate von Frauen in MINT verändert sich die Unterrepräsentanz kaum (Quaiser-Pohl, 2012). Das führt zu erheb- lichen Nachteilen für viele Akteure, woraus sich die Relevanz des Themas ergibt, die in Kapitel 1.4 (Relevanz des Forschungsvorhabens) genauer dargestellt wird.

1.2 Forschungsinteresse und Zielsetzung der Arbeit

Die vorliegende Arbeit setzt an der Unterrepräsentanz von Frauen in MINT-Führungspositio- nen an und will weitere Ursachen für die sogenannte Leaky Pipeline ergründen. Mit dieser Me- tapher wird der berufliche Ausstieg von Frauen auf jeder höheren Bildungs- und Karrierestufe bezeichnet, da diese auf dem Weg zu den Spitzenpositionen wie Tropfen aus der Leitung fallen (Berryman, 1983).

Die einzelnen Faktoren, die als Gründe für die Leaky Pipeline fungieren, werden im theoreti- schen Teil der Arbeit konkretisiert. Dabei fällt auf, dass sich viele Untersuchungen des Phäno- mens lediglich auf einen Aspekt konzentrieren, wodurch es nicht vollständig erfasst und erklärt werden kann. Vielmehr sind die Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen in MINT-Füh- rungspositionen polykausal. Es fehlen Studien, die einen ganzheitlichen Blick auf die MINT- Frauen ermöglichen und der Vielfalt an möglichen Gründen für die unterschiedlichen Karrier- ewege gerecht werden. Untersuchungsgegenstand soll demnach die Analyse der MINT-Frauen in Interaktion mit ihrer spezifischen Umwelt sein – die Leaky Pipeline wird somit unter syste- mischen Gesichtspunkten untersucht. Um dieses Forschungsinteresse zu untersuchen, dient das

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4

Aktiotop-Modell (Ziegler, 2005) als Grundlage der empirischen Arbeit. Das Modell geht davon aus, dass sich ein Individuum und seine Umwelt permanent verändern müssen, um als Person in einer Domäne erfolgreich zu sein. Für diese Veränderungen werden vielfältige personenbe- zogene und umweltbedingte Ressourcen benötigt. Diese Ressourcen bezeichnen Ziegler und Stöger (2011) als Bildungs- und Lernkapital. Im Zuge der vorliegenden Dissertation soll die Bedeutung von Bildungs- und Lernkapital auf die Entwicklung von Frauen in den MINT-Do- mänen dargestellt werden.

Neben dem systemischen Blick verfolgt die Forschungsarbeit noch ein weiteres Interesse. Be- schäftigt man sich mit den verschiedenen Studien zur Unterrepräsentanz von Frauen in Füh- rungspositionen der MINT-Fächer, so lässt sich erkennen, dass meist nur auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen eingegangen wird und kaum auf die Varianz innerhalb der Ge- schlechter. Frauen werden in vielen Studien zusammengefasst, ohne deren Heterogenität zu beachten. Der Frage, welche Frauen es schaffen, nicht im Sinne der Leaky Pipeline zu ,versi- ckern‘, wird in der Forschung wenig Beachtung geschenkt – sie bildet dementsprechend einen wichtigen Untersuchungssektor.

Vor dem Hintergrund dieses zentralen Forschungsbedarfs fokussiert diese Dissertation MINT- Frauen in ihrer systemischen Umwelt. Der ressourcenorientierte Zugang soll eine Ergänzung zu den bestehenden Ansätzen darstellen und weitere Aufschlüsse über die Unterrepräsentanz von Frauen in hohen MINT-Positionen zulassen, da der Fokus dabei auf den Unterschieden innerhalb des Geschlechts der Frau liegt und nicht zwischen den Geschlechtern.

Die erkenntnisleitenden Forschungsfragen sind dabei folgende:

1) Welchen Einfluss haben die vorhandenen domänenspezifischen personenbezogenen und umweltbedingten Entwicklungsressourcen auf die Karriere von Frauen in MINT?

2) Welche Ressourcen sind für Frauen zur Erreichung einer Führungsposition in MINT besonders wichtig?

3) Ist es möglich, auch bei nicht oder nur marginal vorhandenen Ressourcen durch Substi- tution eine Spitzenposition in MINT zu erreichen?

4) Gibt es Ressourcen, die einen positiven Einfluss auf andere Ressourcen haben und wenn ja, welche Rolle spielen sie für Frauen bei der Erreichung einer MINT-Führungsposi- tion?

5) Welche Auswirkungen hat das Gesetz des Minimums auf Frauen im MINT-Bereich?

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5

Das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit ist zusammenfassend wie folgt zu formulieren:

Es gilt, die Ressourcen von MINT-Frauen auf unterschiedlichen Karrierestufen zu ergründen und auf Grundlage der Ergebnisse neue Theorien zur Begründung der Leaky Pipeline zu entwi- ckeln. Ferner sollen Ressourcen mit besonderem Wert für Frauen auf dem Weg zur Spitze fest- gelegt werden. Es soll zudem evaluiert werden, ob Frauen auch mit schwach ausgeprägten Res- sourcen eine Spitzenposition in MINT erreichen können, wenn sie diese substituieren. Des Wei- teren wird untersucht, ob es Kapitale gibt, die sich positiv auf andere Ressourcen auswirken.

Wenn diese Frage bejaht werden kann, soll die Rolle dieser Stärken bildenden Ressourcen auf dem Weg zu einer Führungsposition eruiert werden. Die letzte Forschungsfrage soll untersu- chen, wie sich eine marginal vorhandene Ressource auf MINT-Frauen auswirkt.

Der Beantwortung dieser Fragen kommt eine erhebliche Relevanz zu, da dergestalt der Frau- enanteil in den MINT-Berufen und vor allem in Spitzenpositionen dieser Domänen erhöht wer- den könnte. Erhofft werden neue Erkenntnisse bezüglich der Geschlechterdiskrepanzen in MINT und Einsichten in die subjektiven Beweggründe von Frauen für oder gegen einen Ver- bleib in der MINT-Domäne, um einen wissenschaftlichen Beitrag zur Erhöhung von Frauen in hohen MINT-Positionen zu leisten.

1.3 Methodisches Vorgehen

Zu Beginn fand eine breit angelegte Fachliteratur-Recherche statt. Hier wurde relevante Lite- ratur zu den Themenbereichen ,Frauen in MINT‘, ,Frauen in Führung‘ und ,Bildungs- und Lern- kapital‘ gesichtet und erarbeitet. Dieses Kontextwissen ist nach Glaser uns Strauss (2010) äu- ßerst wichtig. Sie argumentieren, dass eine Theorie nur im Vergleich mit vielen anderen Theo- rien entwickelt werden könne. Mayring (2002) stimmt dem zu, indem er die systematische Er- arbeitung von theoretischem Wissen als fundamental erachtet, um die Ergebnisse der empiri- schen Arbeit richtig interpretieren zu können.

Anschließend an die theoretische Einarbeitung in das Thema folgte die Entscheidung, ob ein qualitatives oder quantitatives Vorgehen die Forschungsfragen besser beantworten kann. Dazu wurden die Vor- und Nachteile der beiden Methodiken abgewogen – mit dem Ergebnis, dass qualitative Ansätze aufgrund ihrer Offenheit für eine explorative Analyse komplexer Themen- gebiete besser geeignet sind (Mayring, 2015), während die subjektiven Sichtweisen der Befrag- ten aufgrund der Standardisierung quantitativer Verfahren weniger offen erfasst werden können

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6

(Mayer, 2002). Aufgrund der Fragestellung und Zielsetzung wurde eine Entscheidung für die qualitative Sozialforschung getroffen. Für die Datenerfassung steht in der qualitativen For- schung eine Vielzahl differierender Verfahren zur Verfügung. Vorliegend wurden problem- zentrierte Leitfadeninterviews nach Witzel verwendet. Sie bieten den Vorteil, dass einerseits keine für die Forschungsfragen interessanten Aspekte unbeachtet bleiben, die Befragten aber dennoch Spielraum haben, um auf bestimmte Aspekte genauer einzugehen und ihre individuelle Sichtweise auf das Problem zu erläutern (Witzel, 2000). Die Interviews wurden nach den Tran- skriptionsregeln von Kuckartz (2014) transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet. Mit diesem Ansatz werden die Daten sowohl qualitativ als auch quantitativ untersucht.

Der vorliegenden Dissertation liegen zwei Untersuchungen zugrunde: eine Vor- und eine Hauptstudie. In dem primär qualitativ ausgerichteten Forschungsprozess der Vorstudie wurde zunächst ein Leitfaden entwickelt. Die Fragen basieren auf dem Bildungs- und Lernkapitalan- satz aus dem Aktiotop-Modell. Um die Forschungsaspekte ausreichend abzudecken, wurde ein umfassender Fragenkatalog zusammengetragen. Daran anschließend wurden Informatik-Stu- dentinnen, die kurz vor ihrem Bachelorabschluss standen und sich in der Statuspassage von der Ausbildung in die Berufstätigkeit oder in die nächsthöhere Qualifizierungsstufe befanden, be- fragt. Ziel war es zu explorieren, inwiefern das Bildungs- und Lernkapital eine Rolle bei dieser Entscheidung spielt und schließlich Aussagen über den Zusammenhang zwischen der Ausstat- tung an Ressourcen und der Entscheidung, sich im MINT-Bereich weiter zu qualifizieren, zu treffen. Zu diesem Zweck wurden zwei Gruppen von Informatik-Studentinnen nach ihrem vor- handenen Bildungs- und Lernkapital befragt. Einerseits diejenigen, die einen Masterabschluss anstreben und andererseits jene, die direkt nach dem Bachelorabschluss arbeiten möchten. Ins- besondere wurde das Vorhandensein beziehungsweise das Fehlen bestimmter Ressourcen er- fasst. Dabei diente das erste Interview als Pretest, mit dem Sinn, die Interviewfragen zu über- prüfen. Anschließend wurden je drei Frauen aus jeder Gruppe befragt. Die Daten wurden transkribiert und nach dem Ablaufmodell der evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2016) ausgewertet. Das sekundäre Ziel der Vorstudie bestand darin, einen bestmög- lichen Interviewleitfaden für die Hauptstudie zu erstellen.

In der Hauptstudie wurden drei verschiedene Gruppen von Frauen über ihre Bildungsgeschichte sowie aktuelle Lebenssituation befragt. Sämtlichen Befragten ist gemeinsam, dass sie vor mehr als zehn Jahren ein MINT-Studium abgeschlossen haben. Die erste Gruppe besteht aus Frauen, die aus dem MINT-Bereich ausgestiegen, also nicht mehr in diesen Domänen berufstätig sind.

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In der zweiten Gruppe sind Frauen zusammengefasst, die zwar im MINT-Bereich arbeiten – jedoch in einer untergeordneten Position –, und die dritte Gruppe setzt sich aus Frauen zusam- men, die eine Spitzenposition in MINT in Wissenschaft oder Wirtschaft erreicht haben. Die Zielstellung der Hauptstudie war die Erfassung der vorhandenen Ressourcen sowie deren Nut- zung auf dem Karriereweg. Weiter sollten Beziehungen zwischen den Ressourcen und die Aus- wirkung davon auf die Karriere von Frauen in MINT erarbeitet werden. In einem planvollen, systematischen Prozess wurden 25 problemzentrierte Interviews mit Bezug zu den leitenden Forschungsfragen geführt, die im Anschluss an die Transkription mithilfe einer Kombination aus einer evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2016) und einer inhaltlich struktu- rierenden Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2014) ausgewertet wurden. Dabei wurde insbesondere da- rauf geachtet, welche Ressourcen sich als besonders relevant für eine Karriere im MINT-Be- reich herausstellen und ob es Ressourcen gibt, die andere Ressourcen verstärken. Ferner wurden Substitutionsmöglichkeiten bei nicht oder nur marginal vorhandenen Ressourcen eruiert und ermittelt, ob das Gesetz des Minimums einen Einfluss auf die Karriere von MINT-Frauen hat.

Ziel ist es, durch die Integration verschiedener Sichtweisen von MINT-Frauen eine Erklärung der Leaky Pipeline zu ermitteln. Die Ergebnisse der Hauptstudie sowie der im Theorieteil vor- gestellten wissenschaftlichen Studien wurden in der Diskussion miteinander abgeglichen.

1.4 Relevanz des Forschungsvorhabens

Die Relevanz der vorliegenden Arbeit ergibt sich aus den mannigfaltigen Nachteilen der Un- terrepräsentanz von Frauen in MINT und insbesondere in den Führungspositionen dieser Do- mänen. Für die Frauen selbst ist das Phänomen der Leaky Pipeline mit niedrigeren Gehältern oder schlechteren Chancen auf einen Arbeitsplatz, der ihren Begabungen entspricht, verbunden (OECD, 2018). Die normative Relevanz dieser Untersuchung wurzelt im Grundgesetz des de- mokratischen Rechtsstaats Deutschland mit dem Verbot der Diskriminierung (Rastetter &

Raasch, 2009).

Die gesellschaftspolitische Bedeutung des Forschungsgegenstands ergibt sich aus dem Fach- kräftemangel. Beispielsweise konnte eine Studie von Anger, Koppel und Plünnecke (2015) ver- deutlichen, dass in Spitzenpositionen in MINT ein besonders hoher Fachkräftemangel herrscht.

Daraus resultieren vielfältige negative ökonomische sowie politische Folgen. Viele Studien be- stätigen zudem den Wert von Geschlechter-Diversität im Team. Dies hat positive Auswirkun- gen auf den Umsatz und das Ansehen eines Unternehmens (Ihsen, 2013; Wippermann, 2010).

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8

Die Analyse der MINT-Frauen ist überdies von hoher wissenschaftlicher Bedeutsamkeit für das bessere Verständnis der Leaky Pipeline. Denn im deutschsprachigen Raum gibt es bisher noch keine Untersuchung mit systemischem Blick auf dieses Phänomen. Dadurch soll ein weiterer Schritt in Richtung gesellschaftlicher Unterstützung und Gleichstellung von Männern und Frauen gegangen werden. Einen praxisrelevanten Wert erhält das neue Wissen aus dieser Dis- sertation dann, wenn darauf basierend Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Frauen in MINT ergriffen werden.

Mittels der vorliegenden Arbeit soll ein Beitrag zum Ausgleich der Geschlechter in führenden Positionen geleistet werden. Die vorliegende Dissertation ist darauf ausgerichtet, MINT-Frauen und ihre Beweggründe zum Verbleib oder dem Verlassen in der MINT-Domäne zu verstehen und sie in Zukunft zu unterstützen, indem ihnen wichtige Ressourcen zur Verfügung gestellt beziehungsweise Substitutionsmöglichkeiten angeboten werden.

1.5 Aufbau der Arbeit

In der Einleitung werden die Problemstellung, das Forschungsinteresse und die Zielsetzung vorgestellt. Weiter werden das methodische Vorgehen und die Bedeutung der Forschungsarbeit benannt und ein Einblick in den Aufbau der Arbeit präsentiert. Im Anschluss an die Einleitung gliedert sich die Dissertation in einen Theorieteil und einen empirischen Teil und endet mit Implikationen für die Forschung und die Praxis. Insgesamt besteht sie aus zwölf Kapiteln.

Im theoretischen Teil soll der bisherige Forschungsstand aufgezeigt werden. Das wird als not- wendig erachtet, um Defizite und Lücken des bisherigen Wissenstands zu identifizieren. Zu- nächst werden hierfür einige Daten und Statistiken zur MINT-Branche aufgezeigt (Kapitel 2), um anhand dieser das Phänomen der Leaky Pipeline zu erklären. Das folgende Kapitel (Kapitel 3) widmet sich der damit verbundenen Problemlage, um im nächsten Teil (Kapitel 4) diverse Ansätze, welche die hartnäckige Unterrepräsentanz von Frauen in MINT-Führungspositionen in der Wissenschaft und Wirtschaft erklären, zu erörtern und diskutieren. Dieser Teil gliedert sich in soziokulturelle (Kapitel 4.1) und strukturelle Erklärungsmodelle (4.2), die Ursachen für die Marginalität von Frauen in hochqualifizierten MINT-Berufen sein könnten. Mit der Explo- ration der verschiedenen Ansätze, welche die Unterrepräsentanz von Frauen auf höheren Bil- dungs- und Karrierestufen in MINT zu erklären versuchen, soll möglichst viel an theoretischem Wissen aggregiert werden, das für die Untersuchung relevant ist, um in einem anschließendem

(18)

9

Zwischenfazit (4.3) Forschungslücken zu identifizieren. Die theoretische Basis für die empiri- sche Erhebung bildet das Bildungs- und Lernkapital – ein Konstrukt aus dem Aktiotop-Modell, das in Kapitel 5 ausführlich vorgestellt wird. Das Aktiotop-Modell ist ein systemischer Ansatz in der Begabungsförderung. Somit ist dieses Kapitel als Vorbereitung für den Empirieteil ein- zustufen.

Im Fokus des empirischen Teils steht die empirische Erkenntnis, er stellt somit den Kern der Arbeit dar. Ausgehend von dem Forschungsziel und den -fragen (Kapitel 6) wird die Wahl der qualitativen Methode zur Datenerhebung und -auswertung begründet, um im Anschluss ge- nauer auf die Gütekriterien einzugehen (Kapitel 7). In Kapitel 8 steht die Datenerhebung im Vordergrund. Hier wird zunächst das halbstandardisierte Leitfadeninterview vorgestellt, um anschließend genauer auf das problemzentrierte Interview nach Witzel einzugehen. Das nächste Kapitel stellt Informationen bezüglich der Transkription des Datenmaterials, des Verfahrens der Datenauswertung sowie die computergestützte Datenauswertung mit der MAXQDA-Soft- ware zur Verfügung (Kapitel 9). Die Vorstudie ist Gegenstand des zehnten Kapitels. Zunächst wird die methodische Vorgehensweise bei der Leitfadenentwicklung dargestellt. Anschließend ist der Fokus auf die Datenerhebung ausgerichtet. Im Rahmen dieser Pilotstudie wurden sieben Interviews mit Informatik-Bachelorstudentinnen geführt, die sich für oder gegen ein weiterqua- lifizierendes Masterstudium entschieden haben. Die inhaltsanalytische und methodische Daten- auswertung wird beschrieben und die Ergebnisse festgehalten, interpretiert sowie diskutiert.

Kapitel elf umfasst die Hauptstudie. In der Hauptstudie wurden 25 Frauen, die ein MINT-Fach studiert haben, interviewt. Auch hier werden die verschiedenen Schritte der Datenerhebung, - auswertung sowie die empirischen Forschungsergebnisse genau dokumentiert und interpretiert.

In der Diskussion wird das methodische Vorgehen der Hauptstudie kritisch gewürdigt und die zentralen Ergebnisse verdichtet, diskutiert und mit bisherigen Forschungsergebnissen in Bezie- hung gesetzt. Im Rahmen des Schlusskapitels (Kapitel 12) werden Impulse für weiterführende Forschung sowie Implikationen für die Praxis formuliert. Dabei fließen die Forschungsergeb- nisse des empirischen Teils der Arbeit in die Handlungsempfehlungen ein. In der folgenden Grafik sind die Schritte der vorliegenden Dissertation visualisiert.

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Abbildung 1: Aufbau der Dissertation

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Theoretischer Teil

2 Deskriptive Geschlechterunterschiede in MINT

Um die aktuelle Situation sowie die Geschlechterunterschiede im MINT-Bereich zu verdeutli- chen, werden in diesem Kapitel zunächst Zahlen, Daten und Statistiken aufgezeigt. Beginnend mit dem Wahlverhalten der Leistungskurse in der Schule, wird im Anschluss durchleuchtet, für welche Studienfächer sich junge Frauen und Männer in Deutschland am häufigsten entschei- den. Ein besonderes Augenmerk soll hier auf der Geschlechterverteilung in den MINT-Fächern gerichtet werden. Es folgt eine Darstellung des wissenschaftlichen Werdegangs der beiden Ge- schlechter, um die unterschiedlichen Verläufe in der Wissenschaft und somit den Schereneffekt zu spezifizieren. Abschließend werden mit der Darstellung des Frauenanteils in Führungsposi- tionen deutscher Unternehmen die Auswirkungen der Geschlechterdiskrepanzen in der Wirt- schaft verdeutlicht.

2.1 Geschlecht und MINT in der gymnasialen Oberstufe

Im Laufe der Schulzeit sinken das Interesse sowie die Begeisterung der Kinder und Jugendli- chen an den MINT-Fächern. Jedoch ist dieser Interessensverlust bei Mädchen stärker ausge- prägt als bei Jungen (Potvin & Hasni, 2014). Dieses Ungleichgewicht tritt bei der Wahl der Leistungskurse in der Oberstufe zutage. Ab diesem Zeitpunkt können Schülerinnen und Schüler ihre Lernschwerpunkte für die letzten beiden Schuljahre am Gymnasium selbst setzen. Hier zeigt sich, dass deutlich mehr junge Männer Leistungskurse in den Bereichen Naturwissen- schaft und Technik belegen als Frauen (Bargel, 2007). Ihre Mitschülerinnen wenden sich hin- gegen von diesen Domänen ab und wählen bspw. eher Kunst, da dies einem ,Frauenfach‘ ent- spricht (Hannover & Kessels, 2002). Im Hinblick auf die Interessen sind die MINT-Fächer eher Jungendomänen. Mögliche Gründe für diese unterschiedlichen Präferenzen werden im Verlauf der Arbeit thematisiert.

Das Wahlverhalten in der gymnasialen Oberstufe hat bereits große Auswirkungen auf das spä- tere Studienfach und legt somit die Weichen für den Beruf. Im Wintersemester 2008/2009 wur- den Studierende der Fächer Elektrotechnik, Maschinenbau, Physik und Informatik nach ihrer Schwerpunktbildung im Gymnasium befragt. 57 % der Männer und 53 % der Frauen gaben an, einen Leistungskurs in Mathematik belegt zu haben, einen Leistungskurs in Physik wählten

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49 % der Männer und 33 % der Frauen (Ihsen et al., 2010). Ein Großteil der Studierenden der MINT-Fächer entschied sich demnach in der Schule bereits für Leistungskurse in Mathematik und Physik. Es kann geschlussfolgert werden, dass Leistungskurse in diesen Fächern mit der Studienfachwahl korrelieren. Daher werden sie in der Literatur oft als Zugangsvoraussetzungen zu MINT-Studiengängen geführt (Bargel, Multrus & Schreiber, 2007; Ihsen et al., 2010).

Fakt ist, dass insbesondere Frauen mit den MINT-Fächern in der Schule unzufrieden sind und die Vorbereitung auf ein ebensolches Studium als sehr schlecht bewerten. Fast die Hälfte der Frauen, die sich dennoch für ein MINT-Fach entscheiden, kritisieren, dass sie schlecht oder sogar außerordentlich schlecht auf eine Ausbildung in diesen Domänen ausgebildet wurden.

Männer teilen diese Auffassung mit fast 30 % (Ihsen et al., 2010). Didaktische Defizite werden vielfach kritisiert, bspw. der unzureichende Praxisbezug sowie zu wenig Berufsorientierung (Acatech & VDI, 2009). Als Folge entscheiden sich wenige Schüler und noch weniger Schüle- rinnen für ein MINT-Studienfach. So gaben in einer standardisierten schriftlichen Befragung von fast 3 000 Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe der Deutschschweiz 13,2 % der Gymnasiasten und lediglich 5,3 % der Gymnasiastinnen an, ein MINT-Fach studie- ren zu wollen (Aeschlimann, Herzog & Makarova, 2015a).

Die Genderlücke in den MINT-Fächern lässt sich demnach bereits in der gymnasialen Ober- stufe beobachten. Nach diesem kurzen Abriss zum Wahlverhalten in der Schule folgt eine ge- nauere Betrachtung der Verteilungen der Geschlechter auf die verschiedenen Studienfächer in Deutschland.

2.2 Geschlechtsspezifische Studienfachwahl

Wie aus den Zahlen der Statistik des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hervor- geht, ist der Anteil der männlichen und weiblichen Studienanfänger/-innen fast paritätisch. Es nehmen heute in Deutschland sogar mehr Frauen als Männer ein Studium auf. Diese Zahl steigt kontinuierlich an. Während im Wintersemester 2013/2014 noch 49,5 % der Studienanfänger weiblich waren, sind es im Wintersemester 2017/2018 bereits 50,6 % (Statistisches Bundesamt, 2018a). Auch bei den Absolventinnen und Absolventen eines Studiums sind Frauen 2016 mit einem Anteil von 50,6 % etwas mehr vertreten als Männer (Statistisches Bundesamt, 2018b;

OECD, 2018).

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13

Aktuelle Statistiken aus dem Hochschulbereich belegen jedoch eine ungleiche Verteilung von Studentinnen und Studenten auf die einzelnen Studienfächer (Destatis, 2018a). Die nachfol- gende Tabelle verdeutlicht die Verteilung der Geschlechter auf die beliebtesten Studienfächer in Deutschland.

Abbildung 2: Geschlecht und Studienfachwahl

(Eigene Darstellung auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamts, 2018a)

Aus Abbildung 2 geht hervor, dass es nur wenige Studiengänge gibt, in denen ein ausgegliche- nes Geschlechterverhältnis vorherrscht. Zu diesen zählt die Betriebswirtschaftslehre. In den üb- rigen Fächergruppen wird ein auffälliges Ungleichgewicht deutlich. Frauen sind in den Fächern Erziehungswissenschaften, Germanistik und Psychologie deutlich überrepräsentiert. Speziell in den Erziehungswissenschaften ist der Frauenanteil mit 78,6 % besonders hoch. Im Gegensatz zu diesen Fächern entscheiden sich junge Frauen weniger häufig für ein MINT-Studium (Aca- tech & VDI, 2009; Aeschlimann, Herzog & Makarova, 2015a). Aus der Abbildung kann ent- nommen werden, dass Frauen in den Fächern Elektrotechnik/ Elektronik, Informatik, Maschi- nenbau, Mathematik und Ingenieurwissenschaften unverkennbar unterrepräsentiert sind. Die wenigen Frauen, die sich für ein derartiges geschlechtsuntypisches Fach entscheiden, zeigen meist zwei gemeinsame Merkmale: Sie sind erstens stark karriereorientiert und weisen zweitens eine gute beziehungsweise sehr gute Abiturnote auf. Beispielsweise geben in einer Studie 28 % der befragten Chemiestudentinnen an, ihr Abitur mit einer besseren Note als 1,5 bestanden zu haben (Haffner, Könekampt & Krais, 2006; Ihsen et al., 2010). Ihsen et al. (2010) schließen

10 %0 % 20 %30 % 40 %50 % 60 %70 % 80 %90 % 100 %

Verteilung der Studierenden in %

Studienfach

Geschlecht und Studienfachwahl

männlich weiblich

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daraus, dass Männer der Abiturnote bei der Wahl eines MINT-Fachs weniger Gewicht schen- ken. Frauen hingegen entscheiden sich lediglich bei einer sehr guten Durchschnittsnote für ein Studienfach mit niedrigem Frauenanteil. Bei einer durchschnittlichen Note gehen sie, so die Autoren, davon aus, den Anforderungen eines MINT-Studiums nicht gewachsen zu sein. Es kann festgehalten werden, dass es Studiengänge gibt, die stark frauendominiert sind und im Gegensatz dazu solche, die vorwiegend von Männern gewählt werden. Zu diesen gehören die MINT-Fächer.

Um diese geschlechtsspezifische Segregation weiter zu verdeutlichen, zeigt die folgende Ab- bildung die zehn beliebtesten MINT-Studiengänge in Deutschland.

Abbildung 3: Frauenanteile in den MINT-Studiengängen

(Eigene Darstellung auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamts, 2017)

Dem Diagramm kann entnommen werden, dass die Verteilung der Geschlechter auf die ver- schiedenen MINT-Studiengänge divers ist. Es zeigt sich in neun Fächern eine deutliche Unter- repräsentanz der Frauen. Lediglich die Biologie hat einen Frauenanteil von 61,9 %, Frauen sind also nicht in allen MINT-Fachrichtungen unterrepräsentiert. Als die ,männlichsten‘ Studien- gänge, das heißt solche mit einem sehr geringen Frauenanteil, zählen Ingenieurwesen, Maschi- nenbau, Verfahrenstechnik, Elektro- und Informationstechnik, Wirtschaftsingenieurwesen mit ingenieurwissenschaftlichem Schwerpunkt sowie Informatik. Insbesondere in Elektro- und In- formationstechnik sind Frauen mit einem Anteil von 13 % deutlich in der Minderheit.

0 % 10 % 20 % 30 %40 % 50 % 60 % 70 %80 % 90 % 100 %

Verteilung der Studierenden in %

Studienfach

Frauenanteile in den MINT-Studiengängen

männlich weiblich

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Die Ungleichverteilung auf die Fächer stagniert seit vielen Jahren und hat sich seit 1975 nur sehr langsam verringert (Quaiser-Pohl, 2012). Richtet man den Blick auf die einzelnen Studi- engänge, so zeigt sich, dass Frauen im MINT-Bereich eher Vertiefungsfächer mit sozialen oder gestalterischen Bezügen wählen (Aeschlimann, Herzog & Makarova, 2015a). Beispielsweise liegt innerhalb von Maschinenbau und Verfahrenstechnik eine hohe Varianz vor. Während nur 4 % der Studentinnen Kurse in Feinwerktechnik belegen, liegt der Anteil in der Textil- und Bekleidungstechnik bei 85 % (Ihsen et al., 2014). Ein ähnliches Muster zeigt sich auch in an- deren Bereichen. Beispielsweise erfreuen sich Biomedizin, Medizintechnik oder Umwelttech- nik größerer Attraktivität bei Frauen (Renn & Pfenning, 2012). Diese sogenannten Nischenstu- diengänge sind häufig sehr spezielle Fächer, bei denen den Absolventinnen und Absolventen im Anschluss an das Studium ein schmaleres Spektrum an Möglichkeiten im Hinblick auf Ar- beitsplätze zur Verfügung stehen, wie es zum Beispiel im Maschinenbau der Fall ist (Ihsen et al., 2014). Angesichts dessen kann es sein, dass Frauen, die sich für ein MINT-Studium ent- schieden haben, im Anschluss daran keinen Arbeitsplatz finden, sich deshalb in einer anderen Domäne weiterbilden und die Karriere in den MINT-Fächern aufgeben.

Zusammenfassend lassen sich folgende Resultate festhalten: Die Studienfachwahl in Deutsch- land ist deutlich geschlechtsspezifisch geprägt und die MINT-Studiengänge weisen eine hohe männliche Dominanz auf. Frauen entscheiden sich demzufolge eher für einen geschlechtstypi- schen Beruf und die Wahl des Studienfachs ist traditionell geprägt (Bargel, 2007). Dessen un- geachtet bestehen zwischen den einzelnen MINT-Fächern Unterschiede – Frauen entscheiden sich eher für soziale oder kreative MINT-Nischenstudiengänge, die jedoch weniger Möglich- keiten auf dem Arbeitsmarkt bieten.

2.3 Frauen in MINT im internationalen Vergleich

Vergleicht man die Frauenanteile bei den MINT-Studienabsolvent/-innen mit denen anderer Länder, so kann konstatiert werden, dass dies keineswegs ein globales Problem ist. Zwar ist die Situation in den meisten Ländern ähnlich, dessen ungeachtet ist die Unterrepräsentanz von Frauen in den MINT-Fächern in manchen Ländern gravierender als in anderen. Durchschnitt- lich betrug der Frauenanteil der MINT-Absolventinnen laut der ,UNESCO graduation data‘ in den Jahren 2012-2015 weltweit 25,4 %. In Finnland, Norwegen und Belgien lag er unter 23 %.

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16

Deutschland rangierte mit 25-30 % im Mittelfeld. Interessant ist jedoch, dass die Beteiligungs- rate an MINT-Studiengängen in asiatischen Ländern wie z. B. Vietnam und Indonesien bereits über 35 % liegt und gerade die afrikanischen Länder im Vormarsch sind. Am größten ist der Frauenanteil der MINT-Absolventinnen in Algerien, dort liegt er bei 40,7 % (Stoet & Geary, 2018). Eine weitere internationale Statistik zeigt, dass der Frauenanteil an Absolvent/-innen mathematikintensiver Studienrichtungen stark variiert. Beispielsweise ist er in Deutschland mit 44 %, den Niederlanden mit 23 % oder Belgien mit 30 % deutlich geringer als im Oman (67

%), in Katar (63 %) oder in Saudi-Arabien (73 %) (Salchegger, 2014).

Auch wenn eine Vielzahl an Ländern mit der niedrigen Partizipationsrate von Frauen in diesem Bereich konfrontiert ist, so stellt dieses Problem über viele Länder gemittelt keine Konstante dar. Deutschland zählt zu den Ländern, in denen die Unterrepräsentanz von Mädchen und Frauen in MINT gravierend ist.

Es stellt sich also die Frage, warum sich so wenige Frauen in Deutschland für die MINT-Fächer entscheiden, denn dadurch wird ein Teil des Leistungspotenzials der Bevölkerung nicht genutzt.

Die theoretischen Ausführungen in Kapitel 4 (Ansätze zur Erklärung der Marginalität von Frauen in hochqualifizierten Berufen und Professionen in MINT) sowie der empirische Teil der vorliegenden Arbeit sollen der Beantwortung dieser Frage dienen.

2.4 Wissenschaftliche Qualifikation – Leak bei Promotionen und Habilitationen

Dass heute mehr Frauen als Männer in Deutschland ein Studium aufnehmen, wurde bereits im letzten Kapitel angedeutet (Statistisches Bundesamt, 2018a). Im folgenden Abschnitt soll ge- zeigt werden, wie sich die akademische Laufbahn der Geschlechter weiterentwickelt. Denn hier existieren drastische geschlechtsspezifische Unterschiede (Statistisches Bundesamt, 2018b).

Diese werden mittels des folgenden Diagramms verdeutlicht.

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Abbildung 4: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der akademischen Laufbahn (Eigene Darstellung auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamts, 2018b)

Ein kontinuierliches Sinken des Frauenanteils in den höheren Status- und Abschlussgruppen im Hochschulbereich ist deutlich zu erkennen und der sogenannte ,Schereneffekt‘ zeigt sich (A- bele, 2003). Wie in der Abbildung visualisiert, nimmt die Differenz zwischen Frauen und Män- nern auf jeder höheren Stufe zu und die Schere öffnet sich. Diese kontraproduktive Dynamik setzt sich drastisch fort und der Frauenanteil im Karriereverlauf nimmt überproportional ab. Es zeigt sich eine starke vertikale Segregation (Allmendinger et al., 2008). Während die Zahl der Absolventinnen und Absolventen in etwa gleich ist, zeigt sich bereits bei den Promotionen ein Frauenanteil von unter 50 %. Dieser Anteil hat sich seit 2005 lediglich geringfügig erhöht (OECD, 2018). Unter dem hauptberuflichen wissenschaftlichen Personal findet man nur 39 % Frauen, bei den Habilitationen nur noch knapp über 25 %. Auch beim Schritt auf dem akade- mischen Karriereweg von der Habilitation auf eine Professur zeigt sich wieder ein Frauenver- lust. Unter den lukrativen C4-Professoren erreicht die Differenz zwischen den Geschlechtern ihren Tiefpunkt. Professorinnen stellen somit an deutschen Universitäten eher eine Ausnahme denn die Regel dar. Es wird deutlich, dass die Karriereverläufe scherenförmig verlaufen. Aus dieser Abbildung kann gefolgert werden, dass die Geschlechter zwar zahlenmäßig in Studium und Abschlüssen fast homogen repräsentiert sind, der Verlust von Frauen dann stetig ab der Promotion erfolgt und sich die Schere des Anteils von Frauen und Männern zwischen der be- standenen Abschlussprüfung eines Studiums und den anschließenden Phasen der Weiterquali- fizierung immer weiter öffnet. Frauen steigen also im Laufe ihrer wissenschaftlichen Karriere

0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %

Verteilung in %

Qualifikation

Unterschiede in der akademischen Laufbahn

männlich weiblich

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aus dem System aus. Berryman (1983) verwendete für dieses Phänomen die Metapher der Leaky Pipeline, also einer undichten Leitung, um den graduellen Ausstieg von Frauen aus dem Wissenschaftssystem auf jeder höheren Bildungs- und Karrierestufe zu beschreiben. Interessant im Hinblick auf die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist jedoch die Leaky Pipeline in den MINT-Fächern. Dort ist sie besonders stark ausgeprägt. Im OECD-Durchschnitt entscheidet sich ein Drittel der promovierenden Frauen und die Hälfte der promovierenden Männer für ein MINT-Fach (OECD, 2018).

Die folgende Grafik verdeutlicht die Situation in Deutschland und stellt den Frauenanteil der Promotionen und Habilitationen gemittelt über verschiedene Studienfächer dar.

Abbildung 5: Frauenanteil an Promotionen und Habilitationen (Eigene Darstellung auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamts, 2018c)

In Abbildung 5 sind die prozentualen Anteile der Promotionen sowie Habilitationen 2017 von Frauen in Deutschland in Abhängigkeit von Fächergruppen dargestellt. Insgesamt lag der Frau- enanteil an Promotionen im Jahr 2017 bei 44,8 %, bei Habilitationen nur noch bei 29,3 %. Es zeigt sich, dass die Beteiligung von Frauen im Wissenschaftssystem je nach Fächergruppe durchaus unterschiedlich ausfällt. In Kunst und Kunstwissenschaften ist der Anteil von Frauen bei den Promotionen (68,4 %) sowie den Habilitationen (42,1 %) hoch. Auch in Geisteswissen-

0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 %

Frauenanteil im Referenzjahr 2017

Studienfach

Frauenanteil an Promotionen und Habilitationen

Promotionen Habilitationen

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schaften, Humanmedizin/ Gesundheitswissenschaften sowie Agrar-, Forst- und Ernährungs- wissenschaften promovieren mehr Frauen als Männer. Jedoch sinkt der prozentuale Anteil des weiblichen Geschlechts deutlich auf der nächsten Stufe, der Habilitation. In den Sport- sowie Rechts- Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beziffert sich der Frauenanteil bei den Promo- vierenden noch auf über 40 %, er sinkt aber bei den Habilitationen auf 20-36 %. Besonders stark ist die Genderlücke in den Ingenieurwissenschaften. Weibliche Promovierende stellen hier nicht einmal ein Fünftel und unter den Habilitierenden sind nur knapp 25 % weiblich. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Mathematik und den Naturwissenschaften, auch hier sind Frauen lediglich schwach vertreten. Frauen sind also nicht nur unterrepräsentiert in den MINT-Fä- chern, dieses Phänomen vergrößert sich auch noch kontinuierlich über alle Bildungs- und Kar- rierestufen. Für Frauen sind die Aufstiegschancen demnach gerade in männlich-dominierten Domänen erschwert (Lutter, 2015).

Zusammengefasst zeigen die Daten, dass innerhalb der Hochschulen in Deutschland der Frau- enanteil auf dem Karrierepfad kontinuierlich sinkt. Während die Zahl der Studienanfänger heute fast homogen ist und sogar mehr Frauen ein Studium aufnehmen, ,versickern‘ diese kon- tinuierlich in den höheren akademischen Ebenen auf dem Weg zur Professur. Das ist auch im männlich-dominierten MINT-Bereich deutlich zu beobachten. In diesen Domänen ist die An- zahl der weiblichen Studienanfängerinnen allerdings von Anfang an sehr gering, sodass dort die Schere der Leaky Pipeline noch drastischer ist.

Im nächsten Punkt sollen die Fragen adressiert werden, ob dieses Phänomen nur ein Problem im Wissenschaftssystem der Hochschulen ist oder ob Frauen auch in Führungspositionen in der Wirtschaft ausgeschlossen sind.

2.5 Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft in Deutschland

Die Frage, ob sich die Leaky Pipeline auch in Führungsgremien außerhalb der universitären Landschaft zeigt, kann bejaht werden (Daehyun & Starks, 2016). Bevor diese Arbeit jedoch detaillierter in dieses Themenfeld eintaucht, soll der von der Autorin verwendete ‚Führungsbe- griff‘ erläutert werden.

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20 2.5.1 Exkurs: Führungsdefinition

„Führen heißt, sich mit Menschen und den Beziehungen zwischen Menschen in Arbeitsorgani- sationen auseinanderzusetzen“ (Steiger & Lippmann, 2013, 4). Diese Definition ist äußerst un- scharf, ebenso ist die Bezeichnung Führung ein uneinheitlich definierter Begriff. In der Litera- tur sind zahlreiche Definitionen für den Begriff Führung zu finden. Dementsprechend variieren viele Ergebnisse aus Studien zum Anteil an Frauen in Führungspositionen stark (Holst & Fried- rich, 2017). Würde man die einleitende Definition dieses Kapitels von Steiger und Lippmann als Definition für eine Führungsposition heranziehen, so kämen womöglich auch Arbeitnehmer mit in die Zielgruppe, da sich bspw. eine in einem Salon angestellte Frisörin mit den Menschen auseinandersetzen muss. Als Anliegen dieses Abschnitts soll dahingehend eine Begriffsbe- schreibung für die vorliegende Arbeit formuliert werden.

Einen guten Ausgangspunkt bei der Beantwortung der Definitionsfrage benennt Rosenstiel (2011, 28): „Von Führung spricht man […] in der Regel nur dann, wenn ein hierarchischer Vorgesetzter einen ihm/ihr Unterstellten in dieser Weise beeinflusst“. Führende sollen also das Verhalten der Geführten beeinflussen. Weiter schreibt Rosenstiel, dass Führungskräfte die In- teressen des Unternehmens verfolgen sollen. Eine Führungskraft nimmt demnach eine soziale Rolle ein. Der Führungskräfte-Monitor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung be- trachtet dies aus einer ähnlichen Perspektive. Hier werden Führungskräfte als „Angestellte in der Privatwirtschaft in (1) Funktionen mit umfassenden Führungsaufgaben (z.B. Direktor/-in- nen, Geschäftsführer/-innen oder auch Vorstände größerer Betriebe und Verbände) [oder] (2) sonstigen Leitungsfunktionen oder hochqualifizierten Tätigkeiten (z.B. Abteilungsleiter/-in- nen, wissenschaftliche Angestellte, Ingenieur/-innen)“ (Holst & Friedrich, 2017, 17) definiert.

Aus der Definition kann entnommen werden, dass Führung eine große Bandbreite an hochqua- lifizierten Aufgaben mit sich bringt und zur Führung Unternehmens- und Personalführung ge- hört. Diese Tätigkeiten beinhalten vielfältige Managementaufgaben (Becker, 2011). Neben den Führungspositionen der obersten Hierarchieebene, zu denen Direktor/-innen, Geschäftsführer/- innen und Vorstandsmitglieder zählen (Holst & Friedrich, 2017), gibt es auch in der unteren oder mittleren Ebene von Unternehmen Führungskräfte, bspw. Abteilungs- und Gruppenleiter (ebd.).

Zu den Aufgaben von Führungskräften zählen das Lösen von Konflikten sowie der Umgang mit Informationen und Widerständen, woraus Steiger und Lippmann (2013) ableiten, dass die Hauptaufgabe einer Führungskraft die Kommunikation ist. Zu den weiteren Aufgaben zählen gemäß den Autoren die Wahrnehmung und Ausübung von Rollen. Die Autoren verwenden zur Differenzierung dieser Rollen die Führungsrollen nach Mintzberg (1973). Diese inkludieren

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