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4 Ansätze zur Erklärung der Marginalität von Frauen in hochqualifizier- hochqualifizier-ten Berufen und Professionen in MINT

4.2 Strukturelle Barrieren

Der Zugang zu sowie der Verbleib in naturwissenschaftlichen und technischen Tätigkeiten ist für Frauen von Chancenungleichheit aufgrund struktureller Barrieren gekennzeichnet (Haffner, Könekamp & Krais, 2006). Insbesondere Führungspositionen sind in diesen Fächern für das weibliche Geschlecht schwer erreichbar.

Im Rahmen des Forschungsprojekts ,Strukturelle Barrieren für Absolventinnen und Absolven-ten technischer und naturwissenschaftlicher Fächer im Beruf: Analyse zur Entwicklung von Empfehlungen‘ der TU Darmstadt wurde die berufliche Situation von Akademikerinnen der Fächer Chemie, Informatik und Ingenieurwesen erforscht. Anhand einer Stichprobe von knapp 6 000 Frauen und Männern wurde der berufliche Erfolg verglichen. Der Erfolg gliedert sich hier in formale Faktoren, wie bspw. die Höhe des Einkommens, besondere Personalverantwor-tung, die Führungsebene und den individuellen Handlungsspielraum. Das Ergebnis zeigt, dass 26 % der Männer, jedoch nur 13 % der Frauen in der Kategorie ,sehr erfolgreich‘ eingestuft und umgekehrt nur 13 % der Männer und dafür mehr als ein Viertel der Frauen als ,wenig er-folgreich‘ eingestuft werden (Könekamp & Haffner, 2006). Beruflicher Erfolg hängt sowohl bei Männern als auch bei Frauen von guten Studienabschlussnoten ab. Allerdings konnte in einer Studie mit über 8 000 befragten Arbeitnehmern aus dem MINT-Bereich festgestellt wer-den, dass Frauen bessere Noten benötigen, um ebenso erfolgreich wie ihre männlichen Kolle-gen zu sein (Haffner, Könekamp & Krais, 2006), was als Interpretation für den geringeren Er-folg von Frauen in den MINT-Domänen gesehen werden kann.

Einen weiteren Ansatzpunkt zur Erklärung der Geschlechterdiskrepanzen liefert der sogenannte Matilda-Effekt. Dieser besagt, dass der Beitrag von Wissenschaftlerinnen weniger wahrgenom-men wird und häufig den männlichen Kollegen zugeschrieben wird. Der Effekt wurde nach der im 19. Jahrhundert lebenden amerikanischen Frauenrechtlerin Matilda Joslyn Gage benannt.

Sie erkannte, dass die Ergebnisse von Frauen in der Forschung oft verdrängt werden und setzte

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sich gegen dieses Phänomen ein. Ein sehr bekanntes Beispiel für den Matilda-Effekt ist die Kernphysikerin Lise Meitner. Sie arbeitete jahrelang mit Otto Hahn zusammen und gemeinsam mit ihrem Kollegen entdeckte sie die Kernspaltung. Hahn erhielt für diese Entdeckung den No-belpreis, Meitner ging leer aus (Rossiter, 1993). Der Matilda-Effekt erschwert es den Frauen, sich bis zu Führungspositionen hochzuarbeiten und stellt eine deutliche Benachteiligung für das weibliche Geschlecht dar. Das führt zu den Fragen, warum die Ergebnisse der Frauen weniger Beachtung finden und welche Hindernisse qualifizierte Frauen überwinden müssen, um eine Führungsposition zu erreichen.

In den folgenden Kapiteln sollen jene strukturellen Barrieren aufgezeigt werden, die zu der Unterrepräsentanz von Frauen auf hohen Positionen in MINT führen.

4.2.1 Weibliche Vernetzung

Netzwerke nehmen in der Führungsriege eine hohe Bedeutung ein. Die Integration in akademi-sche Netzwerke sowie gezieltes Networking sind zentrale Strategien für die positive Karriere-entwicklung und können eine große Rolle bei der Besetzung von Führungspositionen spielen (Cornils & Rastetter, 2012; Hördt, 2006). Allerdings belegen zahlreiche Studien, dass viele Netzwerke männlich dominiert sind und Frauen immer noch ausgeschlossen bleiben (Cornils

& Rastetter, 2012, Metz & Tharenou, 2001, Schubert & Engelage, 2011). Daher steht im Fokus dieses Kapitels die Frage, ob ein Grund für die Unterrepräsentanz von Frauen in den höchsten Hierarchieebenen der MINT-Fächer in der weiblichen Vernetzung liegt. Um diese zu beant-worten, werden zunächst die Vorteile von Netzwerken aufgezeigt, um anschließend die Netz-werkintegration von Frauen genauer zu betrachten. Ziel ist es, herauszuarbeiten, wie die Ver-netzung von Frauen besonders in Domänen mit hohem Männeranteil aussieht.

„Das soziale Umfeld umfasst Kontakte, die durch direkte und indirekte Beziehungen miteinander verbunden sind. Das Geflecht dieser Beziehungen stellt ein soziales Netz-werk dar, welches Ressourcen und Kapital für die Karriere bietet“ (Barthauer, Sauer &

Kauffeld, 2017, 1).

Anhand der Definition wird ersichtlich, dass ein soziales Netzwerk aus Akteuren besteht, die miteinander in Verbindung stehen, woraus Vorteile für die berufliche Laufbahn gezogen wer-den können. Die große Bedeutung von Netzwerken und Kooperationen auf dem Karriereweg wurde bereits in einigen Studien belegt (Lang & Neyer, 2004; Xu & Martin, 2011). Unter den

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vielfältigen Vorteilen von Netzwerken ist vor allem die gegenseitige Informationsversorgung hervorzuheben (Cornils & Rastetter, 2012). Denn ein Netzwerk besteht meist aus Personen der gleichen oder ähnlichen Domäne, sodass die in den Gesprächen gewonnenen Informationen beruflich genutzt werden können. So erhalten die Akteure Nachrichten aus der Branche und über neue Entwicklungen. Zudem bietet ein Netzwerk die Möglichkeit, Beziehungen zu knüp-fen und Personen aus der Domäne kennenzulernen sowie den persönlichen Bekanntheitsgrad zu steigern (Donalies, 2007). Solche Bekanntschaften können enorm karrierefördern sein. Gute Beziehungen und eine starke Einbindung in soziale Netzwerke haben bspw. einen erheblichen Einfluss auf den Berufseinstieg nach dem Studium, da viele Arbeitssuchende auf ihr Netzwerk zurückgreifen und somit bessere Chancen auf einen Job haben (Haug & Kropp, 2002). Denn bei der Personalrekrutierung greifen fast die Hälfte der deutschen Betriebe auf persönliche Kon-takte zurück (Dietz et al., 2012).

Eine gute Netzwerkeinbindung hat ferner Einfluss auf den Erfolg im Unternehmen und eine Beförderung oder mehr Gehalt können bei bestehenden sozialen Beziehungen im organisatio-nalen Netzwerk leichter erreicht werden (Sauer, Kauffeld & Spurk, 2014).

Die Forschung bestätigt jedoch, dass Frauen und Männer ein differentes Netzwerkverhalten aufweisen und von beruflichen Netzwerken unterschiedlich stark profitieren. Um diese Unter-schiede genauer zu differenzieren, soll zunächst zwischen formellen und informellen Netzwer-ken unterschieden werden.

Formelle Netzwerke sind innerhalb von Organisationen, Verbänden oder Institutionen angesie-delt. Beispielsweise ist in Deutschland das ,Netzwerk Ernährung‘ zu nennen, welchem unter Anderem Ernährungsmediziner und Diätassistenten angehören. Es gibt organisierte Treffen, bei denen Informationen und Erfahrungen ausgetauscht werden, die Beziehungen sind also eher formal (Donalies, 2007). Im Gegensatz dazu stehen die informellen Netzwerke. Ihre Besonder-heit liegt darin, dass sie „formelle Prozesse unterlaufen“ (Hördt, 2006, 170). Gerade informelle Netzwerke sind für den beruflichen Werdegang von hoher Relevanz. Die Treffen finden nicht im Büro, sondern in anderen Lokalitäten statt. Beispielsweise wird in einem solchen Netzwerk gemeinsam Sport getrieben oder zusammen ein Bier getrunken. Männer nutzen derartige infor-melle Netzwerke, um Kontakte mit Vorgesetzten aufzubauen und sich dadurch Karrierevorteile zu verschaffen (Sauer, Kauffeld & Spurk, 2014). Frauen haben es jedoch allein aufgrund ihres Geschlechts schwerer, Zugang zu einem informellen Netzwerk zu erlangen (Hördt, 2006) und

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werden häufig von solchen informellen Netzwerken ausgeschlossen (Sauer, Kauffeld & Spurk, 2014).

Bei einer genaueren Untersuchung der Netzwerke von Frauen und Männern kann eine deutliche Benachteiligung der Frauen erkannt werden (Hördt, 2006). Frauen sind sowohl weniger gut in formale als auch in informelle Netzwerke eingebunden (Schubert & Engelage, 2011) und wenn, dann meist in kleinere Berufsnetzwerke, die weniger stark im Unternehmen verstreut sind und in denen sowohl weibliche als auch männliche Mitglieder vertreten sind. Im Gegensatz dazu sind die Netzwerke der Männer größer, stark zerstreut und bestehen hauptsächlich aus gleich-geschlechtlichen Kontaktpersonen. Als Konsequenz dieser Einbindung sind die Berufsnetz-werke von Männern für die Karriere hilfreicher als die der Frauen (Rost, 2010). McGuire (2002) stellt in einer Studie fest, dass Frauen in Netzwerken trotz hochrangiger Position weniger be-rufliche Unterstützung erhalten als Männer. Dies bedingt, dass Frauen weniger häufig befördert werden als Männer (Rost, 2010) und aufgrund der schlechten Integration unzufrieden sind (Xu

& Martin, 2011). Gerade in den Naturwissenschaften zeigen sich diesbezüglich Nachteile für Frauen. Im Zuge einer Befragung von Promovierenden sowie Postdocs geben 45 % der Männer an, von ihren Vorgesetzten am meisten unterstützt und gefördert zu werden. Bei den Frauen stehen Vorgesetzte mit nur 25 % hinter der Familie und dem Partner (Engels, 2015). Daher verwundert es nicht, dass in einer Studie die Hälfte der Vollzeitprofessorinnen angeben, nicht gut in ihrer Universität integriert zu sein und weniger Akzeptanz von der internationalen For-schungsgemeinschaft zu erfahren als ihre männlichen Kollegen (Zimmer, Krimmer & Stall-mann, 2006).

Die fehlende Integration und Diskriminierungstendenzen zeigen sich auch bei der Finanzierung der Promotion sowie Habilitation. Signifikant mehr Männer als Frauen können sich die Phase der Promotion durch eine bezahlte Stelle an einer Universität oder einem Forschungsinstitut finanzieren und sind somit besser in das akademische Umfeld integriert. Im Gegensatz dazu erhalten Frauen häufiger ein Stipendium, mit dem sie sich ihre Promotion finanzieren, ein ähn-liches Bild zeichnet sich bei den Habilitationen ab (Zimmer, Krimmer & Stallmann, 2006).

Als Grund, der für die mangelhafte Einbindung von Frauen in aufstiegsrelevante Netzwerke ausschlaggebend ist, kann der fehlende Zugang von Frauen zu dem sogenannten Old Boy‘s Network genannt werden. Die Mitgliedschaft in diesen einflussreichen, informellen Netzwer-ken ist nur Männern mit einem hohen sozioökonomischen Status gestattet, die eine

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position in Organisationen besetzen (Farr, 1988; Sauer, Kauffeld & Spurk, 2014). Der Aus-schluss von Frauen aus männlichen Netzwerken ist ein Zeichen der Homophilie und dadurch behalten die Männer ihre Machtposition. Homophilie bedeutet die „Tendenz von Akteuren, be-vorzugt mit anderen Personen zu interagieren, die ihnen ähnlich sind“ (Barthauer, Sauer &

Kauffeld, 2017, 12).

Diese Netzwerk-Homophilie zeigt sich auch im MINT-Bereich sehr deutlich (Xu & Martin, 2011). Um in informelle Netzwerke aufgenommen zu werden, wird oft eine gewisse Homoge-nität vorausgesetzt. Frauen sind aufgrund ihres Geschlechts heterogen, sodass ihnen oft der Zugang verwehrt bleibt (Funken, 2011). Sehr konservativ eingestellte Männer sehen Frauen in männlich dominierten Netzwerken sogar als Störfaktor (Wippermann, 2010). Ein Großteil der Männer in MINT-Berufen erkennen keine Benachteiligung von Frauen im Zugang zu Netzwer-ken, im Gegensatz dazu geben 24 % der Frauen in einer Studie von Xu & Martin (2011) an, dass ihr Geschlecht ein Hindernis in Netzwerken begründet.

Diese unterschiedliche Einbindung in berufliche Netzwerke kann zur Erklärung des geringen Frauenanteils in Führungspositionen beitragen, denn das Sozialkapital und ein breites Netzwerk sind für Frauen vor allem in hohen Positionen von fundamentaler Bedeutung (Metz &

Tharenou, 2001).

Abschließend lässt sich resümieren, dass Individuen aus Netzwerken einen großen Nutzen zie-hen können. Ein Aufstieg gerade in männerdominierten Bereiczie-hen hängt nicht nur von der per-sönlichen Qualifikation und Leistung des Individuums ab, sondern es kommt vielmehr auch auf die persönlichen Kontakte in der Domäne an. Männer sind besser in Netzwerke integriert und können demzufolge mehr von ihnen profitieren. Informelle Gender-spezifische Praktiken füh-ren zur Ausgfüh-renzung von Frauen aus verschiedenen Netzwerken. Ihnen wird der Zutritt zu Netzwerken oft erschwert oder sie werden in stark männlich geprägten Netzwerken sogar aus-geschlossen. Deshalb stellen diese eine Barriere bei der Beförderung dar.

4.2.2 Homosoziale Kooptation

Homosoziale Kooptation ist eine Rekrutierungspraxis, im Zuge derer bei Personalentscheidun-gen für hohe Positionen Personen bevorzugt werden, die eine Ähnlichkeit mit den Vorgängern aufweisen (Hördt, 2006). Somit ist bei Personalauswahlgesprächen nicht nur die fachliche

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lifikation von Relevanz, sondern gleichfalls die soziale Ähnlichkeit. Eine Konsequenz der ho-mosozialen Kooptation ist, dass Männer gewöhnlich eher Männer rekrutieren. Wenn sich bspw.

eine Frau und ein Mann mit gleichen Qualifikationen für eine Stelle bewerben, die über lange Zeit mit einem Mann besetzt worden ist, so ist es aufgrund der homosozialen Kooptation wahr-scheinlicher, dass der Mann die Stelle erhält. Diverse Forschungsarbeiten bestätigen dieses Phä-nomen (Beaman, Keleher & Magruder, 2018; Kay & Schlömer-Laufen, 2013; Wippermann, 2010).

Als problematisches Resultat der homosozialen Kooptation für Frauen ist einzustufen, dass ihr Geschlecht in den MINT-Sparten kaum vertreten und zudem die Mehrzahl der Führungskräfte männlich ist (Funken, 2011; Holst & Friedrich, 2017). Frauen wird auf diese Weise gerade in den MINT-Fächern der Weg an die Spitze erschwert. Diese Rekrutierungspraxis bildet somit eine strukturelle Barriere.

Homosoziale Kooptation zeigt sich sogar in der Familie. Konkret hat das Geschlecht des Über-gebers eines Familienunternehmens deutlichen Einfluss darauf, ob ein Sohn oder eine Tochter als Nachfolger bestimmt wird. Die Übergeber präferieren, egal ob männlich oder weiblich, eine/-n Nachfolger/-in des eigenen Geschlechts. Männliche Übergeber neigen demnach dazu, die Nachfolge ihres Unternehmens eher dem Sohn als der Tochter zu übertragen (Kay & Schlö-mer-Laufen, 2013). Bei Personalentscheidungen kommt es zudem oftmals zu Diskrimination aufgrund des Geschlechts – Frauen werden schlechter bewertet (Davison & Burke, 2000). Bei der Verwendung von Empfehlungen für einen Job werden qualifizierte Frauen benachteiligt. In einem Feldexperiment sollten Bewerber für einen Job in einer Forschungsorganisation am Ende des Auswahlgesprächs eine weitere qualifizierte Person empfehlen, die ebenfalls für eine ähn-liche Position im Unternehmen infrage kommen würde. Insgesamt nannten 77 % der Männer einen Mann (Beaman et al., 2018).

Die homosoziale Kooptation ist insbesondere deshalb so schwer zu überwinden, da viele Män-ner in Führungspositionen unter sich bleiben wollen. In eiMän-ner Studie von Wippermann (2010) wurde nach der Einstellung zu einer Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen gefragt.

76 % der männlichen Führungskräfte unterstützen diese Forderung. Allerdings zeigen sich Un-terschiede zwischen den Gruppen. Unter den Männern, die selbst Vorstandsmitglieder sind, stimmten lediglich 55 % der Forderung zu. Demnach lehnen viele Männer in Spitzenpositionen Frauen in ebendiesen Positionen ab und exkludieren sie. Durch diese vorherrschenden Struktu-ren erfahStruktu-ren Frauen weniger Anerkennung für ihr berufliches Schaffen. Sie fühlen sich nicht

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wertgeschätzt, was die Motivation senken und zu einer Stagnation der Karriere erfolgreicher Managerinnen führen kann (Funken, 2011). Dergestalt begünstigt die Praxis der homosozialen Kooptation den Ausschluss von Frauen in Leitungspositionen und stellt einen Strukturnachteil für das weibliche Geschlecht dar. Die gleichgeschlechtliche Rekrutierungspraxis führt zu einer direkten Benachteiligung für Frauen.

4.2.3 Vereinbarkeitsproblematik

Führungspositionen zeichnen sich durch lange Arbeitszeiten sowie möglichst vollständige Ver-fügbarkeit aus (Engels, 2015; Haffner, Könekamp & Krais, 2006; Holst & Friedrich, 2017). So ist es nicht verwunderlich, dass bei der Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und familiären Lebensarrangements Schwierigkeiten auftreten (Kleinert, 2006; Metz & Tharenou, 2001).

Diese Vereinbarkeitsproblematik wird oftmals als Begründung für den geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen angeführt, wie nachfolgende Ausführung zeigt.

In diesem Kapitel werden zunächst Befunde skizziert, welche die unterschiedlichen familiären Situationen von Männern und Frauen in Leitungsfunktionen und vor allem in den MINT-Fä-chern darstellen. Anschließend wird auf den Kontrast in den Partnerschaftskonstellationen und schließlich auf die Probleme eingegangen, die Mütter nach einer beruflichen Pause aufgrund einer Familiengründung zu überwinden haben.

Bereits während des Studiums haben Studentinnen mit Kind deutlich mehr Probleme als solche ohne, aber auch als männliche Studenten mit Kind. Sie erhalten weniger Unterstützung durch den Partner oder die Familie und ziehen daher häufiger einen Studienabbruch in Erwägung (Bargel, 2007). Somit ist die Familiengründung während des Studiums als eine Ursache für das Ausscheiden der Frauen aus der Leaky Pipeline zu betrachten.

Die Promotion als nächster Karriereschritt in der Wissenschaft wird von vielen Studentinnen aufgrund der subjektiv angenommen Unvereinbarkeit nicht begonnen, da sie sich als Frauen in der Verantwortung für die Familienplanung sehen. Aufgrund des Kinderwunschs verzichten sie auf die Wissenschaftskarriere (ebd.). Frauen vertreten häufig die Meinung, dass die Kinderbe-treuung in den Zuständigkeitsbereich der Mutter fällt. Sie investieren deshalb viel Zeit und Energie in die Familie, sodass weniger Ressourcen für den Beruf zur Verfügung stehen (Nies-sen, Sonnentag, Neff & Unger, 2010). Dieser Standpunkt wurde auch in einer Befragung mit knapp 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern deutscher Hochschulen, die sich auf der

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Karriereleiter mindestens in der Promotionsphase befanden, vertreten. Fast 40 % der 800 Be-fragten waren zu dem Zeitpunkt bereits Eltern. Davon berichteten 74 % der männlichen und 70 % der weiblichen Befragten, dass die Mutter im ersten Lebensjahr des Kindes für die Be-treuung zuständig gewesen sei. Sowohl Frauen als auch Männer führen an, eine geschlechtsty-pische Aufgabenteilung zu praktizieren und dass die Hauptzuständigkeit für das Kind bei der Mutter liege (Rusconi, 2013). Die Hauptverantwortung für die Kindererziehung und den Haus-halt ist also noch immer sehr traditionell bei den Frauen angesiedelt (Kahlert, 2015; OECD, 2008). So arbeiten Männer in der EU durchschnittlich 39 Stunden pro Woche in einem bezahl-ten Job, Frauen hingegen nur 33 Stunden. Zusätzlich verbringen Frauen noch 22 Stunden pro Woche damit, den Haushalt zu führen, Männer hingegen nur weniger als 10 Stunden (European Commission, 2017). Frauen in der EU leisten also insgesamt mehr, werden jedoch für einen Großteil der Arbeit nicht entlohnt.

Vergleicht man männliche und weibliche Führungskräfte in Deutschland, so erkennt man hin-sichtlich der Familiensituation deutliche Unterschiede. Die Studie ,Wissenschaftskarriere &

Gender‘ gelangt zu dem Ergebnis, dass 90 % der männlichen Professoren verheiratet sind be-ziehungsweise in einer festen Partnerschaft leben. Im Gegensatz dazu ist das bei nur 64 % der Professorinnen der Fall. Weitere geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich in der Fami-liengründung. Während rund 82 % der männlichen Professoren Kinder haben, so trifft dies le-diglich auf knapp 50 % der weiblichen Professorinnen zu (Krimmer, Zimmer & Stallmann, 2006). Es ist also jede zweite der befragten Professorinnen kinderlos, daraus lässt sich folgern, dass es Frauen mit Kinderwunsch sehr schwer haben, eine hohe berufliche Position an der Uni-versität zu erlangen.

Die IAB-Führungskräftestudie gelangt zu ähnlichen Ergebnissen in der Wirtschaft. Nur 32 % der Frauen in leitender Funktion, aber 53 % ihrer männlichen Kollegen haben Kinder. Auch hier unterscheiden sich die Kontextbedingungen der Geschlechter in Führungspositionen be-achtlich und es zeigt sich wieder, dass die Vereinbarkeitsproblematik für Frauen besonders drastisch ist (Kleinert, 2006). Da viele Frauen befürchten, dass sie dieser Doppelbelastung nicht gewachsen sind, entscheiden sie sich gegen eine Führungsposition (Wippermann, 2010). Ins-besondere in MINT-Berufen ergeben sich Ins-besondere Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Ihsen, Jeanrenaud, Wienefoet, Hackl-Herrwerth, Hantschel & Hojer, 2009; Metz-Göckel, Heusgen, Schürmann, Selent & Möller, 2010; Suhr, 2019). In der Studie von Ihsen et al. (2010) mit knapp 4 000 befragten Studierenden der Natur- und Ingenieurswis-senschaften konnte gezeigt werden, dass sich Familie und Beruf in diesem Fachbereich vor

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allem für Frauen nur schwer vereinen lassen, da sich diese durch lange Anwesenheitszeiten auszeichnen. Auch familienunfreundliche Arbeitszeiten am Wochenende sind bei der Durch-führung von Versuchen keine Seltenheit (Niessen et al., 2010). Entscheiden sich Frauen trotz-dem für den Beruf der Chemikerin beziehungsweise Ingenieurin, so haben sie seltener Kinder als ihre männlichen Kollegen in diesen Berufsgruppen. Betrachtet man 31-40-jährige Chemi-ker/-innen und Ingenieur/-innen hinsichtlich ihrer Kinder, so hat in dieser Gruppe fast die Hälfte der Männer mindestens ein Kind, bei den Frauen nur jede Dritte. Dieses Phänomen spitzt sich in den folgenden zehn Jahren noch weiter zu. Im Alter zwischen 41 und 50 Jahren haben drei Viertel der Männer, aber nur knapp über die Hälfte der Frauen dieser Berufsgruppe ein Kind.

Könekamp (2007) betrachtet dies als das Resultat für die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf in bestimmten MINT-Fächern.

Haffner, Könekamp & Krais (2006) führen die Familienunterschiede zwischen Männern und Frauen in MINT auf die unterschiedlich gestalteten Partnerschaften von Männern und Frauen zurück. Während die Partnerinnen von Männern in Führungspositionen mehrheitlich nicht er-werbstätig sind beziehungsweise nur eine Teilzeitstelle haben, leben Frauen oft in sogenannten

„Doppelkarrierepaaren“ (Funken, 2011). Somit sind deren Partner entweder vollzeiterwerbstä-tig oder nehmen selbst eine leitende Funktion ein (Kleinert 2006; Könekamp & Haffner, 2005).

Diese sogenannte Bildungshomogamie gibt es sowohl in der Wissenschaft (Engels, 2015) als auch in der Wirtschaft (Funken, 2011) und ist gerade in den MINT-Fächern deutlich ausgeprägt:

Lediglich 4 % der Ingenieurinnen und Chemikerinnen haben einen Partner, der nicht berufstätig ist. Männliche Ingenieure sowie Chemiker leben demgegenüber überwiegend mit Frauen zu-sammen, die geringer qualifiziert oder nicht berufstätig sind (Könekamp, 2007). Dadurch ergibt sich für die männlichen Führungskräfte der Vorteil, dass sie sich auf eine Partnerin stützen können (Hördt, 2006; Kleinert, 2006). Diese übernimmt meist die Kinderbetreuung, sodass der Mann uneingeschränkt seinen beruflichen Pflichten nachgehen kann. Im Sinne dieser unter-schiedlichen Partnerschaftskonstellationen ist das Ergebnis der Studie von Haffner, Könekamp

& Krais (2006) mit im MINT-Bereich tätigen Personen nicht verwunderlich: Während 75 % der Männer angaben, dass ihre Partnerin sich nach der Geburt mindestens ein Jahr vollständig der Kinderbetreuung widmete, waren es im Gegensatz dazu nur 6 % der MINT-Frauen, die

& Krais (2006) mit im MINT-Bereich tätigen Personen nicht verwunderlich: Während 75 % der Männer angaben, dass ihre Partnerin sich nach der Geburt mindestens ein Jahr vollständig der Kinderbetreuung widmete, waren es im Gegensatz dazu nur 6 % der MINT-Frauen, die