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Ausarbeitung der Befundlage und forschungsleitendes Fazit

4 Ansätze zur Erklärung der Marginalität von Frauen in hochqualifizier- hochqualifizier-ten Berufen und Professionen in MINT

4.3 Ausarbeitung der Befundlage und forschungsleitendes Fazit

Die Ergebnisse dieser Datensammlung spiegeln den Stand der Forschung zu Frauen in MINT wider und zeigen deutlich, dass die Ursachen für die Geschlechterdifferenzen in Führungspo-sitionen der MINT-Disziplinen keinesfalls monokausal, sondern dass die entsprechenden Er-klärungsansätze ausgesprochen vielfältig und komplex sind. Die Frage, warum Frauen es nicht in die Führungsetage im MINT-Bereich schaffen, obgleich ihre Qualifikationen den Anforde-rungen entsprechen, kann mit soziokulturellen und strukturellen Barrieren beantwortet werden.

Die geschlechtsspezifische Sozialisation, in der Gesellschaft verankerte Stereotype, unter-schiedlich ausgeprägte fähigkeitsbezogene Selbstkonzepte und die verschiedenen Attributionen

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von Führungskompetenz werden als gewichtige Einflussfaktoren in diesem Zusammenhang ge-nannt. Zudem ziehen der Mangel an attraktiven Vorbildern sowie tradierte Rollenbilder in MINT und der daraus resultierende Status einer token minority negative Auswirkung auf die Entscheidung zu und den Verbleib in den MINT-Domänen nach sich. Frauen vernetzen sich anders als Männer und werden oft durch die homosoziale Kooptation diskriminiert. Zudem ist eine Familiengründung schwer mit einer Karriere vereinbar, da die Kindererziehung auch heut-zutage noch meist Aufgabe des weiblichen Geschlechts ist. Diese vielen Barrieren bedingen sich teils gegenseitig, sodass es nicht die ,Eine Lösung‘ gibt, die Partizipationsrate der Frauen zu erhöhen. Alle aufgeführten theoretischen Ansätze liefern Erklärungsbeiträge zur Unterreprä-sentanz von Frauen in MINT sowie zur Leaky Pipeline. Somit kann festgehalten werden, dass das Geschlecht einen enormen Einfluss auf die Berufswahl und Karriereentwicklung von Frauen hat. Sie stoßen aufgrund des Geschlechts an die gläserne Decke.

Nun soll die Frage beantwortet werden, welche Folgen die vorgestellten Ergebnisse für die Förderung von Chancengleichheit haben können und was man aus den einzelnen Ansätzen ler-nen kann. Die vorgestellten soziokulturellen und strukturellen Barrieren erschweren den Frauen den Aufstieg in den MINT-Fächern. Daher sind ein Umdenken und Veränderungen in diesem Bereich unabdingbar. Diese muss mit der Erziehung beginnen, indem keine stereotypen Rol-lenerwartungen vermittelt werden und den Mädchen und Jungen gleiche Kompetenzen in allen Bereichen von Anfang an zugeschrieben werden. Dergestalt erhalten Mädchen ein höheres Selbstkonzept in diesen Domänen, sodass sie bessere Abschlüsse anstreben und schließlich der Frauenanteil in Spitzenpositionen erhöht wird. Die Konsequenzen sind mehr Rollenvorbilder für die nächsten Generationen und der Verlust des negativen Status einer token minority. Weiter werden Frauen im Sinne der homosozialen Kooptation durch andere Frauen gefördert. Um dies zu erreichen, ist es von enormer Wichtigkeit, die Sozialisationsinstanzen über ihr Verhalten aufzuklären. Denn die soziale Unterstützung spielt bei der Studien- und Berufswahl eine zent-rale Rolle. Zusätzlich sind weitere politische Aktivitäten notwendig, welche die strukturellen Barrieren durchbrechen, um somit die negativen Folgen der Leaky Pipeline zu minimieren. Zu diesen Aktivitäten gehören bspw. die Möglichkeiten, eine Führungsposition in Teilzeit auszu-üben und genügend KiTa-Plätze, sodass Frauen mit Kindern trotzdem die zeitlichen Ressourcen haben, um zu arbeiten. Weiter sollte Frauen der Zutritt zu Netzwerken erleichtert werden, dies kann bspw. durch eine/-n erfahrene/-n Mentor/-in geschehen.

Der Überblick des aktuellen Forschungsstands macht deutlich, dass es weiterer Forschung zur Leaky Pipeline bedarf. Angesichts der Polykausalität für die Unterrepräsentanz von Frauen in

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hohen beruflichen Positionen in MINT ist es offensichtlich nicht ausreichend, sich bei der Un-tersuchung der Leaky Pipeline auf nur einen Aspekt zu konzentrieren. Beispielsweise zeigt die theoretische Ausführung, dass Frauen in Spitzenpositionen in MINT häufig auf Kinder verzich-ten und ihre Karriere in den Vordergrund stellen, während sich andere Frauen für die Familie entscheiden. Eine andere Ursache, die oft im Zusammenhang mit der Leaky Pipeline genannt wird, ist der Ausschluss von Frauen aus Netzwerken, die insbesondere bei der Besetzung von Führungspositionen eine wichtige Rolle spielen. Beide Theorien erfassen das zu untersuchende Phänomen nicht vollständig. Erstere setzt den Fokus auf die Frauen und ihre individuellen Vo-raussetzungen, die sich bewusst für eine Familie entscheiden, Letztere auf die Umwelt, welche das weibliche Geschlecht ausschließt. Um der Vielfalt an möglichen individuellen und kontex-tuellen Gründen gerecht zu werden, sollte der Blick vielmehr auf das gesamte System gerichtet werden. Dies kann durch einen systemischen Ansatz, der sowohl individuelle als auch umwelt-bezogene Ressourcen von Frauen beachtet, erreicht werden.

Weiter zeigen die zahlreichen Untersuchungen deutliche Differenzen zwischen den Geschlech-tern in MINT-Berufen. Jedoch wird kaum auf die Varianz innerhalb der Geschlechter einge-gangen und Frauen als eine homogene Gruppe generalisiert. Traditionell ist der Fokus der For-schung von Frauen in MINT-Führungspositionen auf dem Vergleich von Männern und Frauen ausgerichtet und meist steht die Frage im Vordergrund, warum Frauen es im Gegensatz zu Männern nicht schaffen, eine hohe Position in diesen Domänen zu erreichen. In vielen Studien wurde gezeigt, welche Barrieren Frauen überwinden müssen, um eine hohe berufliche Position zu erlangen. Dessen ungeachtet gibt es einige Frauen, die es geschafft haben, die gläserne De-cke zu durchbrechen und eine hohe berufliche Position in MINT erlangt haben. Hier drängen sich die Fragen auf, was diese Frauen auszeichnet und was sie von den übrigen Frauen, die aus der Leaky Pipeline ‚fallen‘, unterscheidet. Der Beantwortung dieser Frage wird in der For-schung wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sie stellt deshalb einen wichtigen Untersu-chungssektor dar. Welchen Frauen gelingt es, trotz der schwierigen Voraussetzungen und Vor-urteile eine hohe Position in MINT zu erreichen und welche scheitern? Wie unterscheiden sich die Frauen, die erfolgreich sind, von jenen, die auf der Karriereleiter verloren gehen? Der Be-antwortung dieser Fragen kommt eine enorme Bedeutung zu, da dadurch der Frauenanteil in den MINT-Berufen erhöht werden könnte.

Angesichts dieses zentralen Forschungsbedarfs fokussiert die vorliegende Dissertation die Un-terschiede zwischen den MINT-Frauen. Dabei soll die Frage beantwortet werden, ob erfolgrei-che Frauen in MINT mehr personenbezogene sowie umweltbedingte Entwicklungsressourcen

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im Sinne von Bildungs- und Lernkapital zur Verfügung haben als solche, die weniger erfolg-reich sind. Dieser systemische, ressourcenorientierte Zugang soll eine Ergänzung zu den beste-henden Ansätzen darstellen und weitere Aufschlüsse über die Unterrepräsentation von Frauen auf hohen MINT-Positionen geben, da der Fokus dabei auf den Unterschieden innerhalb des Geschlechts der Frau liegt und nicht zwischen den Geschlechtern. Weiter werden die Bezie-hungen zwischen den Ressourcen mit dem Ziel untersucht zu ermitteln, ob ein unterschiedliches Beziehungsmuster bei den verschiedenen Gruppen von MINT-Frauen vorliegt.

Um im empirischen Teil dieser Arbeit eine systemische Perspektive auf MINT-Frauen in un-terschiedlichen Karrierestufen einnehmen zu können, wird im Folgenden das Konstrukt des Bildungs- und Lernkapitals verwendet. Zunächst soll dieses beschrieben werden, um dann in empirischen Studien herauszufinden, in welchen Bereichen Heterogenität zwischen den Frauen besteht. Es soll ermittelt werden, welche Ressourcen zur Verfügung stehen müssen, um als Frau im MINT-Bereich erfolgreich zu sein und wie die Ressourcen untereinander in Beziehung ste-hen.

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5 Bildungs- und Lernkapital: Ressourcen zur Erreichung von