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4 Ansätze zur Erklärung der Marginalität von Frauen in hochqualifizier- hochqualifizier-ten Berufen und Professionen in MINT

4.1 Soziokulturelle Erklärungsmodelle

Ein Individuum entwickelt sich „in Abhängigkeit von seiner Umwelt und Kultur, der Mensch wird sozialisiert“ (Elbe, 2016, 68). Dieses Zitat verdeutlicht den enormen Einfluss von Umwelt und Kultur auf den Menschen. Je nachdem in welcher Kultur eine Person aufwächst, kann sie sich somit ganz unterschiedlich entwickeln. Dies bestätigen auch die sogenannten Zwillings-studien, die der Beantwortung der Frage dienen, ob bestimmte Merkmale einer Person, wie bspw. ihre Intelligenz, Persönlichkeit oder das Verhalten, aufgrund der Anlage oder der Umwelt entstehen. Eineiige Zwillinge eignen sich für diese Forschungszwecke besonders gut, da ihre Erbinformation genetisch zu 100 % übereinstimmt. Die Zwillingsstudien zeigen, dass sich das Verhalten eineiiger Zwillinge, die nach der Geburt in unterschiedlichen Familien aufwachsen, unterscheidet. Aufgrund ihres übereinstimmenden Erbguts können diese verschiedenen Verhal-tensweisen auf Umwelteinflüsse zurückgeführt werden (Lohaus & Vierhaus, 2015). Somit stellt

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sich die Frage, ob die Kultur und die Umwelt auch auf die Wahl der MINT-Fächer und den Verbleib der Frauen in diesen Domänen Einfluss nehmen. Bilden die Erziehung und die Um-welt, innerhalb derer die Mädchen in Deutschland aufwachsen, eine mögliche Erklärung, wieso Frauen es nicht in die oberen Hierarchieebenen in Wissenschaft und Wirtschaft der MINT-Bereiche schaffen? Das folgende Kapitel widmet sich der Beantwortung dieser Fragen.

4.1.1 Geschlechtsspezifische Sozialisation

In diesem Abschnitt soll auf Grundlage verschiedener Untersuchungen und Befunde der bedeu-tende Einfluss von Eltern, Schule, Medien und Peers auf die Interessen und Berufswahl der Heranwachsenden verdeutlicht werden, denn diese haben in dem langen Prozess der Sozialisa-tion einen zentralen Einfluss auf das Individuum, indem sie es mit ihren geschlechtsspezifi-schen Einstellungen und Verhaltensweisen konfrontieren (Beerman et al., 1992), wodurch das sogenannte doing Gender entsteht. Dieser Begriff wurde 1987 von Candace West und Don H.

Zimmermann eingeführt: „Doing gender means creating differences between girls and boys and women and men, differences that are not natural, essential, or biological“ (West & Zimmer-mann, 1987, 137). Um dieses Phänomen präziser zu erarbeiten, differenzieren die Autoren zu-nächst zwischen den Kategorien ,sex‘ und ,gender‘. ,Sex‘ ist durch Anatomie und Physiologie charakterisiert, der Begriff stellt also die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Män-nern dar. ,Gender‘ hingegen ist durch kulturelle und soziale Konstruktionen geprägt, was auf geschlechtsbezogenen, gesellschaftlichen Annahmen darüber beruht, wie sich eine Frau bzw.

ein Mann verhalten soll. Beim doing Gender wird einer Person ebendiese gesellschaftlich er-schaffene Geschlechtsidentität hinsichtlich ihres biologischen Geschlechts aufgedrängt und es werden Unterschiede zwischen Männern sowie Frauen in den Interaktionen hergestellt (West

& Zimmermann, 1987). Im Folgenden werden Befunde aufgezeigt, die auf eine geschlechter-spezifische Sozialisation in bestimmten Lebensabschnitten hinweisen und erste Antworten auf die Frage ermöglichen können, wie es zu der ungleichen Partizipation von Männern und Frauen in MINT kommt.

Doing Gender beginnt bereits im Säuglingsalter. Mit dem Zeitpunkt der Bestimmung des bio-logischen Geschlechts werden Jungen und Mädchen unterschiedlich behandelt. Bereits bei der Vergabe von Vornamen wird darauf geachtet, dass sie, je nach biologischem Geschlecht, ent-weder weiblich oder männlich sind (Quaiser-Pohl, 2012). Sowohl die Kleidung, der Haarschnitt als auch die Geschenke, welche die Kinder bekommen, sind an das Geschlecht angepasst. So besteht die Garderobe von Mädchen deutlich häufiger aus pinken Besitztümern und die der

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Jungen aus blauen (Shaking, Shaking & Sternglanz, 1985). Somit wird bspw. ein Junge, dem bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wird, bereits sehr früh mit maskulinen Rollenerwartungen erzogen.

Die Freizeitaktivitäten und die Spielzeugpräferenz von Vorschulkindern unterscheiden sich in erheblichem Maß nach dem Geschlecht. Mädchen greifen öfter auf weibliche Spielsachen wie bspw. Puppen oder Teegeschirr zurück, Jungen spielen hingegen lieber mit Spielzeugautos oder -zügen (O’Brien & Huston, 1985). Da die Geschenke für die Kinder jedoch ab dem Säuglings-alter auf das Geschlecht zugeschnitten sind (Shaking, Shaking & Sternglanz, 1985), ist es nicht verwunderlich, dass Jungen und Mädchen bereits in frühen Jahren andere Spielsachen bevor-zugen.

Im Kindergartenalter zeigt sich eine unterschiedliche Förderung des Interesses an forschenden Aktivitäten je nach Geschlecht. Mädchen werden weniger in spielerische Tätigkeiten mit Tech-nik involviert als Jungen (Unutkan, 2006) und erhalten von den Eltern aufgrund ihres Ge-schlechts andere Spielsachen (O’Brien & Huston, 1985) sowie eine andere Förderung des räum-lichen Vorstellungsvermögens (Fredricks, Simpkins & Eccles, 2005). Somit werden auch tech-nisch interessierte Mädchen bereits in der Kindheit weniger darin unterstützt und beginnen die Grundschule mit geringeren Vorerfahrungen im Hinblick auf Technik. Das konnte auch im Zuge einer retrospektiven Untersuchung, bei der fast 3 000 Jugendliche nach ihren Freizeitak-tivitäten in der Kindheit befragt wurden, gezeigt werden. Das Ergebnis bestätigt deutliche ge-schlechtsspezifische Differenzen. Bloß 22 % der weiblichen, aber 50 % der männlichen Be-fragten haben sich in der Kindheit oft mit technischen Aktivitäten beschäftigt. Zu technikori-entierten Spielen zählen in dieser Befragung bspw. Konstruktionsspiele, Denk- und Logikspiele wie Schach sowie das Durchführen von Experimenten. Umgekehrt haben sich 72 % der Mäd-chen, aber nur 38 % der Jungen besonders häufig in ihrer Kindheit mit kulturell orientierten Spielen beschäftigt. Zu dieser Kategorie gehören bspw. lesen, malen, oder basteln (Wensierski, 2015). Dass die Freizeitaktivitäten in der Kindheit so verschieden sind, kann auch an der unter-schiedlichen positiven Verstärkung der Eltern liegen. Diese ist bei Mädchen bspw. deutlich höher beim Spielen eines Musikinstruments, bei Jungen in der sportlichen Betätigung (Fred-ricks, Simpkins & Eccles, 2005).

Die genderspezifische Erziehung kann dazu führen, dass Jungen und Mädchen bereits in jungen Jahren davon ausgehen, dass Technik eher eine Domäne des männlichen Geschlechts sei. Hinzu kommt, dass Erzieherinnen in der Kindertagesstätte und im Kindergarten meist weiblich sind.

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Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit konnte in einer Studie nachweisen, dass 2010 nur 11 % der Frauen in sogenannten ,Männerberufen‘ ar-beiteten. Als Männerberufe gelten dabei jene, die in der Mehrzahl der Jahre 1976 – 2010 einen Frauenanteil von 0 % bis 30 % aufwiesen. Zu diesen Männerberufen gehören technische und verarbeitende Berufe, während Pflege, Erziehung und Reinigung typische Frauenberufe dar-stellen (Hausmann & Kleinert, 2014). Dadurch wird die geschlechtstypische Entwicklung be-einflusst und Kinder könnten daraus schließen, dass die Aufgaben der Erziehung und Kinder-betreuung in der Hand der Frauen liegen (Quaiser-Pohl, 2012).

Neben dem Elternhaus und dem Kindergarten ist die Schule ein zentraler Ort der Sozialisation (Elbe, 2016) sowie der Informationsvermittlung über Technik und Naturwissenschaften. Laut OECD-Bildungsstudie ,Bildung auf einen Blick‘ ist im Primarbereich ein Großteil der Lehr-kräfte weiblich (OECD, 2018). Im Gegensatz zu männlichen Lehrern integrieren sie meist auf-grund von Berührungsängsten Technik in geringerem Ausmaß in den Sachunterricht (Endep-ohls-Ulpe, Stahl-von Zabern & Ebach, 2010). Zwar gibt es kaum Leistungsunterschiede in den Mathematiknoten zwischen Jungen und Mädchen (Mok, Knogler & CHU Research Group, 2017), aber im Laufe der Grundschulzeit nimmt das Interesse der Mädchen trotzdem an dem Fach und auch an Naturwissenschaft und Technik ab (Endepohls-Ulpe et al., 2010). Ein Grund dafür wird in den unterschiedlichen Interaktionsmustern von Lehrkräften gegenüber Mädchen und Jungen im Unterricht vermutet. Die Lehrkräfte treten in den MINT-Fächern seltener mit den Mädchen der Klasse in Interaktion. So wurde bereits in mehreren Studien bestätigt, dass Schülerinnen weniger in den Mathematik- sowie naturwissenschaftlichen Unterricht einbezo-gen werden (Frasch & Wagner, 1982; She, 2000). Eine weitere Studie belegt, dass Juneinbezo-gen, die an Physik interessiert sind eher von ihren Lehrkräften dazu ermutigt werden, dieses Fach zu studieren als Mädchen mit demselben Interesse (Mujtaba & Reiss, 2012).

In den weiterführenden Bildungseinrichtungen spielt der Naturwissenschafts- und Technikun-terricht eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Technikinteresse. Jedoch ist gerade hier die Förderung des Technikinteresses nicht ausreichend, sodass die Schülerinnen und Schüler den Unterricht der MINT-Fächer als langweilig empfinden und der gesellschaftliche Nutzen kaum thematisiert wird. Dieser Unterricht schreckt insbesondere junge Mädchen vor diesen Domänen ab, da insbesondere der soziale Bezug und die positiven sowie negativen Folgen von Technik für die Wirtschaft und Kultur des Landes ihr Interesse weckt (Acatech & VDI, 2009).

Problematisch ist dabei, dass das Interesse und die Freude am Lernen bestimmter Inhalte einen hohen Einfluss auf das Lernverhalten und die Motivation haben (Gläser-Zikuda, 2008). Dass

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vor allem Mädchen im Laufe der Schulzeit das Interesse an den MINT-Fächern verlieren (Das-gupta & Stout, 2014), kann – wie bereits angemerkt – an der unterschiedlichen Interaktion der Lehrkräfte mit den Schülerinnen und Schülern liegen. She (2000) beobachtete zwei siebte Klas-sen im Biologieunterricht und gelangte zu dem Ergebnis, dass Lehrkräfte Jungen viel mehr in den Biologieunterricht einbeziehen als Mädchen und Jungen bei gleichem Meldeverhalten häu-figer aufgerufen werden. Da in dieser Studie jedoch lediglich die Interaktion von zwei Lehr-kräften mit ihren Klassen beobachtet wurde, sind die Ergebnisse nicht repräsentativ. Frasch und Wagner (1982) ermittelten in ihrer Studie jedoch ein ähnliches Ergebnis. Das Geschlecht hat auch hier Auswirkungen auf die Verteilung der Aufmerksamkeit der Lehrer. In den Fächern Mathematik und Sachkunde werden Jungen auch bei gleichem Meldeverhalten häufiger aufge-rufen als Mädchen.

Ein weiterer Grund für die geringe Frauenquote in den MINT-Fächern wird in den Karriereer-wartungen der Eltern vermutet. Wensierski (2005) befragte in einer Untersuchung Jugendliche, die vor einer Berufswahl standen, nach den Informationsquellen, die sie für die Entscheidung herangezogen hatten. Bei einer Stichprobe von 175 deutschen Jugendlichen standen bei 68,3 % die Eltern an erster Stelle. Somit nahmen diese einen großen Einfluss auf die spätere Berufswahl ihrer Kinder. Auf die Frage, welche Berufslaufbahnen sich Eltern für ihre Kinder wünschen, antworten diese meist mit stereotypen Berufen, also bspw. einer Tätigkeit im naturwissen-schaftlichen oder technischen Bereich für die Söhne und für Mädchen Erziehung oder Sprachen (Ziegler & Schober, 1999). Esch und Grosche (2011) gelangten in ihrer Studie zu einem ähnli-chen Ergebnis. In dieser wurden Jugendliche zu deren Einstellungen hinsichtlich des ingenieur-wissenschaftlichen Studiums befragt. Während lediglich 24 % der jungen Frauen die Meinung vertraten, dass ihre Eltern ein solches Studienfach befürworten würden, war das bei 50 % der männlichen Jugendlichen der Fall. Da Jugendliche sich jedoch in Bezug auf die Berufswahl in hohem Maß von den Eltern beeinflussen lassen (Wensierski, 2005), können deren stereotype Einstellungen ein Grund für junge Frauen sein, sich von den MINT-Fächern abzuwenden.

Auch die Medien nehmen in der Sozialisation der Kinder eine zentrale Rolle ein. Sie stellen einen selbstverständlichen Bestandteil des Alltags von Menschen dar und sind bereits in das Alltagsleben von Kindern fest integriert. Das bestätigen die Daten der FIM-Studie 2016 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest. Nach Fernsehen spielen Musik und Ra-dio hören sowie Spiele am Computer oder der Konsole eine bedeutende Rolle im Leben von Kindern und Jugendlichen. Somit üben Medien einen großen Einfluss auf das Verhalten von Individuen aus. Die bedeutendsten Medien zur Unterstützung des Lernprozesses in der Schule

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sind Bücher. Bei einer Analyse der MINT-Fachbücher, die in der Schule verwendet werden, zeigt sich jedoch eine stark stereotype Darstellung der Geschlechter. Beispielhaft soll hier das Chemiebuch ,Elemente‘ genannt werden, in dem nur eine einzige Wissenschaftlerin, Marie Cu-rie, dargestellt wird. Neben ihr sind 81 männliche Wissenschaftler in dem Buch zu sehen. Die Forderung hinsichtlich geschlechtsneutraler Darstellungen besteht bereits seit Ende der 1960er-Jahre, jedoch hat sich bis heute kaum etwas verändert (Aeschlimann, Herzog & Makarova, 2015b). Da in den Schulbüchern hauptsächlich Männer in erfolgreichen MINT-Berufen darge-stellt werden, wird das MINT-Interesse sowie das Vertrauen in die eigenen MINT-Fähigkeiten der Mädchen negativ beeinflusst (Heilemann, Hackl, Neubauer & Stöger, 2012). Neben Bü-chern spielen der PC und verschiedene Computer- und Videospiele eine Rolle bei der Entwick-lung von Interessen. Mädchen befassen sich insgesamt weniger damit. Da diese Spiele aber einen positiven Einfluss auf die räumlichen Fähigkeiten haben, sind die Mädchen hier im Nach-teil (Quaiser-Pohl, Geiser & Lehmann, 2006). Das Hauptmedium der Schule, nämlich das Buch, signalisiert Mädchen also, dass MINT eine Männer-Domäne ist – in der Freizeit nutzen Mädchen und Jungen verschiedenartige Medien, die das Interesse der Geschlechter in unter-schiedliche Richtungen lenken.

Die Peers stellen eine weitere Sozialisationsinstanz dar. Mit Beginn der Pubertät nimmt der Einfluss der Gleichaltrigen stark zu. Popularität beim anderen Geschlecht ist einer der wich-tigsten Faktoren des Selbstkonzepts (Leslie, McClure & Oaxaca 1998). Aus Angst, dass die Mitschüler der Person vorwerfen, ein Streber zu sein, schöpfen Schüler ihr Leistungspotenzial oft nicht ganz aus. Besonders häufig lässt sich das bei leistungsstarken Mädchen in Mathematik feststellen, die aufgrund dieser Angst eher zu Desinteresse am Fach neigen und dadurch schlechtere Schulleistungen erbringen (Pelkner & Boehnke, 2003). Betrachtet man die von Schülerinnen und Schülern angenommene Attraktivität einer berufstätigen Person in MINT, erschließen sich mögliche Gründe für die Abwendung junger Frauen von diesem Bereich. In einer Studie von Hannover und Kessels (2002) sollten Jugendliche den Prototypen eines Phy-sikers sowie den eines Ingenieurs beschreiben. Als zentrales Ergebnis stellte sich heraus, dass beiden Prototypen kaum weibliche Eigenschaften, wie bspw. sanft und weichherzig, zuge-schrieben wurden und insbesondere der Physikprototyp besonders negativ und maskulin be-schrieben wurde. Die Zuschreibungen verklemmt und langweilig wurden in diesem Zusam-menhang besonders häufig genannt. In der Pubertät entwickeln die Mädchen jedoch ihre weib-liche Identität. Da der Prototyp eines Physikers oder einer Physikerin jedoch mit negativen Ei-genschaften besetzt und zudem als wenig weiblich gilt, ist in dieser Entwicklungsphase ein besonders starkes Absinken des MINT-Interesses der jungen Frauen zu verzeichnen. In einer

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weiteren Studie von Kessels (2005) wurden 198 Acht- und Neuntklässler/-innen befragt. Sie sollten die Beliebtheit bei den Peers von Mädchen und Jungen, die in Physik oder Musik sehr gute Noten erzielen, einschätzen. Das zentrale Ergebnis zeigt, dass Mädchen mit sehr guten Leistungen in Physik weniger beliebt bei den Mitschülern sind als Jungen mit ähnlichen Leis-tungen. Auch die an der Studie befragten Mädchen, die zu der Gruppe der in Physik leistungs-starken Schülerinnen gehörten, gaben an, bei den Mitschüler/-innen wenig beliebt zu sein. Das Gegenteil ist im Fach Musik der Fall: Sowohl Mädchen als auch Jungen, die gute Leistungen erbringen, sind beliebt bei den Peers. Da gerade bei jungen Frauen in der Phase der Pubertät die Peers und deren Meinung von zentraler Bedeutung sind (Leslie, McClure & Oaxaca, 1998;

Wensierski, 2005) kann der Einfluss der Gleichaltrigen eine wesentliche Erklärung für die Ab-wendung von den MINT-Fächern sowie die daraus entstehenden Diskrepanzen in der Leistung sein. Denn insbesondere in der Sekundarstufe I nehmen die Leistungen der jungen Frauen im MINT-Bereich stark ab (Mok, Knogler & CHU Research Group, 2017). Während Jungen der 5.-10. Jahrgangsstufe in Baden-Württemberg schulübergreifend in Mathematik bessere Zensu-ren erzielen, zeigt sich bei Mädchen ein Vorsprung in Deutsch sowie in der ersten Fremdspra-che (Dresel, Stöger & Ziegler, 2006). Die große Angst vor der Stigmatisierung der Peer-Group als ,Streber‘ oder ,Nerd‘ (Hannover & Kessels, 2002) führt demzufolge dazu, dass sich Mäd-chen von dem MINT-Bereich abwenden und weniger Leistung bringen.

Die dargestellten Forschungsergebnisse zur Beantwortung der Frage, ob Mädchen und Jungen einer anderen Sozialisation ausgesetzt sind, lassen sich im Wesentlichen in drei Aussagen zu-sammenfassen, die als empirisch belegt gelten können: Erstens werden Mädchen und Jungen im Zuge der geschlechtsspezifischen Sozialisation ab der Geburt unterschiedlich behandelt und erhalten sehr früh eine geschlechtsspezifische Förderung hinsichtlich des Interesses an natur-wissenschaftlichen und technischen Aktivitäten. Mädchen werden viel weniger dazu angeregt, ein Interesse für die MINT-Fächer zu entwickeln beziehungsweise aufrechtzuerhalten. Zwei-tens entwickeln diese dann als Konsequenz der Bildungssozialisation eine Identität, die auf den Erwartungen von Lehrern und Eltern aufgebaut ist und drittens wird eine Abweichung von die-sem geschlechtstypischen Verhalten im Jugendalter negativ sanktioniert. Somit kann der enorme Einfluss der Sozialisation auf die Interessensbildung und das Wahlverhalten von Mäd-chen in MINT bestätigt werden.

Sämtliche der vorgestellten Sozialisationsinstanzen vermitteln den Kindern folglich von Geburt an Stereotype, auf diese wird im Folgenden genauer eingegangen.

38 4.1.2 Geschlechtsstereotype und stereotype threat

In diesem Kapitel soll zunächst die Frage beantwortet werden, was überhaupt Stereotype sind, um anschließend zu klären, welche Auswirkungen diese auf bestimmte Individuen ausüben.

Die große Bedeutung des sogenannten stereotype threat auf die Berufswahl und -entwicklung von Frauen wird anhand verschiedener Beispiele erläutert. Es ist eine Vielzahl an Definitionen von Stereotypen existent, alle haben jedoch gemeinsam, dass es sich um „beliefs about the cha-racterstics of members of a social group“ (Esses, Haddock & Zanna, 1993, 82) handelt. Be-stimmte soziale Gruppen werden also mit homogenen Charakteristika versehen.

„Ein Stereotyp ist eine stark vereinfachte Verallgemeinerung, die mit einer festgelegten Beur-teilung einhergeht. Die Mitglieder einer Gruppe werden so vereinfacht, nämlich ohne ihre in-dividuellen Fähigkeiten gesehen und beurteilt“ (Herpers 2013, 40). Diese Verallgemeinerungen und Glaubenssätze über die Eigenschaften einer bestimmten Gruppe können sowohl positiv als auch negativ sein (Esses, Haddock & Zanna, 1993). Aus der Definition geht hervor, dass Per-sonen beurteilt werden, nur weil sie in gewisser Weise zu einer Gruppe gehören, jedoch wird nicht innerhalb der Gruppe differenziert. Mädchen können bspw. in eine soziale Gruppe gefasst werden, da sie sich durch ihr Geschlecht von den Jungen unterscheiden (Quaiser-Pohl, 2012).

Somit gibt es zu den verschiedenen Geschlechtern auch Stereotype. Darunter werden „subjek-tive Vorstellungen und Konzepte von Merkmalsausprägungen, mit denen geschlechtsdifferen-zierte Auftretenswahrscheinlichkeiten verknüpft sind“ (Lohaus & Vierhaus, 2005, 209) ver-standen. Wie genau diese Stereotype auf Mädchen und Frauen in MINT einwirken, wird im Folgenden genauer erläutert.

Mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer werden bereits in der Kindheit als männliche Do-mäne stereotypisiert und geschlechtskonnotiert wahrgenommen (Beerman et al., 1992). Das zeigt sich auch in den Ergebnissen der Befragung des Nachwuchsbarometers Technikwissen-schaften (Acatech & VDI, 2009). Lediglich 13 % der befragten Schülerinnen und Schüler be-stätigen die Aussage, dass Mädchen mehr Kompetenzen beim Lösen mathematischer Aufgaben aufweisen. Weiter sind sowohl Mädchen als auch Jungen mehrheitlich der Meinung, dass Jun-gen mehr Technikkompetenz haben als Mädchen. Vor allem technisch begabte JunJun-gen stimmen der Aussage zu. Diese stereotype Einschätzung kann wiederum negative Auswirkung auf die spätere Berufswahl sowie den -verlauf der jungen Frauen sein, da sie im Falle eines Technik-Studiums eben auf diese Gruppe Männer stoßen. Im Rahmen der Studie ,Bildungsziel – Inge-nieurin. Technik und naturwissenschaftliche Studienorientierung bei jungen Frauen‘ wurden

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3 000 Schülerinnen und Schülern aus verschiedenen Klassenstufen an Gymnasien und Gesamt-schulen zu ihrer Einstellung bezüglich Technik und Naturwissenschaften befragt. Die Ergeb-nisse zeigen, dass zwar technikbezogene Geschlechterstereotype vorhanden sind, diese aber deutlich vom Geschlecht der befragten Person abhängen. Das klassische Genderstereotyp ,Jungs sind für Technik begabter als Mädchen‘ zeigt deutlich die Diskrepanz in der Wahrneh-mung von Stereotypen: Während 47,7 % und somit fast die Hälfte aller männlichen Teilnehmer der Aussage zustimmen, sind es bei den Mädchen nur 18,7 %. Die stereotypen Aussagen ,Mäd-chen können mit Technik weniger gut umgehen als Jungen‘ (12,1 % der Schülerinnen und 43,8 % der Schüler stimmen zu) sowie ,Männer sind für technische Berufe besser geeignet als Frauen‘ (16,4 % der Mädchen stimmen zu, 43,8 % der Jungen) zeigen bei der Befragung ähn-liche Ergebnisse. Frauen lehnen diese eher ab, Männer stimmen diesen zu. Ein weiteres inte-ressantes Ergebnis ist, dass sich die Beurteilung der befragten Jugendlichen im Laufe der Ado-leszenz stark wandelt. Nach der 7. Klasse nimmt die Akzeptanz junger Frauen für Stereotype weiter zu und die der männlichen Schüler etwas ab. Während bspw. die Aussage ,Jungen sind für Technik begabter als Mädchen‘ in der 7. Klasse bei 13,0 % der Mädchen und 48,4 % der Jungen Zustimmung findet, sind es in der 12. Klasse bereits 20,3 % der jungen Frauen und nur noch 45,2 % der Männer (Wensierski, 2015). Junge Frauen lehnen die negativen technikbezo-genen Stereotype also in jungen Jahren noch ab, jedoch nimmt die Akzeptanz mit zunehmender

3 000 Schülerinnen und Schülern aus verschiedenen Klassenstufen an Gymnasien und Gesamt-schulen zu ihrer Einstellung bezüglich Technik und Naturwissenschaften befragt. Die Ergeb-nisse zeigen, dass zwar technikbezogene Geschlechterstereotype vorhanden sind, diese aber deutlich vom Geschlecht der befragten Person abhängen. Das klassische Genderstereotyp ,Jungs sind für Technik begabter als Mädchen‘ zeigt deutlich die Diskrepanz in der Wahrneh-mung von Stereotypen: Während 47,7 % und somit fast die Hälfte aller männlichen Teilnehmer der Aussage zustimmen, sind es bei den Mädchen nur 18,7 %. Die stereotypen Aussagen ,Mäd-chen können mit Technik weniger gut umgehen als Jungen‘ (12,1 % der Schülerinnen und 43,8 % der Schüler stimmen zu) sowie ,Männer sind für technische Berufe besser geeignet als Frauen‘ (16,4 % der Mädchen stimmen zu, 43,8 % der Jungen) zeigen bei der Befragung ähn-liche Ergebnisse. Frauen lehnen diese eher ab, Männer stimmen diesen zu. Ein weiteres inte-ressantes Ergebnis ist, dass sich die Beurteilung der befragten Jugendlichen im Laufe der Ado-leszenz stark wandelt. Nach der 7. Klasse nimmt die Akzeptanz junger Frauen für Stereotype weiter zu und die der männlichen Schüler etwas ab. Während bspw. die Aussage ,Jungen sind für Technik begabter als Mädchen‘ in der 7. Klasse bei 13,0 % der Mädchen und 48,4 % der Jungen Zustimmung findet, sind es in der 12. Klasse bereits 20,3 % der jungen Frauen und nur noch 45,2 % der Männer (Wensierski, 2015). Junge Frauen lehnen die negativen technikbezo-genen Stereotype also in jungen Jahren noch ab, jedoch nimmt die Akzeptanz mit zunehmender