• Keine Ergebnisse gefunden

Variation der Annahmen im Modell mit vollkommener Konkurrenz

2 Theoretische Analysen

2.1.2 Variation der Annahmen im Modell mit vollkommener Konkurrenz

Der Ansatz wurde im Laufe der Jahre weiterentwickelt, indem die oben aufgezählten Annah-men fallen gelassen wurden.55 Einen wichtigen Beitrag leisteten Harris, Todaro (1970). Ihr Artikel „Migration, Unemployment and Development: A Two-Sector Analysis“ bezieht sich zwar auf Land-Stadt-Wanderungen im tropischen Afrika, doch Fischer et al. (1997a) be-merken zu der Erweiterung: „... their contribution, which has become a true cornerstone of neo-classical economic migration theory, ... .“56 Sie berücksichtigen in der Migrationsent-scheidung neben dem erzielbaren Einkommen im Zielgebiet die Wahrscheinlichkeit, dort ei-nen Arbeitsplatz zu finden. Denn Migration soll nicht mit effektiven, sondern mit erwarteten Einkommensdifferenzen begründet werden. Je höher die Arbeitslosigkeit bzw. je geringer die Wahrscheinlichkeit auf Beschäftigung ist, desto geringer werden die erwarteten Nutzenzu-wächse infolge Migration sein. „The crucial assumption to be made in our model is that rural-urban migration will continue so long as the expected rural-urban real income at the margin exceeds real agricultural product – i.e., prospective rural migrants behave as maximizers of expected utility.“57 Im Gleichgewicht, d.h. wenn der in der Landwirtschaft gezahlte dem in der Stadt erwarteten Lohn entspricht, findet keine Migration statt.

Werden Migrationskosten berücksichtigt, dann entschließen sich Arbeitnehmer nur so lange zur Auswanderung, wie das Lohngefälle zwischen den beiden Ökonomien die Kosten der Wanderung übersteigt. Langfristig bestehende Lohndifferenzen zwischen Ländern können deshalb auf Migrationskosten zurückgeführt werden: „Costs of migration, including informa-tion about the labor market in the destinainforma-tion, can result in a persisting wage differential even if there are no legal barriers to migration.“58 Die Kosten, insbesondere die Raumüberwin-dungskosten, werden überwiegend durch die Entfernung approximiert.

53 Vgl. Fischer et al., 1997b, S. 104.

54 Vgl. Böhmer, 2001, S. 24.

55 Vgl. Fischer et al., 1997a, S. 57-73.

56 Fischer et al., 1997a, S. 58; da es keine allgemein gültige Definition für Neoklassik gibt, wurde auf eine derartige Einteilung verzichtet..

57 Harris, Todaro, 1970, S. 127, Hervorhebungen durch Harris, Todaro.

58 Chiswick, 1982, S. 292.

Die Annahme homogener Arbeit als Produktionsfaktor bedeutet, dass einheimische und zu-gewanderte Arbeitskräfte perfekte Substitute sind. Dadurch können Wechselwirkungen zwi-schen verschieden qualifizierten Arbeitnehmergruppen nicht dargestellt werden. Denn im Produktionsprozess können Zuwanderer einerseits als Komplemente inländische Arbeitskräfte ergänzen, indem sie Arbeiten verrichten, die Inländer entweder nicht ausüben wollen (z.B.

Reinigungsgewerbe) oder nicht ausreichend besetzen können (z.B. IT-Spezialisten). Anderer-seits können Zuwanderer als Substitute inländische Arbeitskräfte verdrängen, so dass sich die Arbeitslosigkeit der Inländer erhöht. Deshalb soll die Produktionsfunktion drei Faktoren ent-halten, nämlich Kapital, qualifizierte und geringqualifizierte Arbeit. Dabei soll folgende An-nahme gelten: „Within the context of a three-factor-model, an increase in the supply if either type of worker due to immigration decreases the marginal product (wage) of that type of labor and increases the marginal product of both capital and the other type of labor.“59 Die beiden Faktoren qualifizierte und geringqualifizierte Beschäftigung stehen also annahmegemäß in komplementärer Beziehung zueinander, wohingegen sich Zuwanderer desselben Produktions-faktors substituieren.

Zuwanderung ausschließlich Geringqualifizierter erhöht die Nachfrage nach Kapital und qua-lifizierter Arbeit, so dass diese beiden Produktionsfaktoren relativ und absolut gewinnen.

Demgegenüber erleiden Geringqualifizierte Reallohneinbußen, so dass sich die Differenz zwischen den Reallöhnen beider Arbeitnehmergruppen erhöht. Analog gilt bei Zuwanderung Qualifizierter, dass sich die Reallohndifferenz verringert, da die Entlohnung der Qualifizierten sinkt und die der Geringqualifizierten aufgrund erhöhter Nachfrage steigt; Kapitalbesitzer verbessern sich auch in diesem Szenario.

Wenn in einem gemeinsamen Binnenmarkt durch Marktunvollkommenheiten und Inflexibili-täten Effizienz- und Wachstumspotenziale brachliegen, können diese aufgrund des freien Wa-ren-, Dienstleistungs-, Kapital- und insbesondere des freien Personenverkehrs – zumindest teilweise – ausgeschöpft werden.60 Dann erhöht sich die Faktorproduktivität und daher steigen sowohl das Lohnniveau als auch die Kapitalrentabilität. Darüber hinaus kann es zu grenzüber-schreitender Spezialisierung mit effizienter internationaler Arbeitsteilung kommen, woraufhin der Lebensstandard steigen wird und im Gegenzug Migrationsanreize sinken werden.

59 Chiswick, 1982, S. 294.

60 Vgl. Straubhaar, 2001b, S. 30. Außerdem erhöht sich der Druck auf nationale politische Institutionen, ent-sprechende Reformen in Angriff zu nehmen.

Bei unterschiedlicher relativer Ausstattung mit Produktionsfaktoren besteht die Möglichkeit, dass Migration derartige Unterschiede ausgleicht und somit zur Konvergenz hinsichtlich der ökonomischen Entwicklung beiträgt. Demgegenüber kann es durch Migration zu Divergenz kommen, wenn Unterschiede in den Produktionsprozessen bestehen:

„In those cases where the differences mainly concern the relative endowment with production input factors like physical capital, location-specific factors and labour, migration is bound to contribute to development convergence. In those cases, however, where differences in technology economies of scale and social external-ities of human skills are important, migration is likely to enhance diverging de-velopment processes.”61

Kurzer Exkurs: Theorie des internationalen Handels

Wie gezeigt, sagt das Modell mit vollkommener Konkurrenz bei Erfüllung gewisser Annah-men ein Angleichen der in- und ausländischen Löhne infolge internationaler Wanderungs-ströme vorher. Die klassische Außenhandelstheorie kommt zu gleichem Ergebnis – allerdings aufgrund einer anderen Wirkungsweise.

Grundlage ist das Heckscher-Ohlin-Modell, das von einem 2x2x2-Ansatz ausgeht:62 In zwei Ländern werden mit den beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital jeweils zwei Güter produziert. Die Produktion erfolgt mit derselben Technologie, wobei das eine Produkt relativ arbeitsintensiv und das andere relativ kapitalintensiv hergestellt wird. Die Konsumenten wei-sen die gleichen Präferenzen auf. Entscheidend sind die Annahmen, dass die Produktionsfak-toren zwischen beiden Ländern absolut immobil sind und die relative Faktorausstattung der Länder unterschiedlich ist („Faktorproportionentheorem“).

Aufgrund der unterschiedlichen relativen Faktorausstattung verfügt jedes der beiden Länder über einen komparativen Vorteil, nämlich jeweils bei dem relativ reichlich vorhandenen Fak-tor. Daher spezialisiert sich jedes Land auf Produktion und Export desjenigen Gutes, über dessen Faktor es relativ reichlich – und damit kostengünstiger – verfügt. Infolge der zur Pro-duktionssteigerung erhöhten Nachfrage nach dem relativ reichlich vorhandenen Produktions-faktor steigt sein relativer Faktorpreis. Da im Ausland die relativen Ausstattungsverhältnisse umgekehrt sind und dort der relative Faktorpreis sinkt, tendieren die relativen Faktorpreise zum Ausgleich.

61 Fischer et al., 1997b, S. 130, Hervorhebung durch Fischer et al.

62 Vgl. Ethier, 1994, S. 149; vgl. Külp, 1996, S. 146-148; vgl. Vogl, 1991, S. 199f und 130. In Böhmer, 2001, S. 8-16, und Hebler, 2002, S. 54-65, findet sich eine ausführliche Darstellung klassischer und neoklassischer Außenhandelstheorie.

Samuelson wies nach, dass sich im Hecker-Ohlin-Modell die Faktorpreisrelationen und sogar die absoluten Faktorpreise angleichen („Faktorpreisausgleichstheorem“), solange es nicht zu einer vollständigen Spezialisierung in beiden Ländern kommt.

Der aus der Arbeitsteilung resultierende internationale inter-industrielle Handel (Güter ver-schiedener Branchen) erhöht in beiden Ländern die Wohlfahrt – bei absoluter Immobilität der Produktionsfaktoren. „Arbeitskräftewanderungen wären nach diesen Überlegungen nicht nö-tig. Der Außenhandel wird als Substitut für Wanderungen gesehen.“63

Dieses Ergebnis gilt auch für Direktinvestitionen im Ausland,64 die getätigt werden, um den dortigen Markt zu erschließen, am dortigen Wachstum teilzunehmen, deren hochqualifizierte Arbeitnehmer zu nutzen und die Produktion aufgrund niedriger Arbeitskosten dorthin zu ver-lagern. Daher werden sowohl Handel als auch Direktinvestitionen als Ersatz für internationale Migration angesehen.