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2 Theoretische Analysen

2.2 Strukturalistisches Modell

2.2.1 Literaturüberblick

Bereits in den Abschnitten 2.1 und 2.1.4 wurde auf die außerordentlich große Fülle an Migra-tionsliteratur im Allgemeinen hingewiesen. In diesem Abschnitt ist allerdings das strukturalis-tische Modell mit einer bzw. mehreren Monopolgewerkschaften von Interesse. Damit redu-ziert sich der Blickwinkel auf einen kleinen Teilbereich, so dass sich die Literatur auf eine überschaubare Anzahl an Beiträgen beläuft.

Fuest, Thum (1999a)80 entwickeln ein Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit zwei Sektoren. Im Gewerkschaftssektor verhandeln auf Firmenebene Gewerkschaften mit den Un-ternehmen über die Reallohnhöhe. Arbeitnehmer, die keine Beschäftigung im Gewerkschafts-sektor finden, müssen ihre Arbeitskraft im KonkurrenzGewerkschafts-sektor anbieten. Dieser ist durch voll-kommene Konkurrenz gekennzeichnet, d.h. der Lohn ist der Ausgleichsmechanismus von Arbeitsangebot und -nachfrage. Der Lohn im Gewerkschaftssektor ist ein konstanter Auf-schlag auf die Bezahlung im Konkurrenzsektor.

Die Unternehmen produzieren mit den beiden Faktoren Arbeit und Kapital gemäß Cobb-Douglas-Produktionsfunktion bei abnehmenden Skalenerträgen, wobei sich die Gewichtung der Produktionsfaktoren in beiden Sektoren unterscheidet. Der Produktionsfaktor Arbeit ist homogen, d.h. alle Arbeiter verfügen über die gleiche Qualifikation.

Bei exogen gegebener Zuwanderung sinkt infolge des erhöhten Arbeitsangebots im Konkur-renzsektor die Entlohnung, so dass auch der Lohn im Gewerkschaftssektor fällt; die

80 Vgl. Fuest, Thum, 1999a, S. 1-5.

tigung steigt. Der Einfluss auf die Wohlfahrt der Inländer hängt von den Lohnelastizitäten der Arbeitsnachfrage in den beiden Sektoren ab.

In einem anderen Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft unterscheiden Fuest, Thum (1999b)81 zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskräften. Die Qualifizierten sind jeweils Inhaber ihrer eigenen Firma, die alle identisch sind und deren Output von Unqualifi-zierten produziert wird. Zuwanderer verfügen annahmegemäß über keine Qualifikationen und sind perfekte Substitute zu inländischen Unqualifizierten. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es zwei Sektoren: In einem Gewerkschaftssektor vertreten Firmengewerkschaften gemäß ihrer Ver-handlungsmacht die Interessen nur für einen Teil der unqualifizierten einheimischen und zu-gewanderten Arbeitskräfte; in einem Konkurrenzsektor erhalten der andere Teil der Unquali-fizierten ebenso wie alle QualiUnquali-fizierten ihr jeweiliges Grenzprodukt. Je höher die Verhand-lungsmacht der Firmengewerkschaft ist, desto mehr übersteigt der verhandelte Reallohn das Grenzprodukt der Unqualifizierten. Im Rahmen ihrer Verhandlungen haben weder Unterneh-men noch Gewerkschaften Einfluss auf die Höhe der Gesamtbeschäftigung.

Zuwanderung Unqualifizierter erhöht das Arbeitskräfteangebot. Im Sektor mit vollkommener Konkurrenz erhöht sich die Beschäftigung um die Zahl der zusätzlichen Arbeitskräfte, wäh-rend gleichzeitig der Reallohn sinkt. Aus diesem Grund muss auch die Gewerkschaft ihre Lohnforderungen reduzieren, so dass sowohl die inländischen unqualifizierten Arbeitskräfte im Konkurrenzsektor als auch die Gewerkschaftsmitglieder verlieren, während die Unterneh-men wegen kompleUnterneh-mentärer Beziehung zu den Unqualifizierten gewinnen.82

Durch die Tatsachen, dass einerseits Zuwanderer nicht in die Ermittlung der inländischen Wohlfahrt eingehen und andererseits Unternehmensgewerkschaften nur einen Teil der Unqua-lifizierten repräsentieren, ist die Auswirkung auf die heimische Wohlfahrt von der Höhe der Zuwanderung abhängig. Es existiert folgender Trade-off: Qualifizierte gewinnen; einige der Zuwanderer erhalten als Gewerkschaftsmitglieder mehr als ihr Grenzprodukt, d.h. die heimi-sche Wohlfahrt sinkt. Zunächst übersteigt das erwartete Einkommen der Zuwanderer deren Grenzprodukt. Doch bei ausreichend umfangreicher Zuwanderung dominiert der dadurch in-duzierte lohnsenkende Effekt die Auswirkung von erwartetem Einkommen größer als Grenz-produkt. Allerdings geben die Autoren zu bedenken, dass die dafür nötige Zuwanderung so

81 Vgl. Fuest, Thum, 1999b, S. 1-17.

82 Die Immigrationspolitik richtet sich nach der Arbeitsmarktgruppe, die den Medianwähler stellt: Im Fall der Qualifizierten käme es zu Laissez-faire-Politik, wohingegen bei Unqualifizierten die Grenzen geschlossen werden würden; vgl. Fuest, Thum, 1999b, S. 9.

große Ausmaße annehmen müsste, dass es eher als unwahrscheinlich anzunehmen ist – im Hinblick auf die Anziehungskraft des Aufnahmelandes und auf soziale Folgewirkungen.

Schmidt et al. (1994)83 unterscheiden in ihrem Modell zwischen qualifizierter und unqualifi-zierter Arbeit neben Kapital als drittem Produktionsfaktor in einer neoklassischen Produkti-onsfunktion mit konstanten Skalenerträgen. Der Reallohn der qualifizierten Arbeiter entsteht gemäß vollkommener Konkurrenz durch das freie Wirken von Angebot und Nachfrage, so dass es dort durch die Veränderung des Lohns keine Arbeitslosigkeit gibt. Die Interessen der Unqualifizierten werden von einer einzigen Monopolgewerkschaft vertreten, die sich aus-schließlich für die einheimischen, nicht aber die zugewanderten unqualifizierten Erwerbsper-sonen einsetzt; der festgesetzte Lohn gilt hingegen für alle unqualifizierten Arbeitskräfte, über deren Höhe die Unternehmen entscheiden.

Anhand dieses Modellrahmens wird untersucht, wie sich Massenzuwanderung Unqualifizier-ter auswirkt. Zuwanderer verdrängen Einheimische, so dass deren Arbeitslosigkeit steigt. Au-ßerdem erhalten Zuwanderer ohne Arbeitsplatz Arbeitslosenunterstützung und belasten somit das staatliche Budget, das sich aus Steuern auf die drei Produktionsfaktoren zusammensetzt.

Diesen beiden negativen Effekten steht der positive Effekt gegenüber, dass die Beschäftigung Unqualifizierter steigt, weil die Gewerkschaft infolge des erhöhten Angebots Unqualifizierter ihre Forderungen bzw. den Lohn senkt. Der Gesamteffekt auf das Einkommen der Einheimi-schen ist uneindeutig. Der Sektor der Qualifizierten bleibt in der Analyse weitgehend ausge-klammert.

Auch Bauer (1998)84 verwendet in seinem Modell eine Produktionsfunktion mit konstanten Skalenerträgen und den drei Faktoren qualifizierte sowie unqualifizierte Arbeit und Kapital, wobei der Reallohn des ersten Faktors deren Grenzproduktivität entspricht und des zweiten durch eine Monopolgewerkschaft festgesetzt wird. Gemäß dem right-to-manage-Ansatz ent-scheiden die Unternehmer über die Höhe der Beschäftigung. Zwischen beiden Arbeitsfaktoren besteht eine komplementäre Beziehung, Zuwanderer treten ausschließlich als Substitute in ihrem jeweiligen Arbeitsmarktsegment auf. Anschließend werden die Folgen analysiert, wenn entweder nur unqualifizierte oder nur qualifizierte Arbeitnehmer zuwandern.

Wenn unqualifizierte Arbeitskräfte zuwandern, fordert die Gewerkschaft niedrigere Löhne.

Dadurch steigt die Gesamtbeschäftigung im unqualifizierten Bereich, wobei der

83 Vgl. Schmidt et al., 1994, S. 185-196.

84 Vgl. Bauer, 1998, S. 52-58. Die gleiche Analyse findet sich in Bauer, Zimmermann, 1999, S. 50-53.

gungseffekt für einheimische Unqualifizierte negativ ausfällt. Die Nachfrage nach qualifizier-ten Arbeitskräfqualifizier-ten nimmt zu, was sich in steigendem Lohn niederschlägt.

Bei Zuwanderung qualifizierter ausländischer Arbeitnehmer erhöht sich in diesem Segment die Beschäftigung und fällt der Lohn. Die Nachfrage nach komplementären Unqualifizierten steigt und deshalb sinkt die Zahl der Arbeitslosen. Theoretischen Berechnungen zufolge ist der Effekt auf den Lohn der Unqualifizierten unbestimmt, für realistische Größen der verwen-deten Elastizitäten ergibt sich ein negatives Vorzeichen, d.h. der Lohn sinkt. Ob insgesamt der Lohn der Qualifizierten steigt, hängt davon ab, ob von der zunehmenden Beschäftigung Un-qualifizierter ein ausreichend großer Impuls auf die Nachfrage nach Qualifizierten ausgeht.

Eine explizite Betrachtung erfolgt weder für den Sektor mit vollkommener Konkurrenz noch für den Gütermarkt.

Auch im Modell von Brücker (2002)85 werden zur Produktion eines Gutes die drei Produkti-onsfaktoren qualifizierte und unqualifizierte Arbeit sowie Kapital eingesetzt, die in einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion mit konstanten Skalenerträgen enthalten sind; zusätzlich bildet ein Produktivitätsparameter den Stand der Technologie und die Institutionen ab. Zwi-schen beiden Arbeitsfaktoren besteht eine komplementäre Beziehung. Bis auf Migration gibt es keine Verbindungen mit dem Ausland. In Lohnverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden werden die Löhne jeweils für qualifizierte und unqualifizierte Ar-beitnehmer ausgehandelt, woraufhin die Unternehmen Arbeitskräfte einstellen, bis deren Grenzproduktivität dem Reallohn entspricht. Aufgrund dieses Vorgehens gibt es einen Zu-sammenhang zwischen Lohn und Arbeitslosenquote für beide Arbeitsqualifikationen.

Für die Analyse der Auswirkungen von Zuwanderung werden zwei Extremfälle betrachtet:

Auf absolut flexiblen Arbeitsmärkten erhöht sich die Zahl der Erwerbspersonen um die Zahl der Zuwanderer. Der Lohn sinkt, Arbeitslosigkeit tritt nicht auf. Im zweiten Szenario sind die Löhne für unqualifizierte Arbeit vollkommen unflexibel und die Löhne der Qualifizierten vollkommen flexibel; dann führt Zuwanderung von Unqualifizierten zu einer Erhöhung der Arbeitslosenquote, weil die Höhe der Beschäftigung unverändert bleibt. Wandern Qualifizier-te zu, sQualifizier-teigt die Beschäftigung der UnqualifizierQualifizier-ten wegen des komplementären Zusammen-hangs zwischen beiden Produktionsfaktoren. Genaue Aussagen über die Auswirkungen auf Löhne, Arbeitslosenquote und Beschäftigung sind von der Zusammensetzung der Zuwanderer abhängig.

85 Vgl. Brücker, 2002, nach Internet.

Hebler (2002)86 verwendet den gleichen Modellrahmen wie Bauer (1998), d.h. es wird mit Kapital, hochqualifizierter und geringqualifizierter Arbeit produziert; zwischen beiden Ar-beitsfaktoren besteht eine komplementäre Beziehung; die hochqualifizierten Arbeitskräfte werden gemäß ihrem Grenzprodukt entlohnt und die Interessen der Geringqualifizierten wer-den von einer Branchengewerkschaft vertreten. Allerdings benutzt er für die Gewerkschaft eine andere Nutzenfunktion.

In dieser modifizierten Variante untersucht er, wie sich Zuwanderung von entweder nur hoch-qualifizierten oder nur geringhoch-qualifizierten Arbeitskräften auswirkt. Migration Hochqualifi-zierter erhöht die Beschäftigung in diesem Sektor und senkt gleichzeitig die Entlohnung. Auf-grund der komplementären Beziehung erhöht sich die Nachfrage nach Geringqualifizierten, woraufhin die Gewerkschaft einen höheren Reallohn festsetzt. Insgesamt steigen Beschäfti-gung und Lohn der Geringqualifizierten. Wandern Geringqualifizierte zu, senkt die Gewerk-schaft ihre Lohnforderungen, so dass die Unternehmen ihre Beschäftigung erhöhen, die sich auf einheimische und zugewanderte geringqualifizierte Arbeitskräfte verteilt. Dadurch steigt die Nachfrage nach Hochqualifizierten: „Wegen der Komplementaritätsannahme steigt die Beschäftigung und der Lohnsatz hochqualifizierter Arbeitnehmer.“87 Eine ausführliche Be-trachtung beider Sektoren fehlt genauso wie die Berücksichtigung der jeweiligen Arbeitsnach-frage.

Eine Zusammenfassung der beschriebenen Untersuchungen findet sich in Tabelle 2.1. Darin werden für die Modelle von Schmidt et al. (1994), Bauer (1998) und Hebler (2002) die Resul-tate wiedergegeben, da ihre Modellierung hinsichtlich Annahmen, Produktionsfaktoren und Arbeitsmarkt sowie die Analyse der Auswirkungen durch Migration der Vorgehensweise in den beiden folgenden Abschnitten 2.2.2 und 2.2.3 entsprechen bzw. ähneln. Ihre Resultate werden in Abschnitt 2.2.3.3 den Ergebnissen des um die Möglichkeit der Migration erweiter-ten strukturalistischen Modells gegenübergestellt.

86 Vgl. Hebler, 2002, S. 147-153.

87 Hebler, 2002, S. 152.

Tabelle 2.1: Überblick über die beschriebenen Untersuchungen

Volkswirtschaft Produktionsfaktoren Produktionsfunktion Arbeitsmarktsektoren Zuwanderer und Auswirkungen Fuest, Thum

Lohn in beiden Sektoren sinkt Beschäftigung steigt

Fuest, Thum (1999b)

klein, offen unqualifizierte Arbeit linear homogene Produktionsfunktion

Lohn in beiden Sektoren sinkt Beschäftigung steigt

Gewerkschaf-• ten Unqualifizierte: Gewerk-schaften

k.A. Hochqualifizierte: vollkom-mene Konkurrenz

WS: Reallohn der Qualifizierten/Hochqualifizierten; WNr: Reallohn der Gering-/Unqualifizierten; : Qualifizierte/Hochqualifizierte; N: Gering-/Unqualifizierte;

k.A.: keine Angaben durch den/die jeweiligen Verfasser.

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