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1 Einleitung

1.2 Migration

1.2.1 Einteilung und Definition

Migration ist ein umfassender und vielschichtiger Vorgang. Im Rahmen einer internationalen Wanderung verlässt ein Migrant sein Heimatland, überquert mindestens eine Staatsgrenze und lässt sich dann in einem anderen Land nieder. Das wirkt sich ab einem gewissen Migrations-volumen auf beide Länder aus. Aufgrund ihrer Vielschichtigkeit ist Migration Gegenstand zahlreicher Forschungsrichtungen, so z.B. der Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Polito-logie, PsychoPolito-logie, Geschichtswissenschaft, Pädagogik, Demographie, KulturanthropoPolito-logie, Ethnologie und Kriminologie. Allein im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften können Auswirkungen auf Arbeitsmarkt, Wirtschaftswachstum, Handelsmuster und Einkommensver-teilung untersucht werden; dabei gilt für die beiden beteiligten Volkswirtschaften, dass in der Regel das Aufnahmeland profitiert und das Abwanderungsland verliert.8 Für die Integration der Zuwanderer in die Gesellschaft des Aufnahmelandes geht die Forschung von einem inter-generativen, bis zu drei Generationen übergreifenden Prozess aus.9

Auch wenn Migration in vielen Wissenschaften Gegenstand von Untersuchungen ist und je nach Ausmaß mehr oder weniger erhebliche Auswirkungen haben kann, wird der Begriff „...

in der wissenschaftlichen Literatur höchst unterschiedlich verwandt, so dass zahlreiche Defi-nitionen gegenüberstehen.“10 Selbst innerhalb der EU wird der Begriff unterschiedlich ausge-legt. Als Kriterien sind Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, Geburtsland und Mindestaufenthalt möglich. Daraus ergeben sich Probleme bei der Erstellung von Migrationsstatistiken und ihrer

10

8 Vgl. Reimann, Reimann, 1987, S. 12-16; vgl. Chiswick, Hatton, 2002, S. 1.

9 Vgl. Zuwanderungsrat, 2004, S. 89.

Santel, 1995, S. 20.

internationalen Vergleichbarkeit. In Deutschland existieren keine amtlichen Statistiken über Personen mit Migrationshintergrund, weil die amtliche Unterteilung in „Deutscher“ und

„Ausländer“ zu ungenau ist und somit die Besonderheiten z.B. von Spätaussiedlern und ein-gebürgerten Zuwanderern nicht erfasst werden.11

Für einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Arten von Migration wird im Fol-genden der Begriff konkretisiert und differenziert.12 Zur Veranschaulichung werden Beispiele aus der deutschen Geschichte genannt. Anschließend wird aus dieser Einteilung die für diese Arbeit entscheidende Migrationsform herausgearbeitet.

Räumlichkeit

Unter dem Blickwinkel der Räumlichkeit kann man zwei Ausprägungen unterscheiden. Einer-seits ist Mobilität ohne bzw. mit Wohnsitzwechsel möglich; erstere bezeichnet man als Zirku-lation oder Pendelbewegung, bei der man immer wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück-kehrt. Letztere, also mit Wohnsitzwechsel, nennt man Wanderung bzw. Migration.

Andererseits ist eine Einteilung nach der Entfernung möglich, nämlich intraregional – z.B.

Binnenwanderung, Land-Stadt-Wanderung – , interregional oder international, d.h. im Rah-men der Wanderung wird mindestens eine Staatsgrenze überschritten.

Beispiele für interregionale Migration sind Wanderungen zwischen deutschen Bundesländern.

Von 1990 bis einschließlich 1998 zogen rund 1,8 Millionen Personen aus den fünf neuen Bundesländern in das frühere Bundesgebiet; in umgekehrter Richtung wanderten etwas mehr als eine Million Bürger, so dass für diesen Zeitraum eine Nettowanderung von 777.449 Per-sonen resultiert.13 Die Zahl der Personen, die pro Jahr aus norddeutschen Bundesländern nach Baden-Württemberg und Bayern ziehen, wird mit netto ca. 30.000 angegeben.14

Zeitliche Dimension

Das übliche Unterscheidungskriterium dieses Aspekts ist ein Zeitraum von 12 Monaten:

Wanderungen mit mehr als 12 Monaten werden dauerhafte/permanente Wanderung genannt, Migrationen zwischen mindestens drei und höchstens 12 Monaten werden als zeitweili-ge/temporäre Wanderung bezeichnet.

11 Vgl. Zuwanderungsrat, 2004, S. 419. Einen ausführlichen Überblick über Verfahren und Probleme bei der Erstellung von Migrationsstatistiken gibt Mester, 2000, S. 47-57.

12 Vgl. Mester, 2000, S. 7-12; vgl. Poschner, 1996, S. 25 und 282; vgl. Santel, 1995, S. 20-26; vgl. Treibel, 1990, S. 19.

13 Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland, 1999, nach Internet, mit eigenen Berechnungen.

14 Vgl. Birg, 1993, S. 144.

Wanderungsentscheidung

Hier wird differenziert, ob die Wanderung freiwillig erfolgt oder ob es sich um Flucht- bzw.

Zwangsmigration handelt.

Unter die freiwillige Wanderung fällt die arbeitsmarktinduzierte Migration, bei der Gastarbei-ter, Saison-, Werkvertrags- und Grenzarbeitnehmer im Zuwanderungsland einer Beschäfti-gung nachgehen; des Weiteren zählt man zur freiwilligen Wanderung noch die Bildungsmig-ration, AltenmigBildungsmig-ration, Migration von Aussiedlern bzw. Spätaussiedlern und im Rahmen der Familienzusammenführung.

Flucht- bzw. Zwangswanderungen erfolgen aufgrund natürlicher Katastrophen, wie Dürre, Überschwemmungen, Flutwellen, Hungersnöte, Vulkanausbrüche, Erd- und Seebeben, Wir-belstürme, Lawinen, Erdrutsche und andere Umweltzerstörungen. Anthropogene Naturkatast-rophen, d.h. durch den Menschen beeinflusst oder verursacht, können Personen ebenso bewe-gen, neue Siedlungsgebiete aufzusuchen, wie Vernichtung (sub-)tropischer Regenwälder, Waldsterben, Bodenerosion, Versalzung der Böden, Klimaveränderungen (Treibhauseffekt, Ozonloch), Überflutung flacher Küstenregionen infolge des Treibhauseffekts, Umweltver-schmutzung und -vergiftung, Technokatastrophen (Tschernobyl) oder Verdrängungsprozesse durch Industrialisierung (Assuan-Staudamm, Drei-Schluchten-Staudamm-Projekt in China).

Aber auch menschliches Handeln kann der Grund für Flucht- bzw. Zwangswanderungen sein:

Bürgerkrieg, Verfolgung aus politischen, ethnischen, rassistischen oder religiösen Gründen mit Gewalt, Angst vor Gewalt, politischer Emigration, Ausweisung, Zwangsumsiedlung, Ver-treibung, Verdrängung, Verschleppung, Sklaverei, Abschiebung, Rückführung.

Aus der deutschen Vergangenheit gibt es mehrere Beispiele.15 Zu den freiwilligen Wanderun-gen gehört die deutsche Migration Richtung Osten:16 Von 1763 bis 1767 kamen bis zu 29.000 Personen aus deutschen Gebieten nach Russland und „die Gesamtzahl der Deutschen, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Bauern und Handwerker in den Kolonien und Städten Neurusslands niederließen, betrug etwa 55.000 Personen.“17 Freiwillig kamen auch die angeworbenen Gastarbeiter und ihre Familienangehörigen nach Deutschland. Beispiele zu Zwangswanderungen lassen sich in der Zeit des Zweiten Weltkrieges finden: Umsiedlung Volksdeutscher, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ungefähr 275.000 Russlanddeutsche gewaltsam in die Sowjetunion

15 In Kapitel drei wird die Zuwanderung nach Deutschland ausführlich behandelt.

16 Vgl. Eisfeld, 2000, S. 1-16; eine sehr detailreiche Beschreibung ist auch in Schwab, 1990, S. 11ff zu finden.

17 Eisfeld, 2000, S. 3.

gebracht, ein Teil davon hatten die Alliierten aus den westlichen Besatzungszonen den sowje-tischen Repatriierungs-Kommandos übergeben.18

Rechtsstatus

Bei diesem Kriterium interessiert man sich für den Rechtsstatus der Migranten, die man in legale und illegale Einwanderer einteilen kann. Während die Einreise und der Aufenthalt der ersten Gruppe gewollt oder zumindest gestattet wird, verhält es sich mit der zweiten Gruppe anders. „These are immigrants who enter unlawfully, overstay the expiration date of their visa or asylum seekers who remain despite not having been granted political refugee status.”19 In Deutschland existieren keine offiziellen Schätzungen über Ausländer, die ohne Aufent-haltsstatus – und somit ohne Aufenthaltsrecht – in diesem Land leben. Die damalige Bundes-ausländerbeauftragte (heutige Bezeichnung: „Integrationsbeauftragte“) erwähnt in ihrem Be-richt 2000, dass der Bestand der illegal in Deutschland lebenden und arbeitenden Migranten auf 500.000 bis 1,5 Millionen Personen geschätzt wird.20

Umfang der Migration

Abschließend ist eine Unterscheidung hinsichtlich der Anzahl der an der Wanderungsbewe-gung teilnehmenden Personen möglich. Es gibt Einzel-/Individualwanderung, Gruppen-/Kollektivwanderung und Massen-/Völkerwanderung.

Wenn man diese Unterscheidungsmöglichkeiten auf die vorliegende Arbeit anwendet, so geht es um internationale, dauerhafte, freiwillige, legale Migration von einer oder mehreren Perso-nen. Folgende Definition von Hammar und Tamas (1997) erscheint dann im Rahmen dieser Arbeit sinnvoll: „An international migrant is .. a person who has moved from one country to another with the intention of taking up residence there for a relevant period of time.”21 In den theoretischen Untersuchungen über die Auswirkungen der internationalen Migration in Ab-schnitt 2.2 handelt es sich ausschließlich um Arbeitsmigration.

18 Vgl. Eisfeld, 2000, S. 11.

19 Coppel et al., 2001, S. 10.

20 Vgl. Bundesausländerbeauftragte, 2000, S. 154.

21 Hammar, Tamas, 1997, S. 16.