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4 Personenfreizügigkeit in der erweiterten EU

4.2 EU-Osterweiterung

4.2.1 Neue Mitgliedsländer

Im Herbst 1989 setzte der Fall des Eisernen Vorhangs einen Schlussstrich unter die jahrzehn-telange, durch politisches Diktat festgesetzte Ost-/Westteilung des europäischen Kontinents.

Die Staaten aus Mittel- und Osteuropa, die in den durch die UdSSR dominierten Ostblock eingebunden waren und fast ausschließlich untereinander Handel getrieben hatten, verließen ihren früheren politischen Kurs. In den ehemals kommunistischen Ländern mit

zentralisti-scher Verwaltungswirtschaft wurden demokratische und marktwirtschaftliche Strukturen etab-liert. Waren zuvor ihre Beziehungen zum Westen – in welcher Form auch immer – von äu-ßerst geringem Umfang gewesen, suchten sie nun Kontakt sowie Anbindung an den Westen und an Europa.

Die EU erkannte die Chance, den Prozess des friedlichen Zusammenwachsens Europas durch die Aufnahme dieser Länder fortzusetzen und zu intensivieren. Da diese Länder nun für die gleichen Werte und Grundrechte eintreten, stellte ihnen der Europäische Rat in Kopenhagen im Juni 1993 den Beitritt in Aussicht. Gleichzeitig formulierte er die dafür notwendigen Vor-aussetzungen, die so genannten „Kopenhagener Kriterien“. Der Beitritt eines Landes zur EU ist an die Erfüllung bestimmter politischer, ökonomischer und juristischer Kriterien geknüpft;

diese nichtverhandelbaren Kriterien wurden 1995 in Madrid präzisiert. Zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen kommt es erst, wenn ein Bewerberland die politischen Bedingungen erfüllt; zum Beitrittszeitpunkt müssen die ökonomischen und juristischen Kriterien erfüllt werden.352

Politische Kriterien

Die politischen Kriterien setzen die Existenz von stabilen Institutionen voraus, mit denen die Demokratie garantiert, die Menschenrechte sowie der Schutz von Minderheiten gewährleistet und die Rechtsstaatlichkeit gesichert werden.

Ökonomische Kriterien

Im Rahmen der ökonom itrittskandidat erwartet,

Staatsgebiet eine funktionsfähige marktwirtschaftliche Ordnung errichtet ischen Kriterien wird von jedem einzelnen Be

dass er auf seinem

und die dort ansässigen Wirtschaftssubjekte dem Wettbewerbsdruck sowie den Marktkräften innerhalb der EU standhalten können.

Juristische und institutionelle Kriterien

Hierunter versteht man die Fähigkeit, die aus der Mitgliedschaft entstehenden Verpflichtun-gen zu erfüllen. Dazu muss der gemeinsame rechtliche Besitzstand – „Acquis Communautai-re“ genannt – mit seinen Gesetzen, Richtlinien, Verordnungen, Normen und Standards in na-tionales Recht übertragen werden. Das EU-Recht umfasst dabei 31 Politikbereiche, wie z.B.

Steuern, Landwirtschaft, Regional-, Industrie-, Umwelt-, Wettbewerbspolitik, die europäische Währungsunion und die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes (freier

352 Vgl. für ausführlichere Darstellung der Kriterien Sachverständigenrat, 2000, S. 146f, Ziffern 245-249; vgl.

Sachverständigenrat, 2004b, S. 116, Ziffer 176.

verkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr und freier Personenverkehr).

Zugleich sind die für die Anwendung notwendigen Strukturen in Verwaltung und Justiz zu schaffen.

Mitte der neunziger Jahre beantragten 10 Staaten aus Mittel- und Südosteuropa die Mitglied-schaft in der EU. Zu dieser Gruppe wurden zusätzlich Malta, Zypern und die Türkei gezählt, die ihren Beitrittswunsch bereits früher erklärt hatten. Ursprünglich war geplant, die Aufnah-me in zwei großen Wellen zu vollziehen. So wurden im März 1998 konkrete Beitrittsverhand-lungen mit den Ländern der ersten Beitrittswelle („Luxemburg-Gruppe“: Estland, Polen, Slo-wenien, Tschechien, Ungarn und Zypern) aufgenommen. Seit Februar 2000 liefen Verhand-lungen mit den Ländern der zweiten Gruppe („Helsinki-Gruppe“: Bulgarien, Lettland, Litau-en, RumäniLitau-en, Slowakei und Malta).353

Die Kandidatenländer machten in den zurückliegenden Jahren in ihrem Transformationspro-zess und im Rahmen der Umsetzung der Kopenhagener Kriterien große Fortschritte. Die EU ihrerseits verfolgte die Entwicklung in diesen Ländern, wobei sie ihnen beratend sowie unter-stützend zur Seite stand.354 Die Maßnahmen zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien wur-den seit 1997 in einem jährlichen „Bericht über die Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt“ überprüft.355 Im Rahmen dieser Berichte wurde im Oktober 2002 festge-stellt:

Bis auf Bulgarien, Rumänien und die Türkei erfüllen alle Beitrittskandidaten

„... die politischen Kriterien. Angesichts der erzielten Fortschritte sowie ihrer nachgewiesenen Fähigkeit zur Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen und unter Berücksichtigung ihrer laufenden und vorgesehenen Vorbereitungen ist die Kommission der Ansicht, dass diese Länder die wirtschaftlichen und den Besitz-stand betreffenden Kriterien ab Anfang 2004 erfüllen werden und dann beitritts-reif sein werden.“356

Deshalb wurde auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember 2002 einstimmig beschlos-enden 10 Ländern zum 01.05.2004 erfolgen sollte: Estland, Lett-nd, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn sowie Zypern sollten sen, dass der Beitritt von folg

la

als vollwertige Mitglieder in die EU aufgenommen werden.357 Abbildung 4.1 zeigt für April

353 Vgl. Alecke et al., 2001, S. 1.

354 Siehe zu Maßnahmen im Rahmen der EU-Osterweiterung Anhang zehn.

355 Siehe zum methodischen Prüfverfahren der Kriterien Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2002, S. 9-12.

356 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2002, S. 38.

357 Vgl. Europäische Gemeinschaften, 2003, S. 4. Parallel zur EU-Erweiterung wurden sieben Länder aus Osteuropa Ende März 2004 in die NATO aufgenommen. Mit Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien erhöhte sich ihre Mitgliederzahl von 19 auf 26. Die Länder Polen, Tschechien und Ungarn gehören bereits seit 1999 zur NATO; vgl. NATO, 2004 a und b, nach Internet.

2004 die Länder der damaligen EU sowie alle Beitrittskandidaten, inklusive Bulgarien, Ru-mänien und der Türkei.358

Abbildung 4.1: Karte der EU mit Beitrittsländern Quelle: Eurostat, 2001, Abbildung aus Internet.

Die Aufnahme der neuen Mitgliedsländer in die EU erfolgte entsprechend den Statuten durch einstimmigen Beschluss des EU-Rats und Zustimmung des Europäischen Parlaments in Straßburg zu den ausgehandelten Beitrittsverträgen. Ferner mussten alle bisherigen Mitglieds-staaten und Bewerberländer jeweils für sich die Beitrittsverträge ratifizieren. Im Fall der ge-teilten Mittelmeerinsel Zypern gab es Bemühungen im April 2004, kurz vor dem EU-Beitritt, den südlichen griechischen und den nördlichen türkischen Teil zu vereinigen. Im Rahmen

358 Die EFTA ist die Europäische Freihandelszone, deren Mitglieder Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz sind.

einer Volksbefragung lehnte jedoch der griechische Teil eine Vereinigung ab, so dass der Bei-tritt Zyperns ohne den türkischen Teil erfolgte. Die Wahlen zum Europäischen Parlament

s beispielloser Reformen und beträchtlicher Fortschritte veröffentlichte die Europäi-che Kommission im Oktober 2004 ihre Empfehlung, dass ergebnisoffene Beitrittsverhand-wurden im Juni 2004 in allen 25 EU-Mitgliedsländern durchgeführt.

Um in der Gemeinschaft von 25 souveränen Staaten politisch handlungsfähig zu bleiben und die reibungslose Arbeitsfähigkeit aufrecht zu erhalten, einigten sich die Staats- und Regie-rungschefs aller Mitgliedsländer im Juni 2004 auf einen Verfassungsentwurf, in dem auch die neue politische Struktur beschrieben ist; die Ratifizierung in den einzelnen Mitgliedsstaaten steht bisher noch aus, 2007 soll sie den Vertrag von Nizza ersetzen.359

Abschließend erfolgt noch ein Blick auf die Kandidatenländer Bulgarien, Rumänien und die Türkei. Die beiden osteuropäischen Länder Bulgarien und Rumänien benötigen noch Zeit, um alle geforderten Kriterien zu erfüllen. Ihr Beitritt wird für 2007 anvisiert.360 Der Türkei wurde zwischenzeitlich der Status eines Bewerberlandes verliehen, doch Verhandlungen sollten erst aufgenommen werden, sobald das Land bestimmte politische und wirtschaftliche Bedingun-gen erfüllte wie z.B. die Frage der Menschenrechte, die Lösung des Zypernproblems sowie die Beilegung der Meinungsverschiedenheiten über die Europäische Sicherheits- und Vertei-digungspolitik.361 Im Dezember 2002 entschlossen sich die Staats- und Regierungschefs, in der zweiten Jahreshälfte 2004 über das weitere Vorgehen mit der Türkei zu entscheiden. An-gesicht

s

lungen mit der Türkei aufgenommen werden sollen. Gleichzeitig schlug die Europäische Kommission vor, die Verhandlungen bei einem schweren und dauerhaften Verstoß gegen die Grundsätze der Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und gegen die Achtung der Men-schenrechte auszusetzen. Im Dezember 2004 schlossen sich die Staats- und Regierungschefs der 25 Mitgliedsländer der Empfehlung an, so dass im Oktober 2005 ergebnisoffene Verhand-lungen mit der Türkei aufgenommen werden. Der Beitrittszeitpunkt der Türkei ist nicht vor 2014 möglich, zumal bei detaillierterer Betrachtung „... die Türkei in praktisch allen ökono-misch relevanten Bereichen des Acquis Communautaire massive Defizite aufweist.“362 Im Fall einer Mitgliedschaft könnten lange Übergangsfristen und unbefristete Schutzklauseln in Erwägung gezogen werden.

359 Vgl. Sachverständigenrat, 2004b, S. 138. In Anhang zehn werden die Unterstützungen und Reformen im Rahmen der EU-Erweiterung dargestellt.

360 Vgl. Sachverständigenrat, 2004b, S. 116, Ziffer 176; außerdem empfahl die Europäische Kommission 2004 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, ein Beitritt könnte 2009 oder 2010 erfolgen.

361 Vgl. Europäische Kommission, 2001a, S. 3; vgl. European Commission, 2004, S. 1-3.

362 Sachverständigenrat, 2004b, S. 117, Ziffer 177.