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1.3. Lernprozesse aus systemtheoretischer Perspektive

1.3.1 Unterschiede und Unterscheidungen

Die Systemtheorie Luhmannscher Prägung bezeichnet Lernen als eine durch Information bewirkte Strukturveränderung eines Systems32. Lernen bezeichnet dabei – ähnlich wie die Begriffe 'Person', 'Gedächtnis' und 'Intelligenz' – einen Kunstgriff von Beobachtern, mittels dessen Nicht-Beobachtbares gedeutet und auf die Ebene des Zwischensystemkontakts ü-berführt wird (Luhmann 1984, 159).

30 konträr hierzu die Tradition deterministischer organisationstheoretischer Ansätze; zsfsd. hierzu Schreyögg 1998

31 wobei zu letztgenannten die größte Affinität besteht

32 "Lernen ist die Bezeichnung dafür, daß man nicht beobachten kann, wie Informationen dadurch weitreichende Konsequenzen auslösen, daß sie in einem System partielle Strukturveränderungen bewirken, ohne dadurch die Selbstidentifikation des Systems zu unterbrechen." (Luhmann 1984, 158).

Diese abstrakt-formale Definition erweist sich auch für die Erwachsenenpädagogik als anschlußfähig: "Lernen im weitesten Sinne ist Strukturveränderung, das heißt Veränderung unserer kognitiven Strukturen (...)." (Siebert 1999, 17; Hervorhebung im Original.)

Der Informationsbegriff wird in diesem Kontext allerdings anders, von seiner ursprünglich mit Übertragung und Instruktion konnotierten Bedeutung gelöst aufgefaßt. Der Vorgang der In-formation verweist auf ein im System selektiv wirkendes Ereignis, ein Ereignis, das bestimm-te Sysbestimm-temzustände auswählt (aaO, 68). "Information ist nichts anderes als eine Ereignis das eine Verknüpfung von Differenzen bewirkt – a difference, that makes a difference." (aaO, 112).

Lernprozesse erweisen sich in diesem Kontext als spezifizierte Weise der Informationsverar-beitung, nämlich dergestalt, daß sie Spuren im Wissensspeicher des Systems hinterlassen, es verändern oder erweitern (Klimecki 1998, 73).

Wissen selbst ist Bedingung und Regulativ von Lernvorgängen. Lernen erfordert eine Kom-bination festzuhaltender und zu ändernder Wissensbestände: "Man muß Wissen, um Wissen lernen zu können" (Luhmann 1984, 447). Unter der Perspektive dieser Kombination erschei-nen generalisierte kognitive Erwartungen als Wissen. Der Ausbau von Lernmöglichkeiten erfordert eine entsprechende Einbeziehung des aktuellen Wissensbestands; er muß implizit und explizit auf seine eigene Änderbarkeit hin verfaßt sein. Der Wissensbestand selbst um-faßt den Einbau der Möglichkeit des Lernens in die Erwartungsstruktur eines Systems.

Lernen erscheint weiter als Prozeß, der zur Herausbildung einer Differenz führt, einer Diffe-renz des Wissens zu zwei verschiedenen Zeitpunkten. Zentral innerhalb eines systemtheore-tischen Lernverständnisses ist deshalb auch der Begriff des Unterschieds, bzw. der Akt des Unterscheidens, den Luhmann mit Rekurs auf Bateson und Spencer Brown exploriert. Bate-son begreift das Elementarteilchen der Information als "Unterschied, der einen Unterschied ausmacht" (Bateson 1984, 580). Information konstituiert sich demnach prozeßhaft, als Ver-bindung zweier Unterschiede, als kausale Koppelung eines ersten Unterschieds mit einem zweiten, der vom ersten als Effekt evoziert wurde: Unterschiede in dem was wir beobachten, rufen Unterschiede hervor, in dem was wir wissen (aaO, 580f.)

Somit wird der Ort der Informationserzeugung in das System selbst übertragen; nicht die Umwelt, sondern das beobachtende System konstruiert Information durch den Akt des Un-terscheidens, der einen Unterschied ausmacht.

Der Operationsmodus des Unterscheidens ist der der Beobachtung; Beobachtung ist die Fähigkeit des Unterscheidens und Bezeichnens (Luhmann 1997, 69)33. Die Bezeichnung ist das Ergebnis der Beobachtung, die Differenzierung eines Etwas von einem Anderen. Unter-scheidet sich das Bezeichnet-Beobachtete von etwas Erwartetem, bewirkt es eine Informati-on des Systems. Als Differenz vInformati-on Erwartetem und Beobachtetem fungiert InformatiInformati-on ge-genüber den Systemstrukturen selektiv und evoziert dadurch Veränderungen (vgl. Baraldi et al. 1997, 76).

33 oder die "Handhabung von Unterschieden" (1984, 63)

Obwohl der Beobachtungsbegriff dies suggeriert, divergiert dieser epistemische Akt von ei-nem empiristischen Verständnis von Umwelterfahrung. Umweltbeobachtung wird begriffen als autopoietische, systeminterne Aktivität, da der Beobachtungsprozeß abhängig ist von der Art der Unterscheidung, die der Beobachter anwendet. Beobachtung erscheint damit als eine Systemkategorie, eine innere Aktivität, basierend auf systemspezifischen Unterscheidungen (aaO, 92) die in der Konsequenz auch nicht an Individuen gebunden ist.

Diese Prozesse können auch von sozialen Systemen, etwa Organisationen, vollzogen wer-den. Systeme erzeugen und verarbeiten Information über die Beobachtungsoperation der Kommunikation; sie selbst sind lernfähige Systeme. Ihr Lernen vollzieht sich als Lernen des Systems als solches. Es unterscheidet sich somit vom Lernen einzelner Organisationsmit-glieder und ist auch nicht mit einer systeminternen Dispersion individueller Lernerfahrungen und Wissensbestände gleichzusetzen.

Der Ausgangspunkt der operativen Logik Spencer Browns bildet das Definieren einer Unter-scheidung34. Ohne diese elementare und anfängliche Operation ist es unmöglich, eine Be-zeichnung vorzunehmen. Ein beobachtendes System muß zuerst Innen und Außen unter-scheiden, eine Grenze definieren, jenseits derer es etwas beobachten kann. Auch eine Selbstbeobachtung erfordert Grenzziehungen: die interner Differenzen. Der Akt der Unter-scheidung bedingt die Festlegung einer Systemseite und der Außenwelt, einer beobachten-den und beobachteten Seite; die Zugehörigkeit des Beobachters ist somit festgelegt. Beo-bachtung kann nie zugleich innen und außen erfolgen.

Eine Grenzüberschreitung, ein 'crossing' (Spencer Brown 1972) ist zwar möglich, aber erst nach einer vollzogenen Beobachtungsoperation. Dies hat zur Folge, daß ein unbeobachtba-rer Rest zurückbleibt, ein 'blinder Fleck' der Beobachtung, nämlich den der Unterscheidung selbst, die zum Zweck des Beobachtens vollzogen wurde. Diese getroffene Unterscheidung ist der Beobachtung nur im nachhinein, durch den Akt der Selbstbeobachtung möglich, in-dem ein Wiedereintritt der Differenz von System und Umwelt in das System vorgenommen wird, so daß die ursprüngliche Unterscheidung im Unterschiedenen wieder auftritt (vgl. Luh-mann 1990, 190 f.).

Die Unterscheidung liegt somit doppelt vor, als Ausgangsunterscheidung und als Unter-scheidung in dem durch sie Unterschiedenen. Damit wird eine Beobachtungsoperation voll-zogen, die die Form der (Selbst-)Reflexion annimmt35.

34 "Draw a distinction."; "Wir nehmen die Idee der Unterscheidung und die Idee der Bezeichnung als gegeben an, und daß wir keine Bezeichnung vornehmen können, ohne eine Unterscheidung zu treffen." Spencer Brown (1970/1997, 1)

35 vgl. Reese-Schäfer (1996, 72f.)

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