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kognitives System

3. Evaluation und organisationales Lernen

3.1 Intervenierende Kommunikationen in Organisationssystemen

3.1.1 Interventionsmöglichkeiten in autopoietische Systeme

Organisationen operieren in einer spezifischen Form von Kommunikation: dem Entscheiden.

Entscheidungen resultieren selbstreferentiell aus vorangegangenen Entscheidungen. Die dafür benötigten perspektivischen Kriterien basieren auf Erwartungen. Der Erwartungshori-zont einer Organisation formiert sich zu Strukturen, zu manifesten und latenten Interpretati-onstendenzen, an denen sich Systemoperationen orientieren.

Extern gesteuerte Interventionen sehen sich mit der Paradoxie konfrontiert, daß autopoieti-sche Systeme sich nur aus sich selbst heraus verändern können, jedoch aufgrund ihrer strukturellen Trägheit dazu tendieren, Veränderungen weitgehend abzuwehren. Wie ist unter diesen prinzipiellen Beschränkungen eine (gezielte) Beeinflussung überhaupt möglich? Zum Verständnis dieses Widerspruchs ist eine Bezugnahme auf das Phänomen der strukturellen Koppelung notwendig, die intervenierende Systeme erzeugen müssen, wenn sie Einfluß auf ein anderes System auszuüben beabsichtigen.2

Umweltbedingte Störungen stimulieren ein System dazu, sich zu verändern; dabei wird der Verlauf und die Richtung der Veränderung nicht durch die Störung, sondern durch das ge-störte System selbst bewirkt. Eine bewußte Intervention in autopoietische Systeme vorzu-nehmen bedeutet demnach, "geeignete 'Störungen' zu finden, die im System erwünschte strukturelle Veränderungen hervorrufen, ohne seine Identität zu vernichten." (Wollnik 1998, 144).

Störungen können dabei nur Kommunikationsbeiträge sein, da nur diese die Elemente eines sozialen Systems darstellen mit denen es zu operieren vermag. So begreift Willke (1994) Interventionen als zielgerichtete Kommunikationen, die die Autonomie des beeinflußten Sys-tems respektieren muß; eine steuernde Intervention kann nur unter dieser Voraussetzung erfolgreich verlaufen. Damit ist der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich Veränderung im Sinne lernender Veränderung (verstanden als normative und kognitive Entwicklung zur besseren Bewältigung der eigenen Reproduktion) vollziehen kann.

2 Maturana/Varela (1987) gehen von evolutionär erzeugten Interdependenzen von Systemen und ihrer Umwelt aus. Strukturelle Koppelung bezeichnet dabei die gegenseitige Abhängigkeit mehrerer Systeme; diese können ko-evulieren (Varela/Thompson 1991), ein durch wechselseitige Perturbationen ausgelöster Prozeß als dessen Ergebnis beiderseits Strukturveränderungen resultieren

Eine prinzipielle Begrenzung externer Steuerungsintentionen ergibt sich aufgrund der konsti-tutiven Charakteristik von Organisationen als autopoietische Systeme. Um Organisationen zum Lernen zu veranlassen, bedarf es also geeigneter Irritationen in Form von Perturbatio-nen, die sie dazu bewegen, ihre Strukturen zu verändern.

Perturbationen sind Stimuli der Umwelt, Störungen, die ein System zur Reorganisation inter-ner Prozesse anregen. Sie können Akkomodationen auslösen, wenn eine Integration der Störung in die kognitive Struktur auf der Ebene der Assimilation nicht mehr gelingt. Solche Inkonsistenzen des Äquilibrationsvermögens eines Systems vermögen wiederum selbst eine perturbierende Wirkung auf einer übergeordneten Ebene auszulösen: als Form der Reflexi-on, die zur Verfügung stehende Assimilationsschemata überprüft und vergleicht (vgl. v. Gla-sersfeld 1997, 120). Als störendes kommunikatives Ereignis, das gleichermaßen strukturelle Veränderungen evoziert sowie steuernde Effekte auf der Ebene der Reflexion ausübt, eignet sich, so meine These, Evaluation.

Evaluationsoperationen verfügen somit über eine basale metakognitve Funktion, die im Kon-text organisationaler Änderungsprozesse strukturelle Koppelungsoptionen zu eröffnen ver-mögen, über die intervenierende Kommunikationen erfolgen können.

Autopoietische Sozialsysteme sind selbstreferentiell geschlossen. Dies ist – so paradox es zunächst erscheint – Voraussetzung für ihre Möglichkeit, mit Umwelt zu interagieren.

Die für die Autopoiese benötigte Selbstreferenz ist immer nur mitlaufende Selbstreferenz; ein System operiert nicht ausschließlich in Beziehung auf sich selbst. Die durch Selbstreferenz erzeugte rekursive Geschlossenheit ist allerdings "Bedingung der Möglichkeit für Offenheit"

(Luhmann 1984, 606). Als ein Verweisungsmoment unter anderen ist das Selbstreferieren nicht totalisierend; operationale Geschlossenheit ist nicht Selbstzweck, sondern Vorausset-zung für die Offenheit eines Systems in Bezug auf seine Umwelt.

Autopoietische Systeme sind hinsichtlich der Tiefenstruktur ihrer Selbststeuerung gegenüber der Umwelt autonom. In Bezug auf die Ereignisse, aus denen sie Informationen ableiten, welche die Selbstbezüglichkeit ihrer Operationen anreichern oder stören, sind sie jedoch abhängig von externen Faktoren. Einwirkende Umweltvariablen werden in den systemeige-nen Kommunikationsprozessen gemäß der vorherrschenden Interpretationstendenzen beo-bachtet und entsprechend den Regeln vorliegender Verhaltenserwartungen verarbeitet. Die systemspezifische Codierung von Information und die Weise ihrer Rezeption sind strukturell determiniert. Informationsgehalte ändern sich allerdings fortlaufend; Autopoiesis bedeutet somit nicht die iterative Produktion der immer selben Kommunikationsbeiträge, respektive Entscheidungen: beobachtete wechselnde Stimuli werden zwar auf die autopoietisch fixierte systemspezifische Weise verarbeitet, führen aber in der Konsequenz zu wechselnden Er-gebnissen.

Die potentiellen Möglichkeiten organisationalen Lernens und die Kennzeichnung typisierter Entwicklungslinien organisationaler Veränderungsprozesse sind zwar in theoretisch an-spruchsvollen Konzepten differenziert ausgeleuchtet und umsetzungsorientiert entfaltet. Die Vorstellung jedoch, derartige Entwicklungen von Außen, etwa per Auftrag anstoßen zu kön-nen und dadurch eine Dynamik in Gang setzen zu vermögen, die in der Übernahme vorge-fertigter Konzepte mündet, unterliegt dem Mythos der Beherrschbarkeit (Kühl 2000) autono-mer Systemprozesse.

Zielgerichtete, intendiert-steuernde Interventionen in autopoietische System können nur dann positive Effekte zeitigen, wenn sie die Autonomie des zu beeinflussenden Systems mitbedenken und respektieren. Das bedeutet, zu berücksichtigen, daß das intervenierte Sys-tem die Kriterien vorgibt, unter denen es überhaupt beeinflußt werden kann. Diese Maßga-ben selbst sind anderen Systemen nicht bekannt. Eine Intervention kann lediglich Unterstel-lungen über diese Kriterien erzeugen und tentativ einsetzen. Erweisen sich solche Interven-tionsversuche als erfolgreich, können daraus hypothetische Modelle über die Operationswei-se des intervenierten Systems erstellt werden (vgl. Willke 1994).

Intendierte Einwirkungen in die Operationsweise eines autopoietischen Systems werden von diesem lediglich dann als Informationen aufgefaßt, wenn sie an dessen interne Prozesse anschließen. Externe Kommunikationsbeiträge können autopoietische Systeme auf diese Weise konditionalisieren; ihre Autonomie bleibt dadurch allerdings unberührt, da sie selbst entscheiden, an welche Umweltbedingungen sie ihre Sinnbestimmungen in welcher Form anknüpfen.

Autopoiesis und Selbstreferenz bedeuten, daß Kommunikationen nur nach den spezifisch vorliegenden Interpretationsweisen, gemäß der etablierten Erwartungsstruktur, verarbeitet werden. Eine steuernde Intervention, die Veränderungen der Operationsweisen eines auto-nomen Systems anstrebt, sieht sich dahingehend mit einer Paradoxie konfrontiert: externe Kommunikationsbeiträge, die nur auf Basis spezifischer interner Interpretationstendenzen3 beobachtet und verarbeitet werden können, sollen eben jene Interpretationstendenzen be-einflussen.

Interventionen erlauben, wie weiter oben beschrieben, keine externe Steuerung in eine ge-wünschte Richtung; sie können lediglich eine (gerichtete) Selbstveränderung des Systems evozieren, wobei die Weisen und Mittel der Veränderung durch diesen Prozeß selbst freige-setzt werden. Ihre Wirkungsweise ist somit "autokatalytisch" (Wollnik 1998).

3 Der Begriff Interpretation bezeichnet die Form, in der soziale Systeme ihre Elemente konstituieren: alles, was sich in Organisationen ereignet, wird von diesen – so die Luhmannsche Deutung – als Entscheidung interpretiert.

Entstehen in der Folge von Handlungsroutinen bestimmte Gleichförmigkeiten von Entscheidungen, bilden sich organisationsspezifische Interpretationstendenzen aus. Sie sind als kumulierte Entscheidungserfahrungen zu verstehen, die in ähnlichen Situationen Entscheidungen gemäß gleicher Entscheidungsgrundsätze gewährleisten (vgl. Wollnik 1998, 133).

Intervenierende Kommunikationen können von autopoietischen Systemen nur dann operativ bearbeitet werden, wenn sich Systemstruktur und Intervention in Form einer strukturellen Koppelung aufeinander beziehen. Wollnik (1998) benennt spezifische Qualitäten und Vor-aussetzungen von Kommunikationsbeiträgen, die sich dazu eignen, diesen Widerspruch aufzulösen und strukturelle Koppelungen mittels Interventionsoperationen zu erzeugen: Es sind dies Aufklärungsoperationen, die in drei Erscheinungsformen in Frage kommen (Anstoß zur Selbstdiagnose, Reflexionsanregung, Vermittlung von Kontingenzerfahrung), sowie Ori-entierungsoperationen, die ebenfalls verschiedene Kategorien bilden (Problematisierungen, Bestätigungen, Optionenbildung und Abschirmungen). Im Folgenden möchte ich einige die-ser Aspekte skizzieren, da sie für das Verständnis der weiter unten entwickelten Rolle von Evaluation im Prozeß organisationaler Veränderung relevant sind.

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