• Keine Ergebnisse gefunden

kognitives System

3. Evaluation und organisationales Lernen

3.1 Intervenierende Kommunikationen in Organisationssystemen

3.1.2 Aufklärende und orientierende Operationen

Das Auslösen einer produktiven Autokatalyse, das In-Gang-Setzen einer gerichteten Selbst-veränderung eines Systems unter Verwendung der in diesem Prozeß freigesetzten system-eigenen Mittel, bedarf zunächst einer gesteigerten Selbstvergewisserung. Das System muß über seine Struktur (die zu Interpretationstendenzen verdichteten Verhaltenserwartungen) genauere Aufschlüsse erzielen und diese mit seinem (gegebenenfalls abweichenden) Selbstverständnis vergleichen.

Eine Intervention kann in diesem Kontext darauf abzielen, das Sich-Selbst-Verstehen des intervenierten Systems zu fördern; dies ist basale Voraussetzung, an der sich in der Folge eine Veränderung der systemeigenen Operationsweisen anschließen kann.

Einen erster Schritt derartiger Aufklärungsoperationen bildet der Anstoß zur Selbstdiagnose.

Intervenierende Operationen, die darauf abzielen, Selbstdiagnosen auszulösen, müssen zunächst Prozesse der Selbstbeobachtung anregen. Selbstdiagnosen beziehen sich dabei nicht nur auf die (Selbst-)Beobachtung der Operationsweisen, sondern auch auf das eigene Selbstverständnis, auf die eigenen Auffassungen des Operierens. Über Selbstverständnis verfügt ein System in dem Maße, wie es seine eigenen Elemente, Relationen, Operationen und Strukturen reflektiert und sich ihrer selbst vergewissert, indem es durch Prozesse der Reflexivität (prozessuale Selbstreferenz) ständig Beschreibungen von sich anfertigt (vgl.

Luhmann 1984, Kap. 11, V).

Eine steuernde Intervention sollte somit intendieren, derartige Reflexionsprozesse anzure-gen, die es einem System auf Basis seiner Selbstdiagnose erlauben, sein Selbstverständnis zu rekapitulieren. Diese beiden Koppelungsoperationen – Anregung zur Selbstdiagnose und Reflexion – bilden die Voraussetzung für eine bewußte und zielgerichtete Änderung von Strukturen.

Das erweiterte Bewußtsein über Selbstbeschreibungen und Selbstverständnis bedarf eines ergänzenden Aspekts, um Veränderung überhaupt zulassen zu können: der Möglichkeit, dieses Selbstverständnis als kontingentes zu erfahren. Ein System kann mit Hilfe dieser auf-klärenden Information sein Selbstverständnis als eines unter vielen möglich begreifen lernen;

es kann erkennen, daß seine Selbstbeschreibung in Bezug auf seine Strukturen anders hätte ausfallen können. Das Bewußtsein von Kontingenz ermöglicht die Erfahrung von Differenz;

sie macht deutlich, daß den Systemstrukturen (so wie sie durch die Selbstbeschreibung ver-standen werden) nicht ein zwingendes spezifisches Selbstverständnis unterworfen ist, son-dern eine Pluralität möglicher alternativer Optionen. Diese Kontingenzerfahrung kann die Möglichkeit und Bereitschaft zur Änderung eröffnen.

Die konstitutiven Prinzipien autopoietischer Systeme, etwa ihre selbstreferentielle Geschlos-senheit, implizieren, daß ihnen Interventionen nur als Informationen zugänglich sind. Die Autonomie eines Systems stellt Anforderungen an die Qualität intervenierender Information:

sie kann lediglich zur Reflexion anregen. Konfrontiert eine Intervention das intervenierte Sys-tem mit vorgefertigten Interpretationen seiner Selbstbeschreibung und gründet darauf sich beziehende Veränderungsvorschläge, werden diese sehr wahrscheinlich unwirksam bleiben.

Berücksichtigen Interventionsstrategien diese Maßgaben nicht, bleiben sie als nicht an-schlußfähige Kommunikationen erfolglos oder wirken kontraproduktiv.

Abb. 26: Interventionsstrategien: Aufklärungsoperationen; in Anlehnung an Wollnik 1998

In der Logik dieser Überlegungen scheint es nicht ausreichend, eine Organisation dazu zu veranlassen, eine bloße Selbstbeobachtung zu verfassen. Diese muß vielmehr auf einer

1. Anstoß zur Selbstdiagnose 2. Anregung zur Reflexion 3. Kontingenzerfahrung Aufkrungs- operationen

intervenierendes System intervenierendes System

interveniertes System

Beobachtung 2. Reflexion

Anfertigen von Selbstbeschreibungen

Repräsentation der eigenen Elemente, Relationen, Operationen und Struktur

Rekapitulation des Selbstverständnisses 3. Kontingenzerfahrung Erkennen von Kontingenz

der Selbstbeschreibungen

des Selbstverständnisses 1. Selbstdiagnose Selbstbeobachtung

der Operationsweisen

des Selbstverständnisses

Intervention

Information

Selbstdiagnose beruhen, d.h. auf einer Selbstbeobachtung, die nicht nur beobachtet, wie das System operiert, sondern auch wie es sein Operieren auffaßt, also sein Selbstverständnis thematisiert.

Eine auf Selbstdiagnose basierende Selbstbeschreibung bildet das Selbstverständnis eines Systems in Relation zu den beobachteten Operationsweisen und Strukturen. Das Selbstver-ständnis kann damit als etwas für sich Stehendes abgegrenzt werden. Das System reflek-tiert; es erzeugt nicht nur Repräsentationen seiner Strukturen, sondern entwickelt Repräsen-tationen dieser RepräsenRepräsen-tationen (vgl. Wollnik 1998, 148). Diese Reflexivität erlaubt es ihm, Distanz zu seinem Selbstverständnis einzunehmen, was wiederum die Voraussetzung für Kontingenzerfahrung darstellt. Das Sich-Bewußtmachen seiner eigenen Identität ermöglicht erst die Einsicht, daß diese Form der Selbstbeschreibung lediglich eine unter vielen mögli-chen darstellt. Diese Erkenntnis bildet die Voraussetzung für selbst gesteuerte strukturelle Modifikationen. Mittels diagnostischer Selbstbeobachtung ist es einem System möglich, sich mit seiner Selbstbeschreibung zu konfrontieren, sich auf sie zu beziehen und diese – als Vorstufe struktureller Änderung – bewußt zu modifizieren.

Von der Erkenntnis des Kontingenzcharakters vorherrschender Interpretationstendenzen zu ihrer substantiellen Änderung bedarf es weiterer Schritte, die letztlich nicht von außen ge-steuert, sondern nur vom System selbst und autonom realisiert werden können. Für Willke (1994) erschöpft sich die Möglichkeit der Intervention in autopoietische Systeme in der Akti-vierung von Reflexionspotentialen. Reflexion ermöglicht es, weitere Optionen zu erkennen, die als Möglichkeiten für das intervenierte System in Frage kommen. Eine Intervention er-weist sich zwar als zielgerichtete Kommunikation, ihr Erfolg bleibt jedoch offen. Wirkungen können nur vom intervenierten System selbst ausgehen und nur systemintern realisiert wer-den.

Da Selbstbeschreibungen kontingent sind, bleibt offen, was es einem System letztlich er-möglicht, vernunftgeleitet darüber zu urteilen, welche Selbstauffassungen sich als viable Strategien erweisen, (veränderte) Umweltanforderungen zu bewältigen. Es benötigt Orientie-rungen – die es selbst erzeugen kann – um aus der Erkenntnis der Kontingenz seiner Selbstbeschreibung in der Folge eine alternative, einem neuen Selbstverständnis gemäße Identität zu verfassen.

Für geplante Interventionsabsichten, etwa im Zuge einer Maßnahme zur Organisationsent-wicklung scheint es allerdings bedeutsamer, neben dem Vertrauen auf vernünftige Selbstori-entierungen, anspruchsvolle Orientierungsoperationen bewußt zu steuern. Der Erfolg au-ßengesteuerter orientierender Operationen hängt davon ab, wie schlüssig und exakt das intervenierende System die Reaktionen der intervenierten Organisation auf einen veränder-ten Kontext zu antizipieren vermag.

Lassen sich solche Reaktionsmuster mit einiger Sicherheit vorhersagen, macht es Sinn zu versuchen, nicht nur mittels aufklärender, sondern auch durch orientierungstiftende Operati-onen in autopoietische Systeme zu intervenieren. Eine Strategie, die nur dann Effekte zeitigt, wenn eine strukturelle Koppelung zwischen dem eingreifenden System und demjenigen, in das eingegriffen wird, gelingt. Wollnik (1998) beschreibt verschiedene Klassen von Interven-tionen, die als Orientierungsoperationen eingesetzt werden können: Problematisierungen, Bestätigungen, Optionenbildung und Abschirmungen.

Problematisierungen kontrastieren negativ wahrgenommene reale Systemzustände mit den Wertmaßstäben des intervenierten Systems. Die Intervention fällt dabei keine Urteile, son-dern evoziert lediglich eine interne Bewertung der wahrgenommenen negativ wirksamen Systemzustände durch den Rückbezug auf (angestrebte) Präferenzen. Diese Interventions-strategie intendiert, eine Auseinandersetzung mit entsprechenden Sachverhalten auszulö-sen, die letztlich darauf abzielt, als kontraproduktiv oder ineffektiv bewertete Interpretations-tendenzen und Operationsweisen zu verändern.

Im Gegensatz zu den als Sachaussagen formulierten Problematisierungen, die den Umgang mit der Diskrepanz zwischen Zuständen und Präferenzen der Verantwortung des intervenier-ten (Organisations-)Systems überlassen und keine urteilenden Aussagen treffen, sind Bestä-tigungen bewertende Kommunikationen des vorgefundenen Systemverhaltens. Sie zielen darauf ab, im System partiell vorhandene günstige Interpretationstendenzen zu verstärken, um dadurch eine Präferenzveränderung zu initiieren. Bestätigungsoperationen verfolgen die Absicht, erfolgreiche Operationsweisen verstärkt einzunehmen und sie mit passenden Wer-ten zu unterlegen.

Von außen angestoßene, konkrete Sollvorgaben sind aufgrund der Autonomie eines Organi-sationssystems wenig erfolgversprechend. Es kann lediglich versucht werden, über das Auf-zeigen verschiedener Änderungsoptionen neue Orientierungsmaßstäbe zu vermitteln. Eine demgemäße Optionenbildung kann Szenarien entwickeln, die zwar nicht direkt Entwick-lungswege weisen, jedoch Referenzpunkte für Orientierungen in Phasen des Umbruchs und der Verunsicherung liefern.

Störungen der Systemautopoiesis können auch durch die übermäßige Bereitschaft, sich durch Umweltveränderungen irritieren zu lassen, evoziert werden. In diesem Fall sind Ab-schirmungen sinnvoll, die ein System vor unreflektiert vorgenommenen Strukturänderungen schützen. Das macht gegebenenfalls eine Veränderung auf anderer Ebene erforderlich, nämlich die Korrektur derjenigen systemspezifischen Interpretationstendenzen, die es erlau-ben, Präferenzen für bestimmte Formen der Umweltbeobachtung neu auszutarieren.

Abbildung 27: Interventionsstrategien: Orientierungsoperationen; in Anlehnung an Wollnik 1998

Durch Beobachtung von Umwelt ausgelöste Irritationen – als nichts anderes können Inter-ventionsabsichten externer Systeme von selbstreferentiell operierenden Systemen begriffen werden. Bestimmte Wirkungen von Intervention schließlich, müssen vom intervenierten Sys-tem selbst erzeugt und in Form veränderter Kommunikationsweisen autonom umgesetzt werden. Externe Intervention beschränkt sich auf Anregung; ihre Effekte sind nicht determi-nierbar, sondern werden von autopoietischen sozialen System lediglich als kontingente Beo-bachtung interpretiert. Nur unter der Voraussetzung, daß es gelingt, strukturelle Koppe-lungsoperationen zu ermöglichen, sind zielgerichtete Interventionen in die Autonomie exter-ner Systeme überhaupt möglich.

ÄHNLICHE DOKUMENTE