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1.3. Lernprozesse aus systemtheoretischer Perspektive

1.3.2 Selbstreferenz und Beobachtung

Der Begriff der Referenz wird über das spezifische Verständnis von Beobachtung bestimmt.

Er bezeichnet eine Operation, "die aus den Elementen der Unterscheidung und der Bezeich-nung (distinction, indication im Sinn von Spencer Brown) besteht. Es handelt sich also um die Bezeichnung von etwas im Kontext einer (ebenfalls operativ eingeführten) Unterschei-dung von anderem." (Luhmann 1984, 596). Das Referieren wird somit zum Beobachten, so-fern die getroffene Unterscheidung zur Gewinnung von Information über das Bezeichnete benutzt wird. Die Begriffe Referenz und Beobachtung, bzw. Selbstreferenz und Selbstbeo-bachtung, beziehen sich also auf das operative Handhaben einer Unterscheidung, einer Dif-ferenz zu etwas anderem.

Dementsprechend meint Systemreferenz eine Operation, die mit Hilfe der Unterscheidung System/Umwelt ein System bezeichnet. Eine Besonderheit kommt dem Begriff der Selbstre-ferenz bei: die Operation der ReSelbstre-ferenz (das Bezeichnen nach Maßgabe einer Unterschei-dung) ist in das von ihr Bezeichnete eingeschlossen. Selbstreferenz "bezeichnet etwas, dem sie selbst zugehört. (aaO, 600)."

Selbstreferenz meint, mit anderen Worten, einen Prozeß, mit dem sich ein System in Ab-grenzung zu einer Unterscheidung identifiziert; ein Verständnis von Selbstreferenz, das auf den Begriff des Subjekts36 verweist und ihn in der Systemtheorie ersetzt.

Diese Form der Identifikation und damit die Zuordnung der Selbstreferenz zu einem Selbst kann verschiedene Formen annehmen. Je nachdem, durch welche vorgenommene Unter-scheidung ein autopoietisches System sich selbst bestimmt, können drei verschiedene Wei-sen der Selbstreferenz differenziert werden:

Die basale Selbstreferenz, die prozessuale Selbstreferenz (Reflexivität) und die Reflexion (vgl. aaO Kap. 11/IV -VI). Alle drei Formen ermöglichen dem System, sich selbst zu beo-bachten, Selbstbeschreibungen anzufertigen und die Autopoiesis zu steuern. Diese Vorgän-ge sind somit die Mechanismen, mittels derer Veränderungsprozesse in operativ Vorgän- geschlos-senen Systemen – und somit auch Lernen – vom System selbst initiiert werden können.

Die Mindestform von Selbstreferenz, ohne die eine autopoietische Systemreproduktion nicht möglich ist, stellt die basale Selbstreferenz dar. Als konstitutives Erfordernis erzeugen Sys-teme mitläufig zu ihrem Reproduktionsprozeß Beschreibungen ihrer selbst und steuern damit den Fortgang der Autopoiesis. Das Selbst, das sich in dieser Form referiert ist ein tempora-les Ereignis – im Fall sozialer System somit Kommunikation.

Prozessuale Selbstreferenz bzw. Reflexivität bezieht sich auf die Unterscheidung eines Vor-her und NachVor-her elementarer Ereignisse. Das sich referierende Selbst ist nicht allein ein Moment der Unterscheidung, sondern der durch die Unterscheidung konstituierte Prozeß.

36 Zur Problematik der Subjekt-Objekt-Differenz und zur Mißbrauchsanfälligkeit des Subjektbegriffs aus der Sicht Luhmanns s. etwa 1984 Kap 11/I

"Von Reflexivität soll immer dann die Rede sein, wenn ein Prozeß als das Selbst fungiert, auf das die ihm zugehörige Operation der Referenz sich bezieht." (aaO, 601). Reflexivität kom-muniziert über Kommunikationsprozesse. Dabei erfüllt die selbstreferentielle Operation selbst die Zugehörigkeitsmerkmale des Prozesses, den sie reflektiert: als Beobachtungspro-zeß ist sie selbst Beobachtung, als KommunikationsproBeobachtungspro-zeß Kommunikation.

Reflexivität bezeichnet also die Fähigkeit eines Systems, einen Prozeß auf sich selbst anzu-wenden. Sie ermöglicht die Selbstbeobachtung eines Systems; als elementarer Strukturauf-bau sozialer Systeme überwindet sie die Differenz von Beobachten und Handeln durch Kommunikation. Sie ermöglicht in Verbindung mit dem symbolisch generalisierten Kommuni-kationsmedium Sprache die bewußte Selbststeuerung eines Systems, indem die Selbstbeo-bachtungen als Beschreibungen kommuniziert werden.

Reflexion schließlich basiert auf der Unterscheidung von System und Umwelt. Diese Form der Selbstreferenz bezieht sich auf Systemreferenz; das Selbst auf das die Reflexion sich bezieht, ist das System. Ein System kann somit – über die Unterscheidung von

Sys-tem/Umwelt – die eigene Identität reflektieren; Reflexion erlaubt ihm zu entscheiden, welche Sinneinheiten seine Reproduktion gewährleisten. Über Reflexion gelingt es, die Differenz von System/Umwelt trotz selbstreferentieller Geschlossenheit wieder in das System einzuführen.

Diese Operation setzt basale Selbstreferenz – die Möglichkeit, Selbstbeschreibungen anzu-fertigen – voraus, sowie einen Standpunkt, von dem aus beobachtet werden kann.

Beobachtung wiederum erzeugt einen 'blinden Fleck', die zum Zweck der Beobachtung ge-troffene Unterscheidung, die nicht selbst beobachtet werden kann. Dieses

theorie-immanente prinzipielle Problem kann allein durch Multiperspektivität aufgelöst werden: in-nerhalb des Systems werden divergente Beobachtungsperspektiven eingenommen und von dort aus die Ausgangsunterscheidung in die Beobachtung mit einbezogen. Diese Verzeitli-chung der Beobachtung mittels 'crossing' (Perspektivwechsel) und 're-entry' (wieder herein-holen des Beobachtungsstandpunkts in die Beobachtungsoperation) schließt allerdings ei-nen vollständigen Konsens zwischen den Perspektiven aus. Die Rationalität eines Systems erweist sich dabei in zweifacher Hinsicht: durch Beobachtung im Wechsel der Perspektiven und durch die Beobachtung dieses Wechsels selbst (vgl. Luhmann 1988).

An dieser Stelle kann bereits ein Funktion von Evaluation angedeutet werden: Evaluations-operationen erlauben, divergente Standpunkte einzunehmen, um die Blindheit eines Prozes-ses (z.B. eines LernprozesProzes-ses oder einer Bildungskonzeption) gegen sich selbst aufzuhe-ben. Damit werden Beobachtungen aus unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht.

Die verschiedenen Formen der Selbstreferenz ermöglichen Systemen eine bewußte Steue-rung ihrer Operationen; sie stellen damit (wie in Kap 2.2.3 ausgeführt wird) eine prozessuale Basisfunktion von Evaluation innerhalb Organisationen dar.

1.3.3 Lernen

Während psychische Systeme auf Basis von Kognitionen operieren, ist die Beobachtungs-operation sozialer Systeme Kommunikation. Kommunikation verfügt über eine dichotome Struktur: sie verweist auf Umweltbeobachtung und thematisiert damit fremdreferentielle As-pekte, wobei sie sich selbstreferentiell auf andere systeminterne Kommunikationen bezieht, um überhaupt Verständigung zu ermöglichen.

Beobachtung ist Bedingung von Information, sie macht Information erst möglich: Die Unter-scheidungen und Bezeichnungen als Ergebnis der Beobachtung können Information bewir-ken, wenn sich das Beobachtete von etwas Erwartetem unterscheidet. Die Differenz von selbstreferentieller Erwartung und fremdreferentieller Beobachtung wird allerdings erst dann zur Information, wenn sie selektiv Einfluß auf die Strukturen des Systems ausübt und da-durch Veränderungen auslöst (Luhmann 1984, 68). Information bedeutet in diesem Kontext also nicht Input im herkömmlichen Sinne; der Beobachtungsbegriff ist kein Synonym für Wahrnehmung.

Der Ausgangspunkt des Erkennens beginnt, nach Luhmanns Auffassung, mit einer Unter-scheidung: mit der Differenz von aktual Gegebenem und Möglichem. Diese Grunddifferenz vermittelt dem Erleben Informationswert, ermöglicht die Zuordnung von Sinn und strukturiert somit die ungeordnete Vielfalt der Erscheinungen. "Am Anfang steht also nicht Identität, son-dern Differenz. Nur das macht es möglich, Zufällen Informationswert zu geben und damit Ordnung aufzubauen" (Luhmann 1984, 112).

Information, verstanden als Unterschied, der einen Unterschied macht, restrukturiert in sozia-len Systemen Erwartungen. Information führt zu einer Veränderung dessen, was erwartet wird. Systeme beobachten somit nicht die Welt 'an sich', sondern vielmehr, ob die Welt so ist, wie sie das System erwartet.

Führt Information zu einer Strukturveränderung des Systems, ist dieser Prozeß aus system-theoretischer Perspektive gleichbedeutend mit Lernen. Lernen wird zum Ereignis innerhalb eines Systems, das von vorhandenen Strukturen divergiert und sie verändert37. Lernen ist somit durch veränderte Erwartungen gekennzeichnet. Ein System ist gezwungen, auf eine enttäuschte Erwartung zu reagieren; "man kann dies durch Anpassung der Erwartung an die Enttäuschungslage (Lernen) tun oder genau gegenteilig durch Festhalten der Erwartung trotz Enttäuschung und Insistieren auf erwartungsgemäßem Verhalten." (Lumann 1984, 397; Her-vorhebung durch S.B.)

Lernprozesse redefinieren Kommunikation als Operationsmodus sozialer Systeme und deren strukturbildende Erwartungen; Lernen erscheint als unerwartete Beobachtung, die eine Ver-änderung von Struktur impliziert.

37 vgl. Luhmann 1984, 158

Abb. 5: Lernen unter systemtheoretischer Perspektive: Eine nicht erwartungskonforme Beobachtung führt zu einer Differenz von Selbst- und Fremdreferenz; die dadurch evozierte Information kann eine Änderung der Erwartungsstruktur bedingen. Der Operationsmodus des Systems ist Kommunikation.

Damit ein System über Lernprozesse seine bestmögliche Anpassung an Umweltbedingun-gen gewährleisten kann, ist es gezwunUmweltbedingun-gen – lernend – die passende Balance zwischen Re-dundanz und Varietät auszuloten. Da sich Umwelt kontinuierlich wandelt, sind permanente Lernprozesse erforderlich; diese werden durch Information ausgelöst und manifestieren sich als Strukturänderung. Die Strukturänderungen beziehen sich dabei auf die kognitiven als auch normativen Grundlagen manifester und latenter Systemstrukturen.

Lernprozesse erfordern (und bedingen) somit eine Veränderung der Erwartungsstruktur. Um Lernen zu fördern, ist es bedeutsam zu wissen, unter welchen Bedingungen abweichendes Entscheiden zu einer Differenz im organisationalen Erwartungshorizont führt und nicht den Ausschluß der Entscheidung provoziert.

Diversität und Komplexität führen zu einer Pluralität teils widersprüchlicher Erwartungsstruk-turen. Die Sinnhaftigkeit einer abweichenden Entscheidung resultiert daraus, daß sie sich auf andere an sie gerichtete Erwartungen bezieht. Zulässig ist nonkonformes Entscheiden, wenn es sich als sinnhaftes Entscheiden konkretisiert und sich auf alternative Erwartungsoptionen bzgl. der vier Manifestationsformen38 der Organisationsstruktur bezieht.

38 Aufforderungen, Programme, Ziele, Werte; vgl. Kap. 1.2.3 systemspezifische

Erwartungsstruktur

Unterscheiden Bezeichnen

Beobachtung

Fremdreferenz Selbstreferenz

Differenz von Selbst- und Fremdreferenz

Information

Erwartungsänderung

Systemgrenze

Mit Abnahme der Erwartungsprägnanz nimmt die Wahrscheinlichkeit nonkonformen Ent-scheidens zu. So ist die Ambiguisierung es Erwartens auch eine Strategie, relative Entschei-dungssicherheit herzustellen (Luhmann 1984, Kap. 8/IX). Wie weiter oben ausgeführt, nimmt der Ambiguitätsgrad von Verhaltenserwartungen von den Aufforderungen über Programme, Ziele und Werte beständig zu. So wäre in der Praxis zu 'erwarten', daß abweichendes Ent-scheiden hinsichtlich Zielen eher toleriert würde, als Nonkonformität mit Bezug auf Pro-gramme oder Aufforderungen. 39

1.3.4 Lerntransfer

Die systemtheoretische Perspektive evoziert weitere Implikationen hinsichtlich des Problems der Dispersion und situationsangemessenen Anwendung von Wissen innerhalb Organisati-onssystemen. Diese Aspekte werden üblicherweise unter dem Begriff des Lerntransfers dis-kutiert.

Im Kontext von Lernprozessen bezeichnet Transfer die Übertragung von Wissen aus einer Lern- in eine Anwendungssituation40. Transfereffekte liegen vor, werden die in einem Lern-zusammenhang (bezeichnet als source, bzw. als Lernfeld41) erworbenen Kenntnisse in einen anderen Zusammenhang (target bzw. Funktionsfeld) übertragen und dort sinnvoll und hilf-reich angewandt42.

Eine mögliche Differenz zwischen dem Maß des erreichten Lernerfolgs in der source und dem Maß des tatsächlich angewandten und übertragenen Wissens wird als Transferlücke bezeichnet, die es mit Hilfe geeigneter Strategien zu überbrücken gelte43. Dieses Problem des Trägen, in Praxissituationen nicht oder nur unzureichend zur Aufgabenbewätltigung ein-gesetzten Wissens (tacit knowledge44) wird im Diskurs der betrieblichen Weiterbildung inten-siv thematisiert45.

Faulstich (1998) unterstellt der Sichtweise, die Diskrepanz zwischen dem in Lernfeldern er-worbenen und in Praxisfeldern realisierten Wissen könne durch geeignete transfersichernde Maßnahmen überwunden werden, eine vereinfachende und inadäquat instrumentelle

39Diese Überlegung bestätigen vielfache Praxiserfahrungen: In Organisationen angeregte Veränderungsprozes-se, etwa Aktivitäten zur Sicherung des Lerntransfers aus Weiterbildungsmaßnahmen (Erwartung), erfordern zeit-liche Ressourcen der Mitarbeiter und Führungskräfte, die letztlich zugunsten der Ausführung drängender Tages-geschäfte nicht erbracht werden (nonkonforme Entscheidung). In diesem Fall wird die Intention, eine bestimmte Lernkultur in die Organisationsstruktur zu implementieren (Ziel) durch die Entscheidung für die Investition von Ressourcen in weniger abstrakte Aufgabenbereiche (Programm) unterlaufen. - Persönlich erzielte Erfahrungen im Zusammenhang mit der Implementierung eines Konzepts zum PE-Controlling bei einem Unternehmen der IT-Branche; vgl. etwa auch Ulbrich (1999), Schwuchow/Gutmann (2001)

40 In einer älteren Definition wird Transfer knapp als "Übertragung des Gelernten auf neue Situationen" begriffen (Hillebrand 1974).

41 zu den Begriffen source und target vgl. Mandel et al (1992); die Unterscheidung zwischen Lern- und Funktions-feld geht auf Lattmann (1974) zurück

42 vgl. etwa Bergmann/Sonntag 1999

43 vgl. Bronner/Schröder 1983; das Modell der Transferlücke wird weithin rezipiert: etwa Pawlolwsky/ Bäumer 1996, Wilkening 1997, bzw. in seiner Eindimensionalität kritisiert: Neuberger 1991, Faulstich 1998

44 Mandl et al 1992

45 s. etwa Schwuchow/Gutmann 2001

fassung des Kompetenzerwerbs, dem eine in der Andragogik inzwischen als überholt gel-tende Annahme eines Lehr-Lern-Kurzschlusses46 zugrunde liege. Kognitions-psychologische und konstruktivistische lerntheoretische Ansätze47 begreifen Wissen nicht als

kontext-beliebiges Abstraktum, sondern in situative Zusammenhänge eingebettet, aus denen es nicht ohne Verlust an Inhalten losgelöst und übertragen werden kann. Der Prozeß des Wis-senserwerbs kann nicht als einfache Internalisierung der Außenwelt aufgefaßt werden; unter konstruktivistischer Perspektive48 erscheint dieser Vorgang vielmehr als aktiver, auf Vorwis-sensbestände bezogener Prozeß der subjektiven (Wirklichkeits-)Konstruktion, der kontextsi-tuiert verläuft.

Problemlöse- und Denkstrategien scheinen zu sehr in den Kontext der spezifischen Inhalte eingebettet und verankert zu sein; sie können nicht von diesen unabhängig und abgelöst erworben werden. Eine intendierte Selektion der verallgemeinerbaren Prinzipien aus konkre-ten Situationen blendet den für eine Theorie der Transferförderung bedeukonkre-tenden Umstand aus, daß Lernprozesse nicht auf die Lernsituation beschränkt bleiben, sondern im Anwen-dungsfeld ihre Fortsetzung und Weiterentwicklung finden49.

Eine systemtheoretische Lesart des Transferproblems spitzt diese Problematik in zweifacher Hinsicht zu und verweist auf paradoxe Bezüge:

(1) Eine Organisation und die einzelnen Personen50, die in ihr agieren, müssen als jeweils autonome und selbstreferentiell operierende Systeme begriffen werden, die für einander Umwelten darstellen und zwischen denen Kontakt nur begrenzt, in Form struktureller Koppe-lungen, möglich ist. Der aus der Lernpsychologie stammende Begriff 'Lernfeld' bezeichnet ein gestaltetes Lehr-Lern-Arrangement; aus systemtheoretischer Perspektive verweist er jedoch auf das autonome kognitive System einer Person – Lernen als Prozeß vollzieht sich innerhalb kognitiver Strukturen und somit außerhalb eines didaktischen Settings. Das Kon-strukt 'Anwendung des Gelernten in einem Funktionsfeld' zielt hingegen auf den Kontext des Organisationssystems, innerhalb dessen sich Erlerntes in Form bestimmter Handlungen (ge-nauer: sich als Handlungen ausweisender Kommunikationen) manifestiert. Diese funktiona-len Handlungen sind jedoch nicht als solche des kognitiven personafunktiona-len Systems zu begrei-fen, sondern als emergente Operationen eines anderen autonomen Systems: der Organisa-tion.

46 hierzu etwa Arnold/Siebert 1995

47 Gerstenmaier/Mandl 1996

48 Siebert 1999, Mandl/Reinmann-Rothmeier 2000

49 Faulstich 1998, S. 197; Bergmann/ Sonntag 1999

50 der Begriff Person wird der Einfachheit halber an dieser Stelle in einem eher umgangssprachlichen Sinne be-nutzt und etwa als 'sich bildendes Subjekt', 'lernendes Individuum' etc. verstanden; eine stringente systemtheore-tische Betrachtung erforderte eine Differenzierung dieser Begriffe und würde Person etwa als Bezeichnung dafür auswählen, "daß man nicht beobachten kann, wie es zustande kommt, daß Erwartungen durch Zusammenhang in einem psychischen System an Wahrscheinlichkeit gewinnen" (Luhmann 1984, 158).

Ein lernendes Individuum ist systemtheoretisch als ein sich Wissen aneignendes kognitives System zu betrachten; in der Rolle als Organisationsmitglied ist es jedoch funktionaler Teil des Organisationssystems. Zur Analyse des Transferproblems bedarf es somit zweier Beo-bachtungsperspektiven: Lernendes und in organisationalem Kontext handelndes Individuum müssen als zwei getrennte Systeme aufgefaßt werden.

Unter diesen Voraussetzungen scheint eine Übertragung von Wissen aus einem Lernfeld (psychisches System) in ein Funktionsfeld (soziales System) im organisationalen Kontext kaum möglich. Anders ausgedrückt: wie kann ein autonomes System (eine Person, begriffen als psychisches System) sein Lernen (somit seine veränderte kognitive Struktur) einem an-deren autonomen System (der Organisation als Funktionsfeld) verfügbar machen?

(2) Organisierte Lernprozesse in Form betrieblicher Weiterbildung und Personalentwicklung streben den Aufbau individueller Kompetenzen an, deren funktionaler Einsatz im Kontext der Organisation eine Optimierung der Systemreproduktion gewährleisten soll. Zu diesem Zweck absichtsvoll implementierte Lernfelder in Form didaktisierter Lehr-Lern-Arrangements können sich (nur) an die kognitiven Strukturen von Individuen richten; sie initiieren Koppelungsopera-tionen, die damit in einem von organisational determinierten Funktionsfeldern unterschiede-nen systemischen Kontext verlaufen. Wie kann unter diesen Voraussetzungen der intersys-temischen episintersys-temischen Begrenzung und selbstreferentiellen Geschlossenheit ein für die Autopoiesis des Organisationssystems nützliches Wissen generiert werden?

Zur Aufhellung dieser substantiellen Probleme legt die systemtheoretische Perspektive nahe, auf den Modus der Kommunikation zu verweisen, die als dreifach selektives Ereignis die Konstitution sozialer Systeme ermöglicht und auf das Phänomen der strukturellen Koppe-lung, über die zwei selbstreferentiell geschlossen operierende Systeme in Beziehung treten können.

Systemtheoretisch reinterpretiert bedeutet die Bearbeitung des Transferproblems somit, Möglichkeiten der Beobachtung der kognitiven Struktur eines lernenden psychischen Sys-tems (einer Person) durch ein anderes (eine Organisation) zu erzeugen. Gelungener Trans-fer manifestiert sich dann, wenn eine erlernte individuelle Kompetenz über eine Operation der strukturellen Koppelung als veränderte Kommunikation – als unterschiedliche Entschei-dung – eines Organisationssystems erscheint.

Transfer als Problem der Übertragung und Verallgemeinerung individuellen Wissens aus einem Lernfeld in organisational determinierte Funktionsfelder muß vor dem Hintergrund obiger Überlegungen aus einer Perspektive diskutiert werden, die diese paradoxen Bezüge des Lernens mit in den Blick nimmt.

Lerntransfer vollzieht sich dabei auf zu differenzierenden systemischen Ebenen:

Organisation

1. Unter der Differenz von Lernkontext/Anwendungskontext erfordert der Erwerb von Wissen den Aufbau entsprechender kognitiver Strukturen, die eine möglichst flexible Anwendung des Erlernten ermöglichen.

2. Die Unterscheidung von System/Umwelt, konkretisiert auf die Differenz von psychischem System und Organisationssystem, verweist auf das Paradox der selbstreferentiellen Ge-schlossenheit und Unzugänglichkeit autopoietischer Systeme. Unter dem Transferaspekt gilt es nicht, eine individuell zu erbringende Übertragungsleistung von einer Lern- in eine An-wendungssituation zu bearbeiten, vielmehr stellt sich die Frage, wie an ein spezifisches Sys-tem gebundenes Wissen einem anderen SysSys-temkontext zugänglich gemacht werden kann.

Diese Problemdimension weist als ein zu leistender intersystemischer Transfer zweiter Ord-nung über den traditionellen Transferbegriff hinaus.

3. Transferprozesse auf dieser systemisch höher angeordneten Ebene wirken reflexiv und impulsgebend auf die Entwicklung der organisationalen kognitiven Struktur: transferiertes und für die Konstitution eines Organisationssystems relevantes Wissen kann potentiell zu einer spezifischen Veränderung seiner kognitiven Struktur führen, die eben diesen Prozeß des Systemgrenzen überschreitenden Transfers ermöglicht. Diesen, zunächst hypothetisch angenommenen Prozeß der Rekursion unter der zur Beobachtung notwendigen Unterschei-dung transferfördernd/-hemmend, möchte ich als Metatransfer bezeichnen: als Transfer transferförderlicher Bedingungen zwischen und innerhalb strukturell gekoppelter Systeme.

Abbildung 6: Ebenen des Lerntransfers im Kontext von Organisationssystemen Transfer:

Metatransfer Akkomodierende Änderung der kognitiven Systemstruktur: Transfer förderlicher Transferbedingungen

Individuelle Kognitionen Funktionsfeld

Transfer stellt somit ein mehrdimensionales, weil divergente Systeme tangierendes, kommu-nikatives Ereignis dar.

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