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kognitives System

3. Evaluation und organisationales Lernen

3.2 Funktionen von Evaluation im Kontext organisationalen Lernens

3.2.5 Kognitivierung und Ambiguisierung von Verhaltenserwartungen

Organisationslernen bezeichnet im Verständnis dieser Arbeit eine über die Reproduktion sich unterscheidender Kommunikationen hinausweisende, substantielle Veränderung der hand-lungsleitenden Strukturen eines Organisationssystems. Struktur liegt in unterschiedlichen Manifestationsformen vor: einerseits als kognitiv modalisierte, andererseits als normativ mo-dalisierte Verhaltenserwartungen, wobei kognitive Erwartungen sich als lernbereite darstel-len.

Erwartungen, auf die sich in der Folge Entscheidungen beziehen, können mehrdeutig sein;

ihr Grad an Ambiguität stellt eine maßgebliche Determinante für die Lernbereitschaft eines Systems dar. Eindeutigkeit von Erwartungen erschwert abweichendes Entscheiden, Mehr-deutigkeit läßt nonkonformes Handeln eher zu; Ambiguisierung erhöht somit die Wahrschein-lichkeit von Lernen. Im Kontext der Kognitivierung und Ambiguisierung von Erwartungen nehmen bewertende Reflexionsprozesse eine zentrale Funktion ein.

(1) Kognitivierung vs. Normierung:

Die Strukturen eines Organisationssystems liegen dichotom, als einerseits kognitiv modali-sierte und andererseits normativ modalimodali-sierte Erwartungen vor. Kognitive Modalisierung kennzeichnet Erwartungen als lernbereite; ihre normative Modalisierung hingegen nimmt die Funktion eines internen Schutzmechanismus gegen Veränderung ein: auch wenn Ereignisse eintreten, die einer im Modus der Norm niedergelegten Erwartung widersprechen, wird die Erwartung aufrechterhalten (Luhmann 1984, 437). Lernen bedarf jedoch der Veränderung von Struktur, organisationales Lernen der Erwartungsänderung.

Angesichts dieser theoretischen Vorannahmen scheint es für lernwillige Organisationen gün-stiger, wenn sie ihre als Strukturen fungierenden Verhaltenserwartungen überwiegend kogni-tiv modalisiert festschreiben, da dieser Fall eine organisationsinterne Dynamik fördert, die sich als viabel erweisende Verhaltensabweichungen in die vorliegende Erwartungsstruktur integriert. Eine überwiegend normative Modalisierung hingegen führt aufgrund der darüber begründeten weitgehenden Eliminierung normabweichenden Verhaltens zu einer Stabilisie-rung der Organisationsstrukturen und der Aufrechterhaltung des innerhalb dieser Grenzen möglichen Verhaltens.

Normierungen von Verhaltenserwartungen führen dabei in zweifacher Hinsicht zu Lernblo-ckaden: dadurch, daß die Organisationsstruktur die – möglicherweise – kontrafaktische Auf-rechterhaltung der Erwartung signalisiert, wird sie kaum zu abweichenden Entscheidungen ermutigen. Eher tritt das Gegenteil ein: Entscheidungsträger werden Absicherungsstrategien wählen und Entscheidungen, die wenig Unerwartetes evozieren, päferieren. Somit wird be-reits der erste Takt im zweistufigen Prozeß des organisationalen Lernens – der Akt der In-formationserzeugung, die Beobachtung eines ersten Unterschieds – verhindert (vgl. Laßle-ben 2002, 131).

Selbst wenn dennoch von Erwartungen abweichendes Verhalten ausgeübt wird, verunmög-licht eine normative Modalisierung der Erwartung die Weiterverarbeitung der Information – die Erzeugung des zweiten Unterschieds – der eine Veränderung der Systemstrukturen zur Folge hätte. Um lernen zu können wäre es somit für Organisationen sinnvoll, ihre Strukturen weitestgehend zu kognitivieren.

Eine prinzipielle Möglichkeit, Normierungstendenzen entgegen zu wirken und Kognitivierun-gen voranzutreiben bietet m.E. die strukturelle Implementierung von Evaluationsprozessen in Entscheidungs-Erwartungs-Zusammenhänge. Modalisierungen von Strukturen sind als spe-zifische Stilisierungen eines sozialen Systems zu verstehen: sie schreiben nicht fest, was, sondern wie etwas erwartet wird, wie Verhaltenserwartungen kommuniziert werden. Da an-zunehmen ist, daß Normen eher unreflektiert entstehen und unhinterfragt tradiert werden,

10 Der Begriff Passung bzw. Viabilität wird oftmals falsch, als Synonym für Anpassung, interpretiert. Er zielt jedoch auf eine pragmatische Sichtweise, die Handlungen und kognitive Operationen dann als viabel begreift, wenn sie zu den Zwecken und Beschreibungen passen, zu denen sie benutzt werden (vgl. v. Glasersfeld 1997, 43).

leisten Prozesse der Reflexion und Bewertung der organisationalen Operationen – wie sie eben Evaluationen leisten können – der Kognitivierung Vorschub. Strukturell verankerte Er-wartungen, wie die normative Figur eines 'so machen wir das immer' erfahren durch Kogniti-vierung über Reflexion eine Transformation zu der Gestalt 'aus diesen Gründen machen wir das so / nicht mehr so'.

(2) Ambiguisierung vs. Eindeutigkeit:

Organisationales Lernen setzt von Erwartungen abweichendes Entscheiden voraus. Der Fall, anders als erwartet zu entscheiden, wird eher eintreten, wenn sich eine unterschiedlich aus-fallende Entscheidung ebenfalls auf eine im System existierende Erwartung beziehen kann.

Die mögliche Referenz auf eine alternative Option, eine ebenfalls strukturell manifestierte Erwartung macht ein anders als üblich ausfallendes Entscheiden wahrscheinlicher. Damit ist auch die Voraussetzung für eine Veränderung der Erwartung, von der abgewichen wurde, gegeben.

Die Genese organisationaler Lernprozesse scheint damit wahrscheinlicher, wenn sich spezi-fische Entscheidungen nicht eindeutig auf eine bestimmte Erwartung beziehen, sondern mehrere Referenzoptionen zulassen. Die Ambiguisierung von Verhaltenserwartungszusam-menhängen erleichtert abweichendes Entscheiden, da die erfolgte Devianz mittels der Refe-renz auf eine andere, möglicherweise bislang nicht präferierte, jedoch zulässige Erwartung legitimiert werden kann. Mehrdeutigkeiten der Systemstruktur erleichtern somit Prozesse des organisationalen Lernens.

Diese theoretischen Überlegungen implizieren Anforderungen bzgl. der Operationalisierung von Evaluationsprozessen und an die Weise, wie Evaluationsergebnisse intraorganisational kommuniziert werden. Zunächst scheint das Funktionsprinzip von Evaluation per se dazu geeignet, eindeutige Aussagen über Entscheidungskonsequenzen und damit in der Folge eindeutige Relationierungen spezifischer Erwartungs-Entscheidungs-Zusammenhänge fest-zuschreiben. Evaluation strebt deshalb nicht an, einfache monokausale Erklärungsmodelle der reflektierten Ereignisse und simplifizierende Wenn-Dann-Relationen zu erzeugen, son-dern erweitert den Blick für Pluralität, Mehrdeutigkeiten und Widersprüche. Durch die Ambi-guisierung ihrer Struktur eröffnet sich eine Organisation vermehrt Handlungs- und Entschei-dungsspielräume, die sie flexibler auf veränderte Umwelten reagieren lassen.

Um Flexibilität als Voraussetzung für Lernprozesse zu gewährleisten, dürfen Organisationen im Sinne Hedbergs (1981) nur ein Minimum an Konsens, Rationalität und Konsequenz an-streben. Ein dynamischer Ausgleich zwischen Stabilität und Wandel, Komplexität und Orien-tierung sei zentrale Voraussetzung für erfolgreiches Organisationslernen. In diesem Kontext betont Hedberg die notwendige Variation von Komplexität als zentrale Aufgabe einer organi-sationalen Dynamik, die letztlich Lernen provoziert. Das hier angedeutete produktive

Span-nungsverhältnis zwischen Stabilität und Turbulenz eines Systems, findet seine Entsprechung innerhalb des konstruktivistischen Diskurses, der das Lernanlässe evozierende Moment der Perturbation herausstellt.

Unter dieser Perspektive nehmen evaluative Operationen eine produktive Funktion hinsicht-lich der Gestaltung Lernen fördernder Rahmenbedingungen ein. Begriffen als Reflexion und Erprobung von Handlungsalternativen, ermöglicht Evaluation ein kontinuierliches Oszillieren zwischen Reduktion und Steigerung von Komplexität.

Heiner (1998, 48)begreift den Prozeß der (dort: "experimentierenden") Evaluation als Trai-ningsfeld für die Variation von Komplexität. Zunächst zwingt der Prozeß des Reflektierens zur Reduktion: eine Einschränkung der zu reflektierenden Kommunikationsbeiträge – etwa eine praktikable Auswahl und Eingrenzung von Indikatoren, Untersuchungsobjekten, antizi-pierten Erfolgsfaktoren usw. – muß vorgenommen werden. Die sich an die Evaluation an-schließenden Entscheidungen – die Interpretation und Diskussion von Ergebnissen und der damit verbundenen Generierung von Hypothesen, Gewichtung von Einflußfaktoren etc. – evozieren wiederum eine Erhöhung der Systemkomplexität.

Eine dergestalt trainierte Fähigkeit zur Komplexitätsvariation von Teilsystemen einer Organi-sation wirkt wiederum rekursiv auf die Optimierung der organiOrgani-sationalen Lernumgebung. Un-terkomplexität der Systemwahrnehmung kann eine Erstarrung in – künftig möglicherweise nicht mehr erfolgsgarantierenden – Routinen bedingen, wohingegen ein zu hoher Grad an Komplexität zu Überforderungsreaktionen und Ineffizienz führen kann. So stellt die Fähigkeit situationsadäquater Komplexitätsvarianz im Sinne Hedbergs einerseits eine elementare Vor-aussetzung, andererseits eine zentrale Gestaltungsaufgabe für erfolgreiches Organisations-lernen dar.

Kognitivierung und Ambiguisierung von Verhaltenserwartungen. Resümee:

Kognitive Modalisierungen von Erwartungen kennzeichnen diese als lernbereite. Für organi-sationales Lernen scheint es somit günstiger, normative Strukturen in kognitive zu transfor-mieren. Lernprozessen zuträglich ist ein möglichst hoher Grad an Ambiguität des systemi-schen Erwartungshorizonts. Dadurch ist gewährleistet, daß eine Vielzahl abweichender Ent-scheidungen trotzdem konform zu einer Erwartung ausfallen kann. Naturgemäß strukturkon-servative Systeme neigen dann eher dazu, Erwartungs-Entscheidungs-Kontingenzen ent-sprechend der neuen Entscheidung zu adaptieren.

• Evaluationen fördern Prozesse der Kognitivierung indem sie unkritisch tradierte Normie-rungen reflektieren und deren Sinnhaftigkeit bewerten können.

• Eine angestrebte Ambiguisierung von Erwartungen erfordert eine plurale, auf monokau-sale Erklärungszusammenhänge verzichtende Interpretation und Kommunikation von Evaluationsergebnissen.

• Evaluation ermöglicht über experimentierendes Erproben alternativer Entscheidungsopti-onen eine Variation systemischer Komplexität, die Veränderungen behindernde konsen-suelle Systemstrukturen zu vermeiden helfen.

Abb. 32: Funktion von Evaluation im Kontext der Kognitivierung und Ambiguisierung von Verhaltens-erwartungen

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