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Umwelt System

1.5. Zur andragogischen Relevanz des Diskurses um organisationales Lernen

1.5.3 Andragogisch orientierte Ansätze einer Theorie organisationalen Lernens

Trotz der Vielzahl an Publikationen zum Thema lernende Organisation besteht ein Defizit an einer grundlegenden Theorie, die eine spezifisch andragogische Fundierung des Organisati-onslernens in Abgrenzung zu Theorien individuellen Lernens zu leisten vermag. Eine solcher Ansatz müßte gleichermaßen den gegenwärtigen Entwicklungsstand der Ewachsenenpäda-gogik abbilden, wie fruchtbare Implikationen des organisationstheoretischen Diskurses auf die Weiterentwicklung der Andragogik mit in den Blick nehmen.

Zwei in diese Richtung weisende Konzeptionen bilden der organisationspädagogische An-satz H. Geißlers (1998/2000/2001) und der kommunikationsorientierte von Probst/Büchel (1994).

H. Geißler sucht in seinem Entwurf zu einer Grundlagentheorie des organisationalen Ler-nens und der Organisationspädagogik diese Ansprüche einzulösen. Der Ansatz verfolgt die Absicht, zunächst begründete Vorstellungen davon zu entwerfen, wie sich Organisationen als lernende Systeme konstituieren und wie sich dieser Prozeß systematisiert nachzeichnen und reflektieren läßt. Erst in einem weiteren Schritt erhält die 'organisationsdidaktische'117 Fragestellung nach den Bedingungen für günstige Lernentwicklungen und entsprechender intra- bzw. extraorganisational gesteuerter Interventionen Relevanz.

Dieser Entwurf läßt sich auf zwei divergente Lesarten von Organisation hin anwenden: der von Organisation als ein durch gemeinsam geteilte Aufgaben, Ziele, Motivationen und Nor-men definiertes Kollektiv von Individuen, sowie auf eine systemtheoretische, vom Individuum losgelöste Sichtweise, die Organisation als nach Außen abgegrenzte, in Strukturen eingebet-tete spezifische Handlungs- bzw. Kommunikationsmuster begreift. M.E. konstitutiv für dieses Modell – wenn konzeptionell auch nur angedeutet – ist das Moment der reflexiven Rückkop-pelung, das, als Innehalten, Umdenken und Gegensteuern kaskadisch aufeinander bezoge-ne (organisationale) Lernprozesse in Gang zu setzen vermag. Hier sehe ich Evaluation, ver-standen im Sinne eines strukturell implementierten Bewertungs- und Reflexionsprozesses, als weiteres Konstituens einer Basistheorie organisationalen Lernens.

117 H. Geißler 1994 u. 2000

Die Ansätze einer solchen Theorie sollten klären, inwieweit es sich beim organisationalen Lernen lediglich um eine bestimmte Art individuellen Lernens, eben um ein Lernen unter spezifischen organisationalen Bedingung handelt oder ob organisationales Lernen als ein besonderer, sich von individuellem Lernen unterscheidender Lerntypus zu spezifizieren ist, zu dessen Explikation ein Rückgriff auf die klassisch-psychologischen Lerntheorien zu kurz fassen würde. Der Ansatz Geißlers ist als theoretische Fundierung zu begreifen, die zu ana-lysieren verspricht, was eine Organisation ihrem Wesen nach sei und die überprüft, ob der auf das einzelne Individuum zielende Begriff des Lernens auf den Wesensgehalt des Begriffs der Organisation bruchlos übertragen werden kann118.

Zentral in diesem Argumentationszusammenhang scheint die Exploration der strukturell an-gelegten Verbindung der Phänomene Lernen und Arbeiten. Koordiniertes Arbeiten mehrerer Individuen erfordert wechselseitige Abstimmungsprozesse, die das physische Handeln wie auch dessen zu Grunde liegende mentale Aktivitäten mit einbezieht. Die Notwendigkeit sol-cher Abstimmungsprozesse als Grundlage für koordiniertes, erfolgsorientiertes Handeln ver-deutlicht die soziologische Theorie des Symbolischen Interaktionismus119. Dieses klassische Konzept begreift individuelles Handeln einer Person als ein auf Basis der antizipierten Erwar-tungen ihres Gegenübers orientiertes Handeln; die VermuErwar-tungen eines Akteurs über die Vermutungen eines anderen Akteurs, bilden den Orientierungsrahmen für eigenes Handeln.

Ein komplementärer Prozeß vollzieht sich spiegelbildlich beim Partner der Interaktion, der ebenfalls sein Handeln an einer Antizipation ausrichtet. Diese 'doppelte Kontingenz'120 wech-selseitiger Abstimmungen und Annahmen wird durch Beobachtung verifiziert: Informationen über kognitive Prozesse und Rückschlüsse auf die mentalen Aktivitäten des anderen kön-nen über die Operation der Beobachtung bezogen werden.

Die Perspektive des Beobachtens scheint durch ein den Mitgliedern einer Organisation im-manentes Wissen um spezifische Arbeitsaktivitäten determiniert. Als implizites Wissen121 stellt es in diesem Kontext die Basis für Prozesse des Analysierens, Nachdenkens, Planens und Entscheidens dar. Explizites Wissen macht sich in Abgrenzung dazu kenntlich, daß es in einer formalen Sprache kommunizierbar ist; dies ist bei implizitem Wissen, dem individuell gebundenen, kontextspezifischen analogen Erfahrungswissen, nicht ohne weiteres mög-lich.

In einigen anspruchsvollen Diskussionsbeiträgen zu einer Theorie des organisationalen Ler-nens kommt dem Konstrukt des impliziten Wissens eine wesentlich Rolle zu. Argyris/Schön (1978/1999) führen diese handlungsimmanenten kognitiven Prozesse als 'theory in use' aus.

118 vgl. 1998, 164

119 vgl. Mead 1973

120 vgl. ausführlich bei Luhmann 1984, Kap. 3

121 Diese Argumentation nimmt Bezug auf Polanyi (1985), der eine Differenzierung von explizitem und implizitem Lernen vornimmt und diese beiden Konzepte theoretisch entfaltet.

Senges Explikation der 'mentalen Modelle'122 bezieht sich auf die Unterscheidung impliziten und expliziten Wissens. Ebenfalls in der Tradition Argyris/Schöns stehend und unter der Per-spektive eines vorzufindenden impliziten Wissens, kann der Ansatz Probst/Büchels (1994) aufgefaßt werden. Er bezeichnet das Resultat der Gegenüberstellung individueller und kol-lektiver Erfahrungen innerhalb eines institutionellen Bezugsrahmens und deren Wechselwir-kungen als 'organisationsinterne Gebrauchstheorien'.

Konstitutiv ist das Konzept des impliziten Wissens in den Arbeiten Nonakas/Takeuchis (1997), die in ihrem Modell der 'Organisation des Wissens' den Zusammenhang der Wis-sensgenerierung auf der Ebene des Individuums, der Gruppe und der Organisation ausfüh-ren: Implizites Wissen erscheine zum einen in einer technischen Dimension, als schwer be-schreibbare Fertigkeit (Know-How), zum anderen in einer kognitiven, als intuitives, mentales Modell. Im Prozeß des Organisationslernens müßten Strategien entwickelt werden, die dar-auf abzielen, implizites Wissen zu explizieren. Umgekehrt solle dar-auf einer weiteren Stufe das explizierte Wissen wieder zum impliziten generieren, um es auf diese Weise in gemeinsam geteilte mentale Modelle zu überführen und zu internalisieren.

Vor dem Hintergrund dieser Modelle begreift Geißler den Prozeß des Arbeitens als Reihe 'logisch notwendiger Aktivitäten', die sich aus der Folge von vier Basisaktivitäten konstituiere (Geißler 1998, S. 172)123:

• dem Wahrnehmen der Bedingungen, des Vollzugs und der Folgen der eigenen Arbeit

• dem Analysieren und Nachdenken über relevante Ursache - Wirkungsbeziehungen so-wie Bedeutungs- und Sinnzusammenhänge im Kontext des eigenen Arbeitens

• dem Planen von und Entscheiden über sinnvolle Aktivitäten im weiteren Vollzug der Ar-beit, schließlich

• dem physischen, inklusive kommunikativen Arbeitshandeln

Diesen Basisaktivitäten liegt implizites Wissen zugrunde, das sich als Erfahrungswissen, Konzeptwissen (also Wissen über Wirkungs-, Bedeutungs- und Sinnzusammenhänge) sowie Planungs-/Entscheidungswissen manifestiert. Handlungswissen bzw. Handlungskompetenz bildet sich vor dem Hintergrund der Summe dieser drei Formen impliziten Wissens ab.

Der in dieser Weise verstandene Prozeß menschlichen Arbeitens vollzieht sich in Bezug auf eine systemisch höher angelegte kognitive Ebene, aus der heraus Aspekte des Wollens und des Fühlens diese Handlungen determinieren. Diese impliziten motivationalen und emotiona-len Bereiche sind wiederum von paradigmatischen Vorannahmen abhängig, die Geißler als

122 Senge 1996

123 Diese prozessorientierte Auffassung steht in der Tradition des kybernetisch-handlungstheoretischen TOTE-Ansatzes in der Psychologie: Test-Operate-Test- ...-Exit (Miller et al. 1973); auch die Systemtheorie begreift den operational geschlossenen Operationsmodus eines Systems analog zu diesem Modell: über die spezifische Ope-ration Beobachtung können Ereignisse der Umwelt zum Anlaß interner OpeOpe-rationen genommen werden, die Rückkoppelungsschleifen in der Form Beobachtung-Operation-Test-Beobachtung-... aufbauen (Willke 1998, 106).

Aktivitäten des Glaubens ausführt. Unter diesen Begriff werden individuelle Orientierungen subsumiert, die Operationen zwischen abgesichert-fundierten und noch unsicher-vagen Wis-sensbeständen regeln und austarieren124.

Zwischen diesen Basisaktivitäten besteht eine zirkuläre Dependenz; der Prozeß des Arbei-tens kann somit auch als eine selbstreferentielle, durch Feedback gesteuerte Tätigkeit begrif-fen werden. Dieser individuell-kognitiv sich vollziehende Prozeß ist innerhalb eines Organisa-tionssystems an dessen Operationen strukturell gekoppelt125. Folgende Grafik soll dies ver-anschaulichen:

Abbildung 14: Phänomen des Arbeitens als selbstreferentieller Prozeß; in Anlehnung an die Auffas-sung H. Geißlers 1998

124 vgl. hier den Bezug zum Konzept der Deutungsmuster; Arnold 1985,1996

125 Strukturelle Koppelung bezeichnet das operative aufeinander Angewiesensein zweier Systeme, deren Opera-tionen für einander reziproke PerturbaOpera-tionen darstellen und zu wechselseitigen Strukturveränderungen führen (Maturana/Varela 1987, 85)

strukturelle Koppelung

strukturelle Koppelung Feedback

Paradigmatische Vorannahmen, Deutungsmuster

Motivation Emotion

Handlungskompetenz Wahrnehmen Analysieren/

Nachdenken

Planen/

Entscheiden

Handeln

implizites Erfahrungswissen

implizites Konzeptwissen

implizites Entscheidungsw.

Arbeitsauftrag Arbeitsziel

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