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kognitives System

2. Evaluation – Eine systemtheoretische Perspektive

2.2. Die Struktur von Evaluationsprozessen: ein systemtheoretischer Zu- Zu-gang

2.2.4 Reflexionsebenen von Evaluationsoperationen

Der Operationsmodus von Evaluation ist die bewertende Reflexion, oder anders ausge-drückt, eine mit einer Systementscheidung verknüpfte reflexive Operation. Ihre Wirkungsrich-tung ist bivalent: sie ist eine erwarWirkungsrich-tungserzeugte, der Entscheidung vorgelagerte BewerWirkungsrich-tung (projektiv feedforward-orientiert) und eine erwartungserzeugende, die Entscheidung reflektie-rende (retrograd feedback-orientierte) Operation.

Die bewertende Reflexion einer Entscheidung informiert über deren Qualität; wobei sich der Qualitätsmaßstab daran bemißt, ob sich evozierte Strukturveränderungen als viabel erwei-sen.

Ein systemtheoretisch begründetes Konstrukt von Evaluation steht in dieser Hinsicht in der Tradition entscheidungsorientierter Evaluationsmodelle62, die darauf abheben, mittels evalua-tiver Verfahren Informationen zu erzielen, die rational begründetes Entscheiden ermöglichen.

Abb. 22: Veränderung von Entscheidungs-Erwartungs-Kontingenzen durch bewertende Reflexion

Reflexivität beschreibt im Kontext pädagogischer Diskurse eine basale Operation, mittels derer lernende Individuen (systemtheoretisch formuliert: kognitive Systeme) in ein spezifi-sches Verhältnis zu ihren Lernerfahrungen treten. Lernende (und Lehrende) beziehen sich innerhalb ihres Lernprozesses reflexiv auf bereits angeeignete Erfahrungen; ein spezifisch anthropologisches Merkmal, das im Kontext des Konstruktivismusdiskurses eine perspektivi-sche Erweiterung und erhöhte Plausibilität erfuhr63. Im Lernen werden subjektiver

ren (vgl. v.Glasersfeld 1997). Der Ausgang dieses selbstreferentiellen Prozesses ist für Lehrende ungewiß; ein Lehr-Lern-Kurzschluß aus prinzipiellen Erwägungen höchstens zufällig erreichbar.

62 vgl. etwa Stake (1972), Cronbach (1972), Stufflebeam (1972), Scriven (1991)

63 Der Begriff Rekursivität bezeichnet einen Prozeß, der seine eigenen Ergebnisse als Grundlage weiterer Opera-tionen einsetzt; eine Folgeoperation wird durch die vorausgegangen mitbestimmt. (Luhmann 1990, 44). In der

projektiv:

rungshorizont, Zielsetzungen und Erwartungen permanent in Beziehung gesetzt; Evaluation bezeichnet (nur) die organisiert-systematisierte Zuspitzung dieses hintergründig sich im Ler-nen bereits immer schon vollziehenden Prozesses. So werden, in einer klassischen Definiti-on, als Evaluation alle diejenigen Handlungen bezeichnet, "die dazu dienen, den Grad der Reflexivität vor oder in der Lernsituation zu erhöhen." (Gerl 1983, 19).

Diese reflexive Bewertungsoperation möchte ich hinsichtlich der Qualität ihres Reflexionsho-rizonts differenzieren, wobei ein Rekurs auf Luhmanns Differenzierung von Selbstrefentialität in die Stufen basale Selbstreferenz, prozessuale Selbstreferenz (bzw. Reflexivität) und Re-flexion unternommen wird.

Die erste Stufe beschreibt das Konstrukt der basalen Selbstreferenz; sie ist die Mindestform von Selbstreferenz, ohne die eine autopoietische Systemreproduktion nicht möglich er-scheint (vgl. Luhmann 1984, 600 u. 607f.). Im Prozeß seines Operierens fertigt ein System fortlaufend Selbstbeschreibungen von sich an und kann damit seine Reproduktion steuern.

Das sich referierende Selbst ist auf dieser Stufe lediglich ein temporäres Ereignis, ein Mo-ment der Unterscheidung. Diese Form der Selbstreferenz stellt einzelne EleMo-mente des Ope-rierens in Relation zu anderen Elementen; bei sozialen Systemen somit Kommunikationen in Bezug zu Kommunikationen, bei Organisationssystemen Entscheidungen in Bezug zu Ent-scheidungen. Basale Selbstreferenz ist im handlungsbestimmenden Sinngebungsprozeß eines Systems immer schon eingebaut (aaO, 182).

Eine qualitativ darüber angelegte Ebene bildet die prozessuale Selbstreferenz bzw. Reflexivi-tät (aaO, 610f.). Sie basiert auf der zeitlich bezogenen Unterscheidung eines Vorher und Nachher elementarer Ereignisse; das referierende Selbst ist nicht ein Moment der Unter-scheidung, sondern der durch sie generierte Prozeß (aaO, 601). Dabei wendet ein System einen konstitutiven Prozeß reflexiv auf sich selbst an: etwa als Kommunikation über Kommu-nikation (MetakommuKommu-nikation) oder Beobachtung von Beobachtung (Beobachtung 2. Ord-nung). Reflexivität ermöglicht somit die Selbstbeobachtung eines Systems; sie ist der fun-damtentale Prozeß der Konstitution sozialer Systeme.

Als Medium der Reflexivität ermöglicht Sprache Selbstbeschreibungssemantiken, die das Bewußtsein eines Systems über sich selbst erhöhen und gewährleistet damit seine kognitive Selbststeuerung.

Die Qualität dieser Systemoperation kann, so meine Argumentation, erhöht werden, indem sie zu einer Evaluationsoperation transformiert wird. Evaluative Selbstreferenz unterschiede sich von prozessualer Selbstreferenz dadurch, daß sie sich systematischer und methodolo-gisch abgesicherter Verfahren bedient und auf dieser elaborierten Reflexionsbasis

konstruktivistischen Lesart erfolgt Lernen rekursiv; es orientiert sich an den bereits aufgebauten kognitiven Struk-turen und ist bedingt durch seine Biographizität.

schreibungen anfertigt, die sie anschließend einer Bewertung unterzieht. Den Referenzbe-reich der Bewertungsoperation stellen dabei die manifesten normativen Systemstrukturen dar – damit bleibt die Identität des Systems gewahrt.

Bezieht sich Selbstreferenz auf die Unterscheidung von System und Umwelt, spricht Luh-mann von Reflexion (aaO, 617f.). Die Selbstreferenz vollzieht sich als Operation mit der ein System sich selbst im Unterschied zu seiner Umwelt bezeichnet (aaO, 601). Es reflektiert seine eigene Identität um auf dieser Basis entscheiden zu können, welche beobachteten Sinneinheiten die autopoietische Reproduktion gewährleisten. Dabei ist ein System darauf angewiesen, sich selbst beobachten zu können und viable Selbstbeschreibungen64 von sich anzufertigen. Eine sich verändernde, perturbierende Umwelt erfordert eine stärkere Be-wußtheit der eigenen Identität, da klare Abgrenzungen dann an Bedeutung gewinnen.

Um sich selbst als Identität in Differenz zur Umwelt zu konstituieren ist ein System also auf Reflexion angewiesen, deren Qualität wiederum über bewertende Evaluationsoperationen gesteigert werden könnte.

Die Rationalität eines Systems – das Maß, in dem seine Entscheidungen sich bewußt auf kognitive Strukturen beziehen – und somit der Erfolg seiner Reproduktion, sind davon ab-hängig, in wie weit es ihm gelingt, trotz seiner selbstreferentiellen Geschlossenheit beobach-tete Differenz zur Umwelt mittels Information in sich zu integrieren. Es ist darauf angewiesen, Reflexion zu betreiben. Reflexion ist eine Beobachtungsoperation die das Einnehmen eines Standpunkts voraussetzt, von dem aus beobachtet werden kann. Damit kommt – zum wie-derholten Male – das prinzipielle Problem jeder Beobachtungsoperation ins Spiel: ein Beob-achter kann sich nicht selbst beobachten (d.h. die zur Beobachtung getroffene Unterschei-dung), er erzeugt jenen 'blinden Fleck', der nur durch das sukzessive Einnahmen verzeitlich-ter und pluraler Perspektiven bearbeitet werden kann. Das epistemische Grundproblem wird dadurch allerdings nicht überwunden, da ein vollständiger Konsens zwischen den einge-nommenen Beobachtungsperspektiven ausgeschlossen ist.

Trotzdem – oder: gerade deshalb – ist ein soziales System auf das Einnehmen unterschied-licher Perspektiven angewiesen, um in überlebensnotwendigem Maße Differenz beobachten zu können und seine Strukturen an veränderte Umwelten zu adaptieren (vgl. Luhmann 1988). In der Multiperspektivität beweist ein System seine gesteigerte Rationalität; sein Lern-vermögen ist abhängig vom Wechsel der Beobachtungsperspektiven und von der Fähigkeit, diesen Wechsel beobachten zu können.

An diesem Punkt können Evaluationsoperationen m.E. konstruktiv anknüpfen. Eine evaluati-ve Erweiterung von Reflexionsoperationen um den Prozeß ihrer Bewertung in Referenz auf normative und kognitive Systemstrukturen vermag deren Qualität zu erhöhen. Evaluation

64 Die Selbstbeschreibung oder Selbstbeobachtung sozialer Systeme ist dabei als kommunikatives Geschehen zu denken, nicht als kognitive Operation von Individuen. Die psychisch-bewußte Beobachtung eines sozialen Sys-tems durch dessen Mitglieder ist Fremdbeobachtung. (vgl. Luhmann 1984, 618)

erlaubt ein versuchsweises Einnehmen verschiedener Beobachtungsperspektiven und damit die Bewertung ihres Nutzens für die Autopoiesis. Sie erlaubt, auf einer darüber angesiedel-ten Ebene auch Verfahren zur Meta-Reflexion dieses Prozesses anzuwenden, also eine Be-obachtung und Bewertung des Perspektivwechsels der BeBe-obachtung selbst.

Evaluation, systemtheoretisch begriffen als bewertend-reflexive Beobachtung trägt als Selbstbeobachtung somit auch zu einer gesteigerten Selbsterkenntnis eines Systems bei.

Die selbstreferentiellen Operationen der Reflexivität und Reflexion ermöglichen einem Sys-tem, semantische Selbstbeschreibungen von sich anzufertigen, die ihm ein bewußtes Ope-rieren ermöglichen und eine aktive Selbststeuerung erlauben. Die qualitative Steigerung die-ser Prozesse mittels implementierter Bewertungsverfahren zu Evaluationsoperationen erhöht die Effektivität und Effizienz dieser Prozesse; sie vollziehen sich dann auf einer fundierteren rationalen Informationsbasis. Evaluationsprozesse ermöglichen einem sozialen System sich seiner Identität in gesteigertem Maße bewußt zu werden, da sie in aktiver Beziehung zu den normativen und kognitiven Erwartungen, der Struktur des Systems, erfolgen; sie erhöhen somit seine Kompetenz zur Reproduktion.

Abb. 23: Reflexionsebenen von Evaluationsoperationen Ebenen von Selbstreferenz

Diese an Beobachtungsoperationen anknüpfenden Evaluationsprozesse der Reflexionsebe-nen systemischer Selbstreferenz (die evaluative Bearbeitung multipler Beobachtungsper-spektiven und die, darüber angelegte Ebene, der Evaluation dieses PerBeobachtungsper-spektivenwechsels) können analog auch auf organisationsspezifische Kommunikationsprozesse angewandt wer-den: auf Entscheidungen.

• Auf einer ersten Ebene der Reflexion nehmen Entscheidungsbewertungen selbstreferen-tiell Bezug auf die an sie gerichteten Erwartungen. Die Bewertungsoperation vermittelt 'Sinn', indem sie aus einer Pluralität von Entscheidungsoptionen erwartungsbezogene auswählt.

Diese selektive Funktion reduziert Kontingenz und treibt die Systemautopoiese voran.

• Auf einer folgenden zweiten Ebene bezieht das bewertende Entscheiden den Entschei-dungsprozeß in seinen Reflexionshorizont mit ein. Die Bewertung der Auswirkungen einer getroffenen Entscheidung auf Folgeentscheidungen ist auf dieser Stufe mit angelegt.

Evaluation, begriffen als reflexive Entscheidungsbewertung – somit ihre Ergebnisse als Grundlage für nachfolgendes Operieren einsetzende –, ermöglicht projektiv qualitative Urtei-le über die Sinnhaftigkeit einer (Folge-)Entscheidung. Evaluationsoperationen führen zu be-gründeten Aussagen über die Qualität möglicher Anschlußoperationen an eine getroffene Entscheidung auf der Basis einer gesteigerten Rationalität. Rückblickend auf bereits gefalle-ne Entscheidungen erlaubt sie Aussagen darüber, ob eigefalle-ne Entscheidung tatsächlich in Be-zug auf eine an sie gerichtete Erwartung ausfiel. Wird Differenz zur Erwartung beobachtet, ermöglicht die retrograde Entscheidungsevaluation rational begründete Hinweise darüber, ob die nonkonforme Entscheidung ausgeschlossen oder, alternativ, die an sie gerichtete Erwar-tung verändert werden sollte. Evaluation erhöht damit den Reflexionsgrad eines Systems.

Als einschränkende Entscheidung für spezifische Sinnanschlüsse ist Evaluation deshalb auch eine Entscheidung über Entscheidungen; eine Entscheidung über die Optionen Aus-schluß vs. Strukturveränderung. Damit berühren Evaluationsoperationen die Ebene des Ler-nens.

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