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kognitives System

2. Evaluation – Eine systemtheoretische Perspektive

2.2. Die Struktur von Evaluationsprozessen: ein systemtheoretischer Zu- Zu-gang

2.2.2 Evaluation als Lernoperation

Die systemtheoretische Interpretation von Evaluationsprozessen evoziert, diese auch als Lernoperationen zu begreifen; ein Aspekt, der im folgenden erörtert werden soll.

Soziale Systeme operieren im Modus der Kommunikation. Entsprechend sind auch Ent-scheidungen vorausgehende Bewertungsoperationen als Kommunikationen zu begreifen – Evaluationen müssen folglich als Kommunikationen aufgefaßt werden. Der systemtheoreti-sche Kommunikationsbegriff untersystemtheoreti-scheidet sich, wie gezeigt, von der in anderen Kontexten verwendeten Übertragungsmetapher. Eine Kommunikationssituation ist zunächst mit einer Problemlage konfrontiert, die Luhmann als "doppelte Kontingenz" charakterisiert (1984, Kap.

3). Sie ist gekennzeichnet durch ein Zusammentreffen zweier autonomer Systeme, die jedes für sich ein hohes Maß an Komplexität aufweisen und die ihr Verhalten durch selbstreferen-tielle Operationen innerhalb der eigenen Grenzen bestimmen, ohne hierfür lernen zu müs-sen, das Verhalten des Anderen zu durchschauen oder zu prognostizieren54. Das operational geschlossene System fokussiert vielmehr das, was es im anderen System als Input und Output beobachten kann und lernt dabei selbstreferentiell, in seiner eigenen Beobachterper-spektive (vgl. aaO, 156).

Im Beobachten lernt ein System. Es kann versuchen, das was es beobachtet durch eigenes Handeln zu beeinflussen; das diesen Handlungen folgende Feedback ist wiederum als Lern-auslöser in den Kommunikationszusammenhang integrierbar.

Evaluationen sind deshalb auch als spezifische, bewußt und explizit unter einer Lernintention angelegte Beobachtungen zu begreifen: systemtheoretisch reinterpretiert, stellt Evaluation eine lernende Beobachtung dar.

Lernen bedeutet in diesem Kontext die Beobachtung eines Unterschieds der einen Unter-schied macht – also die Entscheidung eines Systems für eine an unerwartete Beobachtun-gen anschließende Operation (1. Unterschied), die ErwartunBeobachtun-gen an nachfolBeobachtun-gende Operatio-nen verändert (2. Unterschied).

54 Exemplarisch für diesen alltäglichen sozialen Vorgang steht die Begegnung zweier Individuen, die sich über ein bestimmtes Thema austauschen

Abb. 19: Evaluation als Lernoperation

Eine Reflexion und Bewertung dieses Prozesses, etwa entlang der Unterscheidung erfolg-reich/erfolglos oder gelungen/mißlungen bedarf dabei eines Standpunkts, der diese primäre Beobachtung selbst mit in den Blick nimmt. Diese Form der Selbstbeobachtung, der Per-spektivwechsel auf Operationen des Systems selbst, erfordert – wie weiter oben ausgeführt – ein crossing, eine Überschreitung der Grenzen von Standpunkt und Unterschiedenem.

Die primäre Unterscheidung taucht im Unterschiedenen – in diesem Argumentationszusam-menhang etwa den beobachteten Ergebnissen eines Lernprozesses – wieder auf. Das Er-eignis des crossing führt somit zum re-entry der originär getroffenen Unterscheidung, erlaubt die Möglichkeit ihrer Beobachtung – so etwa die Bewertung der Nützlichkeit der gewählten Ausgangsunterscheidung. Die formal-logische Strategie des Wiedereintretens bietet eine elegante Möglichkeit, den Akt des Unterscheidens selbst in den Blick zu nehmen und somit diesen 'blinden Fleck' der Beobachtung durch die Form der faktischen Verzeitlichung eines zunächst simultan gedachten Vorgangs zu beleuchten. Die Paradoxie, Unterscheidungen unter der Voraussetzung vornehmen zu müssen, daß bereits eine (grundlegende) Unter-scheidung getroffen wurde, wird somit über das Nacheinander von UnterUnter-scheidung, Seiten-wechsel und Wiedereintritt gleichsam aufgelöst.

Der Begriff Evaluation beschreibt den Prozeß der rekursiven Vermittlung der Beobachtung eines beobachtenden Systems an das beobachtende System. Evaluation sieht sich also mit der Problematik der doppelten Kontingenz konfrontiert – somit entsprechen die

Vorausset-S y s te m s tr u k tu r

Evaluation

Bewertung Reflexion

Systemgrenze

externe Einflüsse durch strukturelle

Koppelung

Output

2. Unterschied

1. Unterschied

Lernprozeß System-

operationen Beobachtung:

Unterscheiden und Bezeichnen

Beobachtung der Beobachtung

zungen ihres Gelingens denen kommunikativer Akte. Kommunikation bedarf der Synthese dreier vorausgehender Selektionen (vgl. Luhmann 1984, 196f.):

Erstens der Information, verstanden als Selektion aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, die den Ausschluß anderer Optionen bedingt. Als Abgrenzung eines Kommunikationsangebots von einem bloßen informativen Ereignis muß, zweitens, ein bestimmtes Mitteilungsverhalten gewählt werden, das eine Differenz von Information und Mitteilung erkennbar macht. Letzt-lich bedarf es, drittens, der Antizipation einer Erfolgserwartung – die Annahme, eine Kom-munikationsofferte werde auch verstanden, ist selbst Teil der Kommunikation55.

Kommunikationen offenbaren hier ihre autopoietische Struktur: Verstehen ist notwendiges Element einer Kommunikation; es muß in Anschlußkommunikationen ständig mitgeprüft werden. Einzelne Kommunikationen konstituieren sich somit rekursiv aus Kommunikationen, als Prozeß, der die Elemente aus denen er besteht, zum Aufbau der Elemente, aus denen er besteht, benutzt.56 Diese, in den jeweils beteiligten (Sub-)Systemen sich selbstreferentiell vollziehenden Prozesse, können eine emergente Ordnung hervorbringen57. Bedingt durch die Situation der doppelten Kontingenz entsteht auf einer höheren Ebene ein neuer selbstre-ferentieller Zirkel, der sich nicht auf die Einzelsysteme reduzieren läßt, sondern eine neue Einheit in sich birgt.

Abbildung 20: Evaluation als kommunikativer Akt der dreifachen Selektion

Als spezifizierte Form der Kommunikation bedarf auch Evaluation entsprechend spezifizierter Formen der Selektion: der Information, der Mitteilung und des Verstehens.

55 wird diese Sichtweise eingenommen, deuten sich möglicherweise bereits Konsequenzen für die Praxisgestal-tung von Evaluationsprojekten an: responsive Ansätze, die auf eine Integration aller Betroffenen in Planung, Durchführung und Ergebnisinterpretation abheben, erfüllen am ehesten die Kriterien erfolgreicher Kommunikati-on. 56

Natürlich sind Kommunikationen nicht unabhängig von 'Bewußtseinssystemen', nicht ohne mitwirkende Perso-nen denkbar, die über strukturelle Koppelung an Kommunikationsprozessen beteiligt sind. KommunikatioPerso-nen spezifizieren sich jedoch selbstreferentiell und erzeugen damit ein sich selbst konditionierendes Geflecht an Re-geln. Diskrepanzen zwischen dem sozialen Kommunikationsprozeß und den von Personen intendierten Kommu-nikationen sind deshalb möglich. (vgl. Willke 1998, 112)

57 "wir nennen diese emergente Ordnung soziales System" (Luhmann 1984, 157) Evaluation als Kommunikation

Beobachtung

Information

Mitteilungsverhalten Verstehen

reflexive Bewertung

Dabei entspricht dem Akt der Information die Festlegung einer bestimmten Evaluationsfrage-stellung; dem gewählten Mitteilungsverhalten der Einsatz entsprechender methodischer Ver-fahren; dem Verstehen der Kommunikationsofferte die systemintern zu vollziehende Interpre-tation der gewonnenen Daten.

Entscheidungen wurden definiert als Kommunikationen, die auf an sie gerichtete Erwartun-gen reagieren. Aufgrund ihrer dreifachen Selektivität ist Kommunikation immer auch ein so-ziales Ereignis; sie läßt sich deshalb nicht auf eine Handlung reduzieren, sondern weist über sie hinaus. Kommunikationssysteme begreifen sich allerdings primär als Handlungssyste-me58: indem sie Kommunikationen als Handlungen auffassen, machen sie diese beobacht-bar. Eine Anschlußkommunikation interpretiert die vorausgegangene als Handlung eines Systems – etwa einer Person – wodurch sich Anknüpfungs- und Identifikationspunkte für weitere Kommunikationen ergeben (vgl. Kneer/Nassei 1993, 88). Die operationale Verkür-zung von Kommunikationen zu Handlungen hat somit pragmatische Gründe; sie vereinfacht die Aufrechterhaltung der Autopoiesis.

Evaluation erscheint demgemäß zunächst als bewertende Handlung. Primär ist sie jedoch ein kommunikatives Ereignis: ihre Bezeichnung als Handlung setzt ja bereits ihre Beobach-tung und damit ein spezifisches selektives Verständnis voraus, das sie dadurch als Kommu-nikation auszeichnet. Ihre Betrachtung als Handlung ermöglicht allerdings das Erkennen von Identifikationsmomenten, die Anschlußmöglichkeiten eröffnen.

Als bewertende Kommunikation, mithin als Bewertungsentscheidung orientiert sich Evaluati-on an einem Partialbereich einer organisatiEvaluati-onalen Erwartungsstruktur: an deren spezifischen Ziel- und Wertehorizont. Führen bewertende und reflexive Operationen zu einer qualitativen, d.h. an Ziel- und Wertmaßstäben orientierten Veränderung dieser Strukturen, so möchte ich dies als Evaluationslernen bezeichnen.

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