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Das Unionskonzept des Kyjiver Metropoliten Misail Pstruckyj (1475-1480) und Josyf

KAPITEL I: DIE GESCHICHTLICHEN VORAUSSETZUNGEN DER ÖKUMENE

2. DIE AUSWIRKUNG DER UNION VON FERRARA-FLORENZ (1438-39) IM

2.3. Die Reaktion auf die Union von Florenz im slawischen Gebiet

2.3.3. Die Kyjiver Unionstradition nach dem Konzil von Florenz

2.3.3.2. Das Unionskonzept des Kyjiver Metropoliten Misail Pstruckyj (1475-1480) und Josyf

Zum Nachfolger von Metropolit Gregor (1458-1472) wurde in der Kyjiver Metropolie der Bischof von Smolensk, Misail (Pstruckyj)162 gewählt. Auf der Synode von Novogorodok äußerte er in Anwesenheit der Vertreter der Orthodoxen Kirche gegenüber dem päpstlichen Legaten Bonumbre seine Bereitschaft, die Einführung der Florentiner Union zu unterstützen. Die versammelten Synodenteilnehmer folgten Misails Initiative und verfassten ein Schreiben, das sie Papst Sixtus IV. überreichen ließen. Am 14. März 1476 schrieb Metropolit Misail einen weiteren Brief,163 zusammen mit einigen hohen

155 F. Miklosich, I. Müller, Acta Patriarchatus Constantinopolitani, 282-285; vgl. A. Chirovsky, Toward an Ecclesial Self-Identity for the Ukrainian Greco-Catholic Church, in: Logos 35: 1994, 92; siehe auch I. Vlasovs’ky, Narys istorii Ukrains’koji Pravoslavnoji Cerkvy, Bd. 1, Bound Brook 1971, 115.

156 Acta Concilii Constanciensis, Bd. 2, 164-166.

157 I. Patrylo, Archiepiscopi-Metropolitani Kievo-Halicienses, attentis praescriptis M.P. „Cleri sanctitati“, in:

Analecta OSBM ser. II, 16: 1962, 32 f.

158 K. Chodynicki, Kościół Prawosławny, 69 f.

159 B. Bučynskyj, Zmahania do unii rus’koi cerkvy z Rymom v rokach 1498-1506, in: Zapysky UNT, Bd. 4, 114.

160 Der Brief des Metropoliten Bolharynovyč ist veröffentlicht in: A. Theiner, Vetera monumenta Poloniae et Lithuaniae gentiumque finitimarum historiam illustrantia, Bd. 2, Rom 1861, Nr. 296, 257 f.

161 I. Mončak, Florentine Ecumenism, 315.

162 Zum Unionskonzept von Misail Pstruckyj siehe W. Hryniewicz, Ein Vorläufer der Unionsbestrebungen der Ruthenen. Die Denkschrift des Metropoliten Misail (1476), in: OS 44: 1995, 49-59.

163 Die theologischen Gedanken des Metropoliten Misail entnehmen wir seinem Schreiben, das 1605 von Ipatij Pociej, dem Kyjiver Metropoliten in einem alten Buch in altslawischer Sprache unter dem Titel: „Das achte Konzil von Florenz“ in einer Kirche von Krewa entdeckt wurde. Poselstvo do papeža ryms’kogo Siksta IV (Litterae synodales ad Sixtum IV), in: Monumenta Ucrainae Historica IX-X, Romae 1971, Nr. 4, 6-30, (ruthenisches

Geistlichen und vielen ruthenischen Adeligen auf einer Versammlung in Wilna. In Bezug auf beide Briefe ist bis heute nicht bekannt, ob der Papst sie jemals erhalten hat. Metropolit Bolharynovyč schrieb seinen Brief nach Rom am 20. August 1500, in dem er die Unionsgedanken des Metropoliten Misails wiederholte.164 Der Gedanke, der im Zentrum des Interesses der Metropoliten stand, ist das Streben der Ruthenen nach der Einheit beider Kirchen, wie auch die Verteidigung des wahren Glaubens in ihrer Tradition.

2.3.3.2.1. Die Suche nach der Einheit

In der Schrift des Metropoliten Misail kommt, genauso wie bei seinem Vorgänger, dem Metropoliten Isidor, das gleiche Dilemma ausdrücklich zum Vorschein, das einerseits auf das Bewusstsein der Zwietracht zwischen der lateinischen und orthodoxen Kirche hinweist, andererseits aber besagt, dass alle Christen den einen Leib Christi bilden. Die Gefahr der Trennung sieht der Kyjiver Metropolit in der gegenseitigen Beschuldigung und Verachtung, die keine Rechtfertigung hat.

Die Ruthenen bemühten sich um die Überwindung der Trennung zwischen der Ost- und der Westkirche.

Ihrer Meinung nach verstieß die Zwietracht zwischen den Kirchen gegen das Wesen der christlichen Religion, die den Anspruch erhebt, die Religion der Liebe zu sein. Einen konkreten Ansatz für die Lösung der gegebenen Situation kann man in der Entsendung von zwei Legaten nach Kyjiv erblicken, die die beiden Kirchen repräsentierten. Sie sollten den Versuch unternehmen, die verlorene Einheit auf der Basis der Beschlüsse des Konzils von Florenz wiederherzustellen. Für erforderlich hielten sie, dass sich die griechische und die römische Kirche gegenseitig besser kennen lernen und ihre Beziehungen zueinander in Frieden und Eintracht gestalten sollten.

Angesichts der Türkengefahr drängten die Ruthenen den Papst, ihre Angelegenheit der Einigung neu zu durchdenken,165 um dem gemeinsamen Feind des Glaubens Christi die Stirn zu bieten. Den größeren Feind der Einheit der Kirche sahen die Ruthenen in der Tatsache, dass manche die Bekenner des orthodoxen Glaubens für „keine wahren Christen“ halten.166

Aus der Denkschrift Misails ist deutlich zu erkennen, wie schmerzlich die Ruthenen das Misstrauen der Lateiner empfanden. Sie sahen dies als Verachtung ihres Glaubens. Mit der Zunge könne man sowohl Gott loben als auch Verleumdungen über „unschuldige Menschen verbreiten, die fromm leben und vom Heiligen Geist nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen wurden und von der Ewigkeit zur Gnade berufen sind“.167

Wer einen anderen beschuldigt, sei kein wahrer Christ und setze ihn der Gefahr aus, an der Möglichkeit seiner Erlösung zu zweifeln. Die Ruthenen erhofften sich im Glauben ihrer Tradition am künftigen Himmelreich Gottes teilzuhaben. Der Herr sei gerecht, aber gleichzeitig barmherzig.168 Auch von den Menschen verlangte er die Bereitschaft zur Vergebung. Friede und Liebe sind so die Grundprinzipien von Misails Schreiben.

2.3.3.2.2. Verteidigung der eigenen Tradition bei den Ruthenen

Laut Misails Brief ist die Kirche „der eine Leib Christi“. Alle gehören Christus an, sind „des einen Hauptes Glieder“.169 Die West- und Ostkirche bilden den einen Leib durch den einen Hl. Geist und die Wiedergeburt in der einen Taufe. „In dem einen Geist wurden wir alle in einen einzigen Leib hineingetauft, Juden und Heiden, Sklaven und Freie“ (1 Kor 12,13). Das Schreiben fügt dem Pauluswort

Original), 30-35 (lateinische Übersetzung, die in mehreren Stellen das Original interpretiert und seinen Inhalt wesentlich ändert); Misail (Metropolit), „Hramota Kievskoho Mitropolita Misaila k papie Sixtu IV“ und „Poselstvo do papeža rymskoho Syksta IV ot duchovenstva i ot kniažat’“ (altslaw.), in: Archiv JZR, Ser. 1, Bd. 7, Kyjiv 1887, 199-231.

164 A. Theiner, Vetera monumenta, 257-258; J. Pelesz, Geschichte der Union der ruthenischen Kirche mit Rom, Bd. 1, Wien 1878, 481-483.

165 Poselstvo do papeža ryms’kogo Siksta IV, 19 f.

166 Ebd. 12.

167 Ebd. 12.

168 Vgl. Ebd. 17.

169 Ebd. 11 f, 18, 19.

die Ruthenen und das ganze „edle und zahlreiche slawische Volk“ hinzu.170 Ein Christus, ein Heiliger Geist, eine Taufe stehen so im Zentrum des ekklesiologischen Konzeptes der Ruthenen. Die Kirche ist das „Haus des Herrn“ für alle. Die Verschiedenheit der Völker und Kulturen kann dem nicht im Wege stehen.

In Christus entfaltet sich die neue Existenz für alle Getauften (vgl. Gal 3,27). Er selber ist der erste Oberhirte der Gläubigen und in ihm erhalten alle Völker den Segen. Die Betonung der allumfassenden Gnade und Erlösung in Christus ist ein besonders charakteristisches Kennzeichen des Briefes. Dieser Universalismus aber gründet in den Worten der Bibel von der Erschaffung des Menschen als Bild und Gleichnis Gottes (Gen 1,26).171

Die Ruthenen beriefen sich auf das Konzil von Florenz und bezeichneten es als ein Ökumenisches Konzil.172 Der Einfluss des Konzils und seiner Aussagen ist besonders in der Formulierung des Glaubens an die heilige Dreifaltigkeit zu erkennen. Das Problem des Filioque trennt sie von den Lateinern nicht.

Die Ruthenen bekennen, dass der Hl. Geist durch einen Hauch „zuerst vom Vater, dann vom Sohn“

ausgeht.173 Auf diese Weise werden alle Anschuldigungen entschieden zurückgewiesen, derselbe Glaube an die heilige Dreifaltigkeit betont, den die Ruthenen von den Aposteln und den Vätern übernommen und bewahrt haben. Mit der gleichen Entschiedenheit verteidigen sie ihr Bekenntnis zu der „einen Taufe zur Vergebung der Sünden“.

Metropolit Bolharynovyč, ähnlich wie Metropolit Misail, erkannte 1500 in seinem Glaubensbekenntnis alles an, was die Katholische Kirche glaubt und was sie lehrt, auch im Bezug auf Filioque. “Credimus et in Spiritum sanctum ex Deo Patre procedentem similiter et a Filio una spiratione (...) Haec est fides nostra, Beatissime Pater, sic confitemur, et ita credimus ac tenemus“. Die unionistische Perspektive des Metropoliten Joseph wird auch ausdrücklich vom Autonomieverlangen der Kyjiver Kirche durchdrungen, die sich unverändert in ihrer byzantinischen Tradition in einer ununterbrochenen Beziehung zu Konstantinopel sehen will. Die Einheit im Glauben hieß für die Ruthenen keine Änderung des bisherigen Glaubens, der sowohl im westlichen Rom als auch im östlichen Konstantinopel in seinem Ursprung in Christus unversehrt blieb.174

Die Ruthenen sahen sich gemeinsam mit den Lateinern in dem einen Glauben verwurzelt und suchten die Einheit, die ihnen die Gleichberechtigung und den Zugang sowohl zu Rom als auch zu Konstantinopel gewährleistete. Sie waren mit keinem Uniformismus einverstanden, der sie ihrer eigenen Tradition beraubt hätte. Deswegen verlangten sie eine Delegation aus Rom, die nach Kyjiv käme, um die Union aus der Sicht der Kyjiver Kirche zu studieren und zu ihrer Verwirklichung beizutragen.

2.3.3.2.3. Die Rolle des Papstes für die Einheit der Kirche

Die Ruthenen waren stolz auf ihre eigene Tradition und wollten sie sorgfältig bewahren. Der Metropolit Misail betont in seinem Memorandum, dass die Patriarchen des Ostens in aller Treue das ihnen anvertraute Volk Gottes geleitet hätten, in wahrem Glauben und in rechter Frömmigkeit. Laut dieser Schrift steht dennoch dem Papst unter den Patriarchen eine besondere Rolle zu, die er als Oberhaupt in der christlichen Welt zu erfüllen habe. Davon zeugen schon die vielen Titel und Anreden, unter denen sich die Ruthenen an ihn wenden. Sie bekennen ihn als den „allgemeinen Hirten“,175 den ersten unter denen, die der Kirche vorstehen, den „obersten Stammvater der rechtgläubigen Patriarchen“.176 Sie

170 Ebd. 19.

171 Ebd. 12, 17, 20.

172 Ebd. 15, 19.

173 Ebd. 18. Gleich danach erscheint aber bei der Erklärung dieses Glaubens eine biblische Formel, die vom Ausgang des Geistes „vom Vater“ spricht (Joh 15,26).

174 „Ceterum supplicavit nobis Iohannes Sopega, secretarius predictus, quod Iohannem Iozeph prefatum, ut verum Archiepiscopum Metropolitanum ac primatem iuxta ritum Grecorum dilecto filio Alexandro duci Lithuanie prefato commnedaremus (...) Quod autem etiam postulavit (...) de admittendis ad obedientiam sedis apostolice et Romane ecclesie quibuscumque, qui ritus Grecorum sequi voluerint, si intellexerimus, eos decreta concilii Florentini servare, nec in sacramentis ecclesie, aut allis articulis fidei a Romana ecclesia discrepare (...).“ A. Welykyj (Hg.), Documenta Pontificum Romanorum historiam Ucrainae illustrantia, Bd. 2, Rom 1953-54, Nr. 102, 177.

175 Poselstvo do papeža ryms’kogo Siksta IV, 10.

176 Ebd. 13.

versichern ihm ihren vollen Glauben und ihre Liebe und nennen ihn „allgemeinen Lehrer“,177 „obersten Patriarchen“.178

Der Brief des Metropoliten Josyf Bolharynovyč enthält auch die feierliche Bestätigung des päpstlichen Primats und das katholische Glaubensbekenntnis. Der Metropolit adressiert seinen Brief an den „(...) beato ac beatissimo (…) ac apostolicae ecclesiae Pontifici maximo, dignissimo Vicario Christi (...)“. Der Papst ist für ihn „Sacrosantissimo patrum patri, originali pastorum pastori, beato ac beatissimo Alexandro Sacrosante Romane ac Universali catholicae ac apostolicae ecclesiae Pontifici maximo, dignissimo Vicario Christi, sedenti in Trono principis Apostolorum Petri (...). O beatissime Patriarcharum Pater, sic magnus, sic beatificatus incomparibili dignitate apud Deum!(...)“, und weiter erkennt er in ihm den Bewahrer des Glaubens an „reformatio fidei (...) unus omnium Summus Pastor“.179 Aus diesen Worten ergibt sich eindeutig eine Position, nach der dem Bischof von Rom unter den Patriarchen der Ehrenprimat zusteht. Dieses Verständnis des päpstlichen Primats wurde auf keinen Fall als eine Machtverschiebung verstanden, die zum Bruch der kanonischen Beziehung zwischen der Kyjiver Metropolie und Konstantinopel führte. Für die Ruthenen stand dem Papst vor allem der Primat der Liebe zu.

Misail wendet sich an den Papst als den „barmherzigen Hirten“ mit der großen Bitte, die ruthenische Kirche in die Einheit mit der römischen Kirche aufzunehmen. Die Bitte um die Vereinigung wurde kunstvoll entfaltet im Anschluss an die sechs „Werke der Barmherzigkeit“, die als Zeichen des Erbarmens Gottes selbst gegenüber allen Menschen betrachtet werden.180 Die Ruthenen bekennen, dass sie sich in der Einheit mit dem Papst den vollen Zugang zu den Quellen der Erlösung erhoffen, aus denen auch die östlichen Patriarchen schöpfen. Die Aussagen der beiden Metropoliten sind keineswegs eine Herabminderung oder gar Verneinung des eigenen ekklesiologischen Status’ und keine Negierung der Anwesenheit der Gnade auch in der Ostkirche. Sie äußerten den Willen, noch vollkommener an der Gnade der Erlösung in den heiligen Sakramenten, besonders der Taufe und der Eucharistie, in der vereinten Kirche teilzuhaben. Der Friede und die Liebe und nicht die Gewalt und der Zwang könnten die Einheit zwischen zwei Traditionen wiederherstellen, und es hinge vor allem von den Hirten der Kirchen ab, ob diese Vereinigung zustande käme.

Die kirchliche Einstellung von beiden Metropoliten lässt deutlich die eigene, schon seit langem bestehende und für die Kyjiver Metropolie charakteristische Tradition erkennen, die in Toleranz und einer ökumenischen Offenheit gegenüber Rom besteht. Das Verständnis von Kirche als Leib Christi beinhaltet so in der Einheit die Verschiedenheiten von Kultur, Tradition und Ritus. Die Ruthenen suchten entschlossen die sichtbare Einheit mit der römischen Kirche und waren gleichzeitig besorgt um den Erhalt der kanonischen Beziehung zur Kirche von Konstantinopel und der eigenen byzantinisch geprägten Identität. Sie erwarteten die Anerkennung ihrer Tradition von Seiten der römischen Kirche. In den Schriften der Metropoliten wird eine Vision der Einheit der östlichen mit der westlichen Kirche entworfen, die in unterschiedlichen Traditionen, aber dennoch in dem einen christlichen Glauben verwurzelt ist. Die Ruthenen sind sich der Übereinstimmung im Glauben mit der Westkirche bewusst.

Diese Gewissheit begründen sie mit der Berufung auf die Beschlüsse der Union von Florenz. Sie betrachten ihre Kirche als eine lokale Kirche, die einen Teil der universalen Kirche ausmacht.

Die eigentliche Ursache der Zwietracht sehen die Ruthenen im gegenseitigen Misstrauen. Die Einheit der Kirchen wird vor allem als eine Vereinigung dargestellt, eine Rückkehr zum Frieden und zur Eintracht unter zwei gleichberechtigten Kirchen der östlichen und westlichen Tradition. Diese beiden Kategorien des Friedens und der Eintracht bilden die Grundprinzipien des theologischen Denkens des Metropoliten Misail. Solches Denken erinnert an die altrussische „Regel der Wahrheit und des Friedens“, die bereits im dritten Jahrhundert von Firmilian von Kaisareia in seiner Korrespondenz mit Cyprian von Karthago formuliert wurde.181 Die Wahrheit müsse mit dem Frieden im Geist der Brüderlichkeit und der Eintracht übereinstimmen. Das Prinzip der Wahrheit allein reiche nicht aus, wenn es nicht unablässig vom Wunsch getragen werde, Frieden und Einigung zu suchen.

177 Ebd. 9.

178 Ebd. 22.

179 PSRL, Bd. 6, 45; Bd. 8, 238: Theiner, Vetera monumenta, 257, 296 f.

180 Poselstvo do papeža ryms’kogo Siksta IV, 20 ff.

181 Epistola 75, ad Cyprianum 24, 3. Kritische Ausgabe: Saint Cyprien. Correspondance, Bd. 2, Texte établi et traduit par le Chanoine A. Bayard, Paris 1925, 306; zit. bei W. Hryniewicz, Ein Vorläufer der Unionsbestrebungen, 59.

Besonders tiefe Ehrfurcht schenken die Ruthenen dem Papst unter den gleichberechtigten östlichen Patriarchen. In diesem Falle ist dennoch nach Hryniewicz überhaupt nicht bemerkbar, dass die Kyjiver Metropolie bereit wäre, bei einer Einigung mit der römischen Kirche die kanonischen Bande mit dem Patriarchen von Konstantinopel zu lösen. Das hätte der langen Tradition der Bindung der Kyjiver Rus’ an ihre Mutterkirche widersprochen.182 Dieses Problem taucht erst nach der Union von Brest auf, die zu einem Bruch der Unierten mit Konstantinopel führte. Das Memorandum Misails ist noch die Frucht eines ganz anderen Denkens aus dem Strom der gemeinsamen frühchristlichen Ekklesiologie der Schwesterkirchen.

Vom ökumenischen Standpunkt aus sind die Schriften der beiden Metropoliten sehr bedeutsame Dokumente. Sie weisen auf die von Anfang an bestehende Haltung der Ruthenen zu einer Einigung mit Rom hin und ermöglichen es, sowohl die Geschichte der ökumenischen Beziehungen zwischen Ost- und Westkirche im Zusammenhang der Kyjiver Metropolie im richtigen Licht zu sehen als auch neue Perspektiven für die Zukunft der Weltökumene aufzuzeigen. Sowohl während der Union von Florenz als auch vor dem Abschluss der Union von Brest stellten sich die ruthenischen Metropoliten eine Union mit Rom vor, die zu keinem Abbruch ihrer kanonischen Beziehung zu Konstantinopel und der übrigen Orthodoxie führen würde. Die Union von Brest führte jedoch letztendlich zur Abspaltung eines Teiles der Kyjiver orthodoxen Kirche von der Gesamtorthodoxie und bildet daher einen Stolperstein in der Weiterentwicklung des gegenwärtigen orthodox-katholischen Dialogs.

Zusammenfassung

Von einem Erfolg des Konzils von Ferrara-Florenz lässt sich mit Sicherheit sehr schwer sprechen. Wenn man dieses Ereignis im Kontext des 15. Jahrhunderts und im Lichte der damaligen Zielsetzung betrachtet, dann erscheint die Union von Florenz meistens als ein misslungener Versuch, die Einheit zwischen der Ost- und Westkirche wiederherzustellen. Ist man aber in der Lage, dieses Ereignis nicht nur am Beispiel der darauf folgenden Union von Brest, sondern in der Perspektive des gegenwärtigen Dialogs und seiner zukünftigen Entwicklung zu bewerten, dann ergibt sich hier ein Modell aus der Unionsgeschichte, das zur Bewältigung der seit Jahrhunderten bestehenden Stolpersteine vor allem im orthodox-katholischen ökumenischen Gespräch helfen könnte. Das Gelingen dieses Dialogs hängt davon ab, ob man die Leitideen der Union von Florenz, die Intentionen der auf dem Konzil beteiligten Seiten von Rom und Konstantinopel kritisch in Betracht zieht, und schließlich den Beitrag der Kyjiver Metropoliten erblickt, die um die Einheit der Ost- und Westkirchen untendenziös besorgt waren. Die Aufgabe bestünde in diesem Falle in der Umwandlung und Vergegenwärtigung eines alten, jedoch immer aktuellen Einheitsmodells in die heutige Situation.

Neben den gegenseitigen ethnischen Vorurteilen, die auf eine seit Jahrhunderten entstandene Entfremdung hinweisen, spielten die theologischen Streitfragen eine entscheidende Rolle. Zwei ekklesiologische Konzepte, die sich kaum miteinander vertragen konnten, wurden nebeneinandergestellt.

Die Papstkirche des Westens und die historischen Patriarchatskirchen beschränkten sich darauf, einander anzuerkennen. Es gelang ihnen aber nicht, einander zu verstehen und sich als gegenseitige Ergänzung zu sehen.

Was die Kyjiver Kirche im Zusammenhang mit der Union von Florenz anbelangt, entwickelte sie eine eigene Tradition, die sowohl in der Ost- als auch in der Westkirche im Glauben und im praktischen Leben verwurzelt war. Die Ruthenen waren ständig um die Einheit zwischen Ost- und Westtraditionen bemüht und verblieben in ihrem tiefsten Bewusstsein außerhalb des Schismas 1054. Deswegen fand das Wirken des Metropoliten Isidor im Sinne der Union von Florenz in den ukrainisch-weißrussischen Ländern Polen-Litauens seine Zustimmung. Die Kyjiver Metropoliten verstanden die Union mit Rom als eine Vereinigung von zwei gleichberechtigten Kirchen, die in derselben Quelle ihren Ursprung hatten. Sie waren sich keiner Abweichung in den Glaubensfragen bewusst, die die Osttradition aus der Einheit mit der lateinischen Kirche gelöst hätte. Aus diesem Grund bestand für den Metropoliten Isidor und seine Nachfolger kein Bedarf, aus den Florentiner Unionsbeschlüssen im Glauben und in der Praxis der Kyjiver Metropolie irgendwelche Neuerungen einzuführen. Uniformismus war ihnen von Anfang an fremd.

182 W. Hryniewicz, Ecumenical Lessons from the Past: Soteriological Exclusivism at the Basis of Uniatism, in:

K. Chr. Felmy (Hg.), Kirchen im Kontext unterschiedlicher Kulturen. Auf dem Weg in das dritte Jahrtausend, Göttingen 1991, 521-533.

Die Kyjiver Kirche bemühte sich, die ihr spezifische Idee der kirchlichen Beziehungen zwischen einer autonomen Kyjiver Metropolie und der universalen Kirche zu realisieren. Sie wirkte als eine autonome Kirche sowohl gegenüber dem Patriarchat von Konstantinopel als auch in Beziehung zu Rom. Das Bewahren dieser Autonomie bildete ein Grundprinzip und wurde in die Unionskonzepte der Kyjiver Metropoliten miteinbezogen.

Die Union von Florenz stellt ein Modell dar, dessen Ziel es war, die Einheit zwischen Ost- und Westkirche zu erreichen. Die Kyjiver Kirche hat dabei einen wichtigen Beitrag geleistet, indem sie sich als eine autonome Kirche gegenüber dem Patriarchat von Konstantinopel verhielt und die ökumenischen Entwürfe erarbeitete, die, basierend auf den Prinzipien der Gleichheit der lokalen Kirchen im juridischen und liturgischen Sinn, als ein Unionsmodell im heutigen ökumenischen Dialog noch immer aktuell sind.

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