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Das Unionsprojekt des Fürsten Konstantin von Ostrog (1527-1608)

KAPITEL I: DIE GESCHICHTLICHEN VORAUSSETZUNGEN DER ÖKUMENE

3. DIE UNION VON BREST-LITOVSK 1595/96

3.4. Die Union von Brest aus orthodoxer Sicht

3.4.1. Das Unionsprojekt des Fürsten Konstantin von Ostrog (1527-1608)

Abbildung 2: Geografische Darstellung der Ausbreitung der Union von Brest 1595/96 und Užhorod 1646.224

wird die Wahrhaftigkeit und Besonderheit der orthodoxen Kirche gegenüber den anderen christlichen Kirchen deutlich betont.227 Er weiß sich als Mitglied dieser Kirche und nennt sie „unsere Mutter, Heilige Kirche, allgemeine, apostolische östliche“. Trotz dieser exklusivistisch formulierten Hervorhebung der orthodoxen Kirche spricht er den anderen christlichen Gemeinschaften den Namen „Kirche Christi“ nicht ab.228 Der Fürst Konstantin hält den Dialog mit Katholiken für möglich und sogar notwendig. Die Kirchenunion sieht er als Grundmotivation, um die äußere und innere Krise229 in der Kirche zu beseitigen.

3.4.1.1. Die Notwendigkeit der Beteiligung der ganzen Orthodoxie beim Unionsabschluss

Das Modell der Kirchenunion des Fürsten Konstantin von Ostrog könnte man nach M. Melnyk als

„universale Union“ bezeichnen.230 Die Vereinigung der Kirche sei die Realisation der Grundidee der Einheit, die der wahren Natur der Kirche in der orthodoxen Theologie entspricht. Die Union bedeutete dann ausschließlich ein Einverständnis aller authokephalen orthodoxen Kirchen zur Vereinigung mit Rom. Die Vereinigung sollte gemäß dem Vorschlag nach einem „rechtmäßigen Einverständnis“ aller orthodoxen Kirchen vollzogen werden, und keine Rückkehr einzelner Teile der versprengten Orthodoxie zur Einheit mit Rom bedeuten. In seinem Modell hält er es für notwendig, für die Union alle orthodoxen Kirchen zu gewinnen.

Für die Verwirklichung der Kirchenunion wird eine Reihe von Bedingungen gestellt, die dafür sprechen, dass die Entscheidung in absoluter Freiheit und mit dem Gefühl der Gleichberechtigung getroffen wurde.

Diese Voraussetzungen sind wie nachfolgend definiert:

„1. Vor allem, dass unser Ritus, wie er in der orientalischen Kirche betrachtet wird, belassen werde. 2.

Dass die Herren Römer unsere Kirchen und Stiftungen nicht für ihre Kirchen verwenden. 3. Dass nach dem Abschluss der Union niemand, der von unserem Ritus zum lateinischen übertreten will, dort aufgenommen werde, und dass man dazu unsere Ritusgenossen auch bei den Ehen nicht zwinge, wie dies zu geschehen pflegt. 4. Dass unsere Geistlichen die gleiche Ehre wie die ihrigen genießen, und dass namentlich der Metropolit und die Bischöfe im Senate und im Landtage ihren Platz haben, wenn auch nicht alle. 5. Es ist notwendig, auch an die Patriarchen eine Gesandtschaft zu schicken, damit sie sich zur Union bekehren, auf dass wir Alle mit einem Herzen und einem Munde Gott loben. Man soll auch nach Moskau und zu den Walachen Gesandte schicken, damit sie sich mit uns vereinigen. 6. Es ist notwendig, einige Sachen in unserer Kirche zu verbessern, namentlich, was die Sakramente und andere Menschensatzungen betrifft. 7. Man soll trachten, dass Schulen errichtet und freie Studien eingeführt werden, damit wir gelehrte Priester und gute Prediger haben, denn darum, weil es keine Studienanstalten gibt, herrscht unter dem Klerus eine große Unwissenheit.“231

Die Einheit mit Rom sieht er als die Wiederherstellung der innerlich zerschlagenen Einheit der Universalkirche. Die Wiederherstellung der inneren Einheit, die die orthodoxe Kirche besitzt, bestimmte für den Fürsten Konstantin die Form der Vereinigung. Dazu lud er den Bischof von Brest, Potij ein, dass er persönlich im Namen der Kirchenunion zu den Bischöfen von Wladimir und Moskau fahren solle.232 Im Punkt 5 ist die Rede von der Einbeziehung der Patriarchen in die Unionsverhandlungen.233 Die Übereinstimmung der ganzen orthodoxen Kirche hat der Fürst von Ostrog für das Wesen der Kirchenunion gehalten.

Fürst Konstantin fordert die Gleichberechtigung der Geistlichen beider Kirchen in der vereinten Kirche sowohl im staatlichen als auch im innerkirchlichen Sinne. Der wichtigste Punkt scheint Nummer 5 zu sein, in der es sich um die Ökumenizität einer Union handelt. Damit eine Union zustande kommen kann, wird es für erforderlich gehalten, dass bei einem solchen Beschluss alle Ortskirchen der Orthodoxie

227 Siehe den Brief des Fürsten Konstantin von Ostrog an den Bischof von Brest Ipatij Potij in: A. G. Welykyj, Documenta Unionis, Nr. 9, 21.

228 A. G. Welykyj, Documenta Unionis, 17.

229 Ebd. 21-23.

230 M. Melnyk, Zagadnienia soteriologiczne widziane w świetle projektu unii Konstantego Ostrogskiego, in: S.

Stępień (Hg.), Polska – Ukraina 1000 lat sąsiedztwa, Bd. 4, Katolickie Unie Kościelne w Europie środkowej i Wschodniej – idee a rzeczywistość, Przemyśl 1998, 102.

231 Vgl. A. G. Welykyj, Documenta Unionis, 25; N. Thon, Quellenbuch, 390 f.

232 A. G. Welykyj, Documenta Unionis, 22.

233 Ebd. 25.

mitentscheiden. Er wollte laut der kanonischen Ordnung der orthodoxen Kirche seinen Plan der Vereinigung im engen Mitwirken des orthodoxen Episkopates und Presbyterats realisieren.234 Die Synode der Bischöfe sollte dabei das entscheidende Wort haben.235 Der Fürst von Ostrog war überzeugt, dass die Ursache der innerorthodoxen kirchlichen Krise aus der innerchristlichen Spaltung resultiere. Er spricht von der „Kirche Christi“, die an der „Spaltung“ leidet. Am wichtigsten für den Fürsten scheint auf dem Weg zur Einheit mit der katholischen Kirche die innerorthodoxe Einheit gewesen zu sein, die sich unter anderem in der gegenseitigen Hilfe und Solidarität kundtut. Die Einheit mit Rom sollte im Rahmen der vollen kirchlichen Einheit realisiert werden, laut dem Modell der Einheit der Osttradition. Der Hauptakzent lag auf der inneren Einheit, die sich, in einem Glauben weitergegeben, durch dieselbe apostolische Tradition verwirklicht. Der Fürst Konstantin geht mit keinem Wort auf die nachtridentinische Kirchenlehre ein, die für seinen Begriff einer Union nicht inakzeptabel war.

3.4.1.2. Der soteriologische Universalismus als Basis für die Union

Die orthodoxe Kirche ist für den Fürsten von Ostrog die „Mutter“ der anderen Kirchen. Sie sei im Besitz der Fülle des Heils. Das aber bedeutet für den Fürsten nicht, dass in den anderen Kirchen kein Heil zu erlangen wäre. Den von der Orthodoxie getrennten Kirchen ist anhand der sichtbaren Einheit die Heilsfunktion nicht automatisch vorenthalten. Dies würde bedeuten, dass die soteriologische Kirchenvorstellung des Fürsten mild exklusivistisch ausgeprägt war. Für den Fürsten von Ostrog steht nicht in Frage, dass das Heil auch in anderen Kirchen außerhalb der Orthodoxie zu erlangen sei. Dafür spricht seine Anerkennung des kirchlichen Status der anderen Konfessionen. Das vorgeschlagene Modell der Vereinigung der orthodoxen Kirche mit der katholischen erscheint als ein Element seiner universalistischen Soteriologie. Darin wird erst seine Überzeugung deutlich, dass die Krise der getrennten West- und Ostkirchen das dauerhafte Bestehen der göttlichen Heilsgabe in der gespaltenen Kirche nicht eliminiert.

Die Kirchen, die von der „Mutter“-Kirche getrennt bestehen, sind nicht automatisch aus dem Kirchesein ausgeschlossen.236 Der Autor stellt in seinem Brief die Protestanten und Katholiken auf die gleiche Ebene.

Die getrennten Kirchen sind diejenigen, die einmal unsere „Brüder“ waren. Trotz der Trennung befinden sie sich im Rahmen der Heilsgeschichte Gottes. Fürst Konstantin benutzt jedoch in seiner Kritik der katholischen Kirche keine polemischen Argumente, die in seiner Zeit üblich waren.237 Die Realisierung seines Modells der Kirchenunion sah er in der damaligen politischen Umwelt nur auf der Grundlage eines Konsenses in der Frage der Soteriologie.238 Der soteriologische Universalismus seiner Überzeugungen wird sichtbar in der Beschreibung des kritischen Zustandes der Kirche. Die Kirchenunion würde seiner Vorstellung nach zur Stärkung der orthodoxen Kirche, aber auch des Katholizismus beitragen. Die Quelle der Krise sieht er im Mangel an der Einheit. Dennoch stellt der Autor nicht fest, dass deswegen die Heilsmöglichkeit für die Gläubigen der geschwächten Kirche bedroht wäre. Der Fürst Konstantin macht eine deutliche Trennung zwischen der Spaltung und den Heilsgaben, die in den Kirchen unverändert bestehen. Diese Gaben sind überkonfessionell und unbegrenzt.

Marek Melnyk schreibt in der Zusammenfassung seines Artikels, der der Soteriologie von Konstantin von Ostrog gewidmet ist, über „den ökumenischen Wert der ukrainischen orthodoxen Theologie, deren Eliten Dialogbereitschaft mit der westlichen Theologie zeigten, und dabei ihre eigene dogmatische Identität wahrten“.239 Das Grenzgebiet des damaligen polnisch-litauischen Reiches mit seinen multikulturellen und multireligiösen Prägungen trug zu den Initiativen der Überwindung der soteriologischen Fremdheit der

234 „Nie sam ale ze swoimi starszymi i Presbyterami radzic i dysputowac”. Ebd. 21.

235 Ebd. 22.

236 Ebd. 21.

237 W. Hryniewicz, Ecumenical Lessons, 521-533. Aus der orthodoxen exklusivistisch geprägten Literatur: siehe H. Smotrycki, Kluč’ carstva nebesnoho, zapadno-ruskoje polemičeskoje sočinienije 1587 g. (altslaw.) (Schlüssel des Himmelsreichs), in: Archiv JZR, Ser. 1, Bd. 7, Kyjiv 1887, 232-265; W. Surazki, O jedinoj vierie pravoslavnoj, in:

RIB, Bd. 2, St. Petersburg 1878, 690-938. Aus der katholischen exklusivistisch geprägten Literatur: Piotr Skarga, O iedności Kościoła BoŜego pod iednym Pasterzem, Vilna 1577; der katholische Theologe S. Orzechowski spricht nur den Protestanten die Heilschance ab. Baptismus Ruthenorum, Krakau 1544.

238 Zu den Anhängern der Idee des soteriologischen Universalismus zählten A. F. Modrzewski und Petro Mogyla.

Siehe A. F. Modrzewski, Dziela wszystkie, Bd. 1, O poprawie Rzeczypospolitej, Warschau 1953; W. Hryniewicz, Unio sine destructione. Ein Unionsdokument des Metropoliten Petr Mogila (1644-45), in: OS 42: 1993, 172-187.

239 M. Melnyk, Zagadnienia soteriologiczne, 141.

beiden Kirchen bei. Sie zeigen die Versuche der Überwindung der oft einander widersprechenden theologischen Differenzen. Die Ideen des Fürsten Konstantin sind bis heute aktuell geblieben. Die Union von Brest 1595/96 erzielte gerade das Gegenteil der unionistischen Ideen des Fürsten Konstantin von Ostrog, und deswegen stieß sie nach ihrem Abschluss auf heftigen Widerstand des Fürsten und seiner Anhänger. Die Erforschung der Ideen des Fürsten von Ostrog birgt ein großes ökumenisches Potential und könnte sich als wegweisend für den Dialog erweisen. Die gemeinsame Geschichte sowohl der orthodoxen als auch der unierten Ukrainer weist sehr oft, trotz vieler Konflikte, auf einen Weg hin, der mehr vom soteriologischen Universalismus als vom Exklusivismus geprägt war.240

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