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Der verworfene Uniatismus und eine darüber verbleibende Diskussion

KAPITEL IV: DIE PROBLEMFELDER DER ÖKUMENE IN DER UKRAINE

1. DAS ORTHODOX-KATHOLISCHE PROBLEMFELD

1.2. Der verworfene Uniatismus und eine darüber verbleibende Diskussion

öffentlich Reue bekundete, dass der orthodoxen Kirche die Kraft und der Mut gefehlt habe, sich dem Druck des Staates zu widersetzen.19 Metropolit Filaret von Kyjiv beschränkte sich während seines Aufenthaltes in Deutschland im Februar 1988 auf eine protokollarische Erörterung bezüglich des Schreibens von Lubačivs’kyj.20 Der Leiter des Außenamtes der ROK, Metropolit Kirill von Smolensk und Kaliningrad, erklärte am 30. November 1989, dass die Wiedererrichtung der UGKK für die Orthodoxie inakzeptabel sei.21 Im Interview für La Croix am 12. März 1991 sagte er, dass es nicht die ROK gewesen sei, sondern Stalin, der die Unierten verbannt habe. Sie habe ohne Gewalt diejenigen aufgenommen, die den Wunsch äußerten, orthodox zu werden, und nicht katholisch des lateinischen Ritus oder atheistisch. Im Weiteren äußerte er seine Überzeugung, dass die Unierten unter normalen Lebensbedingungen das Recht auf ihre Existenz bekommen sollten.22

Aus der gegenwärtigen interkonfessionellen Situation in der Ukraine lässt sich vermuten, dass es oft den einzelnen ukrainischen Kirchen schwer fällt, die eigene Geschichte so darzustellen, dass sie auch für die anderen Kirchen akzeptabel wäre. „Wenn der Ökumenismus Fortschritte machen soll, müssen wir unsere eigene, oftmals hagiographische Ansicht über unsere Vergangenheit beiseite legen und versuchen zu verstehen, wie andere uns sehen“, so R. Taft.23 Dieser Schritt der „Heilung und Reinigung der Erinnerung“ muss zuerst geschehen, damit der ökumenische Dialog Erfolg haben kann. Eine gemeinsame Darstellung der Kirchengeschichte, in der sich alle traditionellen Konfessionen der Ukraine wiedererkennen könnten, wird dem Fortschritt im Dialog und dem Aufbau des Vertrauens dienen. Dass das Vertrauen im ökumenischen Dialog immer noch fehlt und eine große Rolle spielt, ist am besten am Verlauf der 8. Vollversammlung der Internationalen Gemischten Dialogkommission in Baltimore im Juli 2000 zu erkennen. Man sprach von einem „vollständigen Fiasko“, da es am gegenseitigen Vertrauen mangelte.24

Kirche dar und schließe eine Kircheneinheit sowie die gemeinsame Eucharistie aus.27 Die orthodoxe Position in der Frage des Jurisdiktionsprimats des Bischofs von Rom ist eindeutig ablehnend.28 Der Kernpunkt der Kritik des orthodoxen Athener Theologen J. Panagopoulos ist der Anspruch der römischen Kirche auf den Besitz der vollen Wahrheit, der nach der Sicht von Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Ut unum sint weder den orthodoxen noch den evangelischen Kirchen zukommt. Er lehnt ebenso einen iure divino begründeten päpstlichen Primat ab und lässt nur einen im Sinne des primus inter pares gelten.29 „Im Blick auf das Papsttum, die Stellung des Bischofs von Rom in der Gesamtkirche, seinen Jurisdiktionsprimat und seine Unfehlbarkeit kommt es den Orthodoxen wesentlich darauf an, dass die Kirche sich in ihrer Gestalt als Gemeinschaft von Ortskirchen versteht, die durch das Band des gemeinsamen Glaubens, des Gottesdienstes und der eucharistischen Gemeinschaft miteinander verbunden sind. Auf der Strukturebene der Kirche soll diese Gemeinschaft ihren sichtbaren Ausdruck in der Kollegialität der Ortskirchen und der Bischöfe finden, die ihrerseits wiederum ihre Sichtbarkeit in der Synodalität und Konziliarität der Kirche haben.“ Das Bischofsamt, welches keine Über- oder Unterordnung unter einen anderen Bischof kenne, und somit das Kollegium, vornehmlich das Ökumenische Konzil, sei das höchste, verbindliche und unfehlbare Lehramt der Kirche, so der orthodoxe Theologe A. Basdekis.30 Es müsse ein Konsens erzielt werden in Bezug auf die Frage, wie der Primat des Bischofs von Rom in der Kirche des ersten Jahrtausends tatsächlich verstanden und praktiziert worden sei. „War es nur ein Primat der Liebe und Ehre oder auch ein Primat echter und wirklicher Machtausübung gegenüber den anderen Kirchen?“31 Für den griechisch-orthodoxen Theologen Evangelos Theodorou bestehen die konkreten Voraussetzungen für die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit in:

„a) zuallererst der Aufgabe des päpstlichen Primates als eines Primates der Macht über die ganze Kirche;

b) der Aufgabe des Vatikans und des Heiligen Stuhls als eines Macht- und Staatsapparates (Vatikan als Staatsform), und c) der Aufgabe der Unia, d.h. des Systems der mit Rom unierten katholischen Kirchen“.32 Das Problem des Primats des Bischofs von Rom und der Kirchenleitung macht somit im Zusammenhang mit dem Uniatismus die Kernfrage aus, die über den künftigen Verlauf und endgültigen Erfolg oder Fiasko des orthodox-katholischen Dialogs entscheiden wird.

Wie schon im dritten Kapitel dieser Arbeit signalisiert wurde, kristallisierte sich die Problemschärfe des Uniatismus bereits vor dem Beginn des theologischen Dialogs heraus, begleitete seinen Verlauf und bleibt bis heute diskussionsbedürftig. Der orthodoxen Seite der Internationalen Gemischten Kommission ging es bei der ersten Vollversammlung auf Rhodos 1980 um das Teilnahmeverbot für die Unierten am theologischen Dialog und ihre Duldung bedeutete seitens der orthodoxen Kirche keine Anerkennung der Unierten.33 Den Uniatismus nahm man als einen Stolperstein zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche wahr. Die Aktualität der Uniertenfrage wurde spürbar während der Vollversammlung

27 „Papstprimat derzeit einziges Hindernis der Ökumene“, in: Deutsche Tagespost (13. Februar) 19: 1996, 5.

28 „a) Die höchste Autorität in der Kirche besitzt das Ökumenische Konzil. b) Keiner der Bischöfe hat eine Autorität oder einen Rechtsanspruch oder ein kanonisch verliehenes Recht auf irgendeine kirchliche Jurisdiktion ohne das kanonische Einvernehmen und die Zustimmung des anderen.“ Vgl. A. Kallis, Par cum pari. Eine Bedingung des Dialogs und der Einheit zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche, in: ders. (Hg.), Dialog der Wahrheit.

Perspektiven für die Einheit zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche, Freiburg-Basel-Wien 1981, 20.

29 „Im Sinne der Orthodoxen gilt immer noch die allein aus dem lebendigen Potential der Una Sancta hervortretende Forderung: Ein inklusives eucharistisch-charismatisches Kirchenverständnis und eine eucharistisch-synodal begründete Einheit auf dem Boden der einen, ungeteilten Kirche der ersten acht Jahrhunderte. An Stelle des päpstlichen Anspruchs (95) soll also gelten: Die Gemeinschaft aller lokalen Kirchen mit dem Glauben und Leben der Kirche der ersten acht Jahrhunderte ist die notwendige Voraussetzung für die Einheit.“ Siehe J. Panagopoulos, Ut unum sint. Bemerkungen zu der neuen päpstlichen Enzyklika aus Orthodoxer Sicht, in: Conc(D) 31: 1995, 475.

30 A. Basdekis, Das Papsttum aus der Sicht der orthodoxen Theologie und Kirche, in: OrthFor 9: 1995, 85.

31 A. Basdekis, Die Ökumene-Enzyklika des Papstes Johannes Paul II. „Ut unum sint“. Würdigung und Anmerkungen aus orthodoxer Sicht, in: W. Seidel, P. Reifenberg (Hgg.), Neue Anstöße für die Ökumene? Zur Ökumene-Enzyklika Papst Johannes Paul II. „Ut unum sint“, (Materialien 11, Erbacher Hof, Bildungszentrum der Diözese Mainz), Studientagung am 14. Oktober 1995 im Erbacher Hof, 22.

32 E. Theodorou, Paratereseis kai s’cholia, in: Ekkl(A) Nr. 10: 1995, 418-420, zitiert bei A. Basdekis, Die Ökumene-Enzyklika des Papstes Johannes Paul II., 19.

33 Erste Plenartagung der Gemischten Kommission: Patmos – Rhodos, 29. Mai bis 4. Juni 1980, in: Pro Oriente Bd. 12, 1987, 53-74; C. G. Zaphiris, Der theologische Dialog zwischen der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche. Möglichkeiten und Grenzen aus der Sicht der Kirche von Griechenland, in: Theol 52: 1981, 779-851; H. M. Biedermann, Der orthodox-katholische Dialog. Sein gegenwärtiger Stand, in: COst 37: 1982, 4-14.

in Neu-Valamo 1988, rückte aber besonders deutlich nach der politischen Wende in Osteuropa in den Vordergrund. Das Landeskonzil der Russisch-Orthodoxen Kirche, das Anfang Juni 1990 tagte, stellte fest, dass das Uniertenproblem, situationsbezogen auf die Westukraine, die wechselseitigen Beziehungen zwischen der Russisch-Orthodoxen und der Römisch-Katholischen Kirche bedrohe und damit „die Hoffnung auf eine erfolgreiche Fortsetzung des orthodox-katholischen Dialogs“ untergrabe.34

Ein Rückblick auf den Verlauf des theologischen Dialogs in Freising, Ariccia und Balamand zeigt einen Wandel, der sich in der Einstellung der orthodoxen Kirche zu den katholischen Ostkirchen vollzog: von einer Ablehnung des Existenzrechtes der Unierten und dem Teilnahmeverbot am theologischen Dialog zu einer tolerierenden bzw. duldenden Haltung und der Einladung bei der Mitwirkung am „Dialog der Liebe und der Wahrheit“. Trotz des Erreichten kann man mit M. Basarab sagen, dass der Uniatismus auch nach Balamand andauernd einen Grund zur Aufregung in der Diskussion zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche ausmache, und seit dem Beginn des Dialogs zwischen beiden Kirchen bilden die mit Rom unierten Ostkirchen den empfindlichen Punkt, die offene Wunde am Leibe der orthodoxen Kirche,35 und diese Wunde, wie sich aus den Gesprächen der 8. Vollversammlung der Internationalen Gemischten Dialogkommission in Baltimore ergab, betrifft alle Lokalkirchen, sowohl orthodoxe als auch katholische.36

Wie sich auch immer die Problemverlagerung in den am bilateralen orthodox-katholischen Dialog beteiligten Kirchen auf Grund der geschichtlichen Forschung der Ereignisse im Zusammenhang mit der Brester Union (1596) darstellen mag, in der Lösung der Uniertenfrage wird im überwiegenden Maße die Stimme derer zählen, die so oft – zu Unrecht – als eigentliche Auslöser des Konflikts betrachtet werden.

Seit dem Beginn der Arbeit der Internationalen Gemischten Dialogskommission scheint die Tatsache äußerst problematisch zu sein, dass eben die Teilnahme der unierten Kirche mehr oder weniger von beiden Seiten des orthodox-katholischen Dialogs permanent ignoriert wurde. Ihre spätere Einladung zum theologischen Dialog kann man als einen enormen Fortschritt bezeichnen. Gewiss wird auch die künftige Lösung der Uniertenfrage im großen Maße von den Unierten selbst abhängen, von dem, wie sie sich selbst im Lichte des Zweiten Vatikanums verstehen, wie sich die UGKK mit der Erfahrung von über 400 Jahren ihres Bestehens in der konkreten Situation zu Anfang des 21. Jahrhunderts artikuliert. Jede theologische Stellungnahme, sei es katholisch oder orthodox, ist von geringem Nutzen, wenn sie das Selbstverständnis der unierten Kirche in den Dialogsdokumenten nicht mitberücksichtigt. Aus dem Dokument von Balamand 1993 kann man den Eindruck gewinnen, als wäre die Uniertenfrage auf der theologischen Ebene gelöst. Die Klärung der praktischen Streitangelegenheiten sei nur eine Frage der Zeit. Dieser Eindruck ist trügerisch, wenn man genau den ekklesiologisch tiefgehenden Bemerkungen zum Balamand Dokument von Kardinal Lubačivs’kyj nachgeht. Das Oberhaupt der UGKK schätzt zwar, im Vergleich zu den unierten Rumänen, die das Dokument ablehnten, das Ergebnis von Balamand grundsätzlich sehr hoch ein, macht aber gleichzeitig starke Aussagen, die die ekklesiologische Selbstbestimmung der UGKK charakterisieren und auch bereits bei seinen Vorgängern37 im Amt als bestimmende Prinzipien der katholischen Ostkirche galten. Das Ignorieren der Aussagen von Kardinal Lubačivs’kyj verspricht keine fortschreitende Einigung im orthodox-katholischen Dialog und auch keine Entspannung der Beziehung zwischen der römischen und orientalisch-katholischen Kirche. Aufgrund des Rechts auf Religionsfreiheit kann von den Unierten nicht erzwungen werden, dass sie sich absolut der römischen oder der orthodoxen Ekklesiologie anpassen und auf ihre Identität verzichten, zumal die Eigenständigkeit der Kyjiver Kirche ihr selbst bereits vor der Union von Brest zu Eigen war.

Der Patriarch Bartholomaios I. sagte im Jahr 1996: „Wir wissen noch nicht, wie viel Zeit wir noch brauchen werden, um das brennende Problem des Uniatismus in zufriedenstellender Weise zu klären, so dass wir dann zu der ursprünglichen Thematik des Dialogs zurückkehren können“.38 Auch in der heutigen Situation taucht die Uniertenfrage zweifelsfrei nicht nur für die Orthodoxie als diskussionsbedürftig auf.

34 Opredelenie Pomestnogo Sobora Russkoj Pravoslavnoj Cerkvi (russ.), (Bestimmung des Landeskonzils der Russischen Orthodoxen Kirche) in: ŽMP 9: 1990, 8.

35 Vgl. M. Basarab, Uniatismus und Proselytismus auf der Tagesordnung des internationalen katholisch/orthodoxen Dialogs, in: US 45: 1990, 322 f.

36 E. Lanne, Le dialogue catholique – orthodoxe à Baltimore, 416.

37 Im Kapitel V, 4 über die Perspektiven der Ökumene in der Ukraine werden die ökumenischen Ansätze von den Vorfahren des Großerzbischofs Lubačivs’ky, dem Metropoliten Šeptyc’ky und dem Kardinal Slipyj, dargestellt.

38 Kurznachrichten, in: Hermeneia 12: 1996, 177.

Im orthodox-katholischen Dialog bleibt der Uniatismus neben dem Papsttum das Haupthindernis, eine immer noch ungelöste Frage und zwar nicht nur im bilateralen Dialog zwischen der orthodoxen und römischen Kirche, sondern auch und im gleichen Maße für die katholischen Ostkirchen als gleichberechtigte Partner.

Die vom Ökumenischen Patriarchen einberufene Interorthodoxe Kommission für den theologischen Dialog mit der katholischen Kirche, die vom 13. bis 14. Juli 1995 in Phanar tagte, betonte die Notwendigkeit der Fortsetzung des Dialogs. Das Dokument von Balamand sei zwar ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung des Dialogs, trotzdem müsse auch die nächste Vollversammlung die Diskussionen zum Thema „Uniatismus“ fortsetzen.39 Einerseits hat man die Dialogergebnisse von Balamand als anerkennenswert erklärt, andererseits aber wurde der Erfolg als unzureichend bezeichnet.

Die Uniertenfrage benötigt ein gründliches Studium, und zwar im Zusammenhang mit allen dogmatischen Entwicklungen und geschichtlichen Begebenheiten. Wenn immer wieder deutlicher bekräftigt wird, dass der Uniatismus als Modell und Methode keineswegs ein Produkt der unierten Kirchen sei, sondern der Römisch-Katholischen Kirche, wie es in der Stellungnahme der Studiengruppe der Kyjiver Kirche formuliert wurde, könnte dies zur Klärung der Frage beitragen.40 Die Debatten der 8. Vollversammlung der Internationalen Gemischten Dialogkommission in Baltimore (2000) zeigten sehr deutlich, dass das Thema des Uniatismus immer noch diskussionsbedürftig ist und einen gründlichen Vorgang in theologischen, pastoralen, historischen und kanonischen Fragen benötigt. Der ekklesiologische Status der katholischen Ostkirchen wird seitens der Orthodoxie als „anormal“ betrachtet.41 Darauf deutet ebenfalls das Zweite Vatikanum im Dekret über die katholischen Ostkirchen hin, wenn es „Rechtsbestimmungen“

lehrt, die „nur für die gegenwärtigen Verhältnisse gelten, bis die katholische Kirche und die getrennten Ostkirchen zur Vollendung der Gemeinschaft zusammenfinden“ (30). Für E. Lanne ist nicht die ekklesiologische Situation der unierten Kirchen anormal, sondern die Trennung, die seit dem Schisma 1054 zwischen den Schwesterkirchen des Ostens und des Westens besteht.42 Die Unierten selbst betrachten den ekklesiologischen Status ihrer Kirche auf Grund der Kirchengemeinschaft mit Rom alles andere als anormal. Sie gehen den von ihnen selbst gewählten Weg, der sie durch beide Kirchentraditionen führt und sie miteinander verbindet. Sie sehen sich selbst in beiden großen Traditionen essentiell verwurzelt.

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