• Keine Ergebnisse gefunden

Theoretische und methodische Grundlagen

I. Einführung

4. Theoretische und methodische Grundlagen

Die Untersuchung von Mediendiskursen setzt die Klärung des Diskursbegriffs an sich voraus. Dieser wird sich an den Grundzügen der von Michel Foucault entworfenen Diskurstheorie orientieren. Deren Kern besagt, dass Diskurse die Gegenstände, von denen sie handeln, ihrerseits formen.110 Diskurse, gerade mediale, sind »dasjenige, worum und womit man kämpft.«111 Da »man« ver-schiedene Diskursteilnehmer umschreibt,112 geht es um die Deutungshoheit über Zeitphänomene. Presseschaffende traten durch die mediale Darstellung dieser Zeitphänomene zueinander in Deutungskonkurrenz.

Bei der Untersuchung massenmedial erzeugter Länderbilder ist zu beach-ten, dass die wenigsten Rezipienten die Möglichkeit hatbeach-ten, zwischen medial erschaffenen Bildern und den Realitäten vor Ort zu vergleichen. Analog zum Diskursverständnis Foucaults stellten die Massenmedien für den

überwiegen-109 Dazu: Schumann, Dirk: Politische Gewalt in der frühen Weimarer Republik (1919–1923) und ihre Repräsentation in der politischen Tagespresse. In: Daniel / Marßolek / Pyta / Wel-skopp: Politische Kultur und Medienwirklichkeiten, 279–310.

110 Vgl. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M. 1997, 74.

111 Ders.: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a. M. 1993, 11.

112 Auch wenn es streng nach Foucault keinen direkten Agens im Diskurs geben dürfte.

den Teil der Leserschaft die Gegenstände Amerika und Sowjetunion erst her.

Diese Länderbilder wurden durch längerfristig tradierte Stereotype, Konzepte und Narrative angereichert, die mit den USA und Russland fest verknüpft waren. Dazu zählen beispielsweise die klassischen Narrative von den unbe-grenzten Möglichkeiten Amerikas oder dem russischen Kollektivismus. Solch tradierte Diskurselemente wirkten in gleichem Maße auf Medienproduzenten wie -rezipienten und nivellierten das Machtgefälle,113 welches im unterschied-lich guten Zugriff auf Informationen aus beiden Ländern bestand. Traditio-nelle Amerika- und Russlandstereotype formten die »Diskursgesellschaft«114 der Weimarer Republik. Eine Diskursgesellschaft ist nicht als Gesellschaft Gleichdenkender zu verstehen. Vielmehr verständigt sich eine Diskursgesell-schaft über einen Gegenstand durch das Rekurrieren auf geteilte Narrative, historisch tradierte Länderbilder oder nationale Stereotype.

Auch die von Foucault betonte Rolle der Regelmäßigkeit von übereinstim-menden, zu einem bestimmten Diskursgegenstand getätigten Äußerungen (nicht: »Aussagen«) bildet ein nützliches Instrument aus seiner Werkzeugkis-te.115 Erst die regelmäßige, hinreichend häufige Behandlung rechtfertigt, von einem relevanten Thema des Fremdwahrnehmungsdiskurses zu sprechen. Das Verständnis von Regelmäßigkeit als oft wiederholter Äußerungen ist hiermit allerdings nicht ausschließlich gemeint. Der Umstand, dass eine bestimmte Äußerung wiederholt geäußert wird, eine konträre allerdings unterbleibt, of-fenbart vielmehr die Regeln, nach denen eine Diskursgesellschaft funktio-niert. Es wäre also unmissverständlicher, von der Regelgemäßheit bestimmter Aussagen zu sprechen.

Grundsätzlich soll die Überdehnung des Diskursbegriffs, nach der letztlich alles nur Diskurs sei, hier vermieden werden. Natürlich ist Realität immer auch Ergebnis diskursiver Aushandlungsprozesse. Realitäten stehen mit den über sie geführten Diskursen aber in einem reziproken Verhältnis und sind eben nicht ausschließlich deren Produkte. Jenseits des von Foucault in den Mittelpunkt gerückten Strebens nach Deutungsmacht bedarf schließlich jeder Diskurs eines Anlasses. Ein solcher Diskursanlass lag im konkreten Bedürf-nis der deutschen Gesellschaft nach Selbstverortung in einer neu geordneten und neu zuordnenden Zeit, die maßgeblich von den USA und der UdSSR ge-prägt war.

In der Wahrnehmung beider Länder spielten über Jahrhunderte hinweg diskursiv konstruierte Stereotype eine tragende Rolle. Das gilt für die USA in höherem Maße als für die UdSSR. Die Wichtigkeit tradierter Länderbilder fügt dem theoretischen Dach dieser Arbeit ein weiteres Element hinzu, das

113 Ein weiteres Strukturmerkmal foucaultscher Diskurstheorie.

114 Foucault: Ordnung des Diskurses, 27 f.

115 Ders.: Archäologie des Wissens, 153.

in der Lehre von Fremd- beziehungsweise Länderbildern besteht. Diese wird wahlweise als Imagologie oder interkulturelle Hermeneutik bezeichnet.116 Da letztere aber auf das Verstehen des Fremden aus dessen eigenen Traditions-beständen und Wissenssystemen heraus abhebt, soll hier dem Konzept der Imagologie Vorrang gegeben werden.

Im Folgenden wird nämlich nicht das Verstehen des Fremden aus dem Fremden heraus Thema sein, sondern dessen Aneignung auf Grundlage ver-trauter Wissensbestände. Die von William Chew aufgefrischte Definition von Imagologie117 schließt erstens die Selbstreferentialität von Fremdbetrachtung ein und entwirft zweitens eine dichotomische Struktur der dahingehenden Diskurse. Das bedeutet, der Anlass zur Fremdbetrachtung besteht im Identi-tätsbildungsbedürfnis des Betrachtenden. Die sich darüber entspinnenden Diskurse strukturieren sich entlang gegensätzlicher aber produktiv vergleich-barer Bestandteile des Selbstbildes einerseits und des Fremdbildes anderer-seits. Dort wo diese Bestandteile vergleichbar (aber nicht identisch) sind, ent-wickelt sich ein identitätsstabilisierender oder identitätsverändernder Diskurs aus deren Gegenüberstellung. Diesen Prozess kann man in Form medial ver-mittelter Bekundungen der Ablehnung oder Zustimmung freilegen.

Der Übergang von der Theorie zur Methode besteht darin, diesen Vor-gang an konkreten Quellenbeispielen sichtbar zu machen. Da Foucault keine Methodologie zur konkreten Durchführung von Diskursanalysen vorgelegt hat, sind zu diesem Zweck praxisorientiertere Beiträge heranzuziehen. Diese bauen auf Foucaults verwinkeltem Theoriegebäude auf und stellen in diesem Sinne tatsächlich die vielzitierte Diskursanalyse »nach« Foucault dar.

Die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Sprache und Realität hat Philipp Sarasin in seiner auf die Geschichtswissenschaft zugeschnittenen Darstellung diskursanalytischer Verfahren vorgeführt. Sarasin selbst lehnt den Methoden-begriff für sein Verfahren ab.118 Nichtsdestotrotz zeigt er auf, wie empirisch beobachtbare Kausalitäten – er wählt das Beispiel des Zusammenhangs

zwi-116 Vor allem in der vergleichenden Literaturwissenschaft ist der Begriff der Imagologie nach wie vor gebräuchlich. Auch neuere Forschungen benutzen den Begriff. Zuletzt:

Dukić, Davor (Hg.): Imagologie heute. Ergebnisse, Herausforderungen, Perspektiven.

Bonn 2012; Voltrová, Michaela: Terminologie, Methodologie und Perspektiven der kom-paratistischen Imagologie. Berlin 2015.

117 Chew, William III: What is in a National Stereotype? An Introduction to Imagology at the Threshold of the 21st Century. In: Language and Intercultural Communication. Bd. 6 (2006), Nr. 3–4, 179–187. Zur Rolle nationaler Stereotypen für die Identitätsbildung:

Hahn, Hans Henning (Hg.): Stereotyp, Identität und Geschichte. Die Funktion von Ste-reotypen in gesellschaftlichen Diskursen. Frankfurt a. M. u. a. 2002.

118 Sarasin, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt a. M. 2003. Er schreibt zur Selbsteinordnung zwischen Methode und Theorie: »Diskursanalyse bezie-hungsweise Diskurstheorie ist keine Methode, die man ›lernen‹ könnte, sondern sie er-scheint mir eher als eine theoretische, vielleicht sogar philosophische Haltung.« Ebd., 8.

schen Bakterien und Krankheit – metaphorisch auf andere Diskurse (zum Beispiel über Gruppen) übertragen werden und auf diese Weise neue Sinn-zusammenhänge schaffen können (»Schädlichkeit« bestimmter Gruppen). In-dem er beispielhaft veranschaulicht, wie sprachliche Prozesse neue Realitäten entstehen lassen, führt er letztlich doch den Beweis zur praktischen Anwend-barkeit und Validität des diskursanalytischen Verfahrens.

Die Wichtigkeit sprachlich geschaffener Wirklichkeit, die auch in neueren diskursanalytischen Betrachtungen zur Weimarer Republik betont worden ist,119 wirft die Frage nach dem Rahmen solcher sprachlichen Handlungen auf. Achim Landwehr hat Arbeitsschritte einer historischen Diskursanalyse entwickelt, denen er Methodencharakter bescheinigt.120 Zunächst muss der Rahmen so gewählt sein, dass er hinreichend zur Produktion der Wirklichkeit des Diskursgegenstandes beiträgt.121 Diese Bedingung ist für die Wahrneh-mung der USA und der UdSSR in den deutschen Massenmedien erfüllt, sofern tradierte Elemente des jeweiligen Länderbildes als Kontext in die Betrach-tung miteinbezogen werden.122 Unter diesen Voraussetzungen können nach Landwehr thematisch gruppierte Textkorpora in ihrem diachronen Verlauf und hinsichtlich der in ihnen aufscheinenden widerstreitenden Wirklichkeits-konstruktionen einer Diskursanalyse unterzogen werden.

Für die konkrete Arbeit an Schriftquellen ist des Weiteren die begriffliche Unterscheidung zwischen Sprache und Diskurs von Bedeutung.123 Der Dis-kursbegriff schließt laut Reiner Keller ausdrücklich auch die Effekte eines Diskurses ein. Konkret bedeutet das, nicht nur die Gründe für bestimmte mediale Repräsentationen der USA und der Sowjetunion zu beleuchten, son-dern genauso deren Effekte wie etwa politische Reaktionen. Drei Bestand-teile – Anlass, Art der Repräsentation und Effekt – konstituieren nach diesem Verständnis einen Diskurs. Alle drei Bestandteile sollen bei der Analyse der Fallbeispiele einbezogen werden. Das bedeutet vor allem, einzelne Diskurs-stränge konsequent in ihrem historischen Kontext darzustellen.

Foucaults Theorie des Sagbaren und entsprechende textzentrierte Analyse-methoden sollen um eine bildtheoretische Betrachtung des Zeigbaren ergänzt werden. Der Bildtheorie W. J. T. Mitchells ist es zu danken, dass sie innere wie

119 Vgl. Stötzel, Georg: Vorwort von Georg Stötzel. In: Eitz, Thorsten / Engelhardt, Isabelle:

Diskursgeschichte der Weimarer Republik. Band 1. Hildesheim 2015, 6.

120 Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse. Frankfurt a. M. 2008.

121 Vgl. ebd., 101.

122 Damit sind auch die von Landwehr aufgeführten Arbeitsschritte »Korpusbildung« und

»Kontextanalyse« vollzogen. Vgl. ebd., 101 f. und 105 f.

123 Keller, Reiner: Wissen oder Sprache? Für eine wissensanalytische Profilierung der Dis-kursforschung. In: Eder, Franz X.: Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen. 51–70.

äußere Bilder aus dem Korsett des Illustrativen befreit hat.124 Durch seinen Beitrag ist die Gleichwertigkeit visueller und textueller Inhalte weithin an-erkannt. Der Mehrwert von Bildern für historische Analysen besteht in der zentralen Rolle des Visuellen in modernen Mediengesellschaften.125

Tageszeitungen und Illustrierte ordneten den Blick auf die Welt. In der schnell komplexer werdenden Moderne machte man sich sein Bild von der Welt nicht mehr durch vollständiges Erfassen. Das Welterleben erfolgte über die Einbindung medialer Eindrücke in ein selbstreferentielles System histo-risch gewachsenen Wissens.126 Die Medienkonsumenten erlebten ihre Welt nicht nur synchron durch mediale Inhalte, sondern bezogen diese Inhalte auf diachron tradierte und kulturell vermittelte Sinngehalte. Retrospektiv ergibt dieses Zusammenspiel ein für die Geschichtswissenschaft ausdeutbares Bild, das sich aus Texten und visuellen Informationsträgern zusammensetzt.

Die Grundlagen zur Deutung des visuellen Anteils solcher historischen Bilder besorgte Erwin Panofsky.127 Voraussetzung jeder Interpretation ist ihm zufolge die Kenntnis zeitgenössischer Symbolhaftigkeit und die Provenienz des Interpretationsobjektes. Panofsky definierte die aufeinander aufbauenden Arbeitsschritte Beschreibung, Analyse und Interpretation als klassisches Vor-gehen der Bildanalyse (Ikonologie).128 Seine Überlegungen wiesen über das einzelne Artefakt hinaus, was sie für die Geschichtswissenschaft anschluss-fähig macht. Das Gebot der historischen Kontextualisierung umschrieb Pa-nofsky mit der Mahnung, sich einem Interpretationsobjekt nur in »Kenntnis literarischer Quellen« und der »Vertrautheit mit bestimmten Themen und Vorstellungen«129 der Zeit zu nähern.

124 Mitchell, W. J. T.: Iconology. Image, Text, Ideology. Chicago 1986. Besser handhabbar:

Ders.: Bildtheorie. Herausgegeben mit einem Nachwort von Gustav Frank. Frankfurt a. M.

2008. Mitchell orientierte die Sprache, mittels derer er den von ihm ausgerufenen »Pic-torial Turn« theoretisierte an Richard Rortys »Linguistic Turn«. Er baute somit also kein vollkommen neues Theoriegebäude, sondern gestaltete es grundlegend um und öffnete es zur Welt der (inneren wie äußeren) Bilder. Er selbst verweist in seiner Bildtheorie im Ka-pitel zum »Pictorial Turn« (101 f.) auf die beiden theoriebildenden Texte Rortys, nämlich:

Rorty, Richard: Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt a. M. 1987.

Und: Ders.: The Linguistic Turn: Recent Essays in Philosophical Method. Chicago 1967.

125 »Auf seiten [sic] der öffentlichen Kritik macht die Herrschaft der Massenmedien die Dominanz des Bildes offensichtlich. Bildern wird für alles die Schuld gegeben – von Ge-walttätigkeit bis zum moralischen Verfall.« Mitchell, W. J. T.: Bildtheorie, 279.

126 Dazu: Singer, Wolf: Das Bild in uns – Vom Bild zur Wahrnehmung. In: Maar, Christa / Burda, Hubert (Hg.): Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Köln 2005, 56–76, hier 75.

127 Grundlegend: Panofsky, Erwin: Studies in Iconology. Humanistic Themes in the Art of the Renaissance. New York 1939.

128 Ebd., 14 f.

129 Ders.: Ikonographie und Ikonologie. In: Kaemmerling, Ekkehard (Hg.): Bildende Kunst als Zeichensystem. Ikonographie und Ikonologie. Bd. 1: Theorien – Entwicklung – Pro-bleme. Köln 1994, 207–225, hier 210 f.

»Das Jahrhundert der Bilder«130 ist allerdings nicht durch die Plastiken und Ölgemälde der alten Meister definiert, die Panofsky bei seiner Theoriebildung hauptsächlich im Sinn hatte. Es ist die kulturelle und politische Aufladung von Bildern, die den Blick auf eine das einzelne Bild umgebende visuelle Kul-tur freigibt. Die Visual History hat die Relevanz »profaner« Bildquellen, also Presse- und Privatfotografien, Plakaten und Karikaturen etabliert. Die Sen-sibilität für visuelle Kulturen hat die Bandbreite an Interpretationsmöglich-keiten hinsichtlich politischer, kultureller oder sozialer Wandlungsprozesse, die sich visuell äußern, deutlich erweitert.131 Die Visual Culture Studies haben sich darauf verständigt, den Prozess der Wahrnehmung visueller Quellen sichtbar machen, erklären und einordnen zu wollen.132 Das »Sehen« in seinem kulturellen und historischen Zusammenhang zu zeigen, stellt im Einklang mit diesem Anspruch das übergeordnete Ziel dieser Arbeit dar.

Bevor die Analysemethoden zur Erschließung (teilweise) visueller Quel-lenkorpora genauer erläutert werden, ist als konkrete Benennung visueller Quelleninhalte der Begriff Visual einzuführen. Dahinter verbirgt sich weder der Versuch, eine Selbstverständlichkeit durch einen Anglizismus aufzuwer-ten noch eine tiefergehende methodologische Innovation. Vielmehr soll die Gefahr einer begrifflichen Doppelung vermieden werden: Von den USA und der UdSSR in Deutschland wahrgenommene Bilder sind klar von den zu ana-lysierenden visuellen Quellen zu unterscheiden. Die Bilder der USA und der Sowjetunion sind durch tradierte Sinnzusammenhänge und öffentlich ausge-handelte Interpretationen der Wirklichkeit geordnete Bestände an visuellen, textuellen, biografischen und anderweitigen Eindrücken. Dieses konzeptuelle

130 Paul, Gerhard (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Bd. 1: 1900 bis 1949. Göttingen 2009.

Weitere einschlägige Publikationen, die mit verschiedenen thematischen Schwerpunk-ten von einem wesensähnlichen Verständnis visueller Quellen ausgehen: Belting, Hans (Hg.): Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch. München 2007; Burke, Pe-ter: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen. Berlin 2003; Hartewig, Karin:

Fotografien. In: Maurer, Michael (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften. Bd. 4:

Quellen. Stuttgart 2002, 427–447; Jäger, Jens / Knauer, Martin (Hg.): Bilder als histori-sche Quellen? Dimensionen der Debatte um historihistori-sche Bildforschung. München 2009;

Jäger, Jens: Fotografiegeschichte(n). Stand und Tendenzen der historischen Forschung.

In: Archiv für Sozialgeschichte, Nr. 48, 511–538; Maurer, Michael: Bilder. In: Ders. (Hg.):

Aufriß der Historischen Wissenschaften. Bd. 4: Quellen. Stuttgart 2002, 402–426; Tal-kenberger, Heike: Von der Illustration zur Interpretation. Das Bild als historische Quelle.

Methodische Überlegungen zur Historischen Bildkunde. In: Zeitschrift für Historische Forschung, Nr. 21 (1994), 289–303.

131 Vgl. dazu: Hebel, Udo / Wagner, Christoph (Hg.): Pictorial Cultures and Political Icono-graphies. Approaches, Perspectives, Case Studies from Europe and America. Berlin, New York 2011.

132 Dazu nochmals: Mitchell, W. J. T.: Showing Seeing. A Critique of Visual Culture. In: Jour-nal of Visual Culture. Bd. 1, Nr. 2 (2002)., 165–181, hier 177 f.

Bildverständnis ist vom einzelnen visuellen Untersuchungsobjekt – eben dem Visual – begrifflich zu trennen.

Die Methodik, auf die sich das Vorgehen im Umgang mit Visuals stützt, wurde durch die Rehabilitation des Visuellen angestoßen, wie sie unter vielen anderen Panofsky, Mitchell und Paul zu verdanken ist. Das Zusammenspiel visueller und textueller Elemente im Zustandekommen von Diskursen findet seit einiger Zeit wachsende Beachtung.133 Silke Betscher hat das klassische Verfahren der Diskursanalyse für die Arbeit mit visuellen Quellen operatio-nalisiert.134 Ausgehend von den Grundlagen der visuellen Kommunikation,135 deren zentrales Prinzip die assoziative Wahrnehmung ist, zeigte sie, wie die

»visuellen Aussagen im Kontext der Gesamtstruktur von Diskurssträngen und interdiskursiver Verbindungen herauszuarbeiten«136 sind.

Diskursive Strukturen visueller Art können unter Einbezug ihres sprach-lich-textlichen Umfelds ikonografisch analysiert und interpretiert werden.137 Zur ikonografischen Analyse soll hier das von Gunther Kress und Theo van Leeuwen erdachte Konzept der visuellen Grammatik herangezogen werden.

Der assoziative Blick auf Visuals kann so einem systematischen Schema unter-worfen werden.138 Die visuelle Grammatik problematisiert kompositorische Elemente wie Perspektive und Rahmengebung. Sie trägt weniger zur

Inter-133 Bereits 2006 erschien ein von Sabine Maasen, Torsten Mayerhauser und Cornelia Renggli herausgegebener Sammelband, der die sich aus dem von Mitchell postulierten Mehrwert von Bildern ergebende Frage zu beantworten suchte, wie der wiederentdeckten Aus-sagekraft der Bilder ohne eine gleichzeitige Bagatellisierung des Textuellen Rechnung getragen werden könne. Maasen, Sabine / Mayerhauser, Torsten / Renggli, Cornelia (Hg.):

Bilder als Diskurse – Bilddiskurse. Weilerswist 2006.

134 Beachtung findet hier insbesondere ein Aufsatz, in dem Betscher die Visuelle Diskurs-analyse zunächst in ihren Grundzügen darstellt, um sie danach an visuellen Diskursen an der Zeit des Kalten Krieges vorzuführen, worin ein besonderer Ausweis für die An-wendbarkeit ihrer Methode im hier verfolgten Forschungsvorhaben besteht: Betscher, Silke: Bildmuster – Wissensmuster. Ansätze einer korpusbasierten visuellen Diskurs-analyse. In: Zeitschrift für Semiotik. Bd. 35, Nr. 3–4 (2013), 285–319. Anwendung fand die visuelle Diskursanalyse in Betschers Dissertationsschrift: Dies.: Von großen Brüdern und falschen Freunden. Visuelle Kalte-Kriegs-Diskurse in deutschen Nachkriegsillust-rierten. Essen 2013.

135 Dargelegt hat diese Marion Müller. Sie stellte nicht nur die grundlegenden Unterschiede zur textuellen und verbalen Kommunikation dar, sondern vermittelte darüber hinaus die Eigengesetzlichkeit visueller Kommunikation. Der wichtigste, auch von Silke Betscher zum Ausgangspunkt ihrer methodologischen Überlegungen gemachte dahingehende Unterschied ist, dass die Textlogik argumentativ ist, wohingegen die Bildlogik grund-sätzlich assoziativ sei. Vgl. Müller, Marion: Grundlagen der visuellen Kommunikation.

Theorieansätze und Analysemethoden. Konstanz 2003, 91.

136 Betscher, Silke: Bildmuster – Wissensmuster, 285.

137 Ebd., 288 f.

138 Kress, Gunther / van Leeuwen, Theo: Reading Images. The Grammar of Visual Design.

London, New York 1996.

pretation von Visuals als vielmehr zur Schulung des Blickes bei. Auch die Verweisfunktion und Aussagekraft visueller Inhalte machen Kress und van Leeuwen durch die Wahl des Terminus Grammatik plausibel. Sie füllen durch die Definition verbindlicher, lernbarer und nachvollziehbarer Gesetzmäßig-keiten der visuellen Kommunikation entscheidende methodologische Lücken.

Der Kritik, Visuals seien der Sprache durch ihre fehlende Negationsfähigkeit, Metasprachlichkeit und ihre folglich fehlende Diskursivität in Sachen Aus-drucksfähigkeit in keiner Weise gleichwertig,139 konnte mithilfe Kress’ und van Leeuwens die Spitze genommen werden.

Im Gegensatz zur intravisuellen Grammatik ist die Bildsprache der Illust-rierten stets in ihrer Wechselwirkung mit dem sie umgebenden Text – in Form von Bildunterschriften oder Artikeln – zu interpretieren.140 Dieser medialen Kontextualisierung muss die historische Kontextualisierung zur Einbettung der jeweiligen Quelle in gesellschaftliche Debatten zur Seite gestellt werden.

Erst hierdurch kann eine Bildsprache, die ja nicht universell, sondern je nach kultureller Prägung sehr verschiedenartig verstanden wird,141 entschlüsselt und zur Beantwortung historischer Fragestellungen fruchtbar gemacht wer-den. Untersuchungen zum transatlantischen Austauschprozess haben sich an den beschriebenen theoretischen und methodologischen Innovationen be-reits erfolgreich versucht.142 Dieser erprobte Pfad kann auch zur Veranschau-lichung triangulärer Wahrnehmungsprozesse zwischen Deutschland, den USA und der Sowjetunion beschritten werden.

Die Themenauswahl für die Veranschaulichung dieses Wahrnehmungs-prozesses soll als Replik auf die Grundsatzkritik an der Diskursanalyse be-gründet werden. Die Auswahl der Themenblöcke Rationalisierung, Frauen-emanzipation, Minderheitenfrage, politische Ordnungen sowie Jugend, Bildung und Sport ergaben sich zunächst aus deren Aussagekraft über das Moderne-verständnis der Zwischenkriegszeit. Diese Einordnung ist bereits ein interpre-tatorischer Akt und muss sich den Vorwurf der Selektivität schlicht gefallen lassen. Die fünf von mir ausgewählten Themenblöcke zeichneten sich aber

139 Vgl. Wolf, Claudia Maria: Bildsprache und Medienbilder. Die visuelle Darstellungslogik von Nachrichtenmagazinen. Wiesbaden 2006, 115.

140 Hinsichtlich von Bildunterschriften sind zweierlei Formen zu unterscheiden: Während ein »denotativer« Bildtext lediglich zum Erkennen oder Benennen des Abgebildeten dient, legt der »signifikante« Bildtext eine Einordnung, Wertung oder zumindest Kon-notation nahe. Vgl. Preisendanz, Wolfgang: Verordnete Wahrnehmung. Vom Verhältnis von Photo und Begleittext. In: Sprache im technischen Zeitalter. Nr. 37 (1971), 1–8. Auch bei: Wolf, Claudia Maria: Bildsprache und Medienbilder, 152.

141 Vgl. ebd.

142 Silke Betschers Dissertationsschrift »Von großen Brüdern und falschen Freunden«

wurde bereits genannt. Zur visuellen Komponente in der Wahrnehmung transatlanti-scher Austauschprozesse: Depkat, Volker / Zwingenberger, Meike (Hg.): Visual Cultures – Transatlantic Perspectives. Heidelberg 2012.

ohnedies als Gravitationszentren des medialen Diskurses ab, an ihnen wurden kontroverse Entwicklungen verhandelt. Vermeintliche Pflichtthemen heutiger historischer Forschung – beispielsweise die Emanzipation von Frauen und Minderheiten – mussten nicht etwa nachträglich in die Analyse implantiert werden. Sie wurden, um hier der gängigsten Kritik an der Diskursanalyse zu begegnen, nicht im Vorhinein festgelegt. Vielmehr kristallisierten sie sich während der Erfassung und Aufbereitung des Quellenmaterials klar als Inte-ressenschwerpunkte der zeitgenössischen Berichterstattung heraus.