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Geschlechterverhältnisse und Politik

I. Einführung

2. Frauenbilder und Frauenemanzipation

2.2 Geschlechterverhältnisse und Politik

Die aktive politische Tätigkeit stellt einen Bereich dar, der im deutschen Kon-text in besonderem Maße als Reservat männlichen Gestaltungswillens er-schien. Sieht man einmal von politischen Fragen ab, die unmittelbar Frauen und deren Rechte zum Gegenstand hatten, so befand sich diese gesellschaft-liche Konvention weitgehend im Einklang mit der geringen öffentgesellschaft-lichen Prä-senz weiblichen Polit-Personals.38 Diese Kongruenz geriet jedoch durch die verstärkte Darstellung und Wahrnehmung politisch aktiver Frauen in der UdSSR und den USA aus dem Takt.

Zeitgenössische Bezugnahmen auf das politische Leben der USA verdeut-lichen, wie stark sich dieses aus der Sicht mancher Beobachter an den Empfin-dungen der Frauen im Lande ausrichtete. Der Begriff der Empfindung ist hier wörtlich zu verstehen: »Sentimentality«,39 meinte Erich von Salzmann 1921, könne dem darniederliegenden Deutschen Reich helfen, sich in der amerika-nischen Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Schließlich habe Belgien und mit ihm die Entente es vermocht, die US-Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen, indem es ganz auf die Gefühlsbetontheit der Frauen abgestellt habe:

»Wenn man die politische Nutzanwendung sieht, so heißt das für unsere zukünftigen Beziehungen zu Amerika, wir haben der amerikanischen Frau das größte Interesse entgegenzubringen, sie zu studieren, um auf diesem Wege, der mir, ganz ernstlich gesprochen, als der beste erscheint, auf die fraglos vorhandene amerikanische Sen-timentalität Einwirkungen zu bekommen. Die Frau hatte immer und wird immer haben Mitleid mit den Unterdrückten […]. Die Sentimentalität, wohl das stärkste amerikanische politische Modeobjekt, hat sich nämlich inzwischen darauf besonnen, daß es augenblicklich ein Land gibt, dessen Einwohner noch viel unterdrückter sind, als die belgischen und dessen Kinder noch viel mehr zu leiden haben: Deutschland.«40

38 Rosa Luxemburg zog, als die personifizierte Ausnahme von dieser Regel, ja nicht zuletzt wegen ihres Geschlechts zu gleichen Teilen die bedingungslose Bewunderung von Kom-munisten und Sozialisten und den unverhohlenen Hass von Rechtskonservativen und Nationalisten auf sich und forderte schon durch die von ihr wahrgenommene öffentliche Rolle traditionelle Konventionen heraus.

39 Salzmann, Erich von: Sentimentality. In: VZT Nr. 82 vom 18.02.1921, 1 f.

40 Ebd., 1.

Widerspruch greift Erich von Salzmann lapidar vor: »Die Frau herrscht!«41 Der Autor schreibt mit der frischen Verbitterung des Krieges. Dennoch lässt bereits diese frühe Einlassung erkennen, wie hoch der seit 1920 offiziell aus-geübte politische Einfluss amerikanischer Frauen von deutschen Beobachtern eingeschätzt wurde.42 Es wurde durchaus zur Kenntnis genommen, wenn auch unterschiedlich interpretiert, dass es seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Kontinuität des politischen Engagements von Frauen gegeben hatte. Dadurch sei die Rolle der Frau in der US-Gesellschaft graduell politisiert, das politische System der USA in der Folge wiederum feminisiert worden.43 Die Charakterisie-rung der politisch emanzipierten Frau als Ergebnis eines evolutionären, in die politischen Grundlegungen der USA eingeschriebenen Prozesses44 gewinnt in weiteren Ausführungen zunehmend an Schärfe. Dieses Emanzipationsnarrativ stellt sich gänzlich anders dar als im Falle der sowjetischen Frau, die erst durch den totalen Umsturz zu ihrem politischen Recht gelangt war.

Die Fundamente des Diskurses über die Frau im politischen Leben der USA werden im Vergleich zweier Amerikakorrespondenten, Gustav Frenssen45 und Alice Salomon46, deutlich. Gemäß ihrer politischen Orientierung und

41 Ebd.

42 Mit großer Aufmerksamkeit wurde über die fortgesetzte Lobbyarbeit und politische Kon-trollfunktion amerikanischer Frauenbewegungen berichtet. Dabei steht die Errichtung des Hauptquartiers der National Women’s Party als symbolische Besetzung des politi-schen Raumes Washington D. C. mit diesem sogenannten »Wacht-Turm« für Frauen-rechte im Mittelpunkt des Interesses. Vgl. Anon.: Die Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: FZT Nr. 895 vom 02.12.1921, 1. Und: Anon.: Aus der amerikanischen Frauen-bewegung. In: FZT Nr. 416 vom 07.06.1922, 1.

43 Zu den Wechselwirkungen zwischen amerikanischem Suffrage Movement und dem poli-tischen System: Baker, Paula: The Domestication of Politics: Women and American Poli-tical Society, 1780–1920. In: American Historical Review, 89, 1984, 621–647.

44 Zu den Stadien und jeweiligen Strategien der informellen und sodann formellen weib-lichen Politikbeteiligung in den USA: Klaiber, Isabell: Women’s Roles in American So-ciety: Difference, Separateness, and Equality. In: Engler, Bernd / Scheiding, Oliver (Hg.):

A Companion to American Cultural History. From the Colonial Period to the End of the 19th Century. Trier 2009, 303–330.

45 Gustav Frenssen schrieb als Reiseberichterstatter für die Frankfurter Zeitung (FZT), trat aber hauptsächlich als Romanautor in Erscheinung. Bezüglich seines Frauenbildes sind in seinem Werk eindeutige Ansichten auszumachen. So weist er ihnen zum einen die tradierten Formen ländlichen Frauenlebens (ohne Beruf und Bildung) und zum ande-ren als vornehmste Aufgabe die Reproduktion zu. Diese Ansicht baute er später durch rassebiologische Überlegungen zu einer Zieldefinition zur »Züchtung des Herrenvolkes«

aus. Überdies legte er das nach diesen Maßgaben definierte Glück der Frau ausschließ-lich in die Hände des Mannes. Vgl. dazu: Küchmeister, Kornelia: »…nur ein Weib, aber Herrin ihrer Kraft«. Das Frauenbild und die Funktion von Sexualität in Gustav Frenssens Werk. In: Dohnke, Kai / Stein, Dietrich (Hg.): Gustav Frenssen in seiner Zeit. Heide 1997, 400–436.

46 Alice Salomon war sowohl für die Vossische Zeitung (VZT) als auch das Berliner Tage-blatt (BTB) als Amerikakorrespondentin tätig. Davor galt ihr Interesse der deutschen und

Herkunft unterschieden sich ihre Ansichten zum Thema deutlich. Beide teil-ten die Ansicht, Amerikanerinnen hätteil-ten prinzipiell eine stärkere politische Stellung als Europäerinnen und sogar als ihre männlichen Landsleute inne.

Beide führten dies, ungeachtet der politischen Dimension, auf ein verbreitetes Erklärungsmuster zurück: die »Seltenheit von Frauen im männerbestimmten Pionier- und Kolonialland Amerika«.47 So schreibt Salomon:

»Wodurch ist die bevorzugte Stellung zu erklären, die das weibliche Geschlecht in Amerika einnimmt? Zunächst einmal ganz einfach durch das Gesetz der Zahl, durch das Gesetz, das alle Werttheorien löst. Solange es eine amerikanische Kultur gibt, sind die Frauen stets in der Minderzahl gewesen und sie sind es auch heute in vielen Teilen des Landes in ganz erheblichem Maße. Ein solches Mißverhältnis in der Zahl von Frau und Mann wirkt aber stets zugunsten des Geschlechtes, das in der Minderzahl ist, das Seltenheitswerte repräsentiert. Es bringt eine eingeschlechtliche Vorherrschaft herbei.«48

Überraschend scheint an dieser Stelle zunächst die Feststellung einer weib-lichen Vorherrschaft durch die jahrelang in der internationalen Frauenbewe-gung engagierte Salomon. Kenntnisreich und differenziert hatte sie bereits mehrfach über die informellen aber effektiven Einwirkungsmöglichkeiten amerikanischer Frauen auf die politischen Geschicke des Landes berichtet.49 Diese Einschätzung legt nahe, dass die Betonung der gesellschaftlichen Stärke der amerikanischen Frau nicht etwa ein Agitationsnarrativ von Antifeminis-ten oder misogynen Reaktionären darstellte, sondern eine unter deutschen Beobachtern weit verbreitete Ansicht.

Beinahe identisch führt denn auch Gustav Frenssen das Beweisverfahren für die These von der politisch übermächtigen Amerikanerin. Er erklärt da-rüber hinaus, es habe sich wegen der »spärlich vorhanden(en)«50 Frauen beim amerikanischen Mann »eine Art Spaniertum«,51 also eine überzogene Kava-lierskultur herausgebildet. Die Vorzugsbehandlung der Frau auf allen Ebenen

internationalen Frauenbewegung und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen. Sie publizierte dazu vor dem Krieg zahlreiche Artikel in einschlägigen Zeitschrif-ten wie »Die Frau« und »Frauenbildung« und fungierte als Kontaktperson zwischen den publizistischen Organen der Frauenbewegungen in den USA, Großbritannien und dem Deutschen Reich.

47 Schmidt: Reisen in die Moderne, 192.

48 Salomon, Alice: Amerikanische Reisebriefe. III. Frau und Mann. In: BTB Nr. 305 vom 01.07.1923, 1 f.

49 So beschreibt Salomon beispielsweise die informelle Einrichtung des Frauenklubs, der auch ohne direkte politische Einflussmöglichkeiten von kommunaler Ebene aus das poli-tische Geschehen beeinflusste. Salomon, Alice: Amerikanischer Winter. Der Klub der Frau. In: VZT Nr. 154 vom 30.03.1924, 4.

50 Frenssen, Gustav: Gustav Frenssen in Amerika. In: FZT Nr. 496 vom 08.07.1923, 1 f.

51 Ebd., 2.

des gesellschaftlichen und politischen Lebens sei dadurch zu einem allgemein-verbindlichen Prinzip amerikanischer Kultur erhoben worden.52 Über die Betonung der Machtstellung amerikanischer Frauen hinaus wird in dieser Zuspitzung die Abwertung des amerikanischen Mannes impliziert. Hier-durch erklären sich sowohl die Schärfe als auch der tatsächliche Adressat von Frenssens Kritik. In Kenntnis seines sonstigen, bezüglich Geschlechterrollen hinreichend ausdrucksstarken literarischen Werkes wird deutlich, dass er den amerikanischen Mann als Schuldigen für die Stärke seiner Landsfrauen aus-machte: als denjenigen, der seiner Aufgabe, der weiblichen Entfaltung Regeln und Begrenzungen aufzuerlegen, aus Gier nach den raren Frauen nicht ge-recht geworden sei. Frenssens These von der Übermacht der amerikanischen Frau steht in einer Kontinuitätslinie mit dem Frauenbild, welches Alexander Schmidt bereits für die wilhelminische Zeit festgestellt hat.53 Die im Gegen-satz zu damals realisierte politische Gleichberechtigung und der tradierte, vermeintlich kulturimmanente hohe Respekt vor der Frau verwoben sich zu einem regelrechten Bedrohungsszenario weiblicher Doppel-Privilegierung. So auch aus Frenssens Sicht:

»Der Respekt vor dem Weibe ist so groß, daß es gefährlich ist, mit einem Weibe vor Gericht zu ziehen; Richter und Volk neigen von vornherein auf die Seite des Weibes […]. Das Leben der Amerikanerin ist selbstständiger als das der Nordeuropäerin. Sie hat gute Stellungen inne, wird von dem Mannsvolk rücksichtsvoller behandelt. Alles ist ihr erlaubt.«54

Auch Beiträger, die dem politischen Engagement amerikanischer Frauen we-niger furchtsam gegenüberstanden, sahen in der Kombination aus informel-lem Einfluss und neu hinzugekommenen formellen Rechten Vorteile. Wolf von Dewall, der seine Reiseberichte 1929 ebenfalls in der FZT veröffentlichte, bewertete die politische Arbeit amerikanischer Frauen gar als sachorientierter, idealistischer und frei von Interessenkonflikten:

»Die Frau ist dort drüben in der Politik ungleich tätiger als der Mann […], die Politik ist eben ein schmutziges Geschäft. Die Politik unter den Männern. Unter den Frauen jedoch hat sie einen hohen idealen Schwung. Die Frau ist stolz darauf, daß sie auf

52 Vgl. ebd.

53 »Dieser hohe Respekt vor den Frauen innerhalb der gesamten Gesellschaft und nicht nur der oberen Schichten gehörte in fast allen Berichten und Studien zum Bild der Geschlechter beziehungen, das gerade in dieser Hinsicht fundamental von deutschen oder europäischen Verhältnissen abstach. Vor allem im Kontext einer sozialen und auch rechtlichen Gleichstellung der Frau mit dem Mann, die vielen Wilhelminern durchaus als ›Vorzugsstellung‹ erschien, fand diese Wahrnehmung ihren Niederschlag.« Schmidt:

Reisen in die Moderne 192.

54 Frenssen, Gustav: Die Amerikanerin. In: VZT Nr. 282 vom 16.06.1923, 2.

keiner lei Geschäftsinteresse Rücksicht zu nehmen braucht, daß sie für sich selber nicht das geringste [sic] will, daß sie arbeitet lediglich für die Sache.«55

Von Dewall geht sogar auf diffuse Ängste ein, Frauen könnten durch ihre politische Arbeit ihren »natürlichen Aufgaben« nicht mehr nachkommen und würden so auf unnatürliche Weise den Männern zu ähnlich:

»Die amerikanische Frau bleibt bei aller politischen Betätigung Weib. Es sind mir in Amerika eine Unmenge Frauen begegnet, die, obwohl Vorsitzende von politischen Vereinigungen oder berufsmäßig politische Arbeiterinnen, elegant und anziehungs-voll, die als Chairmen glänzende Reden hielten, aber doch vorher ihre Verpflichtun-gen als Hausfrauen und Mütter in gewissenhafter Weise erfüllt hatten.«56

Die Tradition politischer Frauenorganisationen wie des Women’s Joint Con-gressional Commitee und anderer würdigt von Dewall ausdrücklich. Er er-kennt jedoch im Frauenwahlrecht das finale Moment für die starke weibliche Teilhabe an nationaler Politik. Er identifiziert spezifische Zielsetzungen, die er direkt auf das Wirken von Frauen in der Politik zurückführt, sowie »weib-liche« Politikstrategien, die auf temporäre Koalitionen setzen:

»Sie erhielt es [das Wahlrecht, D. F.] erst im Jahre 1920 […]. Mit dem neuen Werkzeug hat die Frau seitdem in höchst energischer […] Weise gearbeitet. […] Dem sozialen Ge-biete hatten die Frauen ja schon die ganze Zeit über, als sie noch nicht das Wahlrecht hatten, ihre Hauptaufmerksamkeit gewidmet. Mit der neuen Waffe ausgerüstet aber wurden sie ehrgeiziger. Sie besannen sich darauf, daß die Natur ihnen als Müttern zur Pflicht gemacht hat, die Gattung zu schützen, daß ihr Wesen anders ist als das des zum Kampfe geneigten Mannes. Die Frauen beschlossen, hinfort auch für die Wahrung des internationalen Friedens zu arbeiten. […] Ihre Verbündeten sind dabei die Kirchen. Es ist in Europa nicht hinreichend bekannt, daß die Washingtoner Konferenz des Jahres 1921, die der Welt eine allgemeine Rüstungsbeschränkung bringen sollte, […] großen-teils auf die Tatkraft der amerikanischen Frauen zurückzuführen war.«57

Die politische Ermächtigung der amerikanischen Frau wurde von den meisten Beobachtern als folgerichtiger, evolutionärer Prozess wahrgenommen. Wie aber kam es zu so weitreichender Übereinstimmung hinsichtlich eines derart heftig debattierten Themas? Alle Amerika-Erklärer der Weimarer Zeit dach-ten immerfort die emanzipatorischen Fundamente in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und Verfassung als Ausgangspunkt der Entwick-lung mit. In der Wechselwirkung zwischen deren demokratischen Prinzipien

55 Dewall, Wolf von: Rush. Eine Vortragsreise in den U. S. A. Die Frau. In: FZT Nr. 195 vom 14.03.1929, 1 f.

56 Ebd., 2.

57 Ebd.

und der als frauenfreundlich wahrgenommenen Kultur Amerikas musste in den Augen damaliger Betrachter eine politische Kultur entstehen, die es gera-dezu notwendig machte, dass Frauen sich daran in gleichberechtigter Weise beteiligten.

Unter diesen Vorzeichen scheint es nicht verwunderlich, dass das Inte-resse der Illustrierten an Frauen in der amerikanischen Politik zwar vor-handen, aber angesichts ihrer Fokussierung auf das Außergewöhnliche nicht sonderlich ausgeprägt war. Sporadisch bot man dem Publikum ungewohnte visuelle Eindrücke von Frauen in hohen politischen Ämtern, wie im Falle der texanischen Gouverneurin Miriam Ferguson.58 Auch Versammlungen von Frauenvereinigungen wurden weiterhin thematisiert.59 Doch stehen so-wohl die Anzahl als auch die Qualität solcher Darstellungen in keinem Ver-hältnis zum Medieninteresse, das Frauen im politischen Leben der UdSSR zuteilwurde.

Diese Disproportionalität liegt in der vollkommen anderen Wahrnehmung politisch aktiver Frauen in der UdSSR begründet. Im Gegensatz zu dem als stimmig wahrgenommenen politischen Engagement amerikanischer Frauen brach die politische Sowjet-Frau durch die Revolution von 1917 jäh in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit ein. In der Zusammenschau mit der Revolution erschien die politisch erweckte Frau, die auch in der bolsche-wistischen Lehre eine zentrale Stellung einnahm,60 auch als Inbild der gesamt-gesellschaftlichen Umwälzung. Und wer konnte sich damals schon sicher sein, dass diese auf die Sowjetunion begrenzt bleiben würde? Damit gewann die Inszenierung der »befreite(n) Frau in Rußland«61 unmittelbare Relevanz für die deutsche Öffentlichkeit. Dies galt insbesondere für die kommunistische Presse. Sie war bemüht, die politisch aktive Sowjet-Frau ins kommunistische Schaufenster zu stellen. Auch gemäßigte Illustrierte wollten die umfassende politische Mobilisierung des im Zarenreich politisch, bis auf Revolutionärin-nen und WiderstandskämpferinRevolutionärin-nen,62 beinahe unsichtbar gebliebeRevolutionärin-nen weib-lichen Geschlechts thematisch abdecken.63

58 In der MIP fälschlicherweise als »May« Ferguson bezeichnet. Anon.: Der erste weibliche Gouverneur in Texas. May Ferguson bei ihrer Antrittsrede im Kapitol von Austin (Texas).

In: MIP, 1925, Nr. 13, 216 (Jahresausgabe).

59 Anon.: Der Tag der Frauen. In: MIP, 1926, Nr. 30, 727 (Jahresausgabe).

60 Zu den ideologischen Grundlagen in der »Frauenfrage« und den sozialpolitischen Im-plikationen: Rosenbaum, Monika: Frauenarbeit und Frauenalltag in der Sowjetunion.

Münster 1991, 11–23.

61 Seibert, Theodor: Die befreite Frau in Rußland. In: MIP, 1931, Nr. 19, 611 (Jahresausgabe).

62 Vgl. Boniece, Sally: The Shesterka of 1905–06. The Terrorist Heroines of Revolutionary Russia. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 1 (2010), 172–191.

63 Es hat auch schon vorher politisch aktive Frauen gegeben. Revolutionärinnen machten zum Beispiel durch Attentate und andere Aktionen auf sich aufmerksam. Hier ist die Sichtbarkeit im diskurstheoretischen Sinne gemeint, nicht die schiere Existenz.

Der bis heute am 8. März stattfindende Frauentag bot neben den Maikund-gebungen64 regelmäßig Gelegenheit, auf die politischen Errungenschaften der Frauen in der UdSSR hinzuweisen. Zu diesem Zweck wurden, insbesondere in der AIZ, häufig kommunistische »Frauenführerinnen« vorgestellt.65 Ihre schiere Existenz wurde zum Zeugnis der Erfüllung weiblicher Gleichberech-tigung stilisiert, was als entscheidend für den Erfolg des Kommunismus an-gesehen wurde. Eine Funktionärin trat dabei in doppelter Hinsicht in die deut-sche Öffentlichkeit: Alexandra Kollontai, ehemals führende Revolutionärin, Volkskommissarin für Wohlfahrtsfragen und sowjetische Botschafterin in Norwegen. Kollontai meldete sich in deutschen Tageszeitungen zum Thema Gleichberechtigung zu Wort und fungierte als visuelle Personifizierung des neuen Phänomens politisch aktiver Sowjet-Frauen in den Illustrierten. Sie war als Vorkämpferin für Frauenrechte zugleich Rollenvorbild. Besonders ein Visual in der Berliner »Illustrirten« Zeitung (Abb. 7) sticht dabei heraus.

In der oberen linken Bildecke ist Kollontai am Schreibtisch zu sehen, mit der Rechten einen Stift emporhaltend. Ihre schlichte, strenge Kleidung ver-mittelt Nüchternheit und Klarheit, ihr Blick schweift visionär in die Ferne.

Dass diese Fotografie planvoll und zur Vermittlung einer Botschaft angefertigt wurde, ist evident. Kollontais Blick geht in Richtung ihres Zieles, der Stift ist ihr Mittel zu dessen Verwirklichung. Sie wird in der Pose der Rechtssetzerin gezeigt, beseelt von der Vision eines Sozialismus ohne Unterschied zwischen Klassen und (vor allem) Geschlechtern. In puncto Idealismus zeigt sich hier eine Analogie zur Darstellung amerikanischer Politikerinnen. Kollontai er-scheint als Frau, die in ihrer Arbeit die eigenen Ideale kompromisslos realisiert und durch ihr politisches Handeln der Vision von der vollkommenen Gleich-stellung aller Frauen zum Erfolg zu verhelfen sucht.

Das Visual auf der rechten Seite zeigt Kollontai in ihrer Funktion als Diplo-matin. Als weltweit erste akkreditierte Botschafterin führte sie der deutschen und internationalen Öffentlichkeit vor Augen: Die von Lenin zu einem Haupt-ziel der Revolution erklärte politische Emanzipation der Frau war nicht nur programmatische Vision, sondern war in vollem Gange. Gut sichtbar mit einer Urkunde, dem Signum des Diplomaten,66 dargestellt, ist sie ein Beispiel dafür, wie offizielle Funktionen und ihre traditionelle geschlechtsspezifische Konno-tation auch symbolisch aufgebrochen wurden. Dies wurde in den Redaktionen der BIZ und anderer Illustrierter nicht zwangsläufig als der wichtigste Aspekt

64 Unter anderem: Anon.: Frauen im Zuge der Maikundgebung des Moskauer Proletariats.

In: AIZ, 1922, Nr. 7, 52 (Jahresausgabe).

65 Unter anderem: Anon.: Russische Frauen. Kasparowa, die Führerin der kommunistischen Frauen. In: AIZ, 1927, Nr. 7, 8 f.

66 Das Monokel, welches man ebenfalls gut sehen kann, ist nicht Teil der ursprünglichen Fotografie und damit auch kein deutbarer Bestandteil – es wurde mit Bleistift in die Ori-ginalausgabe gemalt.

angesehen. Die politisch aktive Frau wurde auch hinsichtlich anderer, ver-meintlich »weiblicher« Maßstäbe betrachtet:

»Die erste Botschafterin: Die elegante Frau Kollontai (mit modernstem Umhang und Damenzylinder) als Botschafterin der russischen Sowjet-Republik in Christiania, auf dem Wege zum König, dem sie ihr Beglaubigungsschreiben überreichte.«67

Das Beispiel der Kollontai sticht aus der Masse der namentlich Unbekannten heraus, die in der Berichterstattung über Frauenkongresse der

Mehrheitsfrak-67 Anon.: Die Frau in der Politik. In: BIZ, 1924, Nr. 40, 1083 (Jahresausgabe).

Abb. 7: Anon.: Die Frau in der Politik. In: BIZ, 1924, Nr. 40, 1083. Die Revolutionärin und Diplomatin Alexandra Kol-lontai wurde als tatkräftige und selbstbewusste Karrie-refrau dargestellt.

tion der Kommunistischen Partei Russlands – kurz: KPR (B) – gezeigt wurden.

Diese Berichte repräsentieren die häufigste Form visueller und textueller Insze-nierung politisch aktiver Frauen in der UdSSR.68 Die sogenannten »Deletkas«

wurden mit geballter Faust am Rednerpult oder auf Gruppenbildern gezeigt.

Die Bildsprache transportiert durchweg die Botschaft von politischer Be-freiung und dem neuen Selbstbewusstsein, das Frauen in den entsprechenden Parteiorganisationen entwickelten. Dieses primär geschlechtsbezogene Eman-zipationsmoment korrespondiert beinahe immer mit einem klassenbezoge-nen. Diese erzählte Koinzidenz von Frauen- und Klassenemanzipation erzeugt ein Wahrnehmungsmuster von sich gegenseitig bedingenden Phänomenen derselben Gesamtentwicklung. Frauen und Arbeiter, so das Narrativ, gelangen durch den Bolschewismus zu ihrem Recht – jeder und jede gegen die jeweili-gen Unterdrücker. Zahlreiche Fotografien von Teilnehmerinnen der Frauen-kongresse explizieren diesen Zusammenhang ebenso wie Textpassagen. Das

Die Bildsprache transportiert durchweg die Botschaft von politischer Be-freiung und dem neuen Selbstbewusstsein, das Frauen in den entsprechenden Parteiorganisationen entwickelten. Dieses primär geschlechtsbezogene Eman-zipationsmoment korrespondiert beinahe immer mit einem klassenbezoge-nen. Diese erzählte Koinzidenz von Frauen- und Klassenemanzipation erzeugt ein Wahrnehmungsmuster von sich gegenseitig bedingenden Phänomenen derselben Gesamtentwicklung. Frauen und Arbeiter, so das Narrativ, gelangen durch den Bolschewismus zu ihrem Recht – jeder und jede gegen die jeweili-gen Unterdrücker. Zahlreiche Fotografien von Teilnehmerinnen der Frauen-kongresse explizieren diesen Zusammenhang ebenso wie Textpassagen. Das