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Taylorismus und Fordismus in der Kritik

I. Einführung

1. Kultur der Rationalisierung und Rationalisierungskulte

1.2 Taylorismus und Fordismus in der Kritik

Mit den neuen amerikanischen Produktionsmethoden schien die Zukunft un-aufhaltsam Einzug in die deutsche Wirtschaft zu halten. Dies veranlasste die Zeitungen, sich dem Thema zunächst auf instruktive Weise zu nähern. Dem deutschen Publikum sollten die grundlegenden Prinzipien des Taylorismus an Hand konkreter Anwendungsbeispiele dargelegt werden.36

Wie in heutigen Beiträgen zu technologischen Neuerungen auch, war den Beiträgern selten (nur) daran gelegen, über die neuen Methoden wertneutral aufzuklären. Meist waren entsprechende Ausführungen mit Grundsatzkri-tik versehen. Entweder wurde die Übertragbarkeit von Taylors Grundsätzen auf die deutsche Arbeitslandschaft in Zweifel gezogen oder die »Entseelung der Arbeit im Gleichtakt der Maschinen«37 beklagt. Letztere konstatierten Konservative übrigens ebenso wie Kommunisten, die ihre Kritik mit Marx

35 Vgl. Stollberg, Gunnar: Die Rationalisierungsdebatte 1908–1933. Freie Gewerkschaften zwischen Mitwirkung und Gegenwehr. Frankfurt a. M. 1981, 45 f.

36 Zum Beispiel: »Die Mittel, deren sich das Taylor-System bedient, bestehen im genauen Studium und der sich daraus ergebenden Vereinfachung der Arbeitsvorgänge sowie in der Prüfung der Arbeiter, um für jeden die seinen Fähigkeiten am besten angemessenen Tä-tigkeit zu finden. Es entsteht so ein neues Gebiet der ›Wissenschaft der Arbeit‹, das oft mit verblüffend einfachen Hilfsmitteln Ueberraschendes erzielt. In einem Falle z. B. wurde in althergebrachter Weise Kohlen geschaufelt. Um zu ergründen, wie man die Tages-leistung steigern könne, wurden Versuche mit Schaufeln verschiedener Größe gemacht.

Es zeigte sich, daß die beste Leistung mit einer Schaufel erzielt wurde, die 9,5 Kilo faßte.

Diese Schaufel wurde dann Normalschaufel und als solche dem spezifischen Gewicht der Last angepaßt.« Neuburger, Albert: Das Taylor-System. Das vielumstrittene Verfahren zur Erhöhung und Überprüfung der Arbeitsleistung. In: BIZ, 1919, Nr. 21, 182 f. (Jahres-ausgabe). Vgl. auch: »Die Erforschung der menschlichen Leistungsfähigkeit und ihrer Grenzen ermöglicht die Aufstellung eines genauen Arbeitsplanes für die Zusammen-arbeit von Mensch und Maschine, Vermeidung von Zeitverlusten, genaue Bestimmung der Lieferfristen und Sicherung des dem Arbeiter gebührenden Tagesverdienstes. Durch Einführung der Bewegungs- und Zeituntersuchung schiebt sich die mit der Ermüdungs- und Pausenbeobachtung verknüpfte Frage der Arbeiterauslese in den Vordergrund: ›Der rechte Mann soll an die rechte Stelle gebracht, jedermann die für ihn am besten geeignete Tätigkeit zugewiesen werden Weiß, Artur: Taylorismus. In: MNN Nr. 306 vom 24.07.1922, 1.

37 Ebd.

wirtschaftsphilosophisch unterfüttern konnten. »Blödsinn« und »Cretinis-mus« durch seelenlose Maschinenarbeit, so hatte Marx vorausgesagt, sei der Preis der Arbeiter für die »Wunderwerke der Reichen«.38 Anderen Diskursteil-nehmern war die lückenlose Durchleuchtung des Arbeitsprozesses aber auch schlicht »zu amerikanisch«, im Sinne einer übertriebenen Empirie.

Das Odeur der Aufklärung schwang in der Erörterung des Taylorismus spürbar mit. Die empirische Erfassung des Arbeitsprozesses, die konsequente Umsetzung gewonnener Erkenntnisse in konkrete Arbeitsanweisungen und auch der amerikanische Ursprung fügten die Erkenntnisse Taylors nahtlos in die aufklärerische Entwicklungslogik ein. Vielfach wurde der kühl kal-kulierende Taylorismus dem romantisierten Bild hochmittelalterlicher deut-scher Handwerkstradition gegenübergestellt.39 Dahingehende Kritik konnte in Deutschland, genauer im katholisch-konservativen Milieu, auch an die tradierte Skepsis gegenüber den politischen und humanistischen Idealen der Aufklärung anknüpfen. Im nationalkonservativen Spektrum verhinderte die von Jeffrey Herf unter dem Begriff »Reactionary Modernism« zusammenge-fasste Traditionslinie die vollumfängliche Aufnahme des Gedankenguts der Aufklärung in den Kanon deutscher Kultur. Damit wurde »Kultur« in jenem Milieu als konzeptueller Gegenbegriff zur »Zivilisation« im Sinne der Auf-klärung gebraucht.40

Dem plakativsten Beispiel für wissenschaftliche Betriebsführung nach dem Taylor-Prinzip gab deren berühmtester Anwender seinen Namen: Henry Ford.

Doch die wenigsten Beiträge, die den Begriff »Fordismus« im Titel trugen, adressierten auch tatsächlich dessen weit über Taylors Grundsätze hinaus-reichenden Ansatz. Umgekehrt wurde die Fließbandfertigung Fords vielfach unter den Begrifflichkeiten der Taylorismus-Debatte subsumiert. Beide Be-griffe wurden konvertibel benutzt. Die Faszination Fords und die Gravitation des Sammelbegriffs Fordismus war allerdings enorm. Während die »Ford- Invasion«41 den Automobilmarkt revolutionierte, verbreiteten Wirtschafts-kolumnen eine umfassende Ford-Konfusion. Schrieben Beiträger unter der Überschrift Fordismus, beschrieben sie meist den Taylorismus, also die

Op-38 Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. In: Philosophische Bibliothek, Bd. 559. Hamburg 2008, 58 f.

39 »All diese Untersuchungen, Messungen und Feststellung haben ein gemeinsames Ziel:

den Wirkungsgrad der persönlichen und sachlichen Betriebsmittel bis zur Höchstgrenze zu steigern. Aus diesem Grunde hat Taylor mit der Ueberlieferung des alten Meisterwe-sens gebrochen und Fachmeister geschaffen, die sich teils mit der Arbeitsvorbereitung, teils mit der Arbeitsausführung innerhalb des ihnen zugewiesenen engeren Wirkungs-kreises zu befassen haben.« Weiß: Taylorismus, 1.

40 Herf, Jeffrey: Reactionary Modernism. Technology, culture, and politics in Weimar and the Third Reich. New York u. a. 1984, 1 f.

41 Anon.: Ford-Invasion. In: MIP, 1924, Nr. 33, 583 (Jahresausgabe).

timierung der Arbeit durch das Studium ihrer Abläufe, die Standardisierung von Werkstücken und die kleinteilige Zerlegung des Arbeitsprozesses. Die ent-scheidende Weiterentwicklung des Taylorismus zum Fordismus besteht aber in der Erweiterung zum sozialpolitischen Konzept: Großzügige Lohnstruk-turen und die Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sollte neben einer ausgeprägten Dienstleistungsorientierung auch die soziale Be-friedung der Arbeiterschaft sicherstellen.42 Diesen Unterschied stellte Henry Ford persönlich durch eigene Gastbeiträge in deutschen Zeitungen heraus, die im nächsten Teilkapitel besprochen werden.

Einzig die flächendeckende Einführung des Fließbandes als Symbol für die rationalisierte Industrie schlechthin wurde im deutschen Kontext als ori-ginärer Beitrag Fords dargestellt.43 Die dahingehende Diskussion wies zwar ebenfalls begriffliche Unschärfen auf. Jedoch zeichnete sie die Verschmelzung der Prinzipien empirisch fundierter Arbeitsaufteilung (Taylor) und fließender Fertigung (Ford) in Deutschlands Fabrikhallen reflektiert und kritisch nach.

Presseartikel zu Funktionsweise und Auswirkungen des Fließbandes be-schrieben Material, Maschine und Mensch als niemals rastende Glieder eines integrierten Herstellungsvorgangs. Leidenschaftliche Kritik provozierte dabei die fundamentale Veränderung der Rolle des einzelnen Menschen im Arbeits-prozess. Durch die Taktvorgabe des Fließbandes schien das menschliche Ele-ment in fortschreitendem Maße entbehrlich zu werden.

»Das laufende Band« war der Titel zweier Ausgaben der FZT -Reiseberichts-serie »Amerika-Europa«44 von Arthur Feiler, der als gelernter Wirtschafts-journalist die USA bereiste.45 Er beschrieb Amerika als einen durch Dreh-kreuze, Selbstbedienung und Supermärkte entpersonalisierten öffentlichen Raum und übertrug so die Rationalisierungskultur von den Fabrikhallen auf den dortigen Alltag.46 Besonders kritisierte Feiler die Degradierung des Men-schen zum bloßen Impulsempfänger des Fließbandrhythmus:

42 Vgl. Fehl, Gerhard: Welcher Fordismus eigentlich? In: Bittner, Regina / Brüning, Hen-ning (Hg.): Zukunft aus Amerika. Fordismus in der Zwischenkriegszeit. Siedlung, Stadt, Raum. Berlin 1995, 22 f.

43 Zuvor hatten bereits Schlachthöfe in Chicago Beförderungsschienen, beziehungsweise in Deutschland die Großbäckerei Bahlsen Fließbänder in der Produktion verwendet. Die flächendeckende Anwendung und Einführung in Deutschland erfolgte aber dennoch durch Fords Inspiration.

44 Erstmalig: Feiler, Arthur: Amerika-Europa. In: FZT Nr. 644 vom 30.08.1925, 1 f. Es folg-ten im Wochenrhythmus weitere, jeweils auf bestimmte Aspekte amerikanischer Politik, Wirtschaft und Kultur fokussierende Artikel.

45 Feiler hatte vor dem Krieg breit rezipierte Abhandlungen zum Bankenwesen und der wirtschaftlichen Entwicklung im Kaiserreich veröffentlicht bevor er zur FZT wechselte.

Unter anderem: Feiler, Arthur: Die Probleme der Bankenquete. Jena 1908. Und: Ders.: Die Konjunktur-Periode 1907–1913 in Deutschland. Jena 1914.

46 Vgl. Feiler: Amerika-Europa. Das laufende Band – I. In: FZT Nr. 800 vom 27.10.1925, 1 f.

»Der Umschlag im Charakter des Conveyors aber aus einem einfachen Transport-mittel zum tyrannischen Gebieter der an ihm tätigen Menschen liegt einfach darin, daß die Arbeit, weil sie am laufenden Bande vor sich geht, sich nun auch ihr Tempo von dem Tempo des Bandes diktieren zu lassen hat. Das Tempo, in dem das Band sich dreht, bestimmt unwidersprechbar auch das Tempo, in dem die Menschen sich zu rühren haben.«47

»Die völlige Entsinnung« der menschlichen Arbeit liege darin begründet, dass

»die Arbeiter und Arbeiterinnen an dem Bande sitzen« und mit bloßen Teil-arbeiten beschäftigt seien, »deren Zweck ihnen gänzlich verborgen ist, weil sie niemals sehen, was vorher geschah und was nachher daraus wird.«48 Feiler war zwar das Gegenteil eines Marxisten, seine Kritik entspricht dennoch beinahe im Wortlaut der Marxschen Entfremdungsthese.49 Feiler teilt damit in diesem Punkt die von Marxisten am zeitgenössischen Produktionsprozess geübte Kri-tik voll und ganz. Taylor selbst hatte diesen Aspekt in seiner Originalschrift üb-rigens mehrfach und an prominenter Stelle thematisiert. Er sah sogar die Ermu-tigung der Arbeiter zur Eigeninitiative innerhalb seines Produktionskonzepts besser verwirklicht als in den hergebrachten Organisationsformen.50

Die Kritik an der Degradierung des (Industrie-)Arbeiters durch die Ra-tionalisierung wurde also lagerübergreifend formuliert. Werner Mahrholz,51 freier Journalist und Literaturwissenschaftler, relativierte in der Vossischen Zeitung (VZT) jene weithin geteilte Grundsatzkritik und mahnte zur Diffe-renzierung. Erstens sei »die Rückwirkung auf die Menschen nicht eine so

ge-47 Ders.: Amerika-Europa. Das laufende Band – II. In FZT Nr. 812 vom 31.10.1925, 1 f.

48 Ebd.

49 »Arbeitslohn ist eine unmittelbare Folge der entfremdeten Arbeit, und die entfremdete Arbeit ist die unmittelbare Ursache des Privateigentums.« Marx, Karl: Ökonomisch-phi-losophische Manuskripte (1844). In: Ders. / Engels, Friedrich: Werke. Bd. 40 (Schriften bis 1844). Berlin 1990, 465–588, hier 520.

50 »Es mag scheinen, als ob bei dem neuen System nicht derselbe Anreiz für den Arbeiter bestünde, seine Intelligenz zur Ersinnung neuer und besserer Arbeitsmethoden […] an-zustrengen, als unter dem alten System […]. Er soll jedoch auf jede Weise dazu ermuntert werden, Verbesserungen in den Methoden und in den Werkzeugen vorzuschlagen. Die Leitung sollte es als eine ein für allemal feststehende Regel betrachten, jede Verbesserung, die ein Arbeiter anregt, sorgfältig zu prüfen […]. Auf diese Weise wird der gute Wille, das wahre Selbstinteresse (initiative) [sic] der Arbeiter unter wissenschaftlich-methodischer Leitung eher zur Betätigung veranlasst als unter dem alten System.« Taylor, Frederick Winslow: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. München 1919, 136 f. Vgl.

dazu auch: Hebeisen, Walter: F. W. Taylor und der Taylorismus. Über das Wirken und die Lehre Taylors und die Kritik am Taylorismus. Zürich 1999, 158 f.

51 Mahrholz beschäftigte sich mit Autobiographieforschung sowie dem literarischen Wert der Erzählungen Karl Mays. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: Mahrholz, Werner:

Karl May. In: Das literarische Echo. Jg. 21, Nr. 3. Stuttgart 1918, 130 f., sowie Ders.: Der Wert der Selbstbiographie als geschichtliche Quelle [1919]. In: Niggl, Günther (Hg.): Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung. Darmstadt 1998, 72–74.

fährlich, seelisch-entleerende-stumpf-machende«52 wie man annehme. Zwei-tens sei bei Ford im Unterschied zum Taylor-Prinzip festzustellen:

»Dies Ziel der Wirtschaft aber ist – nach einem alten Wort des Begründers der Krupp-Werke: das Gemeinwohl. Die Wirtschaft beginnt sich aus ihrer Isolierung, ihrer Selbstgenügsamkeit zu lösen. Zumindest als Forderung erscheint die Idee eines ›ge-rechten Preises‹, meldet sich die Idee des ›Dienstes‹. Geschäft muß – auf die Länge hin gesehen – Dienst am Käufer sein. So und so allein bleibt es rentabel. Das ist die Lehre des ›Fordismus‹.«53

Mahrholz löst sich von der Ebene der Produktionsorganisation und richtet die Perspektive auf den Fordismus als volkswirtschaftliche Methode mit sozial-politischer Dimension. Es sei an der Zeit, »diese Wirtschaftsmethode – und das ist die Fließarbeit eigentlich, und nicht nur eine rein fabrikatorische Ange-legenheit des Technikers – einmal in allen ihren Auswirkungen zu erörtern.«54 Von der fordistischen Logik ausgehend, auch einfach qualifizierte Arbeitneh-mer sollten durch hohe Löhne zu Kunden werden, leitet er außerdem einen Grundsatz amerikanischer Arbeitskultur ab: »Jedermann hat das Gefühl, eine

›Chance‹ zu haben, aufsteigen zu können durch Tüchtigkeit, nicht gehemmt zu sein durch traditionelle Vorurteile.«55 Mahrholz glaubte, der Fordismus löse den Antagonismus von Arbeit und Kapital auf.

Als volkswirtschaftliches Modell erschien dies für Teile der deutschen Lin-ken interessant, wobei sich zwei Lager gegenüberstanden. Eines sah in der Lohn- und Konsumlogik des Fordismus die Möglichkeit, das Wirtschafts-system von der Dominanz des Kapitals zu befreien und in eine Ordnung sozialistischer Prägung zu überführen. Das andere erkannte keinen Unter-schied zwischen Taylorismus und Fordismus, sondern sah beide als letztes Aufbäumen des Kapitalismus, den es ohne Kompromisse zu zähmen gelte.56

Hier berührten sich die politischen Extreme: Auch die Nationalsozialis-ten versprachen sich viel vom Fordismus. Sein Rezept für sozialen Ausgleich durch Wirtschaftsdirigismus ergänzte die rudimentäre Wirtschaftsagenda der NSDAP. Bei der programmatischen Übernahme ging man jedoch selektiv vor. Die laut Ford unabdingbare freie Marktumgebung wurde von den Natio-nalsozialisten als störendes Beiwerk empfunden, das um des sozialen Friedens willen unter den Tisch fallen konnte. Die fordistische Moderne war den

Ra-52 Mahrholz, Werner: Fordismus und Fordisation – Was ist es mit der Fließarbeit? In: VZT Nr. 137 vom 22.03.1926, 5.

53 Ebd.

54 Ebd.

55 Ebd.

56 Vgl. Rodriguez-Lores, Juan: Linkes Denken und Fordismus. Lenin und Gramsci. In: Bittner, Regina / Brüning, Henning (Hg.): Zukunft aus Amerika. Fordismus in der Zwischen-kriegszeit. Siedlung, Stadt, Raum. Berlin 1995, 45 f.

dikalen aller Richtungen willkommen, solange sie sich dem jeweiligen ideo-logischen »Hausstand« anpassen ließ. AIZ und ILB als Organe dieser beiden Extrempositionen übten dennoch drastische Kritik am »amerikanistischen«

respektive »kapitalistischen« Rationalisierungsmodell. In der AIZ übersetzte sich dies in die Losung: »Der Kapitalismus gebraucht die Technik zur Verskla-vung der Menschen. Der Sozialismus zu ihrer Befreiung.«57

Die vermeintlich zwangsläufig durch Kapitalismus und Rationalisierung bedingte Verelendung der Arbeiterschaft fand neben solchen Parolen auch visuell ihren Ausdruck, wie ein Beitrag von 1931 zeigt (Abb. 2). Hier kommt abermals eine (foto-)grafische Kaskade zur Anwendung, die eine Verdrän-gung des Menschen aus dem Produktionsprozess symbolisiert. Beigefügte Textversatzstücke suggerieren zusammen mit absteigend angeordneten Visu-als die zynische Entsorgung nicht weiter benötigter Arbeiter. Das erste Visual links oben zeigt eine traditionelle Zigarettenmanufaktur, für die »hunderte von gelernten und ungelernten Tabakarbeiterinnen« nötig gewesen seien, während »heute eine Zigarettenmaschine automatisch in einer Stunde 40000 Zigaretten«58 herstelle, wozu nur zwei Arbeitskräfte gebraucht würden. Das letzte Glied dieser visuellen Kaskade zeigt arbeitslose Tabakarbeiterinnen, die desillusioniert und hilfesuchend an einem Tresen stehen, mutmaßlich in einer Filiale des Reichsamts für Arbeitsvermittlung.

Die Visuals werden durch exponierte Bildunterschriften verstärkt, die den gezeigten Prozess in Schlagworte zusammenfassen. Im eigentlichen Haupttext wird die Problematik weiter ideologisch perspektiviert. Die Bildunterschrif-ten entfalBildunterschrif-ten durch ihre Anordnung eher eine visuelle denn eine textuelle Wirkung. Nach den beschriebenen Visuals aufgeteilt lauten sie: »Die Arbeits-kraft des Menschen« (erstes Visual) »wird durch Maschinen ersetzt« (zweites Visual) – »Der Arbeitslose kann verhungern« (Drittes Visual).59

Diese suggerierte Zwangsläufigkeit wurde im nationalsozialistischen Spek-trum mit ähnlich unerbittlicher Metaphorik verdeutlicht. Unter der Über-schrift »Maschinen fressen Menschen«60 wird vor den Auswirkungen tech-nologischer Innovationen im heimischen produzierenden Gewerbe gewarnt.

Ursachen und Struktur der Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten werden als Beweis für die Gefahren amerikanischer Produktionsmethoden angeführt.

Erstaunlich aktuell anmutende Schlüsselbegriffe wie »Technological un-employment«61 bekräftigen die Kausalität zwischen Maschineneinsatz und

57 Anon.: Rummelsburg. In: AIZ, 1927, Nr. 3, 2.

58 Ebd.

59 Ebd.

60 Anon. (Re.): Maschinen fressen Menschen. In: ILB, 1930, Nr. 40, 695 (Jahresausgabe).

61 Ebd.

steigender Arbeitslosigkeit.62 Auch die soziale Asymmetrie des technologisch getriebenen Wachstums wird problematisiert: Niedrig qualifizierte Immig-ranten und Einheimische litten besonders unter den Folgen des Maschinen-einsatzes, während sich die Gewinne bei Unternehmern, Börsenspekulanten und Investoren konzentrierten, klagte der Illustrierte Beobachter an gleicher Stelle. Doch wo stand der ILB im Meinungsspektrum zwischen Rationalisie-rungskritik und Ford-Verehrung? Vorhandene Schnittmengen zwischen der NS-Wirtschaftsprogrammatik und dem Fordismus spiegelten sich im Blatt nicht explizit wider. Fords Auffassung von Arbeit als Dienst am Gemein-wohl teilten führende Nationalsozialisten beispielsweise vollumfänglich.63 Die ambivalente veröffentlichte Haltung der Nationalsozialisten in dieser Sache erklärt sich aus den zum Veröffentlichungszeitpunkt 1930 horrenden

Arbeits-62 Unter anderem: »Eine einzige Arbeiterin, die eine moderne Spinnmaschine betätigt, kann beispielsweise während eines Achtstundentages so viel Garn spinnen, als eine Armee von 45000 Hausfrauen vor 150 Jahren von ihren Spinnrollen innerhalb eines Tages abrollen konnten.« Ebd.

63 Vgl. dazu: Kocka, Jürgen: Ambivalenzen der Arbeit. In: Buggeln, Marc / Wildt, Michael:

Arbeit im Nationalsozialismus. München 2014, 30.

Abb. 2: Anon.: Kapitalistische Rationalisierung. In: AIZ, 1931, Nr. 1, 4 f. Das Industrie-konglomerat Rummelsburg mit dem Heizkraftwerk, dem Eiswerk und den zahlreichen dort angesiedelten Industriebetrieben zum Symbol für die Menschenverachtung »ka-pitalistischer« Rationalisierung stilisiert.

losenzahlen. Propagandistisch musste eine klare Abgrenzung zu effizienz-steigernden Methoden sichergestellt sein.

Ideologisch akkommodierte Versionen des Rationalisierungskonzepts nah-men in den wirtschaftsdirigistischen Entwürfen sowohl der Nationalsozialis-ten als auch der KommunisNationalsozialis-ten eine zentrale Stellung ein. Die Sichtweise auf das Zeitphänomen beschränkte sich also auch bei den politischen Extremen nicht auf unumwundene Ablehnung. Rationalisierung war sogar ausdrücklich positiv besetzt, wenn ihre Mittel den jeweils ideologisch definierten Zweck des »sozialen Friedens« heiligte. Die Vorstellung der Rationalisierung als Ver-wirklichungsgrundlage einer wünschenswerten Moderne fand Unterstützer über das gesamte politische Spektrum hinweg. Das Rationalisierungskonzept konnte gleichermaßen liberaldemokratisch-kapitalistisch oder eben nach den antiliberalen Lesarten des Nationalsozialismus und Bolschewismus ausgelegt werden, wie noch genauer zu zeigen sein wird.64