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Massenmedien und Gesellschaft

I. Einführung

3. Die Quellen

3.4 Massenmedien und Gesellschaft

Nach der Betrachtung einzelner Publikationen soll nun der rechtliche, poli-tische und gesellschaftliche Rahmen abgesteckt werden, innerhalb dessen sich die deutsche Presse zwischen 1918 und 1933 bewegte. Zwischen der Mi-litärzensur des Ersten Weltkriegs und der »Gleichschaltung« verfügten die Massenmedien in der Republik über relativ große Freiheit und wirkten daher ungefiltert auf den gesellschaftlichen und politischen Diskurs ein.97 Hinzu kam die bereits seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts anhaltende und sich seit der Jahrhundertwende stetig beschleunigende mediale Expansion.

Diese vollzog sich qualitativ (Darstellungsmöglichkeiten) wie quantitativ (Zirkulation und Auflage). Damit ging eine direkte Transmissionswirkung zwischen medial produziertem und rezipiertem Geschehen und dem Alltags-erleben der Bevölkerung und politischer Entscheider einher. Kurz: Massen-medien waren durch ihre gewachsene Bedeutung in der Lage, politische und gesellschaftliche Debatten stärker denn je mit der öffentlichen Meinungs-bildung zu verzahnen. Meinung formierte sich maßgeblich im Kontext der Massenmedien.

Dennoch waren den medialen Entfaltungsmöglichkeiten und der verfas-sungsmäßig garantierten Pressefreiheit Grenzen gesetzt. Diese wurden in Ar-tikel 118 der Weimarer Reichsverfassung aufgeführt. Im zweiten Absatz des Artikels sah der Gesetzgeber Einschränkungen bezüglich jugendgefährden-der Erzeugnisse, jugendgefährden-der sogenannten »Schund- und Schmutzliteratur« vor. Zwar hatte der Rat der Volksbeauftragten um Friedrich Ebert am 12. November 1918 feierlich verkündet, eine Zensur der Presse finde von nun an nicht mehr statt und die »Meinungsäußerung in Wort und Schrift« sei »frei«98. Staatliche Eingriffsrechte in die Pressefreiheit bestanden jedoch fort. Der berüchtigte Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung gestattete dem Reichspräsidenten

97 Zur Militärzensur während des Ersten Weltkriegs: König, Marcus: Agitation, Zensur, Propaganda. Der U-Boot-Krieg und die deutsche Öffentlichkeit im Ersten Weltkrieg.

Stuttgart 2014, 92 f.

98 Koszyk, Kurt: Deutsche Presse 1914–1945. Berlin 1972, 28. Diese Festlegung bildet die Grundlage für Artikel 118 der Weimarer Reichsverfassung, der folgendermaßen lautete.

»(1) Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht. (2) Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. Auch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig.«

»zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« auch ex-plizit Eingriffe in die Pressefreiheit.99

Vage, recht freizügig anwendbare Zensurregelungen bestanden auch hin-sichtlich juristisch unscharfer Tatbestände wie Geheimnisverrat oder persön-licher Ehrabschneidung. Diese Regelungen griffen, wenn die Berichterstattung die Rüstung der Reichswehr berührte, letztere öffentlich verunglimpft wurde oder der Tatbestand übler Nachrede als erfüllt angesehen wurde. Bei medialer Justizkritik wurde häufig von diesem rechtlichen Mittel Gebrauch gemacht.100 Dies führte zu einer mittelbaren Kontrolle der Presse durch Organe der Exe-kutive. Die nahm sich immer wieder das Recht, gegen kritische Pressebericht-erstattung über den Umweg des Tatbestands der üblen Nachrede vorzugehen – mit durchwachsenem Erfolg.101 Vor allem links- und rechtsradikale Blätter wurden mittels der fortbestehenden Eingriffsrechte für längere Zeiträume an der Publikationstätigkeit gehindert.

Neben rechtlichen Beschränkungen existierten willkürlich herbeigeführte Einschränkungen in Form krimineller Sabotageakte. In den ersten Jahren der Republik besetzten häufig politische Kampfverbände – radikale Linke ebenso wie die rechten Kräfte des Kapp-Putsches – Redaktionen und Druckereien oder zerstörten technische Ausstattung. So versuchten sie missliebige Ver-öffentlichungen zu verhindern oder propagandistische Botschaften unters Volk zu bringen.102 Zumindest zeitweise war dadurch die Arbeit der Presse stark eingeschränkt.

Ein internes, nicht minder problematisches Strukturmerkmal des Weimarer Pressemarktes war die Pressekonzentration. Diese bestand in der Vereinigung zahlreicher Einzelpublikationen in Mediensyndikaten, etwa denen von Alfred Hugenberg oder Willi Münzenberg. Beträchtliche Teile des Medienspektrums unterlagen durch die politischen Ambitionen solcher Medienunternehmer de facto politischer Lenkung. Mangels unabhängiger Kontrolle nutzten die Pressekartelle ihre Macht zur weiteren Polarisierung der ohnehin stark frag-mentierten politischen Landschaft. Besonders am Beispiel Hugenbergs wird

99 Genauer Artikel 48, Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung. Hier wurden die Bestim-mungen zur Presse- und Meinungsfreiheit, die unter Artikel 118 garantiert wurden für den Fall außer Kraft gesetzt, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört seien:

»(2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentli-chen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderliöffentli-chenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.«

100 Vgl. Petersen, Klaus: Zensur in der Weimarer Republik, 114 f.

101 Vgl. ebd., 116.

102 Dussel, Konrad: Deutsche Tagespresse im 19. und 20. Jahrhundert. Münster 2004, 123.

dies greifbar. Seine politischen und medialen Aktivitäten verband Hugenberg ganz selbstverständlich im Sinne der nationalkonservativen Sache.103

Jenseits der rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen bestimmten die inneren Gesetzmäßigkeiten der Massenmedien ihre Wirkung auf die deutsche Gesellschaft. Innerhalb des Pressegefüges wirkten populäre Illustrierte ebenso wie staatstragende Tageszeitungen auf die öffentliche Meinung ein. Sie stan-den nicht, wie heutzutage, gleichbedeutend neben anderen Kommunikations-kanälen wie Radio, Fernsehen oder Internet. Sie waren der Ort öffentlicher Diskurse schlechthin.104 Dieser Umstand qualifiziert die 1920er Jahre als das

»Jahrzehnt der Presse«105.

Die Verflechtung von Presse und Politik hatte symbiotischen Charakter.

Politische Handlungen und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse der Zeit sind ohne die sie begleitende Medienberichterstattung nicht zu verstehen.106 Zeitschriften und Zeitungen aller politischen Orientierungen wirkten nicht einfach am öffentlichen Meinungsbildungsprozess mit. Vielmehr formten sie oftmals erst die Realitäten, auf die sich gesellschaftliche Aushandlungs-prozesse bezogen. Auch politisches Handeln vollzog sich zu erheblichen Tei-len als Reaktion auf Medienwirklichkeiten. Skandalisierende Sensationsbe-richterstattung schuf neue politische Problemlagen. Zu ihnen mussten sich politische Entscheider und gesellschaftliche Akteure verhalten, wollten sie verhindern, dass sich die mediale Dynamik gegen sie selber richtete.107 Dass die Medienwirklichkeiten der Zwischenkriegszeit auch Regeln und Strategien der gesellschaftlichen und politischen Mobilisierung veränderten, wurde hier am Beispiel der visuellen Mobilisierungsstrategie der AIZ bereits erwähnt.108 Außerdem wurden politische Ereignisse und Fragen der Legitimität politi-scher Macht aus weltanschaulicher Motivation heraus verformt, relativiert

103 Dazu: Holzbach, Heidrun: Das »System Hugenberg«. Die Organisation bürgerlicher Sammlungspolitik vor dem Aufstieg der NSDAP. Stuttgart 1981.

104 Dazu: Fulda, Bernhard: Industries of Sensationalism: German Tabloids in Weimar Ber-lin. In: Führer, Karl Christian / Ross, Corey (Hg.): Mass Media, Culture and Society in Twentieth-Century Germany. New York 2006, 183–203, hier 185.

105 Vgl. ebd., 184.

106 Dazu: Fulda, Bernhard: Press and Politics in the Weimar Republic. Oxford 2009.

107 Diesen Umstand erhellende Arbeiten stammen von Martin Kohlrausch und Thomas Mergel, die ausgehend vom politisch-publizistischen Komplex enger umgrenzte Themen zur Analyse auswählen. Bei Kohlrausch ist dies die gesellschaftliche Wirkung von Skan-dalen an der Schnittstelle von Gesellschaft, Politik und Presse im Kontext des wilhelmi-nischen Kaiserreiches. Thomas Mergel stellt die mediale Vermittlung von Politik(ern) und die Rolle der Medien im Prozess der politischen Kommunikation und symbolhaften Politik in den Mittelpunkt. Kohlrausch, Martin: Der Monarch im Skandal. die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie. Berlin 2005.

Und: Mergel, Thomas: Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag. Düsseldorf 2002.

108 Nochmals: Bavaj, Riccardo: »Revolutionierung der Augen«.

und in das jeweilige Ideologiegebäude integriert. Hiervon waren insbesondere die medial produzierten Länderbilder der USA und der UdSSR betroffen.109

Auch die Vermittlung von Zukunftserwartungen, dystopischen ebenso wie utopischen, erfolgte primär in den Massenmedien. Illustrierte und Tageszei-tungen modellierten den Erwartungsraum zwischen Gegenwart und Zukunft.

Sie vergegenwärtigten nicht nur das Aktuelle, sondern zeigten auch Zukunfts-optionen auf. Die offenen gesellschaftlichen Fragen der Weimarer Republik bestimmten, welche Themen bei der Betrachtung der USA und der Sowjet-union herausgegriffen und verhandelt wurden. Dass sich dabei bestimmte Themenschwerpunkte deutlich herausbildeten, andere aber keine Rolle spiel-ten, wirft Fragen nach den Bedingungsstrukturen von Mediendiskursen auf.

Im folgenden theoretisch-methodischen Teil schließen sich zur Beantwortung dieser Fragen einige diskurstheoretische Überlegungen an.

Von einem Diskurs über die Sowjetunion oder die USA kann, soviel wurde bis hierhin deutlich, keine Rede sein. NS-Presse, Kommunisten, Bürgerliche, Liberale und Konservative fügten den in der Fremdbetrachtung aufgegriffe-nen Themen Aspekte hinzu, die sich aus den jeweils eigeaufgegriffe-nen weltanschau-lichen Möglichkeiten des Sag- und Zeigbaren ergaben.