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Indigene Bevölkerung Nordamerikas

I. Einführung

3. Minderheiten: Emanzipation und Modernitätsbruch

3.4 Indigene Bevölkerung Nordamerikas

Die indigene Bevölkerung Amerikas war in den Illustrierten der Weimarer Zeit ein thematisches Randphänomen, was angesichts der notorischen In-dianerbegeisterung der Deutschen ein wenig überrascht. Ihre Betrachtung beschränkte sich in den Illustrierten weitestgehend auf Narrative des Nieder-gangs und des allmählichen Verschwindens,121 bot aber auch Raum für Kritik

118 Ebd.

119 Vgl. ebd.

120 Man denke an die Austauschbeziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Liberia.

Dorthin wanderte eine große Zahl an Afroamerikanern ab den 1820er Jahren aus.

121 Unter anderem: Anon.: Die letzte Mohikanerin. »Die weiße Hirschkuh«, Tochter des

»fliegenden Hirsches«, die angeblich letzte Frau des Mohikanerstammes, die nun auf einer New-Yorker Bühne auftritt. In: BIZ, 1927, Nr. 20, 788 (Jahresausgabe).

an der zwangsweisen »Zivilisierung« der Indigenen.122 Auch wenn die betref-fenden Berichte dem Anspruch in keiner Weise genügten, wiesen sie teils völ-kerkundliche Anwandlungen auf. Sie waren oftmals spürbar vom Bestreben getragen, der Leserschaft Informationen zu Kultur und Lebensweise indigener Gruppen nahezubringen, bevor Letztere von der Bildfläche verschwänden.

Der nationalsozialistische Illustrierte Beobachter (ILB) stellte, ebenso wie weitere NS-Presseorgane, den Zugang zum Thema »Indianer« auf ganz be-sondere Weise her. Er verglich die »fortwährende Verleumdung« der indigenen Völker Amerikas mit der Darstellung der Deutschen als Barbaren während der Zeit des Ersten Weltkriegs.123 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ras-sistische Zuschreibungen, die durch europäische Siedler und später durch die amerikanische Regierung zur Diskreditierung und Bekämpfung der Indianer instrumentalisiert worden waren, ausgerechnet im ILB einer waschechten Dekonstruktion unterzogen wurden – schließlich produzierte der ILB solche rassistischen Feindbilder zuhauf und mit großem Eifer selbst:

»Die Amerikaner haben den erbarmungslosen Vernichtungskampf, den sie gegen ihre roten Wirte führten, mit der Behauptung zu rechtfertigen versucht, die Indianer seien von Natur faul, der Kultur unzugänglich und hartnäckig in ihrem Widerstand. Wer heute durch die Reservationen der Vereinigten Staaten reist, sieht, daß das Gegenteil der Fall ist.«124

Die Aneignung des indianischen Opfernarrativs zum Zweck der Selbst-Vikti-misierung stellt eine Grundtendenz der NS-Amerikabetrachtung dar.125 Die ideologischen Grundlagen der NS-Bewegung boten zahlreiche Anknüpfungs-punkte für eine Identifikation mit der indigenen Bevölkerung. Dazu zählen die Sakralisierung des Bodens126 und die Vorstellung vom Krieg als Überle-benskampf der Rassen.127 Solche und andere Analogien motivierten NS -Bei-träger sogar zur hanebüchenen Imagination des »faschistischen Indianers«.128 Auch innerhalb dieser schillernden Konstellation finden sich vereinzelt

op-122 Anon.: Die Pueblo- und Navajo-Indianer. Die ältesten Rassen Amerikas. In: BIZ, 1927, Nr. 37, 1476 f. (Jahresausgabe).

123 »Wie ein Volk durch fortwährende Verleumdung seiner Feinde in den Augen der Welt das Aussehen von Barbaren gewinnen kann, haben wir Deutschen im Weltkriege erfah-ren.« Henckel, Heinz: Das wahre Gesicht des Roten Mannes. In: ILB, 1927, Nr. 13, 186 f.

(Jahresausgabe).

124 Ebd.

125 Vgl. Usbeck, Frank: »Fellow Peoples«. The Influence of the German Image of Indians on German National Identity and its Appropriation by National Socialism in German Pe-riodicals 1925–1945. Dissertation Universität Leipzig, CD-ROM. Leipzig 2010.

126 Ebd., 97 f.

127 Ebd., 218 f.

128 Vgl. Penny, Glenn: Kindred by Choice. Germans and American Indians since 1800. Cha-pel Hill 2013, 164.

timistisch konnotierte Beispiele für die gesellschaftliche Selbstbehauptung der Indigenen, so etwa langsam sich einstellende Bildungserfolge oder die wirtschaftliche Konsolidierung einzelner Gruppen.129

Solcher Optimismus bezüglich der ökonomischen und politischen Pers-pektiven der Indigenen zeigte sich auch in anderen Organen. In einem Bericht der Münchner Illustrierten Presse (MIP) über das Pow Wow (die große Stam-meszusammenkunft) von Spokane, Washington konnte man 1928 den Ein-druck gewinnen, die indigene Bevölkerung der Vereinigten Staaten gewinne allmählich die Autonomie über ihre kulturelle und politische Organisation zurück.130

So ist etwa die Rede davon, alle Stämme schickten Abgesandte zur Diskus-sion der Lage und Ziele der indigenen Bevölkerung.131 Dabei entsteht allzu leicht der Eindruck, die verstreuten und kaum organisierten indigenen Grup-pen verfügten über eine handlungsfähige Föderation zur Vertretung ihrer Interessen. Davon konnte zum damaligen Zeitpunkt keine Rede sein.132 Die Visuals zeigen Tipis inmitten der belebten Promenade von Spokane und einen Zug berittener »Blackfoot«.133 Dies suggeriert eine gleichberechtigte Koexis-tenz, von der die US-Gesellschaft damals aber noch weiter entfernt war als heute (Abb. 12).

Die fernpublizistische Auseinandersetzung mit den Indigenen war von zwei Tendenzen geprägt, die die Perspektive gleichermaßen verfälschten: von einer Idealisierung, die auf Analogien mit der eigenen Weltanschauung aufbaute oder dem Klischee vom »edlen Wilden« entsprach.134 Und von traditionellem Exotismus, der sich oftmals in der visuellen Darstellung Indigener neben Vertretern der »eigenen« Kultur erschöpfte.135 Beide Tendenzen vereinigten sich, sowohl in der nationalsozialistischen als auch der kommunistischen Propaganda, mit der ohnehin beispiellosen Romantisierung der »Indianer« in Deutschland, die durch die Klassiker eines Karl May unauslöschbar in das kollektive Bewusstsein eingegangen war und den zeitgenössischen Blick auf

129 »Die stolzen Krieger von einst sind heute fleißige, teils wohlhabende Farmer […] Sie haben landwirtschaftliche Maschinen, Autos und Radio […]. Es gibt unter ihnen Ärzte, Journalisten, Abgeordnete und Schriftsteller […]«. Henckel: Das wahre Gesicht des Roten Mannes.

130 Anon.: Der zweite Indianer Kongress in Spokane. In: MIP, 1928, Nr. 19, 596 f. (Jahres-ausgabe).

131 Vgl. ebd.

132 Nationale Interessenverbände wie z. B. der National Congress of American Indians wur-den erst zum Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet.

133 Selbstbezeichnung »Niitsítapi«.

134 Unter anderem: Anon.: Indianer. In: BIZ, 1928, Nr. 42, 1790 f. (Jahresausgabe).

135 Unter anderem: Anon.: Einstein bei den Indianern. In: MIP, 1931, Nr. 13, 386 (Jahres-ausgabe).

Abb. 12: Der zweite Indianer Kongress in Spokane. Durch die Darstellung der vermeint-lichen Alltäglichkeit von politischen Zusammenkünften indigener Gruppen wurde de-ren Situation euphemistisch überzeichnet.

Amerikas indigene Bevölkerung nach wie vor beträchtlich verklärte,136 ja in ebensolchem Maße verfälschte und hierarchisierte wie es die erst seit kur-zem unüblich gewordenen »Völkerschauen« in europäischen Städten und – bezeichnenderweise – Zoos getan hatten. Die aufkeimende Reflexion dieser schiefen, zu Unterhaltungszwecken inszenierten Wahrnehmung illustriert zum Abschluss ein Zitat der BIZ aus dem Jahr 1927:

»Die Indianergeschichten sind schuld, dass der Weiße heute eine so verzerrte, nur aus Adlerfedern, Skalp und Tomahawk zusammengesetzte Vorstellung von dem rot-häutigen Volke hat. Und Besucher in den Reservationen der nördlicheren Staaten der nordamerikanischen Union können diese Vorstellungen kaum richtigstellen, weil diese Indianer, vollkommen mit den ›Segnungen‹ der Zivilisation vertraut, heute fast vollständig im Dienst der Film- und Touristen-Industrie stehen.«137