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Aufbegehren und Aufbruch

I. Einführung

3. Minderheiten: Emanzipation und Modernitätsbruch

3.3 Aufbegehren und Aufbruch

Die kritische Beschreibung der amerikanischen Rassismusproblematik ging fließend in die Darstellung afroamerikanischen Aufbegehrens und emanzipa-torischer Erfolgsgeschichten über. Die in diesem Selbstermächtigungsprozess eingesetzten Strategien standen im Zentrum der deutschen Berichterstattung zum Aufbruch des schwarzen Amerika.

Mediale Aufmerksamkeit erhielten ab 1919 zunächst die zahlreichen Ras-senunruhen,81 die sich aus der konfliktgeladenen Gemengelage nach Kriegs-ende ergaben. Diese wurden von den deutschen Journalisten als, obschon gewaltsamer, so doch legitimer Widerstand der Afroamerikaner gegen die fortdauernde Diskriminierung auf sozialer und ökonomischer Ebene gedeu-tet. Der emanzipatorische Drang der Afroamerikaner auf der einen und des-sen angstbehaftete Bekämpfung auf der anderen Seite definierten die mediale Wahrnehmung des gesellschaftlichen Frontverlaufs. Aufgrund dessen sind die Themenkomplexe der Entrechtung und des Aufbegehrens in der Presse-berichterstattung kaum voneinander zu trennen. Vielmehr war die Beschrei-bung von Rassendiskriminierung und Rechtsbeugung regelmäßig innerhalb einzelner Artikel oder ausgabenübergreifend der Darstellung afroamerikani-schen Widerstandes vorangestellt. Daraus lässt sich schließen, dass jegliche zivile und mitunter auch gewaltsame Form, in der sich die Emanzipationsbe-strebungen der Black Community äußerten, mit implizitem oder explizitem Verweis auf das von ihr erlittene Unrecht legitimiert wurde. Die Textelemente

80 Friedländer, Paul: Der Sport der Hundertprozentigen. In: AIZ, 1930, Nr. 35, 683 (Jahres-ausgabe).

81 Unter anderem: Anon.: Die Straßenkämpfe in Chicago. In: VZT Nr. 387 vom 01.08.1919, 3. Und: Anon.: Rassenunruhen. In: BIZ, 1919, Nr. 35, 338 f. (Jahresausgabe).

der Berichte über die Rassenunruhen reihen sich hinsichtlich ihrer Ursachen also zunächst in das bereits erörterte Schema der Entrechtung ein.82

Die bereits erwähnte »schwarze Gefahr«83 tritt in diesem Kontext in einer weiteren Variante hervor. Ist bis hierher die sozioökonomische Konkurrenz, die die Afroamerikaner vermeintlich für die weiße Mehrheitsbevölkerung darstellten als Kern für die latente Spannung zwischen den Rassen identifiziert worden, rückt nun deren demografisches »Gefahrenpotential« in den Vorder-grund. Durch ihren niedrigen Zivilisationsgrad seien die Afroamerikaner kinderreicher als die weiße Bevölkerung und würden diese auf lange Sicht an den Rand drängen:

»Daß diese Befürchtungen einer gewissen Berechtigung nicht entbehren, wird ver-ständlich, wenn man sich die stete Zunahme der farbigen Bevölkerung vor Augen führt. Die Zahl der Neger betrug nach der Volkszählung des Jahres 1870 rund 5 Mil-lionen, sie hat sich seit jener Zeit mehr als verdoppelt. Nun ist allerdings auch die Ge-samtbevölkerung der Vereinigten Staaten in diesen fünfzig Jahren um ein vielfaches gewachsen, dieses Wachstum ist aber in erster Linie der enormen Einwanderung aus fremden Nationen zuzuschreiben, während die Vermehrung des schwarzen Volksteils aus diesem selbst heraus erfolgte […]. Schon Roosevelt ist gegen den auffallenden Ge-burtenrückgang des einheimischen weißen Elementes zu Feld gezogen, die schwarze Rasse aber wird sich mit der ihr eigenen Fruchtbarkeit weiter vermehren, und so wird sich die ›Negerfrage‹ vielleicht noch zu dem größten aller Probleme entwickeln […].«84 Die Befürchtung, die schwarze Bevölkerung könne so stark anwachsen, dass sie dereinst den Anteil der Weißen aufwiege, erscheint geradezu als Warnung vor einer feindlichen Landnahme.85 Eine solche Darstellung bekräftigt den auch sonst häufig suggerierten Eindruck, Afroamerikaner seien gar kein Teil der US-Gesellschaft, sondern dieser als Fremdkörper antagonistisch entgegen-gestellt. Das demografische Moment, der vermeintliche Konnex von niedri-gem Bildungsgrad, hoher Geburtenrate und verminderter sozialer Wertigkeit wird hinsichtlich der Berichterstattung über die fortschreitende »Normalisie-rung« der Black Community noch aufzugreifen sein.

82 »Trotzdem Amerika sich stets als das Land der freien Menschenrechte gebärdet, werden dem Neger die Rechte, die ihm nach der Verfassung zustehen, bis heute noch vorenthal-ten, von einer sozialen Gleichberechtigung vollends kann nicht die Rede sein.« Anon.:

Rassenkämpfe in Amerika. In: BIZ, 1919, Nr. 35, 338 (Jahresausgabe).

83 Anon.: Amerikanische Neger. In: FZT, 1929, Nr. 952, 1.

84 Anon.: Rassenkämpfe in Amerika, 338.

85 Die Bemerkungen zu den Debatten innerhalb der weißen Mehrheitsbevölkerung mach-ten sich indes die eher randständigen Vorschläge zur Lösung des Konflikts zu eigen: »Die Furcht vor einem Ueberhandnehmen des schwarzen Bevölkerungsteiles hat in Amerika weite Kreise ergriffen, und in jüngster Zeit ist sogar die Forderung laut geworden, die ge-samte schwarze Bevölkerung aus den Vereinigten Staaten zu deportieren und in Afrika anzusiedeln.« Ebd.

Die Interessen der Black Community waren nach dieser Lesart mit denen der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft schlicht unvereinbar. Die Diskri-minierung der Afroamerikaner konnte demzufolge nicht gesamtzivilgesell-schaftlich, sondern nur aus der Black Community heraus und im Widerstand gegen die Mehrheitsgesellschaft beseitigt werden. Eine zuspitzende Erkennt-nis, die dennoch das damalige Lagebild der amerikanischen »Rassenfrage«

zutreffend charakterisiert und als Handlungsgrundlage der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung noch Jahrzehnte Bestand haben sollte.

Die ethnischen Gewalteruptionen der unmittelbaren Nachkriegsjahre läu-teten die Berichterstattung zu den Emanzipationsbestrebungen der Afroame-rikaner in der deutschen Presse zwar ein, dominierten diese aber keineswegs.

So zeigt Hans Goslar in seinem Artikel »Der amerikanische Neger«86 aus dem Jahr 1922 zwar die seinerzeit gängigen, ins Exotistische fließenden Stereotype über Afroamerikaner in ebensolcher Fülle auf,87 wie die weithin geteilte Kritik an deren Niederhaltung.88 Gleichzeitig öffnet Goslar aber den Blick für die aufkeimende zivilgesellschaftliche Etablierung und politische Organisation der Black Community.

Diese Perspektive bildete die zweite Säule der Weimarer Wahrnehmung des schwarzen Amerika und richtete sich auf mehrere Aspekte afroameri-kanischen Aufstiegs. Dazu zählten die verstärkt wahrgenommene kulturelle Autonomie, die ökonomische Besserstellung und die politische Selbstermäch-tigung. Konkret stellt Goslar zunächst auf den akademischen Aufstieg der Afroamerikaner im Norden der Vereinigten Staaten ab, der die Basis jeden Aufstiegs darstelle und in dem Goslars Kollege Arthur Rundt gar einen neuen, stilprägenden »Typ des Neger-Intellektuellen«89 aufkommen sah. Goslar schrieb:

»Aus meinen Unterredungen mit geistig bedeutenden und akademisch gebildeten Negern konnte ich feststellen, daß im Jahresdurchschnitt […] ungefähr 300 Schwarze 86 Goslar, Hans: Der amerikanische Neger. In: VZT Nr. 156 vom 01.04.1922, 1.

87 »Man erzählt von ihnen, daß sie diebisch seien und – entsprechend ihrem recht kindli-chen Charakter – Sakindli-chen, an denen sie Gefallen finden, sich mit naiver Hemmungslosig-keit aneignen. Man setzt außerdem einen großen Teil der Rohheitsdelikte, Körperverlet-zungen und Sittlichkeitsverbrechen auf ihr Konto. Aber da auch sie Menschen mit ihrem Widerspruch sind, so wird es schon stimmen, wenn ich konstatiere, daß sie auf mich, der ich oft Gelegenheit hatte, sie zu beobachten, den Eindruck von zumeist sehr gutmütigen, freundlichen und überaus kindlichen Menschen gemacht haben, die immer vergnügt sind und die alle die Verrichtungen, zu denen sie angestellt sind, willig und geschickt aus-üben.« Ebd., 1.

88 »Auch heute noch kann man nicht im Ernst davon reden, daß der Neger im Süden der USA ein gleichberechtigter Bürger sei. Gesellschaftlich wird er wie ein Aussätziger behandelt, gegen den sich der Rassestolz des weißen Amerikaners auflehnt, und an der praktischen Ausübung seiner Bürgerrechte wird er selbst bei den Wahlen durch allerhand nicht immer saubere Mittelchen gehindert.« Ebd.

89 Rundt, Arthur: Die schwarze Welle. In: UHU, 1924, Nr. 11, 31.

ihr Baccalaureus-Examen ablegen […]. Jedes Jahr legen auch einige Neger ihr Doktor-Examen ab, und im letzten Jahr wurden sogar zwei schwarze Frauen zu Doktoren der Philosophie graduiert. Die schwarze Bevölkerung verfügt heute schon über viele Ärzte, Anwälte, Pfarrer der protestantischen Negerkirche und sogar auch über Lehrer an öffentlichen Schulen.«90

Das Fallen der »Schranken, die den Schwarzen von den Weißen trennen«,91 stieß dem deutsch-jüdischen Intellektuellen Goslar zufolge die Entwicklung einer afroamerikanischen Intelligenzschicht als kommende Komponente der US-Zivilgesellschaft an. Diese Einschätzung bricht mit ethnischem Determi-nismus, der Afroamerikanern per se einen Platz unterhalb und außerhalb der amerikanischen Gesellschaft zuwies.

Der nächste Schritt im von Goslar (und anderen) umrissenen Entwick-lungsnarrativ ist die Aufnahme publizistischer Tätigkeit zur Interessenarti-kulation seitens der Black Community. Diese begann zwar bekanntlich nicht erst in der Zwischenkriegszeit, sondern blickte bereits auf mehrere Jahrzehnte erfolgreicher Arbeit zurück. Sie erfuhr in jenen Jahren aber sicherlich einen Entwicklungsschub hinsichtlich ihrer Breitenwirkung und politischen Schlag-kraft. Letztere gründete in ihrer engen Verzahnung mit dem Aktivismus emanzipatorischer Organisationen, wie auch Goslar anklingen lässt:

»Zeichen für den beginnenden geistigen Aufstieg relativ bedeutender Teile der ameri-kanischen Negerbevölkerung kann man u. a. in ihrer jungen Presse erblicken, so z. B.

in der recht interessanten und auf einem ganz beachtenswerten Niveau stehenden Mo-natsschrift der oben erwähnten ›National Association for the advancement of Colored People‹, der ›Crisis‹, als deren Herausgeber ein Mann von vielversprechenden geistigen Fähigkeiten, Dr. du Bois, wirkt.«92

Das nur durch gegenteilige Vorannahmen erklärbare Erstaunen Goslars darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er treffend akademische Erfolge (zuvör-derst W. E. B. Du Bois’) als Voraussetzung für die Interessenvertretung der Afroamerikaner identifiziert. Goslar stellt die Tendenz zur akademischen Emanzipation in direkten Zusammenhang mit der neu entstandenen NAACP:

»In politischer Hinsicht sind bemerkenswerte Ansätze vorhanden um die gewaltige Masse schwarzer Staatsbürger allmählich zu einem gemeinsamen Vorgehen zur Wah-rung ihrer politischen Rechte zu veranlassen. Solche Ansätze sieht man in der ›Na-tional Association for the advancement of colored people‹, die bereits über 100000 organisierte Mitglieder zählt. Diese Vereinigung, wie die politischen Strömungen unter den Negern Amerikas überhaupt, beabsichtigt nun nicht, eine eigene politische 90 Goslar: Der amerikanische Neger, 1.

91 Ebd.

92 Ebd.

Partei den zwei großen im Lande vorhandenen hinzuzufügen […] aber sie kann doch versuchen, insbesondere in den einzelnen Staaten, wo der Neger noch ein Staatsbürger zweiter und dritter Klasse ist, negerfeindliche Gesetze und Verwaltungspraktiken zu bekämpfen. Es sitzen denn auch bereits in nicht weniger als dreizehn Staaten der Union Vertreter der farbigen Bevölkerung in der Repräsentative.«93

Goslar skizziert eine Kausalkette, die von der Beseitigung der Rassenschran-ken über akademische Qualifizierung und publizistische Artikulation der Black Community zur politischen Organisation afroamerikanischer Interes-sen verläuft und schließlich in gleichberechtigte politische Teilhabe mündet.

Die »Normalisierung« der Black Community äußere sich aber nicht nur in einem erhöhten Maß an politischer Organisation, sondern ebenso im sich verändernden demografischen Moment. Hatte die BIZ im Jahr 1919 noch die hohe Geburtenrate des afroamerikanischen Bevölkerungsteils als Charakte-ristikum mangelnder Zivilisiertheit gedeutet, kehren sich die Vorzeichen bei Goslar in der Vossischen Zeitung um. Soziale Konsolidierung illustriert dieser Autor durch den Verweis auf das Prinzip des Neomalthusianismus, also die sich mit gesteigertem Wohlstand auf niedrigerem Niveau einpendelnde Zahl der Geburten:

»Sozial bereitet sich ein gewisser Aufstieg unter der Negerbevölkerung vielerorts vor, und wenn kein anderes Anzeichen dafür vorhanden wäre, so das eine untrügliche, daß seit verhältnismäßig kurzer Zeit ein Neomalthusianismus Platz gegriffen hat, den wir nur zu gut aus der Geschichte aller allmählich zu Wohlstand aufsteigenden weißen Völker kennen. Während noch vor zwei, drei Generationen überall die Negerfamilien mittelgroß waren, beschränkt man nun schon die Kinderzahl in den Städten auf nicht mehr als zwei. Die durchschnittliche Stärke einer Negerfamilie ist nach der offiziellen Statistik allein in der Zeit von 1890 bis 1910 von 5,3 auf 4,5 Köpfe zurückgegangen.«94 Die Tendenz, afroamerikanische Emanzipation gegen das Ideal der wirtschaft-lichen, kulturellen und sozialen Assimilation zu lesen, kann als repräsentativ für die Position der bürgerlich-liberalen und konservativen Presse angesehen werden. Im Gegensatz dazu erklärte sich das kommunistische Spektrum das politische Erwach(s)en der Black Community völlig aus dem größeren Zu-sammenhang des revolutionären Klassenkampfes.

Die AIZ ging gar nicht erst davon aus, die politischen Vertreter der Black Community strebten gesellschaftliche Teilhabe auf der Grundlage der be-stehenden wirtschaftlichen und politischen Ordnung der USA an. Man legte stattdessen den Fokus auf diejenigen Kräfte, die einen revolutionären Umsturz

93 Goslar: Der amerikanische Neger, 2.

94 Ebd.

verfolgten.95 Während die Führung der NAACP »von den liberalen Ideologien beherrscht« sei, gehöre »der linke Flügel […] der radikalen Arbeiterbewe-gung an.« Er sei bemüht, »den Negerarbeitern ihre mit den weißen Arbei-tern gemeinsame Aufgabe klarzumachen«, nämlich »die Vernichtung eines Systems, das so unerträglich auf allen Arbeitern, sowohl auf den weißen, wie auf den farbigen« laste. Der industrielle Aufschwung des Südens und die vo-ranschreitende Ausbeutung der Arbeiter werde dazu führen, dass sich weiße und schwarze Arbeiter ihrer gemeinsamen Interessen gewahr würden und die Rassenschranken zu Gunsten eines geeinten Proletariats auf kurz oder lang fielen.96

Einmal mehr erscheint der Kampf der Afroamerikaner um Gleichberech-tigung in dieser Lesart nur als Spielart des weltweiten Aufbegehrens des Pro-letariats. Die AIZ schreibt mit der Universalschablone des Klassenkampfes konsequent ihr Narrativ fort, welches sie bereits in ihrer Darstellung und Einordnung rassistischer Gewalt offenbart hatte. Im reflexhaften Anlegen des »Klassenkampf-Filters« machte sie sich ironischerweise die Logik des Ku Klux Klan zu eigen, der ebenfalls Klassengegensätze zu Rassengegensätzen stilisierte.

Repräsentativ für die veröffentlichte Meinung war diese Perspektive ohne-hin nicht. Die überwiegende Zahl der Beiträge sah eine Emanzipation inner-halb und nicht gegen das bestehende Ordnungssystem der Vereinigten Staaten als einzige und sich bereits realisierende Perspektive der Black Community an.

Man sah in der Breite der Berichterstattung keinen Entscheidungskampf der Klassen, geschweige denn der Rassen heraufziehen. Ganz im Gegenteil erfuhr die Ankunft der ersten Afroamerikaner in führenden Positionen von Politik und Justiz, Kirchen, Sport und Kunst wohlwollende Aufmerksamkeit. Unter dem Titel »Vom Sklaven zum Herrn«97 erschien 1927 in der BIZ eine regel-rechte Erfolgsbilanz der Emanzipation, die wider den verbreiteten Pessimis-mus Fortschritt und Aufstieg der Schwarzen würdigte:

»Wir hören in Europa fast nur von der Unterdrückung des amerikanischen Negers, von den vielen Siegen seines Kampfes um volle Gleichberechtigung hören wir fast nichts. Hier wird nun der neue Neger-Typus Amerikas gezeigt, der unaufhaltsam in 95 Während des Gründungsprozesses formierte sich innerhalb der NAACP eine sozialistisch orientierte Strömung, die im Wesentlichen aus dem sogenannten »Niagara Movement«

und dem »Cosmopolitan Club« bestand. Beide Fraktionen stellten sich ausdrücklich gegen die Position Booker T. Washingtons, die Afroamerikaner sollten sich durch Be-scheidenheit, Fleiß und harte Arbeit den Weißen als würdige Mitbürger erweisen und in der Folge in ihren Aufstiegsbestrebungen auf den Kapitalismus setzen. Vgl. Foner: Ame-rican Socialism and Black AmeAme-ricans. From the Age of Jackson to World War II, 182 f.

96 Kruse, William: Die revolutionäre Neger-Bewegung in Amerika. In: AIZ, 1926, Nr. 4, 3.

97 Anon.: Vom Sklaven zum Herrn. Der Aufstieg des amerikanischen Negers. In: BIZ, 1927, Nr. 24, 948 f. (Jahresausgabe).

wissenschaftliche, kirchliche, künstlerische, politische, kommerzielle und sportliche Berufe eindringt.«98

Der zitierte Artikel hebt sich nicht durch bloße Schönfärberei von den üb-licherweise negativ gefärbten Meldungen zur sozialen Situation der Schwarzen ab. Die ansonsten kritische bis pessimistische Berichterstattung zu diesem Thema sei ein Missverständnis, das sich aufkläre, sobald man erkenne, »daß man in der Welt umso mehr von der Negerbewegung, von den schwarzen Emanzipations- und Gleichberechtigungsbestrebungen« höre, »je höher der Neger schon gestiegen«99 sei. Die veröffentlichte Meinung in Deutschland bilde nur das Echo einer bereits vollzogenen Positiventwicklung ab, die sich vor allem an dem rasanten Bildungszuwachs zeige:

»Sie haben 40000 schwarze Lehrer, davon 5000 mit Hochschulbildung, es gibt 2½ Millionen schwarze Schulkinder, über 100000 schwarze Universitätsstudenten und -studentinnen. Sie bringen jährlich 15 Millionen Dollar Schulgeld auf und es gibt unter ihnen nur noch 15 Prozent Analphabeten (sie sind also im Durchschnitt viel besser gebildet als etwa die Bevölkerung Italiens oder gar Spaniens).«100

Zudem sei die auf allen gesellschaftlichen Feldern zu beobachtende Aufwärts-entwicklung von einem zivilisatorischen Nullpunkt, dem Zustand der Skla-verei ausgegangen und somit in der Beurteilung derselben ein großzügigeres Maß anzulegen: »Diese ganze Entwicklung vom Sklaventum her ist in 60 Jah-ren zurückgelegt worden, es ist eine viel schnellere Entwicklung als die der Russen oder Japaner.«101

Den eigentlichen Rahmen des Artikels bildet seine visuelle Gestaltung. Sie zeigt, prominent über dem Text positioniert, drei exponierte Vertreter der af-roamerikanischen Elite, von denen im Artikel die Rede ist. Der Bildriegel zeigt somit das menschliche Antlitz des abstrakten Prozesses afroamerikanischer Elitenbildung und verleiht ihm Plastizität:

Links ist Robert Russa Moton zu sehen, der Nachfolger Booker T. Washing-tons als Leiter des Tuskegee Institute in Alabama,102 der traditionsreichsten afroamerikanischen Universität der USA. Seine Visualisierung bekräftigt die Wichtigkeit des Aspekts Bildung in diesem synoptischen Versuch, die ver-schiedenen Pfade afroamerikanischer Aufsteiger einem breiten deutschen Pu-blikum nahezubringen. Das Fotoportrait zeigt ihn mit erhobener linker Hand, deren Zeigefinger an die Stirn zeigt. Er wird als Intellektueller inszeniert. In seiner gemäßigten Körperhaltung ließe sich eine Reminiszenz an die Schule

98 Ebd., 948.

99 Ebd., 949.

100 Ebd.

101 Ebd.

102 Heute Tuskegee University.

Booker T. Washingtons erkennen, in der Moton akademisch und politisch so-zialisiert worden war. Diese hatte Friedfertigkeit, Bescheidenheit und Fleiß zu denjenigen Tugenden erhoben, die Afroamerikaner dereinst in die Mitte der US-Gesellschaft führen würden. Moton wird in der Bildunterschrift als »Lei-ter des Neger-Bildungsinstituts Tuskegee […] und Haupt der amerikanischen Negerbewegung«103 vorgestellt und fungiert als klassisches Rollenvorbild eines gebildeten und (deshalb) politisch engagierten Menschen. Die textovisuelle Inbezugsetzung von intellektueller Befähigung und politischer Betätigung postuliert deren wechselseitige Bedingtheit. Die intellektuelle Selbstermäch-tigung wird zur conditio sine qua non für die afroamerikanische Teilhabe an Staat und Gesellschaft erklärt.

Einen wichtigen Vektor dieser Teilhabe stellte die Justiz dar. Mittig findet sich im Bildriegel des Artikels eine Aufnahme von der Vereidigung des ersten demokratisch gewählten afroamerikanischen Richters, Albert B. George.104 Die

103 Anon.: Vom Sklaven zum Herrn, 948.

104 Die vorherigen Richter waren jeweils auf exekutive Anordnung des US-Präsidenten im District of Columbia eingesetzt worden, hatten sich aber keinem Abstimmungsverfahren gestellt.

Abb. 11: Vom Sklaven zum Herrn. Der Aufstieg des amerikanischen Negers. In: BIZ, 1927, Nr. 24, 948 f. Bildungs- und Karriereerfolge prominenter Afroamerikaner wurden zur Referenz afroamerikanischen Aufstiegs stilisiert.

US-Flaggen als Kennzeichen von Staatlichkeit, die im Vordergrund zu sehen sind, illustrieren ebenso wie die Position von George inmitten seiner vornehm-lich weißen Kollegen viel mehr als einen Verwaltungsakt. Die Inauguration Georges bedeutete den Fall einer Rassenschranke, der angesichts der zentralen Rolle der dritten Gewalt in der systematischen Diskriminierung von Afro-amerikanern symbolträchtiger und wirkmächtiger nicht hätte sein können.105

Auch über seine Zuständigkeiten als Richter hinaus nahm George Einfluss auf juristische Debatten in der »Rassenfrage«, was die Symbolkraft seiner Wahl unterstrich.106 Dass George in einem ordentlichen Wahlverfahren und nicht per Dekret in Amt und Würden kam, dokumentiert das politische Er-wachen der Black Community ebenso wie den allmählich schwindenden Wi-derstand, der ihrer emanzipatorischen Entfaltung entgegenschlug.

Das vermehrte Vorstoßen von Afroamerikanern in politische Wahläm-ter wird auch durch den dritten Portraitierten, Senator Adelbert H. Roberts, thematisiert. Interessant an seinem Beispiel ist nicht so sehr die visuelle Dar-stellung, die schlicht einen selbstbewussten Politiker zeigt. Vielmehr ist es die Bildunterschrift, die ihn als »Senator des Staates Illinois seit 1924« und »ein Musterbeispiel der Kulturanpassung des Negers«107 vorstellt. Die Bildunter-schrift ordnet Roberts in das regelmäßig aufscheinende Narrativ der Anpas-sung beziehungsweise »Normalisierung« ein – eine allgemeine Tendenz im deutschen Blick auf die Entwicklung des schwarzen Amerika.

Nur die politische, ökonomische und rechtliche Emanzipation der Black

Nur die politische, ökonomische und rechtliche Emanzipation der Black