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I. Einführung

3. Die Quellen

3.2 Tageszeitungen

Im Kontrast zu dieser spezifischen Form weltanschaulicher Presse sollen hier mit fünf reichsweit in hoher Auflage erscheinenden Tageszeitungen und zehn Illustrierten säkulare Quellen herangezogen werden. Es sind dies unter den Tageszeitungen die Vossische Zeitung (VZT), die Frankfurter Zeitung (FZT), die Münchner Neuesten Nachrichten (MNN), die Deutsche Allgemeine Zei-tung (DAZ) und das Berliner Tageblatt (BTB). Sie werden im Folgenden kurz einzeln charakterisiert. Darauf folgt eine ebenso kurze Einordnung der Berli-ner »Illustrirten« Zeitung (BIZ), der Münchner Illustrierten Presse (MIP), der Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) und des Illustrierten Beobachters (ILB) als die wichtigsten untersuchten Illustrierten.

Die traditionsreiche Vossische Zeitung war zwar ein durch und durch bür-gerliches, nicht aber übermäßig konservatives Blatt. Sie erschien in Grundte-nor und politischer Positionierung liberal. Die Auflage bewegte sich während des Beobachtungszeitraumes zwischen 50.000 und 70.000 verkauften Exemp-laren pro Tag.62 Die VZT zeichnete sich durch innovative politische Gastbei-träge aus. Unter anderem veröffentlichte Graf Coudenhove-Kalergi hier seine Vision eines künftigen »Paneuropa«.63 Der Zusammenschluss Deutschlands mit Frankreich (»Zusammenschluss oder Zusammenbruch«)64 verhieß dem-zufolge dem gesamten Kontinent eine friedliche und prosperierende Zukunft.

Der von der VZT verfolgte Anspruch, zugleich bürgerlich und liberal zu sein, bedeutete für eine Zeitung in der Zwischenkriegszeit vor allem die Ansprache der gebildeten Mittel- und Oberschicht.

Im bürgerlich-liberalen Milieu bewegte sich auch die Zielgruppe des Ber-liner Tageblatts (BTB). In seiner stärkeren Orientierung auf die kulturellen und intellektuellen Eliten einerseits und seiner spürbaren parteipolitischen Affiliation andererseits unterschied sich das BTB jedoch von der VZT. Das BTB war in Person des bereits seit 1906 amtierenden Chefredakteurs Theodor Wolff an die politische Agenda der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) gekoppelt. Die DDP gestaltete als linksliberale Partei mit fast durchgehender Regierungsbeteiligung die Politik der Weimarer Republik maßgeblich mit.

Außenpolitisch verfolgte man im BTB stets (wie Theodor Wolff bereits vor dem Krieg) entschieden das Ziel einer europäischen Friedensordnung, der

darin fortfolgend scharf gegen den »verführerischen Liberalismus« und den »gottlosen Sozialismus« polemisiert worden. Vgl. Wehler, Hans, Ulrich: Deutsche Gesellschaftsge-schichte. Bd. 3. München 1995, 249.

62 Bender, Klaus: Vossische Zeitung, Berlin (1617–1934). In: Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.):

Deutsche Zeitungen des 17. Bis 20. Jahrhunderts. Pullach bei München 1972, 25–39, hier 38.

63 Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus Graf von: Paneuropa. In: VZT Nr. 541 vom 15.11.1922, 4.

64 Ebd.

im Zweifelsfalle auch nationale Interessen untergeordnet werden müssten.

Innenpolitisch verwahrte man sich gegen die von linker wie rechter Seite vorangetriebene Demontage der Republik. Die Kommunisten kritisierten, dass das BTB für die Prinzipien des Rechtsstaats eintrat. Aus KPD-Sicht wahrte der Rechtsstaat lediglich Besitzstände und blockierte notwendige Ver-änderungen. Die Nationalsozialisten hingegen störten sich an der jüdischen Herkunft Theodor Wolffs, vor allem aber an dessen entschiedenem Eintreten für die parlamentarische Demokratie.65

Die Frankfurter Zeitung bezog, ähnlich wie das BTB, im Weimarer Presse-diskurs Stellung für die Akzeptanz des Versailler Vertrages und der Strese-mann’schen Außenpolitik sowie gegen Revisionismus und Dolchstoßlegende.

Durch ihre unabhängige Informationsgewinnung aus dem politischen Berlin und dem Ausland setzte sie sich in politischen Bewertungen von den anderen Tageszeitungen ab. Diese bezogen ihre Informationen in der Regel einheitlich vom Nachrichtenbüro des Vereins Deutscher Zeitungsverleger, während die FZT ein eigenes Korrespondentennetzwerk unterhielt. Die verkaufte Auflage der FZT bewegte sich zwischen 170.000 Exemplaren pro Tag gegen Ende des Ersten Weltkriegs und 100.000 um die Zeit der »Machtergreifung«.66 Die FZT legte relativ viel Gewicht auf das Feuilleton. Regelmäßig erschienen unter dieser Rubrik politische Wortmeldungen Kunst- und Literaturschaffender wie beispielsweise Stefan Zweig.67 Die Redaktion der FZT vertrat eine prorepubli-kanische Position und betonte die Bedeutung des Rechtsstaats.

Die Münchner Neuesten Nachrichten (MNN) propagierten im Gegensatz zur FZT aktiv die Dolchstoßlegende.68 Wegen wechselnder politischer und

65 Vgl. Schwarz, Gotthart: Berliner Tageblatt (1872–1939). In: Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.):

Deutsche Zeitungen des 17. Bis 20. Jahrhunderts, 315–328, hier 324 f. Zu Theodor Wolff und seinem nachhaltigen Wirken zwischen Publizistik und Politik: Sösemann, Bernd:

Theodor Wolff: Ein Leben mit der Zeitung. Stuttgart 2012.

66 Vgl. Paupié, Kurt: Frankfurter Zeitung (1856–1943). In: Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.):

Deutsche Zeitungen des 17. Bis 20. Jahrhunderts, 241–256, hier 249.

67 Vgl. Todorow, Almut: Das Feuilleton der »Frankfurter Zeitung« in der Weimarer Repub-lik: Zur Grundlegung einer rhetorischen Medienforschung. Tübingen 1996, 68 f.

68 Der Verlagsleiter der MNN, Paul Nikolaus Cossmann, zum Katholizismus konvertier-ter Jude und tatsächlich selbst latent antisemitische Einstellungen vertretend, strengte federführend den sogenannten Dolchstoßprozess an, in dem der Beweis geführt werden sollte, Juden und Sozialdemokraten hätten die Anstrengungen der deutschen Streitkräfte während des Weltkriegs aus der Heimat derart effektiv obstruiert, dass diese – obgleich

»im Felde unbesiegt« – aus politischen Gründen die Waffen hätten strecken müssen. Die juristischen Opponenten in diesem Prozess, Cossmann und Martin Gruber, Chefredak-teur der entsprechend ihrer sozialdemokratischen Grundausrichtung argumentierenden Münchner Post, standen sich nicht nur vor Gericht gegenüber, sondern führten auch über ihre Zeitungen einen Deutungskampf zu den Geschehnissen um den Waffenstillstand von 1918. Dazu: Permooser, Irmtraud: Der Dolchstossprozess in München 1925. In: Zeit-schrift für Bayerische Landesgeschichte. Nr. 59 (1996), 903–926, hier 906 f.

wirtschaftlicher Einflüsse von außen besaßen sie – anders als VZT, BTB und FZT – keine durchgängig konstante politische Ausrichtung. Während der Zeit der Münchner Räterepublik fungierten die MNN unfreiwillig als deren offi-zielles Verkündungsblatt. Anfang der 1920er Jahre wurden sie dann zu unter-schiedlichen Anteilen an ein Konglomerat der Schwerindustrie und an Alfred Hugenberg verkauft. In der Folge kann man die Grundlinie der Zeitung als rechtskonservativ mit deutlich rechtsnationalen Anwandlungen einordnen.69 Zu den Nationalsozialisten nahmen die meisten, wenn auch nicht alle füh-renden Köpfe der Redaktion Abstand, wandten sich intern wie extern gegen Hitler. Die »Auswüchse des Parlamentarismus«70 lehnten gleichwohl weite Teile der MNN-Redaktion ab. Die MNN erreichten zwischen 1918 und 1933 im Schnitt eine Auflage von 120.000 verkauften Exemplaren pro Tag.71

Die Deutsche Allgemeine Zeitung72 (DAZ) schließlich hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg hohes internationales Ansehen genossen und fand weite Ver-breitung in der politischen Elite Deutschlands. Nach einer vorübergehenden Besetzung der Redaktion durch Spartakisten wurde die DAZ als ursprünglich liberalkonservatives Blatt 1920 vom Großindustriellen Hugo Stinnes aufge-kauft. Seitdem vertrat sie zumeist rechtskonservative Ansichten und damit Positionen, die denen ihres Besitzers entsprachen.73 Stinnes bezuschusste die DAZ in beträchtlichem Maße, um sie zu einer deutschen »Times« aufzubauen.

Diesem Anspruch nach hatte die DAZ überparteilich und nur dem Wohl der Nation verpflichtet zu sein.74 Diesem Wohl stand aus Sicht von Stinnes und Redaktionsleiter Rudolf Cuno besonders der Versailler Vertrag entgegen. In Redaktion wie Leserschaft der DAZ sammelten sich die Gegner der neuen außenpolitischen Ordnung. Zwischenzeitlich war sogar das Auswärtige Amt unter Gustav Stresemann Eigner der DAZ.75 Während dieser kurzen Zeit kann die DAZ als inoffizielles Organ der Regierung gelten.76 Durch die DAZ konnten die Diplomaten Positionen im öffentlichen Diskurs beziehen, welche ihnen die gebotene Zurückhaltung eigentlich verbot. Der politischen Presse

69 Vgl. Henkel, Peter: Anton Betz. Ein Verleger zwischen Weimar und Bonn. Düsseldorf 2011, 135 f.

70 Holz, Kurt: Münchner Neueste Nachrichten (1848–1945). In: Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.): Deutsche Zeitungen des 17. Bis 20. Jahrhunderts, 191–207, hier 202.

71 Vgl. Hoser, Paul: Münchner Neueste Nachrichten. In: Historisches Lexikon Bayerns. URL:

https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/M%C3%BCnchner_Neueste_

Nachrichten (am 02.12.2015).

72 Vor 1918: Norddeutsche Allgemeine Zeitung.

73 Wulf, Peter: »Die Stimme ihres Herrn«. Hugo Stinnes und die Deutsche Allgemeine Zei-tung. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte. Nr. 29 (1984), 153–179, hier 155 f.

74 Vgl. Fischer, Heinz-Dietrich: Deutsche Allgemeine Zeitung (1861–1945). In: Ders. (Hg.):

Deutsche Zeitungen des 17. Bis 20. Jahrhunderts, 269–282, hier 277.

75 Vgl. ebd., 278.

76 Vgl. Petersen, Klaus: Zensur in der Weimarer Republik. Stuttgart, Weimar 1995, 115.

der Weimarer Republik, also Parteizeitungen und subventionierten Tendenz-blättern, kann die DAZ dennoch nicht zugerechnet werden. An der grund-sätzlich rechtsnationalen Einstellung – man forderte ab 1932 vehement eine Regierungsbeteiligung Hitlers – änderte die Einflussnahme des Auswärtigen Amtes nämlich kaum etwas. Mehr als einmal lief die Arbeit der DAZ -Redak-tion den Darstellungsinteressen der Reichsregierung diametral entgegen.77

Ein Kriterium für die Auswahl dieser fünf Zeitungen ist ihre überregionale Verbreitung. Ein anderes ist der ihnen gemeine Anspruch, alle wirtschaftli-chen, politischen und gesellschaftlichen Prozesse, die für die Entwicklung in ganz Deutschland maßgeblich waren, vollständig abzubilden. Sie stellten über den nationalen Rahmen hinaus anerkannte Leitmedien dar. Ihrer Themen-setzung und Positionierung folgten kleinere und regionale Tageszeitungen oder nahmen entsprechend ihrer jeweiligen politischen Orientierung Bezug auf die Positionen der fünf »Großen«. Die journalistische Begleitung umfas-sender Modernisierungsprozesse und die Darstellung der vielfältigen Ideen-transfers zwischen den USA, Deutschland und der UdSSR erforderten einen hohen thematischen Abstraktionsgrad und weit gespannte Netzwerke von Auslandskorrespondenten und Reisberichterstattern, die durch ihre indivi-duellen Perspektiven maßgeblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der USA und der UdSSR nahmen. Über solche Qualifikationen verfügten die fünf ge-nannten Tageszeitungen.

Die fünf ausgewählten Tageszeitungen sind zudem in ihrer jeweiligen poli-tischen Ausrichtung zwischen liberalem, bürgerlichem, konservativem und nationalistischem Milieu sowie ihrer territorialen Verbreitung komplementär.

Alle politischen und regionalen Milieus waren durch mindestens eine von ihnen abgedeckt. Sie besaßen allesamt eine ausreichend hohe Zirkulation und Breitenwirkung, um als prominente Einflussfaktoren im öffentlichen Diskurs zu gelten. Regionale und lokale Zeitungen einzubeziehen, wäre durchaus eine Möglichkeit zur Vertiefung der Perspektive. Trotz der dadurch gewonnenen Tiefe bestünde das Risiko, die hier angestrebte Ausrichtung der Untersuchung an gesamtdeutschen Paradigmen zugunsten kleinteiligerer Perspektiven zu opfern, welche sich dann an Milieu-, Konfessions- und regionalen Grenzen orientieren.

77 So fehlt die DAZ auch in der ansonsten sehr auf Vollständigkeit bedachten Aufstellung von Heinz-Dietrich Fischer zum Phänomen der Tendenzpresse: Fischer, Heinz-Dietrich:

Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480–1980. Synopse rechtlicher, struk-tureller und wirtschaftlicher Grundlagen der Tendenzpublizistik im Kommunikations-feld. Düsseldorf 1981, 599 f.