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Henry Ford zur Ehrenrettung des Fordismus

I. Einführung

1. Kultur der Rationalisierung und Rationalisierungskulte

1.3 Henry Ford zur Ehrenrettung des Fordismus

Henry Ford hatte in den USA durch seine Methoden »das Auto volkstümlich«65 gemacht und übte auf die Deutschen als Demiurg des »fordistischen« Zeitalters große, wenn auch zweischneidige Faszination aus.66 Es ist dabei mehr als nur eine interessante Fußnote, dass sich Ford jenseits seines Bestsellers »Mein Leben und Werk«67 durch Gastbeiträge in deutschen Zeitungen höchstselbst zu Wort meldete. Er suchte so, seine volkswirtschaftlichen Ansichten in der

64 Zu der zusammenhängenden Entwicklung, die beispielsweise die Fordismus-Perzeption von den USA ausgehend in Deutschland und der UdSSR im Laufe der Zwischenkriegs-zeit nahm, arbeitete vor allem Stefan Link. Vgl. Link, Stefan: Transnational Fordism.

Ford Motor Company, Nazi Germany, and the Soviet Union in the Interwar Years. http://

nrs.harvard.edu/urn-3:HUL.InstRepos:10288949. Faculty of Arts, University of Harvard, Cambridge. (am 21.04.2015).

65 Anon.: O. T. In: MIP, 1929, Nr. 16, 532 (Jahresausgabe).

66 Dies kann man neben dem enormen Medieninteresse an der Person Henry Ford an dem großen Erfolg ablesen, den die 1923 erschienene deutsche Ausgabe seiner autobiographi-schen Schrift »My Life and Work« in Deutschland hatte. Darin fanden, wie Michael Wala konstatiert, »die Deutschen vieles von dem, wonach sie suchten: Sozialpartnerschaft von Arbeit und Kapital, Rationalisierung und das Versprechen eines unaufhaltsam steigen-den Lebensstandards.« Wala: Amerikanisierung und Überfremdungsängste, 124. Das als

»Bibel der Weimarer Republik« bezeichnete Werk trägt diesen Titel alleine deshalb schon zu Recht, weil es annähernd ebenso viele Lesarten erlaubte wie die Heilige Schrift und damit für Publikum mannigfacher Coleur anschluss- und auslegungsfähig war. Vgl. Fehl:

Welcher Fordismus eigentlich?, 22.

67 Ford, Henry: Mein Leben und Werk. Leipzig 1923. Das Werk wurde maßgeblich vom Journalisten Samuel Crowther verfasst, der ein Vertrauter Henry Fords war. Vgl. Eifert, Christiane: Antisemit und Autokönig. Henry Fords Autobiographie und ihre deutsche

öffentlichen Debatte zu verteidigen. Dies machte Henry Ford zeitweise vom Diskussionsobjekt zum Diskursteilnehmer.

Das Finanz- und Handelsblatt der Vossischen Zeitung war wie geschaf-fen für Fords Einlassungen. Hier vertrat er seine Überzeugung, das Kapital sei ein wichtiges Bindeglied zwischen öffentlichen Finanzen und den Pri-vatvermögen der Unternehmen. »Alle sogenannten PriPri-vatvermögen« seien

»nichts anderes als öffentliche Reserven«, welche fortwährend »im Interesse der Öffentlichkeit zu verwenden«68 seien. Gewerkschafter und Sozialisten hätten schon hier unumwunden zugestimmt. Er fährt fort, »Profite« müssten sich als »Begleiterscheinung für die Arbeitsleistung einstellen«69 und würden sich durch bloßes Profitstreben gar nicht erst verstetigen.

Dies als Absage an den Kapitalismus als Ganzes zu deuten ist mit Blick auf den Autor abwegig. Wie die Forderung im Titel (»Keine starre Massenpro-duktion!«) unterstreicht, versucht Ford aber, in der Debatte die Fixierung auf den Produktionsprozess zu vermeiden. Er lenkt den Fokus auf die volkswirt-schaftlichen Rahmenbedingungen und die ökonomische Kultur. Mit seinen Ausführungen, die im Anschluss doch noch praktische Ratschläge zur Pro-duktionsoptimierung enthalten,70 reagiert Ford auf die pauschale Kritik an der »Diktatur« des Fließbands und am Autonomieverlust der Arbeiter. Dem unbestimmten Gefühl, Aufgabe von Arbeitern und Konsumenten sei allein die Aufrechterhaltung eines gesichtslosen Systems der Massenproduktion, setzt er die Idee der Kunden- und Zweckorientierung entgegen:

»Starre Maschinenproduktion von der Art, die als Massenproduktion bekannt ist, findet schnell ihr Ende, weil sie gegen den wichtigsten Grundsatz der Produktion in großem Stil verstößt: daß die Produzenten, die Artikel, die sie herausbringen, fortwäh-rend in Zweckmäßigkeit und Qualität verbessern müssen.«71

Rezeption in den 1920er Jahren. In: Saldern, Adelheid von / Hachtmann, Rüdiger / Kirsch, Jan-Holger (Hg.): Fordismus. Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History. Bd. 6 (2009), Nr. 2, 211.

68 Ford, Henry: Keine starre Massenproduktion! In: VZT Nr. 192 vom 24.04.1930, 9 f.

69 Ebd., 9.

70 »Die bedeutendsten Bestandteile einer Maschine oder einer Fabrik sind die, die man nicht sehen kann – die unsichtbare Essenz aus Zeit, Hingabe und langsam erworbener Weis-heit, die darin enthalten ist. Es ist unsere Aufgabe als Leiter, ein Unternehmen zu schaffen, das das Produkt herstellt, und da wir jeden Tag etwas hinzulernen sollten, wie wir unser Produkt oder den Fabrikationsprozeß verbessern können, sind Produkt und Unterneh-men einer dauernden Veränderung unterworfen […]. Wir haben es immer als unsere wichtigste Aufgabe betrachtet, für alles die beste Methode zu finden und jeden Prozeß, der bei unserer Fabrikation angewandt wird, rein experimentell zu behandeln […]. Diese Politik läßt uns dauernd die Vorteile von Verbesserungen im Produktionsverfahren und Entwurf erwägen.« Ebd., 10.

71 Ebd.

Mit der existenziellen Angst vor Arbeitsplatzvernichtung durch Mechanisie-rung versuchte Ford in einem weiteren Gastbeitrag, den wichtigsten Strang der Rationalisierungskritik zu durchschlagen. In »Mein Leben und Werk« hatte er in den Kapiteln »Mensch und Maschine« sowie »Der Terror der Maschine«

entsprechende Kritik antizipiert.72 Wieder bemüht sich Ford um ein umfas-senderes Verständnis der von ihm insinuierten Aufwärtsspirale zwischen res-sourcensparenden Maschinen, hohen Löhnen und dadurch bedingtem hohen Produktabsatz:

»Wenn eine Maschine nur als Mittel zur Arbeitsersparnis betrachtet wird – als eine Methode, durch die ein Unternehmer mit wenig Leuten auskommen kann – dann kann sie ein Unglück für jedermann bedeuten […]. Die Phrase ›arbeitsersparend‹ ist ein gül-tiger Beweis dafür, wie wenig die Funktion der Maschine verstanden wird. Denn wenn eine Maschine nicht ›arbeitsfördernd‹ ist, hat sie gar keine Existenzberechtigung.«73 Henry Ford versucht Argumente dafür zu liefern, dass der Analogismus zwi-schen Rationalisierung und Ressourcenschonung einerseits und massenhafter Arbeitslosigkeit andererseits unzulässig sei. Vielmehr sei es die Aufgabe von Unternehmen und Gesetzgebern, die Lohnpolitik so zu gestalten, dass techno-logische Innovation nicht zur Verkleinerung des Arbeitsangebotes, sondern zu verbesserter Wertschöpfung führe. Aus seiner Sicht bestehe »gar kein Gegen-satz zwischen der Versorgung mit Arbeit und der Versorgung mit Gütern«, auch nicht »zwischen niedrigen Kosten und hohen Löhnen […]«74. Es gebe demnach »keinen Augenblick, wo die Entwicklung der Maschine zur Gefahr«75 für die Arbeiterschaft werde.76

Ford war zur Ehrenrettung seines Wirtschaftskonzepts gezwungen mit Engelszungen zu reden. Als die apologetischen Wortmeldungen Fords im Jahre 1930 erschienen, schlug die 1929 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise voll auf den deutschen Arbeitsmarkt durch, die Arbeitslosenzahlen stiegen

72 Vgl. Ford: Mein Leben und Werk, 106 f.

73 Ford, Henry: Warum Arbeitslosigkeit? Nicht die Maschine – die Fabrikleitung hat Schuld.

In: VZT Nr. 195 vom 26.04.1930, 15.

74 Ebd.

75 Ebd.

76 Ford kleidet die Begründung für seine Position in eine eingängige Metapher: »Ein eiserner Meißel ist besser als ein steinerner, und ein Stahlmeißel besser als ein eiserner. Könnte der Augenblick eintreten, wo die Qualität des Meißels so fein würde, daß eine Gefahr daraus entstünde? Bestimmt nicht.« Ebd. Widersprüchliche Meinungen dazu existierten in der internationalen zeitgenössischen Debatte allerdings zuhauf. Am prominentesten vertrat John Maynard Keynes im selben Jahr, 1930, seine These von der Technologischen Arbeits-losigkeit gegen den Fordschen Ansatz, in der er eine natürliche Korrelation von techno-logischem Fortschritt und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit annahm. Dazu: Keynes, John Maynard: Economic Possibilities for our Grandchildren. In: Essays in Persuasion. New York, 1963, 358–373, hier 362 f.

sprunghaft an. Im Zuge der weltweiten Börsen-Baisse waren (allen voran ame-rikanische) Investoren gezwungen, Mittel aus Deutschland abzuziehen. Nun bewahrheiteten sich die Unkenrufe, die vor der Gefahr großer Mengen ame-rikanischen Investitionskapitals gewarnt hatten – unter umgekehrten Vorzei-chen. Der Kapitalabzug beschleunigte den Kollaps der deutschen Wirtschaft und vergrößerte das Arbeitslosenheer. Eine Wirtschaftskonzeption wie der Fordismus, die im Ruf stand, durch technologische und organisatorische Inno-vationen Arbeitsplätze »wegzurationalisieren«, geriet dadurch automatisch in die Schusslinie. Unter diesen Bedingungen bestand Erklärungsbedarf, wie das Verhältnis zwischen Kapital, Mechanisierung und Arbeit aussehen sollte.

Auf diesen thematischen Dreiklang bezogen sich die immer schärfer wer-denden Anwürfe, denen sich der Fordismus in Deutschland ausgesetzt sah.

Ein repräsentatives Beispiel stammt vom bekannten Sozialisten und Drama-tiker Ernst Toller. Er schrieb 1930 im Berliner Tageblatt (BTB):

»Ich war bei Ford. […] Stellen Sie sich einen Riesenraum vor, in dem Tausende von Menschen, eng gepfercht, an Werkzeugtischen, bei ungeheurem Lärm arbeiten […].

Jeder Mann tut einen Griff, acht Stunden lang unzählige Male denselben, einen Griff.

[…] Der steckt eine Schraube auf, der eine Hülse, der hängt an vorüberrollende Halter Kurbelwellen […]. Immer denselben Griff […]. Die Mechanisierung der Arbeit, soweit sie überflüssige Arbeitskraft spart, hat für die Gesellschaft große Bedeutung. Aber wenn der Mensch zum leblosen Hebel oder Hammer herabsinkt, wird der Gewinn fragwürdig. […] Bei Ford darf keiner seinen Platz verlassen, an dem er arbeitet, keiner darf eine andere Halle besuchen. So kann es vorkommen, dass er sein Leben lang ein und denselben Hammerschlag an einem Autoteil tut, ohne dass er je das fertige Auto, an dem er doch mitgearbeitet hat, zu Gesicht bekommt.«77

Die Degradierungserfahrung, die Toller für den Arbeitsprozess beschreibt, fügt sich in frühere Klagen ein. Neu ist an der Schilderung seines Werksbesu-ches bei Ford, dass er die Arbeiter als geknechtete, rechtlose und infantilisierte Verfügungsmasse beschreibt. Das so entstehende Bild von amerikanischen Ford-Werken als Staat im Staate verstärkt die dystopische Komponente der deutschen Rationalisierungskritik erheblich und politisiert sie:

»Der Tag ist eingeteilt in drei Schichten. Keiner darf sprechen, keiner rauchen, keiner sich setzen […]. Wenn jemand austreten will, muss er wie ein Schuljunge den Finger heben […]. Wehe, wenn bei der neuen Schicht die ablösenden Männer, die hinter die alten treten, mit den Abzulösenden auch nur drei Worte tauschen. Sie würden sofort bestraft oder sofort entlassen […]. In allen Fabrikhallen wimmelt es von Werkspolizi-sten […]. Nach der Verfassung hätten sie keinerlei polizeiliche Rechte. Sie nehmen sie sich, tragen Knüppel und Revolver.«

77 Toller, Ernst: Besuch bei Ford. In: BTB Nr. 44 vom 24.01.1930, 5 f.

Angesichts solch eindrücklicher Berichte gelang es Ford erwartungsgemäß nicht, den Lauf der Debatte zu wenden. Seine Beiträge waren in Zahl und Wirkung zu marginal. Die Kritik an der Adaption fordistischer Betriebsfüh-rung in der deutschen Industrie hielt nicht nur unvermindert an, sondern in-tensivierte sich mit dem Fortschreiten der Wirtschaftsmisere noch. Teilweise wurde Fords volkswirtschaftlichem Ansatz mit unverhohlenem Sarkasmus begegnet. Manche seiner Äußerungen zur amerikanischen Wirtschaftskrise wurde in Glossen genüsslich demontiert, ihm selbst jegliche Kompetenz auf dem Gebiet der Nationalökonomie abgesprochen.

Zum Ende des Beobachtungszeitraums wurden betriebs- und volkswirt-schaftliche Fragen, die zuvor in der Öffentlichkeit ergebnisoffen diskutiert worden waren, zunehmend apodiktisch und pessimistisch beantwortet. Auch die von Ford und seinen deutschen Anhängern bekämpfte Grundthese, der gesteigerte Einsatz von Maschinen trage den Keim für Massenarbeitslosigkeit unwiderruflich in sich, stieß auf breitestmögliche Zustimmung. Diese Über-zeugung reichte bis zu der Forderung, um Schlimmeres zu verhüten, sei die technische Entwicklung staatlicherseits zu »regulieren und begrenzen«.

Das amerikanische Wirtschaftsexperiment war längst zu einem deut-schen geworden. Nach dem wirtschaftlichen Offenbarungseid 1918 hatte sich eine verunsicherte Öffentlichkeit bereitwillig US-Wirtschaftskonzepten ge-öffnet. In scharfen Debatten emanzipierte sie sich alsbald von der Imitation amerikanischer Formen und wandte sich eigenen Wegen der Rationalisie-rung zu. Wilhelm Düsterwald fasste dies in der VZT im April 1932 treffend zusammen:

»Aus den Vereinigten Staaten kamen die Lehren der Rationalisierung, nach denen un-ser Produktionsapparat von dem Raubbau des Krieges und dem Verfall der Inflation wiederhergestellt wurde […]. Geistig hat sich die deutsche Wirtschaft schon lange von der amerikanischen emanzipiert. Die Zeiten, in denen Fordismus, Taylorismus und andere Methoden der Massenproduktion auch bei uns als der Weisheit letzter Schluß verehrt wurden, sind längst vorüber.«78