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Rassismus als Bruch amerikanischer Modernität

I. Einführung

3. Minderheiten: Emanzipation und Modernitätsbruch

3.2 Rassismus als Bruch amerikanischer Modernität

Die zwischen dem Norden und Süden der USA bestehenden Unterschiede in der Praxis der Rassentrennung wurden in der deutschen Presse nicht nur an Einzelbeispielen veranschaulicht, sondern in den größeren Sinnzusammen-hang einer eigenständigen Südstaatenmentalität gestellt. Zuweilen wurde, was die rechtliche und soziale Behandlung der Afroamerikaner angeht, gar von einem verspäteten Sieg der Konföderierten geschrieben.38 Diese Ein-ordnung und ihr eklektischer Entwurf einer Südstaatenmentalität zwischen Rassentrennung, Gastfreundschaft und »Culture of Honor«39 ist zweifellos fragwürdig. Dessen unbenommen betonten zahlreiche Berichterstatter und Kommentatoren, dass den im Zusammenleben verschiedener Ethnien

auf-37 Vgl. Weitz, Eric D.: Weimar Germany: Promise and Tragedy. Princeton 2007, 331 f.

38 »In der Schule hat man uns beigebracht, daß die Nordstaaten den amerikanischen Bürger-krieg im Jahre 1865 gewonnen haben. […] Aber das ist eine Legende. Denn manche Kriege werden erst Jahre und Jahrzehnte, nachdem der letzte Schuß gefallen ist, entschieden.

Und wenn auch die politische und wirtschaftliche Führung seitdem ganz auf den Norden übergegangen ist […], so sind in der Frage – um die dieser Krieg eigentlich geführt wurde:

Sollen die Neger, die der Geschäftssinn und die Brutalität weißer Männer nach Amerika gebracht hat, hier frei und gleichberechtigt leben dürfen? – die Südstaaten – das kann man heute, sechzig Jahre später, ganz sachlich und objektiv feststellen – unzweifelhaft Sieger geblieben.« Olden, Peter: Sklaverei in Florida. In: BIZ, 1930, Nr. 14, 582 (Jahresausgabe).

39 In sozialpsychologischen Betrachtungen der Südstaaten wurde gezeigt, dass das Konzept von Ehre, »Rassenbewusstsein« und Klassenbewusstsein in direktem Zusammenhang mit der größeren Gewaltbereitschaft bei dessen Verletzung einherginge. Die individuelle, nichtstaatliche Anwendung von Gewalt stieße hier auf höhere Akzeptanz als im Norden.

Vgl. Nisbett, Richard / Cohen, Dov: Culture of Honor. The Psychology of Violence in the South. Boulder 1996, 1–12 und 57–95.

tretenden Problemen nicht etwa eine »natürliche« Logik innewohne. Eine spezielle Geisteshaltung in den Südstaaten sei stattdessen der Ursprung allen Übels, deren Exzesse in abgeschwächter Form auch im soziokulturell anders geprägten Norden Widerhall fänden. Auch die mangelnde Bereitschaft von Eliten und Mehrheitsbevölkerung, evidente Widersprüche in der politischen und sozialen Praxis der Rassentrennung aufzulösen, wurde als problemati-sches Moment identifiziert.

Wo aber finden sich nun Anknüpfungspunkte an deutsche Debatten?

Schließlich spielten ethnische Konflikte, abgesehen vom kulturell verwur-zelten und später politisch instrumentalisierten Antisemitismus, in der nach 1918 ethnisch vergleichsweise homogenen deutschen Gesellschaft kaum eine Rolle.

Zur Beantwortung dieser Frage rückt die Sonderrolle der amerikanischen

»Rassenfrage« hinsichtlich des in der deutschen Perzeption konstruierten Bil-des vom »modernen Amerika« in den Blick. Die deutsche Massenpresse dis-kutierte die Frage, wie moderne Gesellschaftsorganisation auszusehen habe, so intensiv wie kaum eine andere. Entsprechend sensibel reagierte man bei dem auf (fast) allen Zukunftsfeldern weit enteilten Vorbild Amerika auf den tiefen Bruch dieses Nimbus: die auch damals als weder zeit- noch normen-gemäß beurteilte Behandlung der schwarzen Minderheit. Als wunder Punkt der Amerikabetrachtung lieferte dieser Themenkomplex immer wieder den-jenigen Argumente, die in den USA in Sachen Freiheit und Bürgerrechte eben kein glänzendes Vorbild für die Modernisierung Deutschlands sahen.40

In der deutschen Medienöffentlichkeit fügte sich die amerikanische

»Rassenfrage« in einen intensiv laufenden Selbstverständigungsprozess ein.

Elementare Kategorien wie Klasse, Stand, Gesellschaft und Volk, wurden hinterfragt, umdefiniert und für die eigene Sache besetzt. Scheinbar wider-sprüchliche Tendenzen wirkten dabei zusammen. Der Nachhall der Ideen von 1914 und eine verklärende Erinnerung an das Augusterlebnis, das die zersplitterte Vorkriegsgesellschaft vermeintlich geeint hatte,41 kollidierten mit

40 Vgl. dazu nochmals: Lerg: Amerika als Argument, 299 f.

41 Dass der Mythos Augusterlebnis aus ideologischen Gründen während des Kriegsbe-ginns und nach der Kriegsniederlage von Einzelbeispielen des Kriegs-Enthusiasmus zu einem kollektiven Erweckungs- und Einigungserlebnis stilisiert wurde, stellte Andreas Wirsching fest. Er betonte, die Reaktionen auf den Kriegsausbruch seien von der Klas-s und Milieuzugehörigkeit abhängig gewesen. Bürgertum und Studenten hätten en-thusiastisch, Arbeiter deprimiert auf die Kriegserklärung reagiert. Damit bestätigte er die seit den 1960er Jahren vertretene These, dass es sich bei zentralen Angelpunkten der deutschen Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs überwiegend um mythisierte Konstruk-tionen handle. Vgl. Wirsching, Andreas: »Augusterlebnis« 1914 und »Dolchstoß« 1918 – zwei Versionen derselben Legende? In: Dotterweich, Volker (Hg.): Mythen und Legenden in der Geschichte. München 2004, 191.

dem Unbehagen an gesellschaftlicher Nivellierung und der Furcht vor dem Fall aller sozialen Schranken.42

Die brutale Trennlinie zwischen schwarzem und weißem Amerika stellte einen Ankerpunkt für den Zweifel an der Unumgänglichkeit gesellschaft-lichen Fortschritts nach US-Muster dar. Das Benennen offenkundiger Pro-bleme diente der Adressierung unausgesprochener Paradoxien, die sich durch die Psyche der »verworfenen Nation« Deutschland zogen.43 Die ambivalente Faszination, die für die Deutschen von Themen wie Lynchjustiz, dem angeb-lichen de facto-Fortbestand der Sklaverei in Gestalt sozialer und politischer Benachteiligung Schwarzer, dem Mordtreiben des Ku Klux Klan und dem

»Kastenwesen«44 der US-Gesellschaft ausging, ersetzte die Problematisierung der eigenen gesellschaftlichen Zerrissenheit und des Nebeneinander und In-einander unvereinbarer Gegensätze.45

Die Beschreibung der Existenz antimoderner Erscheinungen im vermeint-lich modernsten Land der Welt, einer profunden Gleichzeitigkeit des Un-gleichzeitigen,46 externalisierte ein deutsches Paradoxon. Dieses bestand in der Sehnsucht nach der klassenlosen Volksgemeinschaft auf der einen und der Angst vor einer alle menschlichen Unterschiede einebnenden Moderne auf der anderen Seite. Die Vision, eine klassenlose Gesellschaft mit der Auf-rechterhaltung einer für das soziale Ganze unabdingbaren Hierarchie zu ver-einbaren, stellte während der Zeit der Weimarer Republik eines der wenigen

42 Dass jene Entwicklungen teils anders verliefen als wahrgenommen, teils ohne tatsächliche Grundlage vollständig imaginiert waren, hat unter anderem Jürgen Kocka gezeigt. Dazu:

Kocka, Jürgen: Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914–1918. Göt-tingen 1973, 96 ff.

43 Vgl. Dahrendorf, Ralf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München 1965, 59–75.

44 Johnston, Alva: Kastenwesen in Amerika. In: QUS, 1932, Nr. 8, 44. Hier werden neben der rassistischen Abgrenzung in der amerikanischen Gesellschaft quasi-aristokratische Strukturen thematisiert, mit denen sich in Verbänden organisierte alteingesessene Fami-lien, die sich auf die Gründerväter und alte Einwanderer-Eliten englischen und hollän-dischen Ursprungs beriefen, gegen sozialistische und emanzipatorische Bestrebungen unterprivilegierter Gruppen abzugrenzen versuchten.

45 Was dem allgemeinen Verständnis des Dahrendorfschen Wortes von der »verworfenen Nation« aber durchaus mehr entspricht, als ein ausschließlich auf Deutschland begrenzter Blick. Vgl. Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 65 f.

46 Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit. Gesamtausgabe, Bd. 4. Frankfurt a. M. 1962, 104:

»Nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich, dadurch, daß sie heute zu sehen sind. Damit leben sie aber noch nicht mit den anderen zugleich. Sie tragen vielmehr Früheres mit, das mischt sich ein.« Und: Ders.: Tübinger Einleitung in die Philosophie, Bd. 1. Frankfurt a. M. 1967, 201: »Der Fortschrittsbegriff duldet keine ›Kulturkreise‹, worin die Zeit reaktionär auf den Raum genagelt ist, aber es braucht statt der Einlinigkeit ein breites, elastisches, völlig dynamisches Multiversum, einen währenden und oft ver-schlungenen Kontrapunkt der historischen Stimmen.«

konsensfähigen Gesellschaftsziele dar.47 Hinsichtlich des reaktionären Mo-dernismus, der substantieller Bestandteil Weimarer Intellektuellendebatten und Grundkonsens des »Dritten Reichs« war,48 entfaltet sich im Komplex von Ethnizität und Pluralismus ein anschauliches Beispiel für die differenzierende und selektive Wahrnehmung amerikanischer Modernität in der Weimarer Öf-fentlichkeit. Diese deutete das amerikanische Modernitätsmodell als relational und erkannte die Inkonsistenz von Moderne an.

Wie aber wurde die Problematik von Rassendiskriminierung und rassis-tischer Gewalt im öffentlichen Diskurs der Weimarer Republik konkret ver-handelt? Ein Artikel über die Praxis politischer Diskriminierung von Afro-amerikanern sowie die ihnen zugrundeliegende Geisteshaltung erschien 1929 in der Frankfurter Zeitung. Er zeigt stellvertretend,49 auf welche Punkte die Pressedebatte um die Rassendiskriminierung besonders abhob:

»Während der Schnellzug in tagelanger Fahrt durch Maryland, Virginia, Nord- und Süd-Carolina und Georgia dem Süden zuraste, brachte mein Reisegefährte aus Jack-sonville, Florida, das Gespräch zwangsläufig auf das Thema, das schließlich immer wieder das Alpha und das Omega aller politischen Gespräche im amerikanischen Sü-den bilSü-den muß: Sü-den Neger. Für uns, die wir im NorSü-den leben – sagte ich – ist doch der Neger überhaupt kein politisches Problem […]. Wenigstens wird ihn niemand daran hindern, wählen zu gehen, wenn er Lust dazu hat.«50

Im Süden, in dem zum damaligen Zeitpunkt ungefähr drei Viertel der Afro-amerikaner lebten und damit auch deren Anteil an der dortigen Bevölkerung wesentlich höher war, sei dies allerdings vollkommen anders:

»[D]ie starke Negerbevölkerung der Südstaaten läßt das Gespenst einer ›schwarzen Gefahr‹ in den Köpfen der dort lebenden Weißen nicht zur Ruhe kommen. Die tradi-tionelle Verachtung des Negers aus der Sklavenzeit in Verbindung mit verschiedenen mißglückten Versuchen, den Neger nach dem Bürgerkrieg sozial auf eine höhere Stufe zu stellen, tut ein Übriges. Hinzu kommen die nicht gerade erhebenden Resultate der Rassenvermischung im benachbarten Mexiko, die man aus nächster Nähe zu

47 Vgl. Nolte, Paul: Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbst-beschreibung im 20. Jahrhundert. München 2000, 159 f.

48 Herf: Reactionary Modernism, 22 f. Insbesondere die selektive Perzeption der Moderne, die technische Innovationen und größere medizinische Möglichkeiten zwar enthusias-tisch begrüßte, die liberale Demokratie, Gleichberechtigung oder soziale Nivellierung jedoch ablehnte, war eine Tendenz, die sich bereits in der Weimarer Republik abzeichnete und im »Dritten Reich« voll zum Tragen kam.

49 Unter anderem für: Feder, Ernst: Unter dem Jim-Crow-System. Eindrücke im Süden – Die soziale und ökonomische Trennung zwischen Weissen und Farbigen. In: BTB, 1930, Nr. 328, 1 f.

50 Anon.: Amerikanische Neger. In: FZT Nr. 952 vom 22.12.1929, 1 f. [Hervorh. im Original, D. F.].

beobachten Gelegenheit hatte, und schließlich gipfelt alles in dem Satz: ›Wir sind weiß und wollen weiß bleiben‹. Darum: ›Keep the negro in his place‹. (Halte den Neger auf seinem Platze.) Mit diesem Grundsatz haben wir unsere angelsächsische Rasse – was uns keiner abstreiten kann – als einzige von allen amerikanischen Völkern von farbi-gem Blut reingehalten. Bei uns weiß der Neger, wo er hingehört. Er weiß, daß es ›nicht gesund‹ für ihn ist, sich gleiche Rechte mit dem Weißen anzumaßen, wählen zu gehen und dergleichen mehr.«51

An dieser Stelle erscheint das rassistische Motiv der »Reinerhaltung der Rasse«

als Grundlage der Rassentrennung. Hinzu kommt eine Objektivierung der Afroamerikaner, die sich in der Formulierung äußert, es sei eine politische, im Ausgang des Bürgerkrieges begründete Maßnahme, die afroamerikanische Bevölkerung »sozial auf eine höhere Stufe zu stellen.«52 Die Verbesserungen für die Afroamerikaner werden als Resultat einer angeblichen Siegerjustiz vonseiten der Union dargestellt.

Nun wäre der Segregation alleine wohl keine so hohe Aufmerksamkeit zuteil geworden, hätte sich in ihr nicht ein so krasser Widerspruch zum Bild amerikanischer Freiheit und Gleichheit materialisiert, das sowohl in der deut-schen Öffentlichkeit als auch im republikanideut-schen Selbstverständnis Ameri-kas selbst prononciert wurde:

»Wie läßt sich das alles aber mit den 14. und 15. Verfassungs-Amendments vereinba-ren, die die Beschränkung der Bürgerrechte sowie Diskriminierung aus Gründen der Rasse, Hautfarbe oder eines früheren Sklaverei-Verhältnisses verbieten? Die Wahrheit ist: die Südstaaten haben diese, ihnen nach dem Bürgerkrieg aufgezwungenen Verfas-sungs-Amendments im Herzen niemals anerkannt. Die stimmberechtigten Schwar-zen – vielleicht vier bis fünf Millionen Menschen – sind politisch nahezu einflußlos.«53 Der Beitrag aus der Frankfurter Zeitung konstatiert eine faktische Trennung nicht nur der Rassen, sondern auch des Geltungsbereichs der amerikanischen Verfassung und damit eine mutwillige Teilung ihrer libertären und egalitären Grundprinzipien. Die vollen Bürgerrechte und damit auch die ökonomische Teilhabe stünden Afroamerikanern folglich nur in den Industrieregionen des Nordostens frei:

»Seine Rettung sucht der sozial und politisch am Boden gehaltene Südstaaten-Neger naturgemäß im Norden, wo die Industrie-Gebiete von Illinois, Pennsylvania und New York mit ihren hohen Arbeitslöhnen eine […] kleine, aber wirtschaftlich gut fundierte Negerschicht entstehen ließen. Ein Wahlbezirk in Chicago hat sogar einen farbigen Abgeordneten in den Kongreß entsenden können. So ist der Norden also nicht nur in wirtschaftlicher Beziehung ein ›Nigger-Heaven‹ (Neger-Himmel), dem der Ehrgeizi-51 Ebd., 1.

52 Anon.: Amerikanische Neger. In: FZT, 1929, Nr. 952, 1 f.

53 Ebd., 1.

gere unter den auf den Baumwoll-Plantagen groß gewordenen Farbigen zustrebt […], sondern gleichzeitig das […] Zentrum, in dem der Schwarze kulturelle Befruchtung und Anlehnung sucht. Hier betätigt sich die größte Neger-Organisation, die National Association for the Advancement of Colored People am ungehemmtesten.«54 Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit des amerikanischen Gesell-schaftsmodells, die in diesem Auszug von der Paradoxie der »Rassenfrage«

abgeleitet wird, ist der essentielle Befund des Beitrags. Dessen Fazit lautet:

»Sie [die Auseinandersetzung um die Rassendiskriminierung, D. F.] ist auch völker-psychologisch von Interesse, denn sie legt, wie vielleicht kein anderer Fall […] den immerwährenden Konflikt zwischen menschheitsbeglückenden Theorien und rauher Wirklichkeit bloß, dem die angelsächsische Seele so ganz besonders ausgesetzt zu sein scheint.«55

Bei diesem grundlegenden Missstand, daran lässt der Text keine Zweifel, han-dele es sich nicht um ein Versäumnis oder einen behebbaren Betriebsunfall.

Von staatlicher Seite würden die Mittel des Rechtsstaates missbraucht, um planvoll ein Repressionssystem zu betreiben und aufrechtzuerhalten – für eine zeitgenössische Darstellung sehr weitreichende Einsichten.

Die Auslegung des 14. und 15. Zusatzartikels spielte dabei eine entschei-dende Rolle. Jene billigte nach damaliger Rechtsauffassung den Einzelstaaten große Freiheiten in der Erteilung oder Verwehrung des Wahlrechts zu. Die einseitig zu Ungunsten der Afroamerikaner interpretierte Überprüfung der intellektuellen Befähigung zur Beurteilung politischer Fragen gehörte zur Ausgestaltung dieser Freiheiten. In letzter Konsequenz führe dies, so wird im Bericht korrekt festgestellt, zum Ausschluss großer Teile der Black Com-munity vom Wahlrecht.56 Im Übrigen gab man sich zu keinem Zeitpunkt der Illusion hin, diese Praktiken würden schamhaft verschleiert, sondern zeigte

54 Ebd.

55 Ebd.

56 »Der beliebteste und etwas verfeinerte Ausweg südstaatlicher Regierungen aus dem Di-lemma, in das sie das 14. und 15. Amendment gebracht hat, wird heute zumeist durch besonders zurecht geschnitzte einzelstaatliche Verfassungsbestimmungen eröffnet, in denen der Wähler ein gewisses Mindestmaß an Bildung als Voraussetzung der Wahl-berechtigung nachweisen muß. Gewöhnlich wird verlangt, der Wähler müsse die Ver-fassung ›lesen und in einer vernünftigen Weise interpretieren können.‹ Der Haken liegt hierbei natürlich darin, daß das Wahlkomitee von Fall zu Fall über den erforderlichen Bildungsgrad urteilt und selbst geschulten Negern durch juristische Haarspaltereien ein Bein zu stellen vermag, während man sich natürlich gewöhnlich nicht der Mühe unter-zieht, dem weißen Wahlberechtigten irgendwie auf den Zahn zu fühlen. So erzählt eine Anekdote von einem Neger, der soweit alle Aufgaben des Wahlkomitees mit einwand-freier Genauigkeit lösen konnte und dem schließlich die arglistige Frage vorgelegt wurde:

›Was bedeutet wohl: habeas corpus ad subiciendum?‹ ›Das bedeutet,‹ antwortete resigniert der Gefragte, ›daß ein Nigger in Mississippi nicht wählen darf‹ und verließ das Wahl-lokal.« Ebd.

deren offiziellen und politisch gewollten Charakter mit Rückgriff auf einschlä-gige Zitate hochraneinschlä-giger Politiker auf:

»So ist also der Kampf gegen die politische Mündigkeit des Negers die Form eines in der Stille, aber mit aller Erbitterung durchgeführten Ringens um ein theoretisch schon längst bewilligtes, in der Praxis aber konsequent mit Füßen getretenes Recht angenommen, eines Ringens, in dem der Weiße alle Schliche – von den brutalsten Gewaltmaßnahmen zu den raffiniertesten Schikanen – spielen lässt. Zur Charakte-risierung der Situation finden wir keine bessere Bemerkung als den folgenden Aus-spruch, der dem durchaus nicht als besonders radikal bekannten [demokratischen, D. F.] Senator [Carter, D. F.] Glass aus Virginia in den Mund gelegt wird: ›Das Volk in den dreizehn Südstaaten flucht und spuckt auf das 15. Amendment und hat in keiner Weise die Absicht, den Neger wählen zu lassen. Wir gehorchen zwar den Buchstaben des Amendments und der Bundes-Statuten, aber wir umgehen seinen Sinn ganz offen und sind entschlossen, dies auch weiterhin so zu halten. Die weiße Überlegenheit ist uns ein zu kostbares Gut, das wir nicht einer theoretischen Gerechtigkeit zu Liebe – einer Doktrin, die dem tierischen Schwarzen Gleichberechtigung mit weißen Frauen und Männern einredet – aufgeben können.‹«57

Es lohnte sich, den FZT-Artikel »Amerikanische Neger« an dieser Stelle so breit zu zitieren, weil er mehrere Themenkomplexe der rechtlichen und so-zialen Ungleichbehandlung der amerikanischen Black Community verdich-tet. Neben dem Rekurs auf regional unterschiedliche Ausmaße alltäglicher Diskriminierung von Schwarzen konzentriert sich seine Darstellung auf den systematischen Ausschluss von politischen und insbesondere sozialen Auf-stiegsmöglichkeiten – dem Kern amerikanischen Selbstverständnisses.58 »Die schwarze Gefahr« in den Südstaaten, also die Angst vor der politischen Be-freiung der Afroamerikaner und dem Ende weißer Vorherrschaft, bildet den Ausführungen zu Folge das primäre Motiv für die fortgesetzte Repression.

Dies wirkt zusammen mit dem damals in den USA und anderswo verbreiteten Grundsatz, Rassen dürften sich grundsätzlich nicht vermischen, besonders dürfe die weiße nicht durch andere »verunreinigt« werden.

Mit Verweis auf die Zusatzartikel 14 und 15 expliziert der Artikel, wie sehr diese Haltung und daraus folgende Praktiken dem »sich a priori recht edel

57 Ebd.

58 Diese sich gegenseitig verstärkenden Formen sozialer, politischer und ökonomischer Dis-kriminierung wurden häufig in Überblicksartikeln als solche benannt, unter anderem:

»Der Süden der Union ist ja nicht nur ein geographischer Begriff, sondern zugleich ein ökonomischer und sozialer […]. Im Süden ist überall noch die Zeit des Sezessionskrieges vor 70 Jahren lebendig, in welchem der Norden dem Süden die Sklavenbefreiung auf-zwang […]«. Feder, Ernst: Unter dem Jim-Crow-System. Eindrücke im Süden.- Die soziale und ökonomische Trennung zwischen Weissen und Farbigen.- Einfluss der Industriali-sierung und der Agrarkrise. Der Ausschuss für Zusammenarbeit der Rassen. Im Campus der Neger-Universität. In: BTB Nr. 328 vom 14.07.1930, 1 f.

ausnehmenden Humanitäts-Idealismus«59 des politischen Amerika diametral entgegenstünden. Der im Entstehungsprozess der USA grundgelegte Wider-spruch zwischen dem Gleichheitsgedanken der Unabhängigkeitserklärung und der anerkennenden Ignoranz gegenüber der Sklaverei60 wirkte bis in die deutschen Amerikadiskurse der Zwischenkriegszeit hinein.

Beim gemeinen deutschen Zeitungsleser musste sich der Eindruck verfesti-gen, der amerikanische Zug in die Moderne führe auch durchaus archaische Elemente in seinem Windschatten mit sich, konkret das hierarchisierende Rassendenken und eine darauf beruhende Ordnung des politischen und sozia-len Raumes. Das Attribut archaisch passt dabei weniger auf den institutionel-len Rassismus, als auf die auffalinstitutionel-lend breite Berichterstattung zu den Umtrieben des Ku Klux Klan. Die Zahl der von diesem Geheimbund zu verantwortenden Lynchmorde erreichte in der Zeit zwischen Reconstruction und den 1920er Jahren ihren Höhepunkt.61 In der speziellen Bedeutung des Wortes archaisch als »überholt« oder »aus der Zeit gefallen« lässt sich hier durchaus operieren.

Schließlich waren es die sich von der rapiden Modernisierung der amerikani-schen Gesellschaft abgehängt und von den Segnungen des modernen Lebens ausgeschlossen Wähnenden, die sich mit besonderem Eifer im Klan engagier-ten und auch an Lynchmorden beteiligengagier-ten.62

Die Berichterstattung über den banalen Rassismus und Antipluralismus des Klans zu untersuchen, bedeutet hier die Herausarbeitung der darin ko-dierten antimodernistischen Motivation seiner Anhänger. So gewinnt das Thema Ku Klux Klan Relevanz für die Modernitätsdebatte in den deutschen Massenmedien, die breit von den Klan-Aktivitäten berichteten. Sehr bald nachdem der 1915 gegründete Second Klan 1921 begonnen hatte, landesweit zu agieren, war er in den deutschen Zeitungen und Zeitschriften präsent.63 Früh

59 Anon.: Amerikanische Neger, 1 f.

60 Vgl. dazu: Davis, Brion David: Inhuman Bondage. The Rise and Fall of Slavery in the New

60 Vgl. dazu: Davis, Brion David: Inhuman Bondage. The Rise and Fall of Slavery in the New