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Barry Kemp

ABB. 1 Teil eines Hauses in der Arbeiter -siedlung, Hauptstraße 8, aufgenommen kurz nach der Ausgrabung von 1922. Einer der Arbeiter spielt die Rolle eines ursprünglichen Bewohners.

C. L. Woolley schlug er im Jahr 1922 in der Arbeitersiedlung (oder östlichen Siedlung) neue Wege ein, wobei er sich die ungewöhnlich guten Erhaltungsbedingungen zu Nutze machte, um die Le-bensweise der Bewohner rekonstruieren zu können (Abb. 1). Der kurze Zeit später folgende Haupt-bericht „The City of Akhenaten“, Band I, mutet wie eine Forschungspublikation an.

Nach diesem vielversprechenden Start ließ sich die EES dort nieder, um die Strategie der großräumig angelegten Freilegung der Flächen weiterzuverfolgen. Dabei konzentrierte man sich auf die Architekturplanung und zeigte nur oberflächliches Interesse am Inhalt der archäologischen Verfüllung, ab gesehen von der Entdeckung solcher Gegenstände, die sich gut in Museumssamm-lungen ausmachen und somit bei der Geldbeschaffung für die nächste Kampagne helfen würden oder die zur Chronologie der Amarna-Epoche beitrugen. Die Möglichkeit der Beschaffung von Geld-mitteln war deshalb gegeben, weil die Funde zwischen dem Ägyptischen Museum in Kairo und dem Ausgräber (in diesem Fall die EES) aufgeteilt wurden, unter der Annahme, dass der Anteil des Aus-gräbers auf ausländische Museen verteilt würde, die dann im Gegenzug finanzielle Unterstützung zusagen würden. Auf diese Weise wurde während 14 Grabungskampagnen, die je zwei oder drei Monate dauerten (zwischen 1921 und 1936, wobei der Zeitraum zwischen 1923 und 1924 gleich zwei Kampagnen umfasste), eine Fläche von rund 120 Hektar untersucht, manchmal nur in Grundzügen.

Diese beinhaltete Gebiete mit privaten Wohnhäusern, darunter ein beträchtlicher Teil des großen, südlich gelegenen Siedlungsgebiets und die gesamte Nördliche Vorstadt. Die grundlegende Form des typischen Hauses in Amarna und seiner Nebengebäude konnte recht früh ausgemacht werden.

Sehr schnell wurde die Weiterführung der Ausgrabung zur routinemäßigen Katalogisierung von weiteren Beispielen – in einer kurzen und manchmal geringschätzigen Art und Weise. Dabei wurde kein tiefergehendes Interesse geweckt, und es wurden auch keine Forschungsthemen entwickelt.

Der Umfang der Expedition wurde erweitert, um die königlichen Gebäude zu erfassen, zunächst das Maru-Aton und den Nordpalast (die beide deutlich den Namen von Echnatons ältester Tochter Meritaton aufweisen). Zusätzlich zu den Grundrissen erbrachten die beiden Gebäude Malereien mit Naturdarstellungen, in Maru-Aton auf den Fußböden und im Nordpalast an den Wänden. Am nördlichsten Ende von Amarna wurden eine Seite der Palastmauer (vom ‚Palast am nördlichen Flussufer‘) und angrenzende größere Häuser freigelegt, die alle zur Nordstadt gehören. Die letzten

ABB. 2 Ausgrabung auf dem Südfriedhof im Jahr 2011. Die Umrisse mehrerer Gräber sind sichtbar, bevor sie ausgegraben werden. Eine der Gruben (rechts) wurde vergrößert, um die Konservierung des fragilen dekorierten Holz -sarges zu ermöglichen.

ABB. 3 Stele aus Kalkstein (Objekt Nr. 39938), ausgegraben 2010 auf dem Südfriedhof. Darge-stellt ist ein Paar in der entspannten und liebe-vollen Pose, die von Echnaton bei seinen ei ge nen Familiendarstellungen bevorzugt wurde.

BARRY KEMP

fünf Kampagnen waren der vollständigen Freilegung des Stadtzentrums gewidmet – ein Projekt, das von John D. S. Pendlebury geleitet wurde, dem eine kleine Gruppe von Helfern zur Seite stand.

Auf dem fast 70 Hektar großen Areal befanden sich die beiden Haupttempel des Aton, der Große Palast und eine ganze Reihe von Verwaltungsgebäuden und Lagerstätten.

Pendlebury war gleichzeitig auch als Archäologe in Kreta tätig. Obwohl er mit weniger gewal-tigen Ausgrabungsstätten und auch mit dem Konzept für ein Museum direkt vor Ort sowie mit der Konservierung und Restaurierung freigelegter Gebäude durchaus vertraut war, übernahm er in Amarna die herkömmliche Arbeitsweise. Diese war gekennzeichnet durch ein zahlenmäßig höchst unausgeglichenes Verhältnis zwischen ägyptischen Ausgräbern und Archäologen, durch die Priorität auf Architektur und Stadtanlage sowie dadurch, dass die freigelegten Strukturen – zu Hunderten – nach Beendigung der Ausgrabungsarbeiten ihrem Schicksal überlassen wurden. Am Ende reflektierte er: „Und nun sind die offiziellen Stadtviertel von Echnaton abgeschlossen – die ersten offiziellen Stadtviertel einer Hauptstadt eines alten Reiches, die jemals freigelegt wurden (und die letzten!). Ein fünf Jahre währender Kampf ist nun zu Ende und die [Egypt Exploration] Society kann auf eine erst-klassige Arbeit zurückblicken.“1Zu der Zeit waren die EES und ihre Sponsoren Amarnas bereits über-drüssig, und der Versuch, eine andere Institution zu finden, die die Verantwortung für die Weiter-führung der Arbeiten übernommen hätte, führte zu keinem Ergebnis.

Das bleibende Verdienst der Arbeit der DOG/EES besteht darin, dass sie uns tatsächlich den detailgenauen Plan, die bemerkenswerte Vogelperspektive auf eine große Stadt des alten Ägypten geliefert hat, die es in dieser Art zukünftig wahrscheinlich nicht noch einmal geben wird. Doch eine solche Arbeitsweise – die wohl 90 Prozent der im Boden und zwischen den Mauern befindlichen In-formationen ignoriert – entspricht nicht mehr den Erwartungen und Standards der modernen Ar-chäologie.

Der Autor wurde 1977 (durch die Egypt Exploration Society) in die Ausgrabungen in Amarna ein-gebunden. Der erste Schritt bestand darin, sich durch eine neue Untersuchung, die 1977 und 1978 durchgeführt wurde, einen Überblick über den Ort zu verschaffen. (Der Teil, der die Stadt betrifft, wurde 1993 als Atlas veröffentlicht. Eine Weiterführung der Untersuchung über das gesamte Wüs-ten-Plateau, die unter Leitung von Helen Fenwick zwischen 2001 und 2009 erfolgt ist, harrt noch seiner Veröffentlichung.) In den darauffolgenden Jahren wurden nur kleinere Ausgrabungen an Orten durchgeführt, die verschiedene Aspekte von Amarna repräsentieren (die Wahl wurde zuweilen von externen Faktoren diktiert, die die nationale und lokale Politik Ägyptens widerspiegelt). Als Wohn-siedlung dienten Bereiche innerhalb des Stadtgebiets und insbesondere in den beiden abgelegenen Wüstengemeinden, der Arbeitersiedlung und der Steinsiedlung (‚Stone Village‘). Wegen ihrer isolierten Lage haben die beiden Siedlungen und das sie umgebende Gelände die Spuren des Einflusses der Be-wohner auf ihre unmittelbare Umgebung nahezu vollständig bewahrt – eine Art „Fußabdruck“ des Wohnens, wie es ihn nur äußerst selten in der Archäologie gibt.

Zwischen 1987 und 1995 (nach einem Versuch einheimischer Bauern, ihre Felder in diesem Bereich zu vergrößern) wurden Teile einer großen königlichen Anlage aus der Amarna-Zeit freigelegt, die den Namen Kom el-Nana trägt. Ein christliches Kloster, das später an derselben Stelle errichtet wurde, wurde mit einbezogen; dessen Wandmalereien sind Gegenstand eines anderen Forschungs-projekts. Die Entdeckung mehrerer Friedhöfe, auf denen die einfachen Einwohner von Amarna beerdigt wurden, hat seit 2006 zu jährlichen Ausgrabungen am größten davon (dem Südfriedhof, Abb. 2 und 3) und zu einer umfangreichen Studie eines Anthropologen-Teams über die dort ge-fundenen skelettierten menschlichen Überreste geführt. Zum ersten Mal ist es möglich, das Leben in Amarna mittels einer Quelle zu studieren, die nicht aus den Überresten der Stadt oder

ABB. 4 Fragment einer Kolossalstatue, wahr-scheinlich von Nofretete, aus Quarzit (Objekt Nr.

S-5715), Höhe 25 cm. Entdeckt bei den Ausgra-bungen von John Pendlebury im Großen Palast.

Hunderte solcher Stücke, die Gegenstand einer umfangreichen aktuellen Studie sind, stehen im Gegensatz zu den unzähligen Objekten aus den Wohngebieten, die einen eher häuslichen Maß-stab widerspiegeln.

ABB. 5 Das Haus des Bildhauers Thutmosis in seinem heutigen Zustand (Foto 2007)

von Grabdarstellungen stammt. Zudem bietet sich hier der seltene Fall, einen groß angelegten altägyptischen Friedhof (mit schätzungsweise rund 3000 Bestattungen) zu untersuchen, auf dem Menschen beerdigt wurden, die mehr oder weniger zur selben Zeit gelebt haben. Somit stellen sie einen tatsächlichen Bevölkerungsquerschnitt dar.

Obwohl von weit geringerem Ausmaß, wurden auch in der Gruppe von Tälern, wo die Gräber Echnatons und seiner Familie vermutet wurden, intensive Ausgrabungen und Untersuchungen durchgeführt – von John D. S. Pendlebury in den Jahren 1931–1932 (im Auftrag des Service des Anti-quités), von Ali el-Khouli und G. T. Martin 1984 (für dieselbe Organisation) und von Marc Gabolde (Universität von Montpellier) in jüngster Zeit. Dies hat den Nachweis erbracht, dass sich an diesem Ort keine weiteren Gräber befinden.

Durch die einfache Methode des Siebens von ausgegrabenem Material haben diese verschie-denen Orte eine Unmenge an Funden zu Tage gefördert, für deren gründliche Untersuchung viele Fachleute benötigt werden. Durch die Ausgrabungen konnten daher Referenzsammlungen für For-scher erstellt werden. Die ‚Aufteilung‘ der ausgegrabenen Altertümer zwischen dem Ägyptischen Museum in Kairo und ausländischen Expeditionen endete in den 1980er Jahren. Sämtliche Funde – von tausenden Statuenfragmenten (Abb. 4) bis hin zu Überresten von Insekten – verbleiben nun in Ägypten und werden vor Ort gelagert, abgesehen von einer relativ geringen Anzahl von Gegenständen, die aufgrund ihrer Qualität für Ausstellungszwecke in Museen geeignet sind und daher woanders aufbewahrt werden.

Der Umfang und die Vielschichtigkeit der Archäologie in Amarna ermöglichen die Entwicklung einer ganzen Bandbreite von Forschungsthemen. Eines davon ist die Verortung und der institutionelle Kontext der Produktion. Die Stadt zeigt sich als eine einzige riesige, zerstreute Fabrik, die den Inte-ressen des Hofes dient, die aber auch zulässt, dass sich ihre Produkte über die gesamte Stadt ver-breiten. Obwohl die Gesellschaft von Amarna von einer vom König abhängigen Bürokratie geführt wurde, spiegelt die Organisation der Stadt, auch ihr Aufbau und Wachstum, in weiten Teilen eine

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intuitive Übernahme persönlicher Verantwortung und die Verflechtungen wider, die mit Selbstor-ganisation einhergehen. Die Vision Echnatons von einer frommeren Art und Weise der Anbetung des Sonnengottes führte zu keinem einheitlichen religiösen Programm für die Bevölkerung der Stadt. Die Archäologie legt unterschiedliche Ausmaße der Akzeptanz offen, bis hin zu scheinbarer Gleichgültigkeit gegenüber der Religion des Königs. Die gegenwärtige Friedhofsausgrabung bietet die Grundlage für Untersuchungen zum Thema Tod und Stadt sowie zur Auswirkung einer hohen Rate an früher Sterblichkeit und Beeinträchtigung der Lebensqualität in Amarna. Echnatons staatliche Gebäude, die sehr unterschiedliche Größen, Materialien und Ausführungsqualitäten aufweisen, stellen Vermutungen zur Monumentalität in der Antike in Frage. Amarna erscheint als ein Ort, der eine Le-bensweise unterstützte, die in mancher Hinsicht sofort wiedererkennbar ist, uns in anderer Hinsicht jedoch ziemlich fremd ist. Der kontinuierliche Prozess, die Bandbreite an Belegen und deren Bewertung auszuweiten, rückt die Themen, die das Wesen menschlichen Lebens in ferner Vergangenheit aus-machten, zunehmend in den Mittelpunkt.

Amarna – immer noch ein Schatzhaus an Belegen – wird von Wachleuten und Inspektoren des ägyptischen Ministeriums für Altertümer überwacht, die über ein Büro am Standort verfügen.

Vor allem deshalb hat Amarna, im Vergleich zu vielen anderen Orten in Ägypten, die Zeit relativ gut überdauert und ist in den schwierigen Tagen nach der Revolution zu Beginn des Jahres 2011 von Plünderungen verschont geblieben. Nichtsdestotrotz ist es den vielen Hektaren an Gebäuden in Amarna, die in der Vergangenheit bloßgelegt waren, ganz unterschiedlich ergangen. Das Haus des Thutmosis, in dem die Nofretete-Büste entdeckt worden ist, befindet sich in einem halbwegs guten Zustand (Abb. 5), wohingegen das Haus des „Oberaufsehers der Arbeiter“, Hatiay, das 1930 in der Nördlichen Vorstadt ausgegraben wurde mit teilweise noch beinahe zwei Meter hoch aufrecht ste-henden Wänden, komplett unter modernen Feldern verschwunden ist.

1987 begann die derzeitige Expedition mit der erneuten Untersuchung eines der großen Ge-bäude im Stadtzentrum, das erstmals von der Pendlebury-Expedition freigelegt worden war, nämlich dem Kleinen Aton-Tempel. Dies führte zur Entwicklung eines Programms, mit Hilfe dessen durch Säuberungs- und Ausbesserungsarbeiten sowie in begrenztem Maße den Ersatz von fehlenden ar-chitektonischen Elementen der Tempel für Besucher fassbarer werden sollte. Ein ähnliches Programm wurde zu einem späteren Zeitpunkt am Nordpalast gestartet (von der EES in den Jahren 1924 und 1925 freigelegt, Abb. 6) und ein drittes wurde dieses Jahr (2012) am Großen Aton-Tempel begonnen, der größtenteils 1932 von der Pendlebury-Expedition freigelegt worden war. Diese Art von Arbeit wird niemals beendet sein. Jedes Gebäude benötigt anschließend einen eigenen Instandhaltungsplan und muss nach einem geeigneten Intervall zum Zwecke der Säuberung und Reparatur erneut inspi-ziert werden.

Der größte Feind historischer Stätten ist oftmals das Desinteresse der Öffentlichkeit. Das Gegenteil davon ist aktives Interesse und Engagement, das aus drei Quellen kommt: Die erste ist die Pflege und der Schutz seitens der zuständigen offiziellen Behörde (in diesem Fall das Ministerium für Altertümer). Die zweite ist zu einem gewissen Grad eine Partnerschaft mit unabhängigen ar-chäologischen Unternehmungen (die in Ägypten normalerweise ausländischer Herkunft sind). Die dritte Quelle sind die Besucher, deren Bedarf an Erklärungen in angemessener Weise entsprochen wird. Diese drei Gruppen zusammen liefern eine erkennbare Begründung für die Kosten der Auf-rechterhaltung eines historischen Ortes (die im Fall von Amarna die fiktiven Verluste miteinbeziehen, die durch den Verzicht auf Land anfielen, das andernfalls für Felder und die Vergrößerung des Dorfes hätte genutzt werden können – ein mächtiger und emotional behafteter Faktor auf lokaler Ebene).

ABB. 6 Reparaturen und Erneuerungen von Bereichen des Nordpalastes in Amarna (Foto 2011)

Derzeit ist in Amarna ein Projekt im Gange, das die drei Komponenten zusammenführt, in Form eines Besucherzentrums (finanziert vom Ministerium für Altertümer). Dieses Zentrum ent-hält Verwaltungsgebäude und soll in absehbarer Zeit ein lokales Museum beherbergen, zusätzlich zu Informationstafeln, die die Beschaffenheit des Ortes erklären. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das große Gebäude fertiggestellt, die Anzeigensysteme müssen jedoch noch optimiert werden, und das geplante Museum wird wahrscheinlich nur mit Hilfe zusätzlicher Gelder realisiert werden können.

Archäologen waren in der Vergangenheit oftmals versucht, die Stätte, an der sie arbeiten, als eine Quelle zu betrachten, die ihre eigenen Forschungen voranbringt und Museen mit Aus-stellungsobjekten versorgt. Infolgedessen begegnen die meisten Menschen, ob es nun Fachleute oder Laien sind, diesen Ausgrabungsstätten nur mittels schriftlicher Berichte und ausgestellter Objekte, die aus ihrem ursprünglichen Kontext entfernt wurden. Lange Zeit war Amarna seiner Altertümer beraubt worden zugunsten weit entfernter Museen, einschließlich des Ägyptischen Museums in Kairo. Dennoch hat Amarna immer noch das Potenzial, ein großartiges Bildungser-lebnis im Freien zu sein und den Besuchern nahezubringen, wie man dort vor über dreitausend Jahren gelebt hat.

1 EES-Archiv, Schreiben vom 09.12.1936, Pendlebury an Frau Hopkins Morris, eine Geldgeberin.